Cinema Moralia – Folge 299
Frauen und Kinder zuerst! |
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Ruben Östlunds Antidot gegen die German Trübheit: Die Crew in Triangle of Sadness | ||
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen) |
»Nachdenken ist in der Filmbranche generell ein Verdachtsmoment.« – Lars Henrik Gass
»Took a trip down to L.A. for a week-end
Let my hear flow an' my inspiration grove
Make a beach scene, such a sweet dream, nice an' breezy
On my way to L.A.« – Phil Carmen »On my way to L.A.«
Vielleicht tut sich ja wirklich gerade etwas im deutschen Film, allen Fakten zum Trotz. Jedenfalls fand ich zumindest einige der vor ein paar Wochen veröffentlichten Nominierungen und auch Nichtnominierungen zum Deutschen Filmpreis überraschend erfreulich. Allen voran müssen wir über die Dokumentarfilme sprechen. Zwei von drei Nominierungen sind essayistische Montagefilme, in denen mit Archivmaterial gearbeitet wird. Es sind gute Filme. Natürlich gefällt mir das
auch, weil ich selbst zwei solche Filme gemacht habe, aber eben auch, weil diese Tradition von Großen wie Godard praktiziert, aber gerade in Deutschland lange vernachlässigt wurde. Zu Cem Kayas Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod hatte ich an dieser Stelle schon mal was gesagt, über Elfriede Jelinek
– Die Sprache von der Leine lassen habe ich aus Gründen persönlicher Befangenheit bisher nichts geschrieben, und werde das auch in Zukunft so handhaben. Aber ich hoffe trotz besserer Erfahrung auf die Weisheit der Filmakademie.
Die hat sie immerhin bei den Nichtnominierungen bewiesen. Denn es war ein wichtiges Zeichen, dass auch die Lieblinge gewisser Kreise kein Geschäftsmodell aus der Filmpreisnominierung machen können, dass es kein Abonnement oder gar den
Anspruch auf Nominierungen gibt.
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Deswegen irritiert es gleich doppelt, wenn im Berliner Lokalblatt »Tagesspiegel« zu lesen ist, Kulturstaatsministerin Claudia Roth habe auf die Kritik an der Nichtnominierung von Christian Petzolds Roter Himmel geantwortet, dass die gut 2000 Mitglieder ja Im Westen nichts Neues für den Filmpreis berücksichtigt hätten. Und weiter: »Einen deutschen Film zu ignorieren, der neun Oscar-Nominierungen und 14 Bafta-Nominierungen bekommen hat, wäre sicher erklärungsbedürftig.« Eine Frechheit, denn dies ist eine unverstellte Drohung der Politik an die Mitglieder der Filmakademie, die doch bitte vollkommen unabhängig entscheiden dürfen.
Auch eine Filmakademie muss sich für ihre Entscheidungen, für Dummheiten, wie Klugheiten nicht erklären.
Der »Tagesspiegel« nennt das einen »Fauxpas«. Auch mindestens irritierend. Ja, der höchstdotierte deutsche Kulturpreis bei dem, lieber Tagesspiegel, nicht Roth, sondern der Bundestag, und jedenfalls die Steuerzahler »Geldgeber« sind, sollte besser von einer Jury vergeben werden.
Aber so lange er von der Masse der Akademiemitglieder in undurchsichtigen Abstimmungsverfahren verteilt wird, sollte dieses nicht noch durch politische und mediale Beeinflussung zusätzlich
belastet werden.
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Zweimal Fantasy, zweimal verbunden mit Autorenkino zweimal auf ganz unterschiedliche Art und Weise – das bieten die Filme dieser Woche Les cinq diables und Suzume. Ein bisschen mehr Phantasie und auch Fantasy und viel mehr Autorenkino würde man auch dem deutschen Film wünschen, der deutschen Filmförderung und insbesondere der Kulturstaatsministerin.
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Man fragt sich schon, wie man darauf überhaupt kommen kann. Man fragt sich, wie man auch nur eine Sekunde ernsthaft glauben kann, dass so etwas durchgeht, dass es nicht herauskommt. Claudia Roth hat sich den Besuch bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles von Netflix bezahlen lassen! Sie hat eine Einladung des Streaming-Giganten angenommen, eine Einladung, deren Wert auf Nachfrage beim Büro der Staatsministerin 2250 Euro wert ist.
Erst nachträglich, so meldeten SZ und FAZ, wollte Claudia Roth die Einladung, dann doch nicht annehmen. Wie die »Süddeutsche Zeitung« am Donnerstag meldete, hat die Kulturstaatsministerin nachträglich das Ticket aus eigener Tasche bezahlt. Dass Netflix, der Auftraggeber der Produktion, der amerikanischen Filmakademie als Ausrichter der Oscars die Summe für die Karte überwiesen hatte, war der Grünen-Politikerin laut ihrem Sprecher nicht bewusst, und sie habe »diese Kosten umgehend an Netflix erstattet, aus ihren privaten Mitteln«.
