31.03.2022
Cinema Moralia – Folge 269

Schluss mit der Flick­schus­terei!

Tove
Tove: Läuft unter erschwerten Bedingungen immer noch im Kino. Hier das Plakat des Verleihs
(Foto: Salzgeber)

Was bringt die x-te Novelle des Filmfördergesetz? Das Ende der FFA? Oder gar nichts? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 269. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Der Überdruss wächst, täglich und überall im deutschen Film. Bei den Etablierten und Profi­teuren des deutschen Film­sys­tems genauso wie bei denen, die seit Jahren am Rand stehen und eigent­lich nicht gewollt sind.

Alle Jahre wieder, und zum Beispiel gerade dieser Tage ist es so weit, und alle möglichen Verbände, Orga­ni­sa­tionen und Gruppen verfassen ihre »Stel­lung­nahmen« zur anste­henden Novel­lie­rung des Film­för­der­ge­setzes (FFG). Das FFG wurde 1967 geschrieben – das sagt schon fast alles. Seitdem gibt es unzählige Novellen, die fast immer auf eine Verschlimm­bes­se­rung hinaus­laufen und jeden­falls die großen Probleme auf die lange Bank schieben.

In diesem Sinn, zumindest in diesem, ist »Corona« ein Segen. Denn zwar sagen seit Jahren alle möglichen Bran­chen­be­tei­ligten, es gehe nicht mehr weiter. Aber jetzt geht es wirklich nicht mehr weiter.

Fort­wäh­rend wird an Nots­tänden nur kosme­ti­sche Arbeit geleistet, an Wider­sprüchen nur herum­gef­ri­ckelt, aber nichts wirklich repariert.

Was zum Beispiel gerade von vielen zu hören ist: Die FFA (Film­för­der­an­stalt des Bundes) ist eigent­lich pleite.
Wegen der Corona-Ausfälle gab es keine ausrei­chenden Einnahmen, nur die Abgaben der Fern­seh­sender bleiben übrig, und die sind ja schon in Normal­jahren beschä­mend gering.

Intern debat­tiert wird offenbar darüber, ob man die FFA als Insti­tu­tion komplett abschaffen soll und ihre Arbeit der BKM direkt über­lassen, oder ob sie als Behörde bestehen bleibt, die sich auf Abrech­nung und Abwick­lung des Antrags­ge­sche­hens konzen­triert.

+ + +

Es könnte aus diesem Befund ein Aufbruch folgen. Aber die Lage ist immer noch depri­mie­rend. Verbände verfolgen ihre Parti­ku­lar­in­ter­essen; der Blick auf das Ganze des deutschen Films fehlt. Insofern kann man die Frus­tra­tion der poli­ti­schen Entscheider sogar verstehen, denn mit diesem Haufen scheint ein Neuanfang gar nicht so einfach möglich.

+ + +

»Es geht so nicht mehr weiter!« so lautete auch der Aufschrei, den Björn Koll, Chef des Salzgeber-Film­ver­leihs, bereits vor knapp zwei Monaten in einem Offenen Brief formu­lierte.
Auch er klagt dort zual­ler­erst die Politik an: »Miserable Gesetze und aus der Zeit gefallene Rege­lungen«, so Koll, trügen die Haupt­schuld an der traurigen Lage vieler deutscher Verleiher.
Im Vorfeld der Berlinale und voller Sorge um die persön­liche körper­liche Gesund­heit hatte die deutsche Filmszene diesen Brief nach meinem Eindruck ein bisschen verschlafen, jeden­falls nicht ausrei­chend zur Kenntnis genommen, und nicht ange­messen debat­tiert. Darum hier eine Wieder­vor­lage.

+ + +

Die wich­tigsten Punkte: »In Zeiten der Pandemie hätte es eigent­lich Soli­da­rität, ein engeres Zusam­men­rü­cken, prag­ma­ti­sche Lösungen für drängende Probleme benötigt.« Koll nennt zum Beispiel einen liberalen Umgang mit Sperr­fristen. Ein Schreiben an die FFA wurde nicht einmal beant­wortet.
Auf den poli­ti­schen Vorschlag, die Kinos an VoD-Erlösen zu betei­ligen, gibt Koll eine schlüs­sige Antwort. »Bei aller Soli­da­rität gegenüber den Film­thea­tern, die wir während der Pandemie auch zur Genüge geübt haben: Wir Film­ver­leiher müssen Geld – auch für Euch Filme­ma­cher:innen – verdienen und zumindest eine Chance haben, unser in die Filme inves­tiertes Kapital zurück­zu­er­halten. Erst dann kann man andere betei­ligen.«

