Cinema Moralia – Folge 279
Wie wir gerne wären... |
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Klaus Lemke mit Cleo Kretschmer bei Dreharbeiten zu Die Sweethearts, 1974 in Lemkes Champagner für die Augen – Gift für den Rest (2022) | ||
(Foto: Klaus Lemke/39. Filmfest München) |
»Zum Film gehen in Deutschland Leute, die zu doof sind für Anwalt. Wo der Vater sagt: Also für BWL bist du auch etwas zu blöd, geh zum Film, da bist Du Dein Leben lang versorgt.« – Klaus Lemke
Der alte Löwe ist tot. Er beißt nicht mehr. Jetzt lieben sie ihn alle. Als er noch gebissen hat, haben viele mit den Augen gerollt, wenn der Name Klaus Lemke fiel. Da wurde mehr oder weniger unverblümt gesagt, den könne man aber noch nicht ernst nehmen, die Filme seien »scheiße« und so arbeiten wolle man schon gar nicht.
Wenn nur zehn Prozent des Lobes, das man jetzt hört, zu Lebzeiten zu hören gewesen wären, hätte er vielleicht auch in den letzten zwanzig Jahren Filme machen können, die das deutsche Kino wirklich revolutioniert hätten.
Einen Toten zu ehren ist einfach. Ihm Kränze zu binden, Retrospektiven zu widmen, das alles kostet nichts. Einen Lebenden zu ehren ist schwer. Das immerhin wird man uns nicht nachsagen können.
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Wer ihn vor zwei Wochen in München beim Filmfest getroffen hat, hat es irgendwie schon diffus geahnt: es ging ihm nicht gut, Rückenschmerzen, wie er sagte, aber wer ihn besser kannte, wusste: Es war nicht nur im Rücken.
Er wusste, dass etwas kommt.
Aber er wollte sich den Spaß am Filmemachen bis zuletzt nicht verderben lassen. Er wollte total unabhängig sein. Sein eigener Produzent. So konnte er sehr gut seine Sachen drehen. Auch auf Nachfrage wollte er nicht wieder zurück zu dem Modell, das er sich von seinen anderen Förderern finanzieren lässt.
Und noch im Frühjahr war er gut gelaunt: »Das habe ich ja in 20 Jahren nicht erlebt, dass sich ein Fernsehredakteur für mich interessiert hat.«
Er hatte, jedenfalls in den letzten Jahren, keine Drehbücher. Lemke konnte zwar hervorragend ein neues Projekt pitchen, aber er konnte keine Drehbücher schreiben. Bei dem Film »Amore« wurde das Drehbuch im Nachhinein vom fertigen Film abgeschrieben, weil sie das noch für eine Fördereinreichung brauchten.
Aber Klaus Lemke hat sehr wohl Dialoge geschrieben. Er kam, berichtete mir Saralisa Volm, morgens mit Zetteln an den Set, auf dem die zu lernenden Sätze standen.
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Klaus Lemke war immer da, seit wir Filme sehen, machen, wissen, was Film ist. Lemke war, das wird auch aus den Statements, die wir hier veröffentlichen, wie aus sehr vielen anderen Wortmeldungen nach seinem Tod klar, ein Lehrer. Ein Lehrer, auf den viele gehört haben, auch wenn er, oder gerade weil er, aus einer anderen Zeit stammte. Er war kein Klassensprecher, wie manche Regisseure in Berlin, die in ihrer Schule in kleinen oder größeren Runden das große Wort führen. Er war auch kein Vertrauenslehrer.
Er war aber jemand, der einem in wenigen Sätzen tatsächlich das ganze Kino und die Essenz der Kunst des Films erklären konnte, seine irrationale Wirkungsmacht.
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Vor allem aber war er der Engel, der Narr, der Magier, der uns gezeigt hat, wie wir gerne wären: Nix woke Filmgesellschaft, sondern Knarren, klassische Männerrollen und Frauenrollen, klassische Geschlechterrollen, leicht bekleidete Körper aller Geschlechter, ein bisschen Dummheit, ein bisschen Genie, ein bisschen mehr Grobheit und viel viel Schönheit und Exploitation.
Deswegen fanden viele seine Filme so gut, ohne sie gesehen zu haben. Wenn man auf die Einschaltquoten
blickt, haben sich das nicht so viele angeschaut. Aber Klaus Lemke war eine exemplarische Figur. Jede Szene, jeder Griff, jeder Satz war Teil eines Gesamtkunstwerks.
