02.12.2021
ABSTAND/ZOOM

O_OBEN OFFEN

Oben offen
Kopflos, oben offen und Kopf-Kino zugleich: Oben offen von Hannah Jandl
(Foto: Filmschool Filmfest)

Also, da ist etwas nach oben offen, da geht noch was und das ohne eine ökonomische Wachstumsformel, sondern als eigener, kreativer Akt in den Zuschauer*innen

Von Nora Moschuering

Ganz klar, also bei mir beginnt die Besinn­lich­keit quasi mit dem Anzünden der ersten Advents­kerze. Bäm. Ich sitze dann da, schaue auf die Kerze, dann schaue ich auf die Schnee­flo­cken und denke so bei mir: Wie passend, der erste Schnee. Es vereinigt sich alles, was man so braucht fürs Besinn­lich­sein: Kerze, Schnee und wohlige Gedanken. Dass es nicht der erste Schnee war, sei mal dahin­ge­stellt, aber sonst waren es perfekte etwa 2,5 Minuten mit mir selber. Um es aber nicht dabei zu belassen, habe ich dann auch noch ange­fangen, »Monaco Franze« auf Netflix zu schauen und wunderte mich dabei kurz, auf welchen Platt­formen sich Serien aus den 80-90ern gerade finden lassen. (Jetzt mal ganz abgesehen vom ZDF wo einfach alles läuft: »Unser Lehrer Doktor Specht«, alte »Traum­schiff«-Folgen, »Diese Drom­buschs« und ganz klar »Die Schwarz­wald­klinik«). Mir aber eigent­lich auch egal, Haupt­sache besinn­lich. So eine Folge lang. Dann ist der erste Advent gut zele­briert und ich komme zu OBEN OFFEN, und da werden auch Köpfe rollen.

Kurzer Einschub zum Thema Alli­te­ra­tion: Irgendwie machen sie mir noch immer Freude, ich hatte auch mal einen Blog, der zuerst KopfKino und dann KinoKauz hieß. Fand ich gut damals. Find ich ok heute. Das Problem ist, dass sie immer auch irgendwie über­mo­ti­viert daher­kommen, ein bisschen halt wie von Dr. Specht, dem Deutsch­lehrer, empfohlen. Die Alli­te­ra­tion in »oben offen« gefällt mir aber ausneh­mend gut. Viel­leicht auch weil sie in mir die gleichen Asso­zia­tionen hervor­ruft wie das KopfKino, nämlich dass da oben, im Kopf, irgend­etwas Inter­es­santes passiert, Gedanken entstehen, etwas weiter­ge­sponnen wird, was man auf der Leinwand gesehen hat. Also, da ist etwas nach oben offen, da geht noch was und das ohne eine ökono­mi­sche Wachs­tums­formel, sondern als eigener, kreativer Akt in den Zuschauer*innen.

Geklaut, bzw. über­nommen, habe ich das doppelte O für diesen Monat vom HFF-Kurzfilm Oben offen von Hannah Jandl, der auf dem dies­jäh­rigen 40. Inter­na­tio­nalen Festival der Film­hoch­schulen (Birthday Edition) mit dem Prix Inter­cul­turel ausge­zeichnet wurde. Das war es nämlich, was ich im voran­ge­gan­genen Monat gemacht habe: Ich habe zwei Festivals besucht. In real, analog, anwesend. Das war wirklich was. Auch wenn ich das Gefühl hatte, meine soziale Kompetenz oder doch zumindest das Vermögen in größeren, eher unbe­kann­teren Gruppen zu inter­agieren ist etwas einge­rostet. Ich hielt mich also – und das in diesen Zeiten ohnehin nicht schlecht – etwas abseits und guckte Filme. Jandls Film ist eine sehr feine Straßen­um­frage, man sieht dabei nichts weiter als Schuhe, in denen Füße stecken. Sie bewegen sich, stehen still und breit­beinig, trippeln herum, wippen, wirken manchmal unge­duldig, manchmal selbst­si­cher, manchmal etwas schüch­tern. Die Schuhe und ihre kleinen Bewe­gungen erzählen schon sehr viel, aber auch was sich in den Gesprächen mit ihren Träger*innen, in der Anony­mität ergibt, ist beein­dru­ckend. In der Jury­be­grün­dung heißt es: »(...) eine teilweise ikono­gra­phi­sche Kamera (befördert) den inter­kul­tu­rellen Dialog.« Da musste ich mich dann erst einmal wieder an mein Kunst­ge­schichts­wissen erinnern, bzw. ich habe es einfach im Netz nach­ge­schlagen. Kurz, wenn man bei einem Bild nur beschreibt, was man sieht: Also, das ist ein alter Schuh, dann ist das präi­ko­no­gra­fisch. Nimmt man aber an, dass der Schuh aus einem bestimmten Grund, viel­leicht weil Nägel in ihn geschlagen sind oder man Sägespäne drum herum­sieht, der Schuh von Josef ist, dann ist das eine ikono­gra­fi­sche Inter­pre­ta­tion. (Ikono­lo­gisch wird es, wenn man dann das Feld des Symbo­li­schen betritt: Das ist der alte Schuh von Josef dem Hand­werker, das sieht man daran, dass er Nägel hinein­ge­schlagen hat, die Löcher und die Nägel stehen außerdem für seinen Samenstau). Ich denke mit einer »teil­weisen ikono­gra­phi­schen« Kamera meint man, dass man über das Darge­stellte heraus­findet, was darge­stellt ist, also das man anhand einiger Indizien ganz gut auf den Menschen schließen kann.

