02.06.2022
ABSTAND/ZOOM

Film-Alphabet: U_ÜBERHEBLICH

Among Us Women
Zum Glück geht es auch un-überheblich – etwa in Among us Women...
(Foto: DOK.fest München 2022)

Natürlich muss ich da auf Liam Gallagher kommen, schon alleine, weil ich mich in meinem Q-Text als ehemalige Atomic Café-Gängerin gezeigt habe, die immer freitags und oft mittwochs (und manchmal an jedem anderen Tag auch) hingegangen ist

Von Nora Moschuering

Mittwoch war z.B. Britwoch, na ja und C'mon You Know, da war man halt. Der Prototyp an Über­heb­lich­keit war damals Liam Gallagher und er legte auch wirklich alles darauf an, dieses arrogante Selbst­bild in die Welt zu tragen, allein die Art, in der sein Mund quasi magne­tisch von unten an ein etwas niedriges Mikrophon gezogen wurde, cool, na, oder seltsam, aber in jedem Fall unique. Da war alles eine einzige Pose, die sich auf die Brust schlug und sagte: Das ist meins. All das ist meins und wisst ihr auch warum? Weil ich f*** cool bin. Ich glaube, so ein bisschen funk­tio­niert so was bis heute bei mir, so ein bisschen Rock n’Roll, Britpop, Punk oder was auch immer. Ich werde mal in sein neues Album reinhören.

Nun zu einem anderen, der nach einem um einiges längeren Zeitraum wieder an etwas anknüpft und dessen Attitüde immer noch die gleiche ist:
»Doch noch ahnt der vor Ehrgeiz und Talent sprühende 19-Jährige nicht, (...) dass er bald schon zu einer Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für das gesamte Land werden wird.« (Zitat aus einer Arte-Doku­men­ta­tion). Wer ist das? A: Billie Eilish vor zwei Jahren / B: Harry Potter Anfang der Nuller-Jahre und acht Jahre zu früh oder C: der junge Tom Cruise?
Schaut man sich die Arte-Doku­men­ta­tion »Tom Cruise: Mann mit zwei Missionen« an, dann beschleicht einen irgendwie das Gefühl, dass sie Cruise' eigene Ambi­tionen für sich ange­nommen hat, diese beschei­dene TV-Version hantiert permanent mit Super­la­tiven. »Ehrgeiz«, »Talent«, »sprühend«, »Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für das gesamte Land«. Mir ist schon klar, dass man sein Produkt attrak­ti­vi­sieren will, gerade in den ersten Minuten, aber geht es nicht doch ein bisschen kleiner, ich meine, es geht eh um Tom Cruise! Der fürchtet weder Tod noch Teufel. 35 Jahre hat man jetzt auf die Fort­set­zung gewartet, falls man von warten sprechen kann, mich hat es eher über­rascht. Top Gun: Maverick. Jetzt fliegen sie wieder. Noch mal weit vor meine Atomic-Zeit geworfen, irgendwo in die 80er, frühen 90er hinein, muss ich hier jetzt gestehen, dass ich zwar damals nicht Top Gun gesehen habe, aber trotzdem vorpu­bertär in Tom Cruise verliebt war. Und, noch weitere Geständ­nisse: das lag vor allem an In einem fernen Land, ein Film, den wirklich niemand kennt, der aber ähnlich patrio­tisch ist wie Top Gun. Und an Cocktail, den auch wirklich niemand kennt. Wenn ich überlege, dann war es viel­leicht eben dieses Über­heb­liche, das mich damals angezogen hat: Ein junger Drauf­gänger, der irgendwie zu wissen schien, wo es langgeht, der sich durchboxt und auch Schläge einsteckt, lächelt und weiter­macht, mit dieser Arroganz, so à la »ich bin der König der Welt«. Wie Liam, der eben auch nur einen einzigen Duktus in der Stimme hat, wenn er singt, aber sich darum nicht schert! Aber zurück zu Tom Cruise, ich war tatsäch­lich dann auch recht schnell gar nicht mehr an ihm inter­es­siert, sondern ich fand die Filme inter­es­sant, in denen er mitspielte: Rain Man, Interview mit einem Vampir, Mission: Impos­sible, Jerry Maguire, Eyes Wide Shut, Magnolia und Vanilla Sky. Das ging so bis Anfang der Nuller-Jahre und dann trat völliges Desin­ter­esse an ihm und seinen Filmen ein. Puff. Ein voraus­seh­barer Action-Film nach dem nächsten, sein immer gleicher Gesichts­aus­druck und dann auch noch Scien­to­logy und Katie Holmes. Aus diesem Grund verorte ich ihn, aber als Bild besonders seine Frisur, immer in den 90ern (ganz ähnlich wie Richard Gere oder Meg Ryan).