Im »Spiegel« heißt es dazu weiter, Roth habe diese Einladung zuvor »gerne angenommen, um das Filmteam bei dieser Preisverleihung zu unterstützen und ihm seine Anerkennung im Namen der Bundesregierung vor Ort auszusprechen«.
Nun hatte sie das alles schon zuvor tun
können beim traditionellen Empfang der deutschen Oscar-Anwärter in der Villa Aurora. Dort habe sie, auch das meldet ihr Ministerium, »einen auch international viel beachteten Vorschlag zur Reform des Fördersystems vorgelegt«, und in Los Angeles politisch für den Filmstandort, den deutschen Film und die nominierten Filme, darunter auch die in Deutschland geförderten Filme Tár und Triangle of Sadness, geworben.
An Letzteres erinnern sich Anwesende anders. In den letzten Tagen wurde mir von Teilnehmern des Empfangs nicht ohne Empörung erzählt, Roth habe die beiden anderen Filme mit keinem Wort erwähnt. Diese Filme wurden zwar von nichtdeutschen Regisseuren, aber mit deutschem Geld produziert, und sind deswegen nach den Kriterien der deutschen Filmförderung auch deutsche Filme.
Die Kosten der gesamten Reise belaufen sich übrigens auf exakt 34.783,24 Euro, wie das Büro von Roth schrieb. Zur Erläuterung heißt es weiter: »Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat während ihrer Reise in Los Angeles eine Vielzahl von (Veranstaltungs-) Terminen zur Filmförderung, Filmwirtschaft, Exil- und Erinnerungskultur wahrgenommen. Von Journalistinnen und Journalisten ist sie nicht begleitet worden. Sie hat einen Linienflug genutzt. Ebenso die drei sie begleitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.«
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Man fragt sich schon, wer denn da eigentlich berät beim BKM. Ob überhaupt jemand berät? Und wenn man Claudia Roth wirklich geraten hat, diese Netflix-Einladung anzunehmen – waren es dann Leute, die einfach nur naiv und dumm waren? Oder Leute, die ihr übel wollten? Vielleicht kann wenigstens Frau Roth diese Frage beantworten.
An anderer Stelle hat der Spiegel über Roth geschrieben, sie lasse »Kulturpolitik wirken wie eine Farce«.
Trotzdem haben außer dem Hamburger Magazin fast nur die ganz Großen, SZ und FAZ berichtet. Warum eigentlich nicht? Finden wir es normal, dass sich Minister von Privatunternehmern einladen lassen, die in ihren engen Tätigkeitsbereich fallen, über die sie also unabhängig urteilen müssen, und für oder gegen die sie Politik machen sollen? Oder gibt es Parteilichkeit für die Grünen? Hätte man einer CDU-Ministerin so eine Instinktlosigkeit auch einfach durchgehen lassen?
Die Sache ist hochgradig peinlich. Schon weil Netflix und die Remarque-Verfilmung aber auch nichts mit deutscher Filmpolitik zu tun haben. Es ist schon ok, dass Roth dahinfliegt. Aber sie hätte sich nicht im Erfolg des Netflix-Films sonnen dürfen. Die zurückgenommene Vorteilsannahme ist dann nur noch peinlich. Sie lässt den Verdacht falscher Nähe im Raum stehen.
Das passt schlecht, denn 2022 hat Netflix aus dem steuerfinanzierten Topf für Serienförderung (GMPF) aus Roths Behörde allein 8,3 Millionen Förder-Euro erhalten, 2021 sogar doppelt so viel. Peanuts für den Streamer, aber Stupid German Money für die Filmförderung.
Claudia Roth muss es in Zukunft erreichen – das ist ihr politischer Auftrag –, Netflix und andere Streamer in die Filmförderung einzahlen zu lassen. In ihrem weltbewegenden Papier heißt es zum
Thema: »Wir wollen die Einführung einer Investitionsverpflichtung prüfen, die zum Beispiel Streamingplattformen dazu verpflichtet, einen bestimmten Teil ihres Umsatzes mit audiovisuellen Inhalten in Deutschland wieder hierzulande zu reinvestieren«.
Nach dem Oscar-Trip prüft es sich nicht leichter.
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Seit der Berlinale reden manche, vor allem Produzentenverbände, nur noch über die Skizze, die Claudia Roth zuerst in der »Süddeutschen Zeitung« und dann später auf ihrer Homepage veröffentlicht hat. Acht Punkte stehen da drin, sechs handeln wirklich von Film, und seit etwa zwei Monaten rätselt die Branche darüber, wer die wohl geschrieben hat. Claudia Roth selber? Wohl kaum. Ihre Referenten? Schon eher, wobei dann die Frage ist, welcher von den vielen? Einige von denen, die seit 20 Jahren das Kanzleramt nicht verlassen haben und dort irgendwo im Schrank übernachten, oder die eher neuen?
