ABSTAND/ZOOM
Film-Alphabet: P_PODCAST (UND FILME) |
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Hier gibt’s was auf die Ohren: »Slahi – 14 Jahre Guantanamo« | ||
(Foto: NDR) |
Von Nora Moschuering
Es war ein schmaler, roter Kassettenrekorder, der in der Essecke stand, mit dem ich meine ersten podcastähnlichen-Erfahrungen gemacht habe. Das Kassettendeck hatte schon länger den Geist aufgegeben, die Antenne war abgebrochen und ab und an korrigierte mein Vater die Stellung der Gabel, die in den verbliebenen Stumpf der Antenne gesteckt worden war, um besseren Empfang zu bekommen (eine Art W-Lan-Suche). Irgendwann habe ich FM4 oder M94.5 entdeckt (davor lief BR2 oder Energy München, oh ja!), beide Sender sind erst Mitte der Neunziger entstanden und als ich sie kurz danach entdeckte, begann meine Radioleidenschaft. Die Musik bei M94.5 gefiel mir sehr, Indie, Brit Pop, es liefen Bands, die ich aus München kannte, und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, meine Generation in der Öffentlichkeit zu hören. Etwas kosmopoliter war natürlich FM4, sie sprachen auch englisch. Unfassbar. Musik, Politik, aber auch Gespräche und Reportagen. Das hörte ich. Etwa Mitte der Nullerjahre ging es dann mit den Podcasts los, laut Wikipedia, bei mir brauchte es dann noch etwa 10 Jahre länger, bis ich, neben dem nach wie vor viel gehörten Radio, in »This American Life« einstieg. Englisch. Dokumentarisch. Poetisch. Unterhaltsam und lehrreich. Bis heute.
Mittlerweile höre ich auch spezifischere (Film-)Podcasts wie den »Indiefilmtalk«, aber meistens höre ich ohnehin nicht nischig und halte mich an öffentlich-rechtliche Sender oder Zeitungen. Also gewissermaßen ... ehrlich gesagt ... habe ich wahrscheinlich wenig Ahnung von der Podcast-Landschaft in Deutschland. Aber ich habe zumindest mal in einiges reingehört. Ich mag keine reinen Laberpodcasts (am schlimmsten von zwei Typen zu ausnahmslos allen Themen). Ich mag nicht, wenn es zu persönlich wird. Ich mag themenbasierte, journalistische Podcasts, die Themen vertiefen, die mir wichtig erscheinen, zu denen ich aber nur Oberflächliches weiß. Ich mag es, wenn O-Töne dabei sind (Töne, die nicht im Studio aufgenommen werden, sondern Vor-Ort), Atmosphären von Orten, Plätzen, Straßen, zufällige Gespräche, Fragmente, Dinge, die Geräusche machen, oder Sprecher*innen, denen man die Verblüffung anhört (keine Atmo, sondern realer, vielschichtiger Ton). Ich mag es, wenn ich das Gefühl habe, ich selbst werde, quasi als Mikrofon, durch eine Situationen geführt. Ich mag ein bisschen Musik, ein wiederkehrendes Motiv, das mich unaufgeregt einordnet (im besten Fall ist es wie in »Schule« auch inhaltlich begründet). Ich höre Podcasts weniger, um unterhalten zu werden, sondern um etwas zu vertiefen, zu lernen, zu verstehen.
Verzeiht mir das lange Intro zu Podcasts, denn eigentlich soll es auch um die dazu oft parallel entstehenden Filme gehen. Ich habe zwei herausgesucht, zu denen es sowohl Podcasts als auch Filme gibt: Slahi, ein Dokumentarfilm und ein Podcast des NDR, dem auch eine Episode bei »This American Life« gewidmet ist, und »Die Milliarden Lüge« auf Arte und die Spotify-Produktion in Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung: »Wirecard 1,9 Millarden Lügen«, jeweils von verschiedenen Machern. So viel zum Potpourri dieses Textes, der sich weniger um die spezifischen Inhalte drehen soll, als mehr um die Unterschiede in den jeweiligen Medien.
