ABSTAND/ZOOM
N_NEBENBEI |
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So ganz nebenbei mal das Wimmelbild anhalten: The French Dispatch | ||
(Foto: The Walt Disney Company) |
Von Nora Moschuering
Leger könnte ich jetzt schreiben, dass ich diesen Text so ganz nebenbei verfasst habe, ihn aus dem Ärmel geschüttelt, kurz gedroppt habe, während ich wieder im Hauptstream, also im Vordergrund, mit so einigem anderem beschäftigt war: Sozialen Zusammenkünften, zwischenmenschliche Interaktionen, ja gar zufälligen Begegnungen. Immer mit Abstand, Maske, Test, Impfnachweis, aber ja: Da wurde mit Sekt angestoßen und zum Rhythmus der Musik mit Kopf und eingerosteten Knien gewippt. Ganz vorsichtig und ein wenig verknackt. Im Vergleich zu dem, was da in den letzten eineinhalb Jahren stattgefunden hat, war das ein regelrechter Exzess, der sich ja auch über den Vergleich definiert und was früher bis 5 Uhr morgens tanzen war, ist jetzt eben: Kopf nicken und etwas in die Knie gehen, bei ganz weit geöffneten Fenstern. Aber nebenbei, also nebenbei schreiben kann ich überhaupt nicht. Bei Texten brauche ich immer die volle Konzentration, und da hat sich auch trotz Lockerungen nichts dran geändert. Was sich geändert hat, ist die Anzahl der Filme, die ich im letzten Monat im Kino gesehen habe und obwohl sie so unterschiedlich sind, versuche ich sie alle in diesen Text zu quetschen.
Ich werde sie in zwei Blöcke teilen. Die ersten beiden Filme, über die ich schreibe, sind Filme, die mit Texten zu tun haben. Einmal bildet ein Text, ein Roman, die Basis des Films: Erich Kästners »Fabian« und das andere Mal steht eine fiktive Zeitung im Mittelpunkt, »The French Dispatch«, um die sich die einzelnen Film-Episoden drehen. Beide Filme widmen sich auf eine ganz eigene Weise dem Nebenbei, der Requisite, dem Szenenbild, dem Kostüm und der Statisterie, aber auch den filmischen Mitteln wie dem Format, die allzu oft nicht erkannt, sondern unbewusst wahrgenommen werden.
Inspiriert hat mich dazu auch der »5 Minuten Harry Podcast« von Coldmirror, die seit 5 Jahren alle paar Monate fünf Minuten aus dem ersten Harry-Potter-Film analysiert. Extrem detailversessen und extrem sympathisch bespricht sie alles in den Einstellungen oder auch einzelnen Bildern: Die Gemälde und Vorbilder in der Treppenhalle, die Schachfiguren auf dem Schachbrett, Dumbledores Kleidung, die Gestaltung einzelner Bücher, die Drehorte, Abbyes, Schlösser und Bibliotheken, die Verwendung von VFX und CGI, Harrys Augenfarbe, Farb- und Lichtgestaltung und ... einfach alles, und das dauert dann meist so 1 Stunde. Und immer kommt sie zu dem Schluss, wie liebevoll und sorgsam das meiste gemacht, zusammengetragen und gebaut wurde, wie viel Liebe zum Detail in Dinge geflossen ist, die man eigentlich nur bewusst sehen kann, wenn man den Film anhält, die aber maßgeblich zur Atmosphäre beitragen und einen unbewusst beeinflussen und beeindrucken (weswegen es sich schon lohnt, diesen an Ausstattung so reichen Film öfter zu gucken), womit ich zu Wes Andersons The French Dispatch komme, denn auch hier hätte ich gerne ab und an im Kino »Stopp!!« gerufen und »das geht so nicht, ich habe diese Bilder gar nicht fassen können. Was habe ich da gerade gesehen?« Kleinteile, Bilder an der Wand, Schreibtische, Farben, Essen und dazu schneller, auf den Punkt gebrachter Text. Anderson erzählt Welten in einer kurz vorbeifahrenden Kamerasequenz von vielleicht 20 Sekunden, in Tableaus, die er baut, die nur ein paar Sekunden zu sehen sind. So erzählt er mit visuellen Mitteln, wie man durch die Rubriken eine Zeitung blättert. Und um das noch mal zu doppeln, wird jeder Text und die jeweilige Entstehungsgeschichte drum herum, innerhalb der Episode noch einmal eingeordnet, sei es durch einen Vortrag, eine TV-Show oder ein Essen. Das öffnet noch einmal eine nächste wieder etwas anders funktionierende Ebene, die auch eine eigene Art der Ausstattung hat. Puh, aber auch ziemlich toll. Fast tut es einem ein wenig weh, beim Lesen kann man immerhin mal anhalten, zurückgehen, noch mal lesen, aber bei The French Dispatch täte mir eine Standbildanalyse schon gefallen.