Es gibt allein fünf Produzenten, die zuletzt bei irgendwelchen Gelegenheiten erzählt haben, sie hätten mitgeschrieben. Es sind die üblichen Verdächtigen unter den Apparatschiks der Branche, alles Männer, alles Produzenten, oder ehemalige. Einige aus den Vorständen der Produzentenverbände.
Die waren auch die ersten, die Minuten nach der Veröffentlichung des Roth-Papiers trompeteten: »Die deutsche Filmbranche begrüßt die
Filmförderinitiative von Claudia Roth« und deren wegweisende Impulse. Wie tief kann man sinken? Wie unsympathisch agieren?
Denn erstens: Eigenlob stinkt. Wenn Vorstände und Funktionäre der drei Produzenten-Verbände schon gern an den Stammtischen des deutschen Kinos damit hausieren gehen, sie hätten »mitgeschrieben«, muss man seine Ergüsse dann noch »wegweisend« nennen?
Zweitens: »Die deutsche Filmbranche« ist eine glatte Lüge. Denn die besteht aus weit mehr als den drei
Produzentenverbänden, die die Meldung unterzeichnet haben. Solches Getröte offenbart nur die Denke an einigen Produzentenschreibtischen: Wir entscheiden!
Drittens ist es nicht sehr nett, dass man dazu auch noch die arme Filmakademie missbraucht hat, die genug Probleme hat, und nun zu Recht dafür getadelt wird, dass sie sich zum Sprecher der Branche aufschwingt und von den Produzenten gegen die überwiegende Mehrheit der Branche in Stellung bringen und damit
missbrauchen lässt. Denn diese Mehrheit begrüßt Roths Vorschläge keineswegs so unisono.
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»Nach 19 erfolgreichen Jahren verlässt Christine Tröstrum zum Sommer 2023 ihre Position als Projektleiterin bei Berlinale Talents«. Diese Meldung ließ bereits aufhorchen. Christine Tröstrum war wichtig für die Berlinale, ist beliebt, und sie war die zweite Frau, die die Berlinale jetzt verlässt.
Die erste, jedenfalls ein bisschen, ist Barbara Wurm, die als Forumsleiterin natürlich irgendwie Teil der Berlinale bleibt, aber doch das Auswahlgremium verlässt.
Die dritte ist
Mariette Rissenbeek. Dass sie ihren Vertrag nicht verlängert, hat nicht vollkommen überrascht, erst recht nicht nach der diesjährigen Berlinale. Aber es ist eine Zäsur. Es stellt noch einmal alles auf den Prüfstand: Was soll die Berlinale sein? Was will sie sein? Was kann sie sein?
Und natürlich personell: Kann Carlo Chatrian
weitermachen? Allein traut ihm das keiner zu. Aber die Struktur der Doppelspitze ist unausgegoren und muss überdacht werden. Die Berlinale braucht ein einziges Gesicht. Sie braucht die Fähigkeit, zu begeistern und mitzureißen. Und zwar durch Substanz, nicht durch hohle Worte.
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Das ist alles nur der Beginn eines großen Stühlerückens im deutschen Film. Gerade wurde auch bekannt, dass Claas Danielsen, der Chef der Mitteldeutschen Filmförderung, seine Position zum Jahresende verlässt. Und schon fragt man sich nicht nur, wer sein Nachfolger wird, sondern wohin er selber geht? Außer der Position Rissenbeeks bei der Berlinale ist auch die Position des Leiters des Hamburger Filmfests bald frei, und schon ausgeschrieben. Und neben der mitteldeutschen werden zwei weitere Förderpositionen in naher Zukunft frei: Bei der Filmstiftung NRW wird Petra Müller ihren Posten verlassen und kaum jemand erwartet, dass Kirsten Niehuus als Leiterin des Medienboards Berlin-Brandenburg ihren Vertrag, der im kommenden Jahr ausläuft, dann mit 65 Jahren und nach 20 Jahren im Amt dann noch einmal verlängern wird.
Neue Posten braucht das Land. Vor allem aber neue Positionen, also inhaltliche Positionen. Woher könnte das kommen, im Einerlei des nicht sehr schmackhaften Eintopfs namens deutscher Film?
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Wenig Hoffnung hat Lars Henrik Gass, der nicht nur Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage ist, sondern auch ein inspirierender Autor. Neben den vielen Integrierten im deutschen Film ist er ein Außenseiter, und zwar ein apokalyptischer Außenseiter. Eine Position, die ihn vieles klarer sehen und benennen lässt, aber auch zur Kassandra macht, deren Texte Wunden aufreißen und keine Illusion möglicher Alternativen erlauben. Gerade dass er an guter Laune und schlechten Witzen nicht interessiert ist, macht seine Texte lesenswert. Sein neuester erschienen bei »Konkret«.
Präzise benennt Gass das Falsche und Dumme, vor allem aber kontraproduktive Einverständnis der