In »Slahi – 14 Jahre Guantanamo«, der 12teiligen Podcast-Serie von und mit Bastian Berbner und John Goetz, finden wir die beiden meist im Dialog über ihre Recherche rund um die Geschichte von Mohamedou Slahi, einem Mauretanier, der vierzehn Jahre ohne Anklage als Gefangener in Guantanamo inhaftiert war und dort gefoltert wurde. Neben Slahi sind es auch seine Folterer, die befragt werden, denn: »Das sind ja reale Menschen, die müssen jetzt mit dem leben, was da in Guantanamo mit ihnen gemacht wurde, im Fall von Mohamedou, oder was sie in Guantanamo gemacht haben, im Fall der Folterer.« Berbner und Goetz bilden ein gutes, sich ergänzendes Duo, die bestimmte Ideen von verschiedenen Seiten betrachten. Goetz ist gebürtiger US-Amerikaner, und das vereinfacht für ihn sicher die Kontaktaufnahme mit den Folterern, aber auch zu Slahi, der eben das genauso einschätzt.
Bei einem guten und interessanten Gespräch dabei zu sein, ist immer eine Freude, und so ist es sowohl der Dialog der beiden, der auch Platz für eigene Einschätzungen lässt, als auch Slahi, der ein Angebot zur Kommunikation macht und die Folterer und ihre Zweifel, die den Podcast gleichzeitig komplex, politisch, aber auch sehr menschlich machen.
Slahi lebt mittlerweile wieder in Mauretanien und will vergeben. Die Folterer lassen sich darauf ein, einer der Gründe ist der Hollywood-Film Der Mauretanier, der kurz vor dem Erscheinen steht, sie wollen nicht, dass Slahi alleine seine eigene Opfer- oder Helden-Geschichte erzählt (dabei ist Slahi ja die Personifizierung des Scheiterns der USA). In »This American Life: Invitation for Tea« konzentrieren sie sich eine Stunde lang auf die Gespräche von Slahi mit seinen Folterern, analysieren sie: wer bringt was vor, wer argumentiert wie, macht Pausen, schweigt, wer beendet das Gespräch. Die Analyse ersetzt die Bilder, sie ist dabei so interessant wie gleichzeitig didaktisch. In der deutschen Podcast-Serie dagegen werden die Gespräche leider ineinander geschnitten. Vielleicht um für mehr Dynamik zu erzeugen.
Ähnlich wie im Dokumentarfilm Slahi und seine Folterer von John Goetz, da will allerdings alles dynamisch sein. Er ist aufgebaut wie ein Krimi: Goetz und ein Kollege begeben sich auf die Suche nach den Folterern an unbekannte Orte irgendwo in den USA, häufig ist es dunkel, ein bisschen wie in einem Film noir. Der Film dockt so an filmische Vorbilder an mit seinem Suspense, den kleinen Effekten und Goetz als eine Art freundliche Ermittlerfigur: »Showtime. Läuft die Kamera? Ja, die Kamera läuft!« Die beiden sind mit kleinem Equipment unterwegs, kleine Kamera und ein Handy. Die Qualität ist mäßig, aber, wie sagt man so schön: authentisch. Daneben Szenen mit Slahi in Mauretanien, der die Suche so zu begleiten scheint. Nach und nach lernt man die Folterer kennen, ihre Gesichter, ihr Lebensumfeld, ihr ziviles Leben. Anders als der Podcast, der sich auch auf Slahis Geschichte konzentriert, spielen im Dokumentarfilm die Täter eine größere Rolle. Film und Podcast ergänzen sich. Töne bekommen Körper, Gesichter, Mimik, Gestik, hinzu kommen Bilder aus der Kindheit, Social Media Profile, Filmaufnahmen, Räume werden gefüllt mit Möbeln, Nippes, Hunden, Familienmitgliedern, Medikamenten. Das Setting kann gleichzeitig mitgelesen werden, unsere Augen werden nicht durch einen Sprecher ersetzt, der das Bild nur rudimentär, subjektiv und immer stark leitend miterzählen kann (was natürlich auch die Kamera zu einem gewissen Grad macht).
Und dann gibt es da diese Pause, die Mister X, einer der Folterer, macht, und seine Armbewegung, bevor er sagt: »Ja es war Folter!« Das kann kein Podcast.
Anders als bei »Slahi« stammen der Podcast und der Dokumentarfilm rund um den Wirecard-Skandal von unterschiedlichen Macher*innen. Der Podcast ist von Journalist*innen der Süddeutschen Zeitung und der Dokumentarfilm Die Milliarden-Lüge von Benji und Jono Bergmann. Beide beleuchten den Betrug und Skandal um den DAX-Konzern und die FinTech-Hoffnung Wirecard AG, der im Juni 2020 an die Öffentlichkeit kam. Ex-Vorstandsvorsitzender Markus Braun sitzt seitdem in Untersuchungshaft und Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist auf der Flucht, weil sich mit einem Mal 1,9 Milliarden Euro in Luft aufgelöst haben, die aber bisher fröhlich in den Bilanzen aufgetaucht waren.