Zugleich war er alles andere als sein eigenes Klischee: Nicht der Hallodri aus Schwabing.
Es war eine großartige Leistung, Menschen zu entdecken wie Iris Berben, Saralisa Volm, Wolfgang Fierek, die dann alle ihren Weg gehen.
Kein Regisseur, der Schauspieler auf ihre Marktgängigkeit abklopft, nicht dieser Blick: Ah, da nehmen wir Vicki Krieps, dann können wir den Film finanzieren. Sondern Leute entdecken. Nur dann macht auch der Film Entdeckungen.
Ein disziplinierter, harter, im Handwerklichen konservativer Arbeiter. Die Rahmenbedingungen waren klar und transparent und ehrlich und für alle gleich. Manchmal anbrüllen lassen, Klappe halten, 150 Euro kriegen. Es gab keinen deutschen Filmregisseur, bei dem alle Mitarbeiter (pardon: Mitarbeitenden) gleicher waren als bei Lemke.
Er wusste und sagte offen: Film ist keine saubere Sache.
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Berlin Mitte im Hochsommer, genau vor zehn Jahren, 2012, während der EM. Ein Hinterhaus in der Torstraße, eine Wohnung, drei Zimmer, Küche, Bad. Karg eingerichtet ist sie für zwei Monate für den Bewohner Klaus Lemke.
»Hier hängen vier Seiten, bunt beschrieben. Jeden Tag, wenn ich hier so verzweifelt zurückkomme in mein Labor, schreibe ich auf, was ich gedreht habe in einem ganz kurzen Wort und wenn eine Seite voll ist, dann sind das auch zehn Minuten Film. Jetzt hab ich vier Seiten und bin ungefähr bei 40 Minuten Film – bei dem allerkritischsten Moment, bei dem Moment wo ich gewöhnlich von drei Filmen zwei abbreche. Dieser Moment war vor zwei Tagen.«
Es war kurz nach Lemkes fulminantem Comeback: Nach 16 Jahren war mit Berlin für Helden wieder ein Lemke-Film in die deutschen Kinos gekommen – ein urbanes Melo um vier junge Menschen, die in der Hauptstadt in den Tag hinein leben und ihr Glück suchen. Die Jungs – Männer möchte man sie nicht nennen – tragen Lederjacken zur Sonnenbrille, und machen überhaupt auf James Dean: Flotte Sprüche, weiches Herz. Die Frauen sind zupackender, tougher, und haben vor der Kamera oft auch weniger an.
Nachdem bis Anfang der 80er fast jedes Jahr ein Lemke-Film ins Kino kam, und der Regisseur ab und an im Wettbewerb großer Festivals vertreten war, wurde es stiller um ihn. Aber Lemke drehte unverdrossen weiter seine Filme, die vor allem im Fernsehen zu sehen waren. Immer noch war er mit seinen Filmen weiter regelmäßiger Gast auf Festivals wie der Viennale und den Hofer Filmtagen.
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Der Film, an dem er dann arbeitete, trug den Titel »Berlin, Texas« – eine Anspielung natürlich auf Wim Wenders' modernen Klassiker Paris, Texas, das letzte Werk des »Neuen Deutschen Films«.
»Die Erinnerung an die schöne Musik und an die tolle Kinski hält das ein bisschen am Leben. Immerhin bin ich mit Wim aufgewachsen, aber mit seiner Philosophie, mit dieser Veredelungsfilmphilosophie und seiner falschen Anbetung des amerikanischen Kinos und auch dieser bürgerlichen Unwissenheit, aus der er kommt, hat er den meisten Leuten, die jetzt beim Film sind, das Leben ein bisschen verdorben.«
»Ich finde Ostkreuz ist das – wenn irgendwas Texas ist, dann ist es wirklich Ostkreuz. Ostkreuz ist so bösartig, chaotisch, so jenseits von Berlin, als wäre es ganz ganz woanders, als wäre es wirklich Texas. Bei schönem Wetter. Bei schlechtem eigentlich auch. Hier ist ja immer schlechtes Wetter.«
Die deutsche Hauptstadt faszinierte Lemke in den letzten Jahren auch, weil hier die Schwächen der deutschen Gegenwart klarer zutage treten als irgendwo sonst: »Ich habe das Gefühl, dass die Stadt im Moment so lebt wie in einem Zeugenschutzprogramm und sich nur nicht outen will, damit sie nicht erwischt wird mit den Lügen vom letzten Jahr – ich habe auch das Gefühl, dass Berlin allergisch auf sich selber ist, und dass Berlin unbedingt raus will aus seiner eigenen Haut.
