ABSTAND/ZOOM
Film-Alphabet: U_ÜBERHEBLICH |
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Zum Glück geht es auch un-überheblich – etwa in Among us Women... | ||
(Foto: DOK.fest München 2022) |
Von Nora Moschuering
Mittwoch war z.B. Britwoch, na ja und C'mon You Know, da war man halt. Der Prototyp an Überheblichkeit war damals Liam Gallagher und er legte auch wirklich alles darauf an, dieses arrogante Selbstbild in die Welt zu tragen, allein die Art, in der sein Mund quasi magnetisch von unten an ein etwas niedriges Mikrophon gezogen wurde, cool, na, oder seltsam, aber in jedem Fall unique. Da war alles eine einzige Pose, die sich auf die Brust schlug und sagte: Das ist meins. All das ist meins und wisst ihr auch warum? Weil ich f*** cool bin. Ich glaube, so ein bisschen funktioniert so was bis heute bei mir, so ein bisschen Rock n’Roll, Britpop, Punk oder was auch immer. Ich werde mal in sein neues Album reinhören.
Nun zu einem anderen, der nach einem um einiges längeren Zeitraum wieder an etwas anknüpft und dessen Attitüde immer noch die gleiche ist:
»Doch noch ahnt der vor Ehrgeiz und Talent sprühende 19-Jährige nicht, (...) dass er bald schon zu einer Identifikationsfigur für das gesamte Land werden wird.« (Zitat aus einer Arte-Dokumentation). Wer ist das? A: Billie Eilish vor zwei Jahren / B: Harry Potter Anfang der Nuller-Jahre und acht Jahre zu früh oder C: der junge Tom
Cruise?
Schaut man sich die Arte-Dokumentation »Tom Cruise: Mann mit zwei Missionen« an, dann beschleicht einen irgendwie das Gefühl, dass sie Cruise' eigene Ambitionen für sich angenommen hat, diese bescheidene TV-Version hantiert permanent mit Superlativen. »Ehrgeiz«, »Talent«, »sprühend«, »Identifikationsfigur für das gesamte Land«. Mir ist schon klar, dass man sein Produkt attraktivisieren will, gerade in den ersten Minuten, aber geht es nicht doch ein bisschen kleiner,
ich meine, es geht eh um Tom Cruise! Der fürchtet weder Tod noch Teufel. 35 Jahre hat man jetzt auf die Fortsetzung gewartet, falls man von warten sprechen kann, mich hat es eher überrascht. Top Gun: Maverick. Jetzt fliegen sie wieder. Noch mal weit vor meine Atomic-Zeit geworfen, irgendwo in die 80er, frühen 90er hinein, muss ich hier jetzt gestehen, dass ich zwar damals nicht Top Gun gesehen habe, aber trotzdem vorpubertär in Tom Cruise verliebt war. Und, noch weitere Geständnisse: das lag vor allem an In einem fernen Land, ein Film, den wirklich niemand kennt, der aber ähnlich patriotisch ist wie Top Gun. Und an Cocktail, den auch wirklich
niemand kennt. Wenn ich überlege, dann war es vielleicht eben dieses Überhebliche, das mich damals angezogen hat: Ein junger Draufgänger, der irgendwie zu wissen schien, wo es langgeht, der sich durchboxt und auch Schläge einsteckt, lächelt und weitermacht, mit dieser Arroganz, so à la »ich bin der König der Welt«. Wie Liam, der eben auch nur einen einzigen Duktus in der Stimme hat, wenn er singt, aber sich darum nicht schert! Aber zurück zu Tom Cruise, ich war tatsächlich dann auch recht
schnell gar nicht mehr an ihm interessiert, sondern ich fand die Filme interessant, in denen er mitspielte: Rain Man, Interview mit einem Vampir, Mission: Impossible, Jerry Maguire, Eyes Wide Shut, Magnolia und Vanilla Sky. Das ging so bis Anfang der Nuller-Jahre und dann trat
völliges Desinteresse an ihm und seinen Filmen ein. Puff. Ein voraussehbarer Action-Film nach dem nächsten, sein immer gleicher Gesichtsausdruck und dann auch noch Scientology und Katie Holmes. Aus diesem Grund verorte ich ihn, aber als Bild besonders seine Frisur, immer in den 90ern (ganz ähnlich wie Richard Gere oder Meg Ryan).