Zum Film: Wieder der Ort in gelber Schrift groß über dem Bild (das macht man anscheinend gerade so, siehe »Slahi« oder »Winterkorn und seine Ingenieure«), man lernt kurz den ersten Whistleblower kennen, wird neugierig, verliert ihn aber eine ganze Zeit wieder. So eine Art Cliffhanger. Auch am Anfang: Der ehemalige Head of Marketing der Wirecard sitzt im Kino. Eine Leinwand, ein Kinosaal, der Vorhang geht auf. Unser Entrée ist gleich eine klare Setzung, wir wissen, was wir erwarten können: ganz großes Kino. Dann begleiten wir unsere drei Helden dabei, wie sie gegen ein System arbeiten: der Münchner Blogger Jigajig, der britische Börsenspekulant Matthew Earl und, vom Beginn, der Jurist Pav Gill und seine Mutter in Singapur. Das System ist der DAX-Konzern und die ihn umgebenden Institutionen, die ihn kontrollieren sollten: Die BaFin, das Wirtschaftsprüfungsunternehmen EY (Ernst & Young), der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Münchner Staatsanwaltschaft (im Untersuchungsausschuss traten auch noch mehr auf). Ihre Arbeit getan haben sie alle nicht, im Gegenteil, sie haben die Wirecard geschützt und dazu beigetragen, dass sie trotz zahlreicher Verdachtsmomente weitermachen konnte, im Gegenteil, sie sind sogar gegen Kritiker*innen vorgegangen und haben Leerverkäufe verboten. Warum sie das getan haben, aus Inkompetenz, eigenem Machterhalt, Eitelkeit oder politischem Kalkül – dem versucht der Film, aber noch mehr der Podcast näher zukommen. Slahi hat seinen eigenen Hollywood-Film bekommen, hier versucht ein Dokumentarfilm ein wenig einer zu sein: drei Einzelkämpfer-Helden, die gegen einen fast übermächtigen Feind kämpfen und der bekannten Dramaturgie bei sowas: Etwas beginnt, man wird neugierig, es bricht ab, es gibt Rückschläge, Zweifel, eine kämpfende Mutter, und schließlich sind sie doch siegreich (das gefällt Jan Marsalek sicher, dem ein Faible für Agentengeschichten nachgesagt wird). Das ist gar nicht so kritisch gemeint, denn ich finde, dem Film gelingt es durchaus, den schmalen Grat zu halten und nicht zu »fiktional« zu werden. (Übersieht man mal die nachgestellten Szenen, in denen mal Linien an die Wand gezeichnet werden oder mal einer durch die Zettel auf dem Wohnzimmertisch wühlt. Irgendwie muss man das ja visualisieren und, ja, meinetwegen, ein bisschen lässig darf auch ein Dokumentarfilm mal sein. Und wenn man dann einfach einen Box-Promoter hat, der sagt: »Ich kann den Kampf organisieren!« Ja, Mann, ich hätte den auch vor einen Boxsack gesetzt und über seine Unfähigkeit zum Multitasking sprechen lassen, weil er gar so viel Testosteron hat und das in den Film mit reingenommen!)
Dem Podcast gelingt es, in acht Folgen ein sehr umfassendes Bild der Wirecard AG zu geben, die Schlüsselmomente sind dieselben, aber die Personen ändern sich etwas, und besonders die Einzelkämpfer, die im Film stark zur Identifikation dienen, werden weit weniger in den Fokus genommen. Stattdessen hat man Laura Terberl und ihre Gesprächspartner*innen zur Orientierung. Wie schon bei »Slahi« erhalten Journalist*innen eine Stimme. Der Podcast thematisiert stärker die beiden Vorstände Markus Braun und Jan Marsalek und das Verhältnis der beiden zueinander, außerdem die oben genannten Kontroll- und Aufsichtsgremien, ihre Aufgaben, wem sie unterstellt sind und welche Motivation zu bestimmten Entscheidungen geführt haben könnten. Das ist an sich schon sehr interessant, denn die Strukturen sind nicht so verkehrt (und sie kontrollieren ja nicht nur die Wirecard), nur haben sie im Falle von Wirecard eben völlig versagt. Wie kann es z.B. sein, dass das Wirtschaftsprüfunternehmen EY alles als ok befunden hat und erst KPMG eingesetzt werden musste, um ziemlich offensichtlich ziemlich viel Geld nicht zu finden, oder dass so ein fast schon als dubios zu bezeichnendes Unternehmen 2018 in den DAX kommt und spätestens dann zahlreiche Kleinanleger*innen, die den Kontrollinstanzen vertrauten und dem DAX ohnehin, in die Wirecard investiert haben? Der Podcast reenacted nicht, dafür füllt er die wenigen Lücken mit Gesprächspersonen, die z.B. zwar nicht im Aufsichtsrat der Wirecard saßen, aber in anderen. Außerdem gliedert er thematisch, das macht es vielleicht undramatischer, durch die inhaltliche Vertiefung wird es aber vielschichtiger und interessanter. Am Ende wird die gesamte bittere Absurdität noch einmal klarer und dass es unbedingt eine umfassende Nachjustierung braucht und nicht nur einen Untersuchungsausschuss.