Warum gehe ich da so drauf ein? Einmal um den Kunst­his­to­riker Erwin Panowsky (räusper) mal ins Spiel zu bringen, das andere Mal, um zu einem weiteren Preis­trä­ger­film über­zu­leiten, der auf der Duis­burger Filmwoche den 3sat-Doku­men­tar­film­preis gewonnen hat: Shelly Silvers Girls | Museum: Mädchen im Alter von 7 bis 19 Jahren sprechen im Leipziger Museum für bildende Kunst über Kunst­werke aus fünf Jahr­hun­derten. Sie treffen dabei sehr oft den Punkt. Wie ist etwas darge­stellt? Wie unter­scheiden sich darge­stellte Männer von Frauen (siehe Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste von Isabell Šuba)? Welche Blick­achsen eröffnen sich im Museum und warum gibt es so wenige Male­rinnen? Das ist gut, aber auch nur manchmal. Viel­leicht liegt es daran, dass ich darüber schon so viel gelesen habe, z.B. Linda Nochlins »Why have there been no great women artists?« von 1971, die u.a. beleuchtet, warum es in der Vergan­gen­heit kaum Male­rinnen gab (struk­tu­relle, gesell­schaft­liche Gründe). Genauso wie mir ikono­lo­gi­sche Beschrei­bungen gefehlt haben und etwas, dass die Gemälde in ihre Zeit einordnet. Klar, darum sollte es auch nicht gehen, aber so wirkte das Ganze dann wie eine Art muse­ums­pä­d­ago­gi­sche Arbeit und ist für mich damit eher ein Film über die Gene­ra­tion der Sprecher*innen als über Kunst­ge­schichte oder die Insti­tu­tion Museum – wobei das natürlich beides eine Rolle spielt. Auch die Art, in der der Film immer wieder Details der Bilder hervor­ge­hoben hat, indem er einfach alles andere schwärzte, kennt man aus Arte-Doku­men­ta­tionen und YouTube-Videos. Ich finde den Film gut und wichtig, aber nicht unbedingt preis­würdig, irgendwie ist da noch Platz nach oben (yay, unter­ge­bracht!).

Zurück zu Ikono­grafie: Ich bleibe heute in meinem bildungs­bür­ger­li­chen Duktus, reichere ihn aber mit ein paar Horror­ele­menten an. »Oben offen« wahr­schein­lich in seiner brutalsten Form: Das Enthaupten. Ein Bild worüber man disku­tieren kann, und das auch in Girls | Museum vorkommt, ist Lovis Corinths »Salome II« von 1900. Zu sehen ist eine oben sehr offene, oder hier dann doch »oben ohne«, also kaum beklei­dete, Salome, die etwas merk­würdig einen Kopf in einer blauen Schüssel anfasst, es ist der von Johannes dem Täufer. Es gibt zwei bedeu­tende Motive in der Kunst­ge­schichte, in der Frauen und abge­schla­gene Männer­köpfe vorkommen. Einmal eben das Motiv von Salome und Johannes dem Täufer und das andere von Judith und Holo­fernes. Salome darf sich etwas wünschen, weil sie so schön getanzt hat, und sie wünscht sich den Kopf von Johannes dem Täufer, der von ihrem Vater gefangen gehalten wird. Judith dagegen köpft aktiv einen Feld­herren, der ihre Heimat­stadt belagert, der sie einlässt, weil er sich mit ihre eine »Liebes­nacht« erhofft. Bei beiden Geschichten und ihren Darstel­lungen kann man sowohl über Sexismus als auch Rassismus disku­tieren.

Mit physi­scher Kopf­lo­sig­keit zu schließen ist meinem besinn­li­chen Anfang diametral entge­gen­ge­setzt. Na, mal gucken, wie sich die weitere Advents­zeit entwi­ckelt, jetzt bereite ich mich schon mal auf das P vor, höre und sehe die Snea­k­er­jagd und »Slahi – 14 Jahre Guan­ta­namo« , denn das nächste Mal soll es um Podcasts und die Filme zu ihnen gehen – oder ist es umgekehrt?