Cinema Moralia – Folge 270
Wenn der Zeitgeist den Krieg trifft |
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Ulrich Seidls Jaguar vor dem Hotel »Erzherzog Johann«, Graz | ||
(Foto: privat) |
»Art is not supposed to be a mirror. It is supposed to be a door.« – Fran Leibowitz
Die Sonne knallte gleißend hell ins Zimmer heute Morgen nach der Eröffnung. 18 Grad, angeblich noch Frühling, aber gefühlt ist es schon Sommer in Graz, das sowieso noch mehr als München die nördlichste Stadt Italiens genannt werden könnte.
Das passt natürlich sehr gut zu einem Filmfestival, das mit einem Film eröffnet, der Sonne heißt. Er stammt von Kurdwin Ayub, dem neuen Stern oder vielleicht auch der neuen Sonne am österreichischen Filmhimmel. Wir hatten über den Film bereits bei der Berlinale berichtet, es war gut, ihn gestern ein zweites Mal zu sehen und zusammen mit den anderen Filmen von Kurdwin ist das durchaus einen Bericht wert, aber erst nächste Woche. Diese Woche wollen wir uns – dafür hat das Festival ja auch erst gestern eröffnet – ganz und gar eben dieser eigentlichen Eröffnungsfeier widmen.
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Seit ich Sebastian Hoeglinger, einen der beiden Direktoren der Diagonale – der andere ist Peter Schernhuber –, das erste Mal kennenlernte – wir waren in der Jury beim DOK.fest München – sprachen wir bald über Kommunismus und Taxifahren und über die Frage, ob man als Kommunist eigentlich Taxi fahren darf – man darf, denn man muss schließlich etwas für die Werktätigen tun. Vor allem waren wir uns schnell einig, dass Kommunismus ja nicht heißt, dass wir
alle in Sack und Asche gehen müssen, oder Puritaner werden, sondern dass Kommunismus bedeutet, dass wir alle Pelzmäntel tragen und Maserati fahren, oder mindestens Jaguar.
Ja, gut ich weiß: Das klingt jetzt für die jüngeren LeserInnen wie aus einer anderen Welt. Falls es die Millennials beruhigt: Ich habe keinen Führerschein. Aber würde ich einen machen, dann nur für einen Jaguar.
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»Tu felix Austria« – man denkt es immer wieder und es ist natürlich schon längst zum Klischee verkommen. Aber es ist halt auch einfach wahr. Eh. Man muss sich nur ein paar Stunden in Graz bei der Diagonale aufhalten, um schon wieder erfüllt zu sein von diesem österreichischen Gefühl.
Österreich ist besser. Selbst das Schlechte. Selbst der dumme Teil der Filmszene (den es hier auch gibt) ist wenigstens auf grandiose Weise dumm. Beim Frühstück sagen einem fremde Leute Sätze wie:
»Billy Wilder – das war ja kein Wiener. Der war Galizier.« Also Ukrainer.
Und Filmemacher haben Stil. Ulrich Seidl fährt einen Jaguar, keinen Prollporsche, und parkt ihn selbstverständlich vor dem Hotel, dem ersten Haus am Platz. Das passt zu seinem Geschmack, der jedenfalls kompromisslos ist, zu einem Mann, der sich nicht scheut, anders zu sein als die anderen. Und da vor dem Hotel »Erzherzog Johann« wird der Wagen auch nicht angekratzt, obwohl jeder weiß, dass es Seidls ist, und er zur Klarstellung, falls doch jemand unsicher ist, ein Filmprogrammheft auf dem Rücksitz liegen hat. Da muss man in Berlin lange suchen.
Gerne hätte ich jetzt hier zum Programmheft geschrieben »und sonst nichts«. Allerdings gebietet die Berichterstattungspflicht, hinzuzufügen, dass auf der anderen Seite der Rückbank auch noch die aktuelle Ausgabe der »Zeit« zu lesen war – offenbar gab es am Wiener Kiosk sonst nur noch die Kronen-Zeitung.
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Die Reise nach Graz hat sich schon gelohnt wegen der ganz und gar großartigen Eröffnungsrede des Direktorenduos, das hier in zehn Minuten alles dazu sagte, worum es gerade in unserem Bereich, also dem Zusammenhang von Kunst, Leben und Politik beim Thema Ukraine und Kunst geht – was in Deutschland niemand von den vielen neuen Ukrainefreunden auch nur annähernd so gut auf den Punkt gebracht hat.