Aber na ja, er ist immer noch da, er war ja nie weg. Und wie die Arte-Dokumentation, aber diese zugegebenermaßen wirklich nur ein bisschen, sind auch viele Filme, die er nach 2001 gedreht hat, selbst überheblich. Sie nutzen ihren Körper und ihr Lächeln, also ihre »Oberfläche«, ähnlich wie er, mit dieser Überheblichkeit, dieser Arroganz, dieser Lautstärke, dieser völligen Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Es sind kleine Energiebomben, die nicht uncharmant, aber auch nicht wirklich interessant sind und deren tieferer Sinn durchaus fragwürdig sein kann. Ich lehne mich ein bisschen aus dem Fenster, weil ich nur Minority Report, Collateral und Knight and Day gesehen habe (und die habe ich eigentlich auch schon vergessen, geblieben ist eher ein Gefühl), aber ich wage trotzdem zu behaupten, dass ein Großteil von ihnen überhebliche Filme sind, von denen wir eigentlich hofften, dass sie verschwunden wären. Aber natürlich gibt es sie noch, diese Seite des pompösen, selbstbewussten Hollywoods, das wie eine große Imagekampagne für die Coolness der USA wirkt. Mitglieder dieser Gang sind unbedingt auch Michael Bay und Roland Emmerich. Das ist auch irgendwie ok, zumindest ab und an, denn es produziert spektakuläre Bilder aus den Inneren von Düsenjets, wo wir sonst nie hinkommen. Es sei denn, wir gehen zur US-Army und darum geht es wahrscheinlich auch. In der Army aber geht es um echte Einsätze und echte Kriege. Irgendwo verschwimmt hier etwas sehr ungut, die Überheblichkeit von Film und Wirklichkeit. Aber zurück zu Cruise, der sich mit Statements zurückhält und wenig Interviews gibt, das wirkt schon fast zurückhaltend, wenn nicht gar bescheiden. Noch dazu macht er seine Stunts selber: Er scheint sehr fleißig zu sein und seinen Job ernstzunehmen. Also fleißig, zurückhaltend, bescheiden? Vielleicht ist Cruise vielschichtiger als die Filme, in denen er mitspielt.
Jetzt habe ich schon über eine Seite über Tom Cruise geschrieben, ich fass es nicht.
Es gibt aber noch andere überhebliche Filme und Hauptfiguren, der diesjährige Eröffnungsfilm des DOK.fests München von Daniel Roher, Nawalny, ist für mich so ein Film. Natürlich ist die Entscheidung, den Film als Eröffnungsfilm zu zeigen, nachvollziehbar und man muss dem Film auch lassen, dass er gar nicht heimlich überheblich ist. Gleich zu Beginn wird gesagt, was der Film sein soll: Ein Thriller. (Wobei ich glaube, dass jeder Film überheblich sein kann, aber ein Thriller bietet sich natürlich an. Spannung, die einen wissen was, was die anderen nicht wissen, die Helden sind zum Großteil lässig und die Musik cool). Alexei Nawalny, ein russischer oppositioneller Politiker, ist ein extrem eloquenter und sich und seines medialen Bildes sehr bewusster Mensch, die Schnitte sind schnell, zum Interview sitzt er in einer düsteren Bar und die Musik treibt die Handlung. Ein Thriller ist er allerdings insofern nicht, weil er nichts erzählt, was wir nicht schon wissen, zumindest wenn wir die Nachrichten verfolgen. Überheblich ist der Film außerdem, weil er keine Pausen für Reflexion lässt, weil er eine vielschichtige, reale Person nur einseitig darstellt, weil er sich scheut, tiefer zu gehen und Nawalny wirklich näher zukommen. Er bleibt an der Oberfläche, behauptet aber auf dieser Oberfläche, ihm sei etwas ganz Besonderes gelungen. Diesen Effekt kann er auch aufrechterhalten, weil er schnell, laut und cool ist. Wenn man aber das Material (Aufnahmen von Handys, Musik etc.), mit dem der Film aufgeblasen wird, wegnimmt, bleibt von dem Film nicht mehr viel übrig und schon gar nichts, was uns Nawalny wirklich näher bringt, weder seiner Politik noch seiner Person. Was sehr schade ist, weil solche Filme gerade jetzt wichtig sind.