Aber na ja, er ist immer noch da, er war ja nie weg. Und wie die Arte-Doku­men­ta­tion, aber diese zuge­ge­be­ner­maßen wirklich nur ein bisschen, sind auch viele Filme, die er nach 2001 gedreht hat, selbst über­heb­lich. Sie nutzen ihren Körper und ihr Lächeln, also ihre »Ober­fläche«, ähnlich wie er, mit dieser Über­heb­lich­keit, dieser Arroganz, dieser Laut­stärke, dieser völligen Selbst­si­cher­heit und Selbst­be­wusst­sein. Es sind kleine Ener­gie­bomben, die nicht unchar­mant, aber auch nicht wirklich inter­es­sant sind und deren tieferer Sinn durchaus frag­würdig sein kann. Ich lehne mich ein bisschen aus dem Fenster, weil ich nur Minority Report, Colla­teral und Knight and Day gesehen habe (und die habe ich eigent­lich auch schon vergessen, geblieben ist eher ein Gefühl), aber ich wage trotzdem zu behaupten, dass ein Großteil von ihnen über­heb­liche Filme sind, von denen wir eigent­lich hofften, dass sie verschwunden wären. Aber natürlich gibt es sie noch, diese Seite des pompösen, selbst­be­wussten Holly­woods, das wie eine große Image­kam­pagne für die Coolness der USA wirkt. Mitglieder dieser Gang sind unbedingt auch Michael Bay und Roland Emmerich. Das ist auch irgendwie ok, zumindest ab und an, denn es produ­ziert spek­ta­kuläre Bilder aus den Inneren von Düsenjets, wo wir sonst nie hinkommen. Es sei denn, wir gehen zur US-Army und darum geht es wahr­schein­lich auch. In der Army aber geht es um echte Einsätze und echte Kriege. Irgendwo verschwimmt hier etwas sehr ungut, die Über­heb­lich­keit von Film und Wirk­lich­keit. Aber zurück zu Cruise, der sich mit State­ments zurück­hält und wenig Inter­views gibt, das wirkt schon fast zurück­hal­tend, wenn nicht gar bescheiden. Noch dazu macht er seine Stunts selber: Er scheint sehr fleißig zu sein und seinen Job ernst­zu­nehmen. Also fleißig, zurück­hal­tend, bescheiden? Viel­leicht ist Cruise viel­schich­tiger als die Filme, in denen er mitspielt.

Jetzt habe ich schon über eine Seite über Tom Cruise geschrieben, ich fass es nicht.

Es gibt aber noch andere über­heb­liche Filme und Haupt­fi­guren, der dies­jäh­rige Eröff­nungs­film des DOK.fests München von Daniel Roher, Nawalny, ist für mich so ein Film. Natürlich ist die Entschei­dung, den Film als Eröff­nungs­film zu zeigen, nach­voll­ziehbar und man muss dem Film auch lassen, dass er gar nicht heimlich über­heb­lich ist. Gleich zu Beginn wird gesagt, was der Film sein soll: Ein Thriller. (Wobei ich glaube, dass jeder Film über­heb­lich sein kann, aber ein Thriller bietet sich natürlich an. Spannung, die einen wissen was, was die anderen nicht wissen, die Helden sind zum Großteil lässig und die Musik cool). Alexei Nawalny, ein russi­scher oppo­si­tio­neller Politiker, ist ein extrem eloquenter und sich und seines medialen Bildes sehr bewusster Mensch, die Schnitte sind schnell, zum Interview sitzt er in einer düsteren Bar und die Musik treibt die Handlung. Ein Thriller ist er aller­dings insofern nicht, weil er nichts erzählt, was wir nicht schon wissen, zumindest wenn wir die Nach­richten verfolgen. Über­heb­lich ist der Film außerdem, weil er keine Pausen für Reflexion lässt, weil er eine viel­schich­tige, reale Person nur einseitig darstellt, weil er sich scheut, tiefer zu gehen und Nawalny wirklich näher zukommen. Er bleibt an der Ober­fläche, behauptet aber auf dieser Ober­fläche, ihm sei etwas ganz Beson­deres gelungen. Diesen Effekt kann er auch aufrecht­erhalten, weil er schnell, laut und cool ist. Wenn man aber das Material (Aufnahmen von Handys, Musik etc.), mit dem der Film aufge­blasen wird, wegnimmt, bleibt von dem Film nicht mehr viel übrig und schon gar nichts, was uns Nawalny wirklich näher bringt, weder seiner Politik noch seiner Person. Was sehr schade ist, weil solche Filme gerade jetzt wichtig sind.