Weiter zu Dominik Grafs Fabian oder Der Gang vor die Hunde, ein Film der ungefähr so lange dauert (etwa 3 Stunden) wie es braucht, das Buch zu lesen (etwa 300 Seiten). Wie in The French Dispatch wird auch hier auf eine Weise mit Mitteln gearbeitet, die so großartig, wie auch angenehm überfordernd sind, bei Fabian sind es explizit filmische Mittel die angewendet werden (bei The French Dispatch ist es ja eher eine Art Bühnenbild): Schwarzweiß, Farbe, das heute ungewöhnliche Bildformat 1,33:1, Zooms, Stummfilm, Tonfilm, Super 8, HD, Footage aus den 1930ern und Aufnahmen aus dem Berlin von heute. Es wäre auch despektierlich, das Ganze als Nebenbei abzustempeln, auch bei The French Dispatch, und so möchte ich an dieser Stelle betonen, dass »nebenbei« in diesem Text auf keinen Fall etwas Überflüssiges oder Beiläufiges bedeutet, sondern im Gegenteil, dass ich betonen möchte, wie essentiell es ist. Es kommt besonders auch bei Fabian drauf an, denn die Figur des Fabians ist ja ein Betrachter, ein passiver, ironischer Flaneur, mit einer eher pessimistischen Grundhaltung. Er betrachtet das alltägliche und oft unmoralische Nebenbei, bildet sich seine Meinung und greift selten ein. Dieses »Nebenbei«, Fabians Beobachtungen in der Weimarer Republik, führen schließlich zwei Jahre später u.a. zur Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Bei den nächsten zwei Filmen spielt das Nebenbei eine ganz andere Rolle, einmal wird es als solches inszeniert und das andere Mal irgendwie im Unscharfen vergessen.
Ich habe mich auf Titane gefreut. Alles was ich darüber gelesen habe, hat mich immens angesprochen: Provokant, grotesk, radikal, Genreverschmelzung, wandelbare Körperlichkeit, Titanplatte im Kopf und eine Wirbelsäule daraus, das Verschmelzen von Organischem und Nicht-Organischem, also vielleicht eine Art »monströse Welt ohne Gender«, wie es Donna Haraway in ihrem Cyborg-Manifest schreibt. Ich kann jetzt auch nicht schreiben, dass ich enttäuscht bin, ich bin viel eher irritiert. Vielleicht erinnert der ein oder die andere sich noch an Des Teufels Saat (1977), in dem Julie Christie von einer künstlichen Intelligenz, die ihr voll automatisiertes Haus steuern kann, gefangen gehalten und schließlich geschwängert wird. Aus einem Ei schlüpft zum Schluss ein groteskes Metallwesen, aus dem sich aber dann ein sehr menschliches Kind mit einer Computerstimme herausschält. Ja, das war absurd, aber es kam zumindest ein bisschen die Frage danach auf, wie weit wir gehen wollen und was den Menschen ausmacht. Na ja, ich würde diesen Film trotzdem nicht unbedingt empfehlen. Gedacht habe ich auch an Matthew Barneys fünfstündiges Epos Rivers of Fundament (2014), in dem Norman Mailer nacheinander als drei Autos wiedergeboren wird, oder irgendwie so. Soweit ich mich erinnere, gibt es auch mal Sex mit einem Auto (bei Fast and Furious haben das eigentlich auch alle, nur eben subtiler – dass ich das mal schreiben würde) und irgendwie entsteht