ABSTAND/ZOOM
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Der einzige wirklich haltbare Zoom auf den Sisi-Stoff kommt von Autorin Jovana Reisinger: Unterwegs im Namen der Kaiserin. Prequel | ||
(Foto: Jovana Reisinger) |
Von Nora Moschuering
Der Erdenzoom, der kosmische Zoom: Etwas fixiert im Universum einen Punkt, zoomt zu diesem Punkt, zoomt in eine Galaxie, in ihr ein Planet, er wird blau und rund, zoomt noch weiter darauf zu, die Erde und dann, auf dieser Erde, die sich vielleicht dreht, fällt ein Kontinent in den Fokus, dann ein Land, dann eine Stadt, eine Straße, eine Wohnung, dort ein Zimmer, ein Körper und dann ein Gesicht. Richtig konkrete Verortung, denn natürlich könnte dieser Film mit der Person am Schreibtisch, die eine Erkenntnis hat, strenggenommen auch auf einem anderen Planeten spielen. Natürlich ist das immer ein bisschen größenwahnsinnig dieser große Zoom aus dem großen Ganzen zum Kleinen, aber er will ja auch nichts anderes sein.
Dass diese Reihe mit dem Wort »Zoom« endet, ist seit über zwei Jahren klar. Zoom ist mittlerweile auch ein US-amerikanisches Softwareunternehmen für Videokonferenzen, das es zwar schon länger gibt, mir bis vor der Pandemie aber unbekannt gewesen ist. Jetzt zoomen alle. Vor etwas mehr als zwei Jahren haben wir damit angefangen, davor haben es die wenigsten gemacht und wenn, dann haben sie im Filmbereich gearbeitet. Aber selbst da zoomt man eher selten, es ist cheesy und wenn ich es sehe, erschrecke ich immer ein bisschen.
Mein erster Text handelte vom Abstand. Dieser Abstand war damals omnipräsent, jetzt ist er ab und an da, dann wieder weg, dann wieder da. Eine Verunsicherung hat sich zwischen mir und den unterschiedlich starken Abstufungen des Abstandes geschlichen, bzw. dem jeweils subjektiven Wunsch des Gegenübers und meinen eigenen. Der Zoom im technischen Bereich hat etwas extrem Praktisches: man kann jemandem näher kommen, ohne den Abstand zu verringern, wie wenn man sein Fern- oder Opernglas mitschleppen würde.
Zoom-in: Fokussiert, macht größer, engt ein, das Drumherum wird langsam ausgeblendet, man hat es aber gesehen, also es ist bekannt. Zoom-out: lässt das Drumherum nach und nach in Erscheinung treten. Man interpretiert also zuerst den Gesichtsausdruck und bekommt erst dann die Ursache für ihn geliefert. Beides passiert uns sonst nicht, weil wir Dinge und Menschen zusammen mit ihrer Umwelt wahrnehmen.
Neben dem kosmischen Zoom denke ich bei Zoom unweigerlich an Dominik Graf und die 80er Jahre. Zoom-Objektive gab es zwar auch davor schon, aber sie wurden damals erschwinglicher und vielleicht passt es auch zur Aerobic-Disco-Dynamik dieser Zeit. Wenn man sich alte Musikvideos ansieht, scheint es da ohnehin eine Freude am Ausprobieren von technischen Gimmicks gegeben zu haben, Bock auf Effekte, z.B. lustige Postpro-Effekte, wie sie auch später mit Powerpoint wieder auftauchten (schön z.B. bei F.R. Davids: »Words don’t come easy«). Der Vertigo-Effekt oder Dolly-Zoom resultiert dagegen bei Hitchcock oder Spielberg nicht aus einer reinen effekthascherischen Spielerei, sondern ist vor allen Dingen inhaltlich motiviert. Wie auch die Kamera bei Dominik Graf, sie ist forschend, als würde sie selbst überrascht von dem, was sie »sieht«, damit hat sie einen sehr menschlichen Blick, der sich scheinbar bewegt wie er möchte, intuitiv zwischen Geschichten, die stattfinden. Aber menschlich ist er nicht, das verheimlicht er auch nicht, denn wenn ihn die Neugierde zoomen lässt, dann tut er das. Trotzdem erschreckt es mich immer ein bisschen, haut mich ein bisschen raus, obwohl ich auch sonst mehr als gewillt bin, genau das zu tun: Wir zoomen mit unseren Spiegelreflexkameras und mit unseren Handys, was das Zeug hält. Wir spielen damit, können unauffällig Menschen in der U-Bahn beobachten und fotografieren oder können uns an den Balkon der Nachbarn heranzoomen. Allerdings spielt da der zeitliche Verlauf des Zooms keine Rolle, sondern allein das Resultat.