Ich schwenke auf zwei Filme, die ich für nicht überheblich halte: Der erste ist »Among us Women«, der auch auf dem DOK.fest lief, von Sarah Noa Bozenhardt und Daniel Abate Tilahun. Der Dokumentarfilm ist in Co-Regie entstanden, aber nicht nur bei der Regie, in allen Bereichen war ein großes, mehr oder weniger gleichberechtigtes, diverses Team vor und hinter der Kamera. Im Mittelpunkt des Filmes steht das Thema Mutterschaft und Geburt in Äthiopien. Er beginnt mit einer sehr verblüffend nahen und doch sensiblen Geburtsszene, in der man selber als Zuschauer*in das Gefühl hat, Teil des Ganzen zu sein (wir sind ja auch eine Ebene). Davon ausgehend entfalten sich im Film Geschichten von unterschiedlichen Frauen, Fragen zu ihrer Gesundheit, ihrer Rolle in der Gesellschaft, die Stellung zum Ehemann, dem Thema Liebe, zur Arbeit, Beschneidung, besonders auch Hausgeburt oder Geburt in einer öffentlichen Station werden gestellt. Eine Mutter, eine traditionelle Hebamme und zwei staatliche Hebammen stehen im Mittelpunkt. Die Protagonistinnen vor der Kamera sind selbstbewusst und bedienen sich schließlich der Kamera, stellen sich gegenseitig Fragen, oder machen mit Absicht Geständnisse über ihr Leben. Ich bin gar nicht immer für totale Hierarchielosigkeit, ich glaube, dass es wahnwitzige, egomanische und überhebliche Filme und Filmemachende gibt, die toll sind. Ich glaube, es gibt verschiedene Methoden, wie man arbeiten kann. Sicher spielt es dabei auch eine Rolle, ob es sich um einen Dokumentar- oder einen Spielfilm handelt. »Among us Women« ist trotz der sicher nicht unanstrengenden Kollektivarbeit kein beliebiger Kompromissfilm geworden, sondern vielleicht gerade deswegen so stark, weil er eben allen ihren Platz gibt, sie ernstnimmt, man miteinander kommuniziert und es damit gelungen ist, einen weder inhaltlich noch formal belanglosen Film zu machen, sondern im Gegenteil, einen Film der Ambivalenzen zulässt, andere Meinungen, Pausen und offene Kommunikation.
Der zweite Film ist der Polizeiruf »Das Licht, das die Toten sehen« (Regie: Filippos Tsitos) mit Verena Altenberger als Kriminaloberkommissarin Elisabeth »Bessie« Eyckhoff und Stephan Zinner als Dennis Eden. Dabei geht es mir weniger um den Fall: Mütter und Töchter, um Doppelgängerinnen und um Irritationen. Mir geht es besonders um die Rolle der Kommissarin und wie sie ihre Fälle löst. Sie ist zurückhaltend und interessiert, hartnäckig und behutsam, beobachtend und trotzdem aktiv. Das finale Geständnis ist dann eher ein psychologisches Gespräch, ein Aneinander-Annähern und Wieder-Abstoßen. Das bedeutet nicht, dass sie rein intuitiv vorgeht, sie macht das sehr taktisch, so gibt sie in einem Moment ihrem Gegenüber das, was diese von ihr erwartet, um sie im nächsten Augenblick fast versehentlich zu provozieren. Auf diese Weise trifft sie schließlich einen Punkt, bei dem das Gegenüber schon aus einem inneren Bedürfnis heraus, gesteht. Es sind die Menschen, die sie interessieren, der Aufbau von Nähe – die natürlich auch fragwürdig sein kann, wie ihr Kollege meint –, sie ist darin nicht überheblich, denn Überheblichkeit baut Distanz auf, entfernt einen von den Menschen. Kamera und Schnitt nehmen diese unaufdringliche Bewegung mit an. Ganz kurz nur werden z.B. Bilder des Opfers hineingeschnitten, wie Blitze unseres Unbewussten. Wegschauen als Schnittmoment. Oder andere Bilder, die sich erst einen Moment später als Rückblenden/Erinnerungen herausstellen. Genau hinsehen und die Zeichen lesen, Fragen stellen, sich irren und daraus schließlich, ganz un-überheblich, aber klar, die richtigen Schlüsse ziehen, das ist ziemlich beeindruckend.