Jetzt
ist es so, dass Berlin tatsächlich den Hals in der Schlinge hat wie die ganze Bundesrepublik, wie wir alle. Wir leben sicher in einer ganz außergewöhnlichen Situation im Moment.«
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In seiner Wohnung in der Torstraße stand Lemke, mit enger Röhrenjeans und weißem T-Shirt, und erläuterte seine Methode des improvisierten Films, den er ohne Filmförderung drehte, meist mit Laien, denen er eine Pauschale von 50 Euro am Tag gezahlt hat, und nach Verkauf des Films und Abdeckung der Produktionskosten weitere 100 Euro. Komplett ohne irgendwelche Filmfördergelder – eine große Ausnahme in einer sonst von Anfang bis Ende durchgeförderten deutschen Filmlandschaft.
Er selbst, Autor, Regisseur und Produzent in einem, geht bei dieser Methode ins Risiko: »Ohropax ist ganz wichtig. Ich muss vollkommen frisch sei, dann kann ich mich innerhalb von Minuten entscheiden, was wir tagsüber drehen. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann ich nicht drehen, dann wird auch nichts gedreht. Ich will mich morgens nicht noch angucken, wenn mir so ein Unsinn einfällt, für den ich mich auch noch selbst schäme. Ich schäme mich für mich selbst und will mich nicht angucken, was mir einfällt. Dann versuche ich das ein bisschen zu glätten und dann fällt mir ein, so gegen zehn Uhr, dass ich es genauso drehen muss, wie es mir morgens einfällt, und ich hab auch dann die Kraft das zu tun und mich durchzusetzen gegen mich selbst. Das ist das ganze Ding: Wie man mit sich selbst dealt.«
Klaus Lemke arbeitete damit ganz gemäß dem klassischen Ansatz des Autorenkinos. Nach dem müssen Filme unbedingt persönlich sein. Ein subjektiver Ausdruck des Charakters des Autors und des Augenblicks ihrer Entstehung. Und irgendwann ging es darum, einfach loszulassen, um eine Art Übertragung der Methode der 'écriture automatique' aufs Kino:
Der Film hat die Chance, dass er sich ab der 40 Minute mir selber erzählt und ich nichts mehr machen muss, als das zu verfilmen, was der
Film mir erzählt, was ich dem Film ablese – so wie man ja auch sagt, dass bestimmte Fußballspieler ein Spiel lesen können. Ich versuche dahin zu kommen, dass ich den Film lese, und dann automatisch das Richtige mache. Aber es ist nun mal so, dass von drei Filmen bei zweien, dass der Film an der Mitte stumm wird und nicht mehr weiter erzählt. Und dann breche ich den Film ab. Denn ich würde genauso vorgehen, wie diese ganzen Drehbuchschreiber und Autoren und würde etwas erfinden, was
die Leute langweilt, denn die Leute würden es vorausahnen, was ich vorhabe. Das is ja das ganze Problem: Man weiß ja nach drei Minuten genau, wo der Film hingeht, man weiß genau: wer mit wem – genau das versuche ich zu vermeiden. Es kommt nicht auf das einzelne Bild an, sondern welches Bild auf welches Bild folgt und hier sind Ideen, wie man welches Bild auf welches Bild folgen lassen kann – gewöhnlich geklaut aus anderen Filmen.
Ein bisschen Größenwahn müsse sein, da war sich der alte Nonkonformist Lemke sicher: »Es ist immer noch besser, großspurig zu sein, als wie Papi und Mami zu reden – egal was passiert: Hauptsache man geht nicht konform mit irgendetwas.«
Drehzeit war für Lemke immer auch eine Zeit der Entsagung. Denn zumindest wenn es um die Dreharbeiten selbst geht, dann wurde der Künstler-Hedonist zum Puritaner und Disziplinmenschen: »Also während des Drehs: Kein Alkohol, keine Drogen, kein Sex. Auch jeder andere, der das im Film missachtet – Sex innerhalb des Teams: sofort gefeuert. Das sind absolut grundlegende Dinge, ohne die geht alles kaputt. Deswegen sind die Filme auch so schlecht: Nach einer Woche aus reiner Langeweile fickt der Hauptdarsteller die Hauptdarstellerin und danach ist der Film tot.«
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Ob Claudia Roth jemals einen Klaus Lemke-Film gesehen hat? Und wenn ja, was hat das mit ihr gemacht? Hat sie da etwas gelernt über das, was dem deutschen Film fehlt? Oder darüber, wie man deutsche Filme anders finanzieren und künstlerisch machen könnte?