Zoom-in, fokussieren wir: Ich hatte in meinen letzten Filmerlebnissen irgendwie das Gefühl, dass ich lauter Filme über historische und sehr schöne Frauen sehen. Gerade scheint ein unfassbares Interesse an Sisi zu bestehen, das ich nicht verstehe, vielleicht sind da irgendwelche Rechte abgelaufen oder weshalb haben offenbar einige Menschen kurz vor der Pandemie beschlossen, sich diesem Stoff zuzuwenden? Da wäre natürlich Corsage von Marie Kreutzer und neu »Die Kaiserin« auf Netflix, aber auch die erfolgreiche RTL Serie »Sisi« und jetzt auch noch Karen Duve und ihr Roman »Sisi«. Nichts davon nimmt sich allerdings den nötigen Abstand von der Historie und führt es so in die heutige Zeit über wie Jovana Reisinger, die in ihrem Kurzfilm Unterwegs im Namen der Kaiserin. Prequel, drei Hipster auf die Reise zum Jungbrunnen schickt. Welch ein Glück! Aber zurück zum Grundthema: Was ist das für ein Fokus? Aktualisierung historischer Figuren? Man belässt sie aber in einer eher »fiktiven« Historie und macht sie hier zu modernen Figuren? Versuchen wir die Vergangenheit zu retten? Sie uns näher bringen? Wollen wir einfach nur in einem Märchen verschwinden, das irgendwie etwas mit uns zu tun hat, irgendwie aber auch nicht? Wollen wir uns mit Sisi identifizieren: Oh ja auch Sisi, damals, die Kaiserin in der Wiener Hofburg, hatte es nicht einfach, so wie ich auch. Das fühlt sich genauso an wie ich, nur mit mehr Prunk. Nein, das hat nicht viel mit uns zu tun! Das war ne F*** Kaiserin, gebürtiger Adel und zu allem Überfluss: Sie war soooo schön!! Was auch immer das bedeuten mag! Natürlich ist es gut, historisch spannende Frauenfiguren zu finden und zu zeigen, aber fällt einem da wirklich nur »die Sisi« ein? Ähnlich ging es mir auch bei Diana Spencer oder Marilyn Monroe – immerhin ist die nicht da hinein geboren worden, aber auch die beiden sind so unglaublich schön. Nicht dass sich die, teils adligen Personen, nur über ihre Schönheit definierten, aber sie wurden zu einem großen Teil von außen dadurch definiert und von diesem »Problem« erzählen die Filme. Als wäre das der Moment, in dem die Frauen überhaupt in die Geschichte eingehen konnten: Über ihre Schönheit. Schönheit ist natürlich extreme Definitionssache und sie ist sehr filmisch. Aber je mehr ich über »Blond« nachdenke und den Dokumentarfilm »Marilyn – Made in Hollywood« auf Arte gucke, desto ärgerlicher werde ich über »Blond«, weil er sie ja auch nur ausnutzt, sie in dieser passiven Situation verharren lässt – die sie nicht hatte oder auf keinen Fall nur – und sich daran in unendlich langen Szenen nun seinerseits labt. Das übrigens machen die Sisi-Variationen nicht, sie verändern immerhin das klassische Prinzessinnenbild!