daraus ein Kind. Ich finde es spannend, diese Idee einer Zukunft, in der sich der Mensch nicht unbedingt getrennt von allem wahrnimmt, sondern in der der menschliche Körper mit Dingen verschmelzen kann, eine Cyborgisierung. Aber müssen das Autos sein?!!? Ich glaube nicht, dass Autos die Zukunft sind! Auf der anderen Seite finde ich es gut, dass unser fetischisiertes Zusammenleben mit ihnen dargestellt wird, aber so? Mhm. Ich kann auch gerade noch verstehen, dass K.I.T.T. aus »Knight Rider« irgendwie als auf eine Art lebendiges Wesen mit Sexualtrieb durchgeht, aber dieser alte, mit Flammen bemalte Was-auch-immer, mit dem die Hauptperson in Titane »schläft«? Na ja, zurück zum Nebenbei, denn hier werden, zumindest in der ersten Hälfte des Films, Menschen ganz nebenbei umgebracht. Es ist zwar ein bisschen anstrengend für Alexia/Adrien, die Hauptfigur, wenn es zu viele werden, aber das ist dann auch das Einzige, was sie zögern lässt und nicht etwa ein solidarisches Gefühl ihrer eigenen Spezies gegenüber. Das scheint sie, vielleicht ja durch die Metallplatte am Gehirn, die ihr als Kind eingesetzt wurde, verloren zu haben. Sehnsuchtsvoll erinnere ich mich an Ema, in der die titelgebende Hauptfigur ein wenig an Alexia/Adrien erinnert, allein ihre Frisur, ihre Kleidung, ihre lange, dünne Gestalt, aber Ema befreit sich, sie eignet sich ihr Leben an und formt es. Auch bei ihr geschieht das zum Teil einigermaßen egoistisch, es ist aber immer zusammen mit den Menschen um sie herum geschehen und ihr Anreiz war eben nicht, von einem Baby-Cyborg-Wesen getötet zu werden, sondern selbstbestimmt Mutter zu werden. Alexia/Adrien formt zwar auch ihren Körper, das geschieht aber fast immer unter Druck und mit Schmerzen. Zum Schluss findet sie dann doch so was wie Liebe, allerdings zu einer eher fragwürdigen hyper-männlichen Vaterfigur, der seinerseits seinen Körper und den Tod zu beherrschen versucht, indem er sich Hormonspritzen setzt (ein pharmakologischer Cyborg). Zurück zum Nebenbei. Die Morde werden natürlich so nebenbei erzählt, weil das das Empfinden der Hauptfigur ist, also ist es genauer genommen kein wirkliches Nebenbei, sondern ein als solches Inszeniertes.
Der letzte Film ist Keine Zeit zu sterben. In ihm hat James Bond weder Zeit zu sterben, noch richtig zu leben. Ein wichtiger Teil der Aktion-Szenen, die mir hier mal ausnahmsweise besser gefallen haben als all das Geschwurbel zwischendurch, ist schon immer, dass das Drumherum durch die Aktion verdeckt wird. Die realen und künstlichen Kulissen werden zu einem Nebenbei und wenn man sich auf den Hintergrund konzentriert, dann merkt man erst, wie flach er ist, wie wenig da eigentlich ist, wie einfach der Wald aussieht, die Beton-Mauern, ja selbst die italienische Stadt Matera. Würde man daraus einen »5 Minuten James Bondcast« machen, dann würden – anders als beim Harry Podcast – aus 5 Minuten Film wahrscheinlich 1 Minute Analyse. Na, ich würde es nicht anhören.