Im Folgenden die wesentlichen Punkte.
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»Die 25. Diagonale in Graz findet einmal mehr in Krisenzeiten statt. In Zeiten einer anhaltenden Pandemie. In Zeiten eines Angriffskrieges. In Zeiten einer permanenten ökologischen Herausforderung.
Krisenzeiten sind Zeiten, in denen Kunst und Politik zunehmend in ein Spannungsverhältnis geraten und nicht selten einem Missverständnis aufsitzen.«
Zwischen der gerade jetzt wieder lauter zu hörenden Aufforderung, Kunst müsse politisch sein, und der Feststellung, dass Kunst immer politisch ist, besteht ein grundlegender Unterschied.
Es ist nicht dasselbe, ob sich die politischen oder gesellschaftlichen Umstände in einen Film einschreiben und sich bemerkbar machen, oder ob ein Film bereits auf eine bestimmte politische Message hin formuliert und konzipiert worden ist. Oder eine solche Message bedient. Solche
Message-Kunst nannten wir die längste Zeit Propaganda.
Gerade in sogenannten westlichen Kontexten scheint es uns immer schwerer zu fallen, Propaganda als solche zu benennen. Vor allem dann, wenn Aussagen politischer Common Sense sind und den Zeitgeist bedienen. Solange das Anliegen passt, nehmen wir gerne in Kauf, dass Kino und Kunst weniger eine Autonomie bedienen, sondern übergeordneten propagandistischen Zwecken dienen.
Zu solchen 'wichtigen', mit entsprechendem Moralismus vorgetragenen Anliegen hat sich in den letzten
Wochen die fragwürdige Haltung gesellt, Solidaritätsbekundungen mit Boykottaufrufen zu unterfüttern. Filmfestivals nehmen russische Filme aus dem Programm. Künstler werden ausgeladen oder aus Akademien ausgeschlossen. Der unselige Zeitgeist trifft den Krieg.
Es ist eine Tatsache, dass Krieg immer auch mit den Mitteln der Kulturindustrie geführt wird. Verwechseln wir dies jedoch nicht mit verkürzter Bekenntniskultur. Setzen wir Kunst und Kultur nicht mit Politik gleich. Zumindest nicht, wenn uns noch etwas an einer freien Gesellschaft gelegen ist.
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»Wer bei der Diagonale den Weg ins Kino sucht, tut dies zumeist, um auf andere Gedanken zu kommen. Andere Gedanken im Sinne von Zerstreuung, andere Gedanken im Sinne neuer Erkenntnisse. In beiden Fällen geht es darum, die eigene Sicht zumindest temporär hinter sich zu lassen. ... Werden wir uns bewusst, dass unsere eigene Sicht immer relativ und beliebig ist.
Biographien in der Einwanderungsgesellschaft erzählen längst andere Geschichten. Es stimmt nicht, dass keiner in
westlichen Ländern den Krieg kennt. Es stimmt, dass alle sich nach einem anderen Leben sehnen. 'Das Kino ist voll von solcher Sehnsucht.'«
In Zukunft werde »es nicht mehr genügen, große Wände in blau-gelben Farben anzustrahlen. Große Flächen anstrahlen kann das Kino ohnedies besser. Dafür könnte sich die Politik wieder der Politik zuwenden und die Kunst der Kunst. Auch wenn das Verhältnis stets ein komplexes bleiben wird.«
Solidarität mit den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine!
Solidarität mit der russischen Opposition!!
Solidarität mit der Sehnsucht nach einem schönen Leben und dem privaten Glück!!!
Von Odessa bis Moskau, von Kiew bis Graz.
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Bombastisch! Ich weiß nicht, woher Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger so viel Souveränität und die Gabe des richtigen Wortes in all dem Stress noch hernehmen, aber es war toll und angemessen und tat ungemein gut, das so zu hören.
Das alles negiert den ganzen Schmäh, den unsere deutsche Kunst- und Medienszene vor allem aus eigener Eitelkeit und Nachher-Besserwisserei auf uns alle ungefragt ausgekübelt hat.
Besser kann man es nicht sagen. In Deutschland wäre dergleichen leider undenkbar.
(to be continued)