Ich habe in meinem ersten Text über den Abstand in den Kinos geschrieben und in welche existenzielle Bredouille er diese bringt. Das hat sich leider nicht geändert und das, obwohl der Abstand nicht mehr eingehalten werden muss. Stattdessen knödeln sich die Menschen anscheinend auf dem Oktoberfest oder in Kneipen, aber leider nicht im Kino. Mein letzter Film im Kino war Triangle of Sadness. Der Film besteht aus drei Teilen: das Pärchen aus dem ersten Teil sieht gleichberechtigt gut aus und auch sonst kümmert zumindest er sich, um die gleichberechtigte Zahlung ihres Abendessens. Carl und Yaya sind ein Model-/Insta-Pärchen und ja, vielleicht befinden wir uns in einer Art modernem Adel, der allerdings nicht qua Geburtsvorgang da ist, wo er ist, sondern hier wirklich aufgrund seiner Optik, seines Geschicks, aber auch seiner Arbeit. Ruben Östlund hat nach The Square eine weitere Groteske vorgelegt, in der man beobachten kann, wie die Welt im Kleinen untergeht. Es geht um Verteilungskämpfe: Geld, Essen, Sex. Die mit der Macht haben alles drei, alle anderen nur Teile davon. Der zweite Teil spielt auf einer Luxusjacht und der dritte auf einer Insel. Dabei hat man Personen, denen man folgen kann, mit denen sich aber wahrscheinlich die wenigsten identifizieren (eher Abstand als Zoom), von denen man aber annehmen darf, dass sie in etwa so existieren. Das stößt ab, macht aber auch seltsam Spaß. Ich bin mir dann auch nicht sicher, ob der Film nicht zu sehr in etwas Komödiantisches kippt, so dass wir auch die Antworten auf die Fragen nicht mehr bei uns suchen müssen, sondern uns einfach nur ekeln und amüsieren können. Die Reichen leben vom Verkauf von Waffen, von Scheiße oder eben von ihrer Jugend, alles Dinge die entweder destruktiv sind oder an sich vergänglich und nicht gerade richtig zukunftsfähig. Das ist wahrscheinlich die kleine, feine Spitze der totalen Kulturalisierung, an der wir uns gerade aufspießen: Nur Geld mit Dingen zu verdienen, die existenziell überhaupt keinen Sinn machen, ganz im Gegenteil sogar. Lösungen gibt es keine, auch nicht auf der Insel, da drehen sich die Machtverhältnisse zwar um, weil jetzt doch andere Skills gefragt sind, ureigene, wichtige, die alle verlernt haben, das ändert aber nichts daran, dass sie missbraucht wird, die Macht. Das ist vielleicht einfach menschlich oder der Lerneffekt aus langer Unterdrückung, eine Abrechnung, für die Qualen die man erleiden musste. Vielleicht ist der Kapitalismus immer brutal, egal jetzt wer mit Geld, Kryptowährung oder Salzstangen handelt. Erstaunlich ist allerdings das Solidargefühl, das unter den Geschlechtern einsetzt.
Ob und wie viel in Triangle of Sadness gezoomt wird, kann ich nicht beantworten, am Gezoomtesten erscheint es einem in der zweiten Episode, auf dem Schiff: das Schwanken, das Essen, die Bewegungen der Körper, das ist vielleicht der Megazoom des Dabei-Seins und das Gegenteil des kosmischen Zooms. Mit dem gehe ich jetzt hier raus, aus meiner völlig subjektiven, begrifflichen Alphabet-Reihe: Aus dem Gesicht, weg vom Körper, aus dem Zimmer, der Wohnung, der Straße, der Stadt, dem Land, dem Kontinent, ein Blick auf die Erde, die Galaxis und dann muss ich Zoom schnell mal aktualisieren. Das dauert nur einen Moment!