Zu hoffen wäre es, aber ich kann nicht daran glauben.
Claudia Roth als Kulturstaatsministerin ist die Enttäuschung des Jahrhunderts. Wobei das Jahrhundert ja noch nicht so alt ist. Bisher habe ich über Roth nichts geschrieben, sondern höflich geschwiegen, weil mir Freunde gesagt hatten: Lass' sie doch erstmal sich einarbeiten, wart' es ab, sie ist schon gut, sie wird schon vieles verändern, sie ist eine schlaue Politikerin... Und so weiter – was man eben über Claudia Roth seit Jahren sagt.
Ich habe auch einfach zu viele
Freunde, die Grün wählen, und dann bei ihren Darlings realitätsblind werden. Wobei... Darling...? Aber das lassen wir jetzt mal.
Jedenfalls gibt es keinen Grund, fast ein Jahr nach der Bundestagswahl immer noch mit Beißhemmung und Schonfrist-Vorstellungen auf das BKM und auf die grüne Kulturpolitik zu blicken. Die sogenannte grüne Kulturpolitik. Tatsächlich gibt es ja keine. Wir könnten jetzt über die documenta sprechen und übers absolute Versagen dort, und darüber, dass die
Grüne nicht anders als andere Parteien auch dann noch glauben, eine Krise aussitzen zu können wenn »the shit hits the fan.«
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Aber reden wir mal konkret hier an dieser Stelle über grüne Filmpolitik. Bis heute, etwa 8 Monate nach ihrer Ernennung zur Kulturstaatsministerin, verweigert sich Roth sämtlichen Gruppen der deutschen Filmbranche. Zahlreiche Verbände und Organisationen und Gruppen haben um Gespräche gebeten – ich kenne nicht eine einzige, die bisher im Gespräch bekommen haben.
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Die CDU/CSU würde sich in der Kulturpolitik niemals derart wegducken. Die Union wäre souveräner und würde sich mit den Leuten treffen, schon weil sie sich das gar nicht leisten kann, diese Art von Indolenz. Wie soll man das überhaupt nennen? Augen zu und durch Haltung. Ist das borniert oder hat sie Angst?
Wer im BKM berät die Ministerin derart schlecht? Und warum?
Und warum lässt sie sich das gefallen? Lässt sich Claudia Roth verbieten, irgendwelche Leute zu treffen, wenn sie das
will?
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Unzählige deutsche Filmemacher und Menschen, die in irgendeiner Funktion im Filmbereich arbeiten, sind zurzeit total frustriert. Das liegt insbesondere an einer Kulturpolitik, die nicht kommuniziert, die keinerlei Wege aufzeigt, der es offensichtlich komplett an Ideen mangelt. Ich rede hier nicht von Visionen, obwohl es schön wäre, wenn unsere Kulturpolitik Visionen hätte. Ich rede von irgendeiner Vorstellung, wie man wenigstens das (schlechte) Bestehende erhalten kann.
Wobei es um das oft nicht schade wäre.
Aber man bekommt manchmal den Eindruck, als bedeutet für die Grünen Kulturpolitik vor allem Kulturdarwinismus: survival of the fittest. Man traktiert die Künstler mit diversen Auflagen, die selbstverständlich kunstfremd sind und etwas mit der Pandemie oder der Energiewende oder sogenannten »green producing« oder sogenannter Diversität – aber selbstverständlich keiner ästhetischen Diversität, nein ganz im Gegenteil – zu
tun haben, man interessiert sich für die Kunst selbst aber nicht die Bohne, und lässt den Rest seinen Lauf.
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Der Konsens ist der falsche Weg. Man hat das im deutschen Film lange genug versucht. Und nichts dabei erreicht. Wir müssen kämpfen. Wie das genau gehen soll, und was genau das heißt, weiß ich jetzt auch nicht. Aber so wie es bisher ging, mit diesem Gewurschtel und Geschlumpfe, kann es nicht weitergehen. Claudia Roth ist noch sehr, noch sturer noch kommunikationsloser als Monika Grütters. Da hilft die zur Schau getragene Wonneproppigkeit und gute Laune auch nichts. Sie nervt nur noch mehr.
(to be continued)