Ich schwenke auf zwei Filme, die ich für nicht über­heb­lich halte: Der erste ist »Among us Women«, der auch auf dem DOK.fest lief, von Sarah Noa Bozen­hardt und Daniel Abate Tilahun. Der Doku­men­tar­film ist in Co-Regie entstanden, aber nicht nur bei der Regie, in allen Bereichen war ein großes, mehr oder weniger gleich­be­rech­tigtes, diverses Team vor und hinter der Kamera. Im Mittel­punkt des Filmes steht das Thema Mutter­schaft und Geburt in Äthiopien. Er beginnt mit einer sehr verblüf­fend nahen und doch sensiblen Geburts­szene, in der man selber als Zuschauer*in das Gefühl hat, Teil des Ganzen zu sein (wir sind ja auch eine Ebene). Davon ausgehend entfalten sich im Film Geschichten von unter­schied­li­chen Frauen, Fragen zu ihrer Gesund­heit, ihrer Rolle in der Gesell­schaft, die Stellung zum Ehemann, dem Thema Liebe, zur Arbeit, Beschnei­dung, besonders auch Haus­ge­burt oder Geburt in einer öffent­li­chen Station werden gestellt. Eine Mutter, eine tradi­tio­nelle Hebamme und zwei staat­liche Hebammen stehen im Mittel­punkt. Die Prot­ago­nis­tinnen vor der Kamera sind selbst­be­wusst und bedienen sich schließ­lich der Kamera, stellen sich gegen­seitig Fragen, oder machen mit Absicht Geständ­nisse über ihr Leben. Ich bin gar nicht immer für totale Hier­ar­chie­lo­sig­keit, ich glaube, dass es wahn­wit­zige, egoma­ni­sche und über­heb­liche Filme und Filme­ma­chende gibt, die toll sind. Ich glaube, es gibt verschie­dene Methoden, wie man arbeiten kann. Sicher spielt es dabei auch eine Rolle, ob es sich um einen Doku­mentar- oder einen Spielfilm handelt. »Among us Women« ist trotz der sicher nicht unan­stren­genden Kollek­tiv­ar­beit kein belie­biger Kompro­miss­film geworden, sondern viel­leicht gerade deswegen so stark, weil er eben allen ihren Platz gibt, sie ernst­nimmt, man mitein­ander kommu­ni­ziert und es damit gelungen ist, einen weder inhalt­lich noch formal belang­losen Film zu machen, sondern im Gegenteil, einen Film der Ambi­va­lenzen zulässt, andere Meinungen, Pausen und offene Kommu­ni­ka­tion.

Der zweite Film ist der Poli­zeiruf »Das Licht, das die Toten sehen« (Regie: Filippos Tsitos) mit Verena Alten­berger als Krimi­nal­ober­kom­mis­sarin Elisabeth »Bessie« Eyckhoff und Stephan Zinner als Dennis Eden. Dabei geht es mir weniger um den Fall: Mütter und Töchter, um Doppel­gän­ge­rinnen und um Irri­ta­tionen. Mir geht es besonders um die Rolle der Kommis­sarin und wie sie ihre Fälle löst. Sie ist zurück­hal­tend und inter­es­siert, hart­nä­ckig und behutsam, beob­ach­tend und trotzdem aktiv. Das finale Geständnis ist dann eher ein psycho­lo­gi­sches Gespräch, ein Anein­ander-Annähern und Wieder-Abstoßen. Das bedeutet nicht, dass sie rein intuitiv vorgeht, sie macht das sehr taktisch, so gibt sie in einem Moment ihrem Gegenüber das, was diese von ihr erwartet, um sie im nächsten Augen­blick fast verse­hent­lich zu provo­zieren. Auf diese Weise trifft sie schließ­lich einen Punkt, bei dem das Gegenüber schon aus einem inneren Bedürfnis heraus, gesteht. Es sind die Menschen, die sie inter­es­sieren, der Aufbau von Nähe – die natürlich auch frag­würdig sein kann, wie ihr Kollege meint –, sie ist darin nicht über­heb­lich, denn Über­heb­lich­keit baut Distanz auf, entfernt einen von den Menschen. Kamera und Schnitt nehmen diese unauf­dring­liche Bewegung mit an. Ganz kurz nur werden z.B. Bilder des Opfers hinein­ge­schnitten, wie Blitze unseres Unbe­wussten. Wegschauen als Schnitt­mo­ment. Oder andere Bilder, die sich erst einen Moment später als Rück­blenden/Erin­ne­rungen heraus­stellen. Genau hinsehen und die Zeichen lesen, Fragen stellen, sich irren und daraus schließ­lich, ganz un-über­heb­lich, aber klar, die richtigen Schlüsse ziehen, das ist ziemlich beein­dru­ckend.