Koll nennt weiter die unzu­rei­chende, weil mit faden­schei­nigen Begrün­dungen gegenüber den Anträgen durch die »MOIN Film­för­de­rung« redu­zierte Verleih­för­de­rung.
»Warum aller­dings die frisch umbe­nannte MOIN Film­för­de­rung uns gerade bei einem Erst­lings­film und mitten in der Pandemie so wenig unter­s­tützen wollte, blieb ein Geheimnis und wurde mit 'Kürzungen kommen halt vor' kommen­tiert. Und wie wir Film­ver­leiher 150 Prozent Regio­nal­ef­fekte erbringen sollen und wie das mit sparsamer Wirt­schafts­füh­rung oder ökolo­gisch sinn­vollem Handeln zu verein­baren sein könnte, müsste auch mal disku­tiert werden.«

Koll macht bei der BKM weiter, verweist auf »eine durch­schnitt­liche Ableh­nungs­quote von über 50 Prozent«. Er zeigt, wie die BKM Richt­li­nien mittels Copy-&-Paste von Lobby­isten-Papieren verändert und von einer Stel­lung­nahme des die Majors reprä­sen­tie­renden Verbands der Film­ver­leiher aus dem März 2016 abge­kup­fert hat. Um den Vorschlag immerhin zurück­zu­nehmen.

Sperr­fristen, so Koll, behindern Verleiher in ihrer Arbeit. Er klagt über »total bescheu­erte Rege­lungen im Film­för­de­rungs­ge­setz«, »DFFF-Blödsinn«, »bornierte Förde­rungen« »dysfunk­tio­nales System«, »Desin­ter­esse und mangelnde Unter­s­tüt­zung der eigent­lich Zustän­digen«, nennt »Trauer und Verzweif­lung dem deutschen Film gegenüber«.

Gut, dass hier einer sich endlich so offen äußert. Hoffent­lich ist er nicht der Letzte.

Koll nennt auch Zahlen. Das kann jeder selbst nachlesen. Wichtiges Fazit: Europäi­sche Filme lohnen sich, auch der chile­ni­sche, südafri­ka­ni­sche und sonst-woher-Film auch, unge­för­derte deutsche auch, geför­derte deutsche nicht. »Hand­lungs­frei­heit ist wert­voller als Verleih­för­de­rung.«
Geht es noch perverser?

+ + +

Und weiter: »Wir müssen einfach Folgendes verstehen: Niemand hatte und hat wirklich Lust, sich mit den Auswer­tungs­pro­blemen des deutschen Films zu beschäf­tigen. Film­ver­leih war nie sexy und wird es nie sein. Und niemand analy­siert wirklich die Folgen der Pandemie. In dilet­tan­ti­scher Flick­schus­terei wird ein bestimmtes Verleiher-Produ­zenten-Klientel bei Laune gehalten, deren Produk­tionen und Releases Unsummen an Steu­er­mit­teln verschlingen und die dann mit den teuer erkauften Besu­cher­zahlen pseudo-erfolg­reich sind. Und anstatt dass sich da jetzt jemand schützend vor die Kultur stellt und überhaupt mal eine Defi­ni­tion versucht, was Film­kultur überhaupt ist oder sein könnte ... Puste­ku­chen.«

Der Wortlaut des Schrei­bens ist hier nach­zu­lesen.

+ + +

Nochmal: »dilet­tan­ti­sche Flick­schus­terei« für ein »bestimmtes Verleiher-Produ­zenten-Klientel«, »Unsummen an Steu­er­mit­teln« werden für Pseudo-Erfolge in den Kamin geschoben.
Kein Schutz für Kultur, keine Defi­ni­tion von Film­kultur – wir haben so etwas an dieser Stelle oft geschrieben, und sind dafür von vielen immer wieder extern und intern kriti­siert worden. So etwas sagt man doch nicht..., »Schon dieser Ton«.

Aber es ist genau so. Gut, dass wir nicht mehr ganz allein sind, auch im Ton.

Das FFG muss komplett in den Müll geworfen und neu geschrieben werden. Die jahre­lange Flick­schus­terei bringt nichts mehr.

(to be continued)