Wie arbeiten (investigative) Journalist*innen? Warum ist nicht unbedingt nur das End-Ergebnis interessant ist, sondern häufig auch der Weg dahin? Wie wird vorgegangen, wie läuft eine Recherche, wen bittet man um Einschätzungen, wo findet man Informationen, an welchen Stellen kommt man nicht weiter, ab wann gilt etwas als belegt, wo noch nicht, also im Ganzen: Die journalistische Gründlichkeit. Für all das nimmt sich der Podcast Zeit, Zeit, die ein Film nicht hat. Und angenommen man habe sie, also arbeite seriell, dann wäre eine Hürde, die Gespräche und Interviews durch geeignetes Bildmaterial zu visualisieren, denn Journalist*innen müssen keine Filmemacher*innen sein, und so sehr Goetz' Arbeit auch zu loben ist, so laienhaft ist sie und so mühsam wäre es z.B., den Wirecard-Podcast zu bebildern. Und bebildern ist hier so dahingeschrieben, idealerweise nicht nur zu bebildern, sondern zu ergänzen und zu bereichern. Und so fragwürdig diese Nachstellungen/ Reenactments manchmal sind, so kommen sie doch aus einem stark filmischen Bedürfnis: Wir wollen etwas sehen, um eine klarere Vorstellung davon zu bekommen. Ein Podcast ist an sich schon abstrakter, weil er »nur« den Ton hat, ein Film suggeriert schon durch die weitere, filmische Ebene, dass er Konkreteres zeigen könnte (und selbst wenn er nichts hat, wollen wir was sehen). Die Arbeit, die hinter dem Wirecard-Dokumentarfilm steckt, ist also schon rein formal eine andere als hinter dem Podcast (der Box-Promoter z.B. funktioniert nur im Film).
Diese Zeit, sowohl in die Breite zu gehen als auch in die Tiefe, haben Neunzigminüter nicht. Im Fall von »Slahi« und »Wirecard« wird deshalb reduziert und konzentriert, ein Mal auf die »Folterer« und das andere Mal auf die »Helden«. Die ganze Atmosphäre der Filme ist dabei »spannender«: die Bilder, die Schrift auf ihnen! die Musik, die Schnitte, die Sprünge zwischen den Orten, Zeiten und Themen. Die Dokumentarfilme docken damit an der Filmgeschichte an, der Podcast an das Radio.
Die Podcasts sind entspannter, können sich mehr Zeit lassen, was dazu führt, dass man besser aus- und einsteigen kann, man kann stoppen und nachdenken, Pausen einlegen, selber recherchieren oder parallel was anderes tun. Man muss nicht 100% dabei bleiben, weil es eben nur einen Sinn anspricht.
Dafür versuchen sie die Zuhörer*innen anders zu binden. Durch die Begrüßung und die Verabschiedung (vielleicht auch schon »per Du«) und die Gespräche bekommen die Podcasts oft so etwas Persönliches, das man anscheinend hat, in dieser Buddy-Podcast-Welt, dieser lockere Ton, der sich im Netz etabliert hat und der das Objektive ins Subjektive kippen lässt, was ich nicht unproblematisch finde (siehe oben meine Liebe zur journalistischen Gründlichkeit, die natürlich hier auch in ein Format passen muss.) Es ist damit der »Fiktionalisierung« der Dokumentarfilme nicht unähnlich.
Egal, was man nun wann bevorzugt, im Ganzen ist es doch gut, dass man dieses Zutrauen in den Wissensdurst der Menschen haben kann, an das Interesse, das nicht nur oberflächlich ist, sondern etwas verstehen will, auch wenn es etwas komplizierter wird und vielleicht länger dauert.