ABSTAND/ZOOM
O_OBEN OFFEN |
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Kopflos, oben offen und Kopf-Kino zugleich: Oben offen von Hannah Jandl | ||
(Foto: Filmschool Filmfest) |
Von Nora Moschuering
Ganz klar, also bei mir beginnt die Besinnlichkeit quasi mit dem Anzünden der ersten Adventskerze. Bäm. Ich sitze dann da, schaue auf die Kerze, dann schaue ich auf die Schneeflocken und denke so bei mir: Wie passend, der erste Schnee. Es vereinigt sich alles, was man so braucht fürs Besinnlichsein: Kerze, Schnee und wohlige Gedanken. Dass es nicht der erste Schnee war, sei mal dahingestellt, aber sonst waren es perfekte etwa 2,5 Minuten mit mir selber. Um es aber nicht dabei zu belassen, habe ich dann auch noch angefangen, »Monaco Franze« auf Netflix zu schauen und wunderte mich dabei kurz, auf welchen Plattformen sich Serien aus den 80-90ern gerade finden lassen. (Jetzt mal ganz abgesehen vom ZDF wo einfach alles läuft: »Unser Lehrer Doktor Specht«, alte »Traumschiff«-Folgen, »Diese Drombuschs« und ganz klar »Die Schwarzwaldklinik«). Mir aber eigentlich auch egal, Hauptsache besinnlich. So eine Folge lang. Dann ist der erste Advent gut zelebriert und ich komme zu OBEN OFFEN, und da werden auch Köpfe rollen.
Kurzer Einschub zum Thema Alliteration: Irgendwie machen sie mir noch immer Freude, ich hatte auch mal einen Blog, der zuerst KopfKino und dann KinoKauz hieß. Fand ich gut damals. Find ich ok heute. Das Problem ist, dass sie immer auch irgendwie übermotiviert daherkommen, ein bisschen halt wie von Dr. Specht, dem Deutschlehrer, empfohlen. Die Alliteration in »oben offen« gefällt mir aber ausnehmend gut. Vielleicht auch weil sie in mir die gleichen Assoziationen hervorruft wie das KopfKino, nämlich dass da oben, im Kopf, irgendetwas Interessantes passiert, Gedanken entstehen, etwas weitergesponnen wird, was man auf der Leinwand gesehen hat. Also, da ist etwas nach oben offen, da geht noch was und das ohne eine ökonomische Wachstumsformel, sondern als eigener, kreativer Akt in den Zuschauer*innen.
Geklaut, bzw. übernommen, habe ich das doppelte O für diesen Monat vom HFF-Kurzfilm Oben offen von Hannah Jandl, der auf dem diesjährigen 40. Internationalen Festival der Filmhochschulen (Birthday Edition) mit dem Prix Interculturel ausgezeichnet wurde. Das war es nämlich, was ich im vorangegangenen Monat gemacht habe: Ich habe zwei Festivals besucht. In real, analog, anwesend. Das war wirklich was. Auch wenn ich das Gefühl hatte, meine soziale Kompetenz oder doch zumindest das Vermögen in größeren, eher unbekannteren Gruppen zu interagieren ist etwas eingerostet. Ich hielt mich also – und das in diesen Zeiten ohnehin nicht schlecht – etwas abseits und guckte Filme. Jandls Film ist eine sehr feine Straßenumfrage, man sieht dabei nichts weiter als Schuhe, in denen Füße stecken. Sie bewegen sich, stehen still und breitbeinig, trippeln herum, wippen, wirken manchmal ungeduldig, manchmal selbstsicher, manchmal etwas schüchtern. Die Schuhe und ihre kleinen Bewegungen erzählen schon sehr viel, aber auch was sich in den Gesprächen mit ihren Träger*innen, in der Anonymität ergibt, ist beeindruckend. In der Jurybegründung heißt es: »(...) eine teilweise ikonographische Kamera (befördert) den interkulturellen Dialog.« Da musste ich mich dann erst einmal wieder an mein Kunstgeschichtswissen erinnern, bzw. ich habe es einfach im Netz nachgeschlagen. Kurz, wenn man bei einem Bild nur beschreibt, was man sieht: Also, das ist ein alter Schuh, dann ist das präikonografisch. Nimmt man aber an, dass der Schuh aus einem bestimmten Grund, vielleicht weil Nägel in ihn geschlagen sind oder man Sägespäne drum herumsieht, der Schuh von Josef ist, dann ist das eine ikonografische Interpretation. (Ikonologisch wird es, wenn man dann das Feld des Symbolischen betritt: Das ist der alte Schuh von Josef dem Handwerker, das sieht man daran, dass er Nägel hineingeschlagen hat, die Löcher und die Nägel stehen außerdem für seinen Samenstau). Ich denke mit einer »teilweisen ikonographischen« Kamera meint man, dass man über das Dargestellte herausfindet, was dargestellt ist, also das man anhand einiger Indizien ganz gut auf den Menschen schließen kann.
Warum gehe ich da so drauf ein? Einmal um den Kunsthistoriker Erwin Panowsky (räusper) mal ins Spiel zu bringen, das andere Mal, um zu einem weiteren Preisträgerfilm überzuleiten, der auf der Duisburger Filmwoche den 3sat-Dokumentarfilmpreis gewonnen hat: Shelly Silvers Girls | Museum: Mädchen im Alter von 7 bis 19 Jahren sprechen im Leipziger Museum für bildende Kunst über Kunstwerke aus fünf Jahrhunderten. Sie treffen dabei sehr oft den Punkt. Wie ist etwas dargestellt? Wie unterscheiden sich dargestellte Männer von Frauen (siehe Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste von Isabell Šuba)? Welche Blickachsen eröffnen sich im Museum und warum gibt es so wenige Malerinnen? Das ist gut, aber auch nur manchmal. Vielleicht liegt es daran, dass ich darüber schon so viel gelesen habe, z.B. Linda Nochlins »Why have there been no great women artists?« von 1971, die u.a. beleuchtet, warum es in der Vergangenheit kaum Malerinnen gab (strukturelle, gesellschaftliche Gründe). Genauso wie mir ikonologische Beschreibungen gefehlt haben und etwas, dass die Gemälde in ihre Zeit einordnet. Klar, darum sollte es auch nicht gehen, aber so wirkte das Ganze dann wie eine Art museumspädagogische Arbeit und ist für mich damit eher ein Film über die Generation der Sprecher*innen als über Kunstgeschichte oder die Institution Museum – wobei das natürlich beides eine Rolle spielt. Auch die Art, in der der Film immer wieder Details der Bilder hervorgehoben hat, indem er einfach alles andere schwärzte, kennt man aus Arte-Dokumentationen und YouTube-Videos. Ich finde den Film gut und wichtig, aber nicht unbedingt preiswürdig, irgendwie ist da noch Platz nach oben (yay, untergebracht!).
Zurück zu Ikonografie: Ich bleibe heute in meinem bildungsbürgerlichen Duktus, reichere ihn aber mit ein paar Horrorelementen an. »Oben offen« wahrscheinlich in seiner brutalsten Form: Das Enthaupten. Ein Bild worüber man diskutieren kann, und das auch in Girls | Museum vorkommt, ist Lovis Corinths »Salome II« von 1900. Zu sehen ist eine oben sehr offene, oder hier dann doch »oben ohne«, also kaum bekleidete, Salome, die etwas merkwürdig einen Kopf in einer blauen Schüssel anfasst, es ist der von Johannes dem Täufer. Es gibt zwei bedeutende Motive in der Kunstgeschichte, in der Frauen und abgeschlagene Männerköpfe vorkommen. Einmal eben das Motiv von Salome und Johannes dem Täufer und das andere von Judith und Holofernes. Salome darf sich etwas wünschen, weil sie so schön getanzt hat, und sie wünscht sich den Kopf von Johannes dem Täufer, der von ihrem Vater gefangen gehalten wird. Judith dagegen köpft aktiv einen Feldherren, der ihre Heimatstadt belagert, der sie einlässt, weil er sich mit ihre eine »Liebesnacht« erhofft. Bei beiden Geschichten und ihren Darstellungen kann man sowohl über Sexismus als auch Rassismus diskutieren.
Mit physischer Kopflosigkeit zu schließen ist meinem besinnlichen Anfang diametral entgegengesetzt. Na, mal gucken, wie sich die weitere Adventszeit entwickelt, jetzt bereite ich mich schon mal auf das P vor, höre und sehe die Sneakerjagd und »Slahi – 14 Jahre Guantanamo« , denn das nächste Mal soll es um Podcasts und die Filme zu ihnen gehen – oder ist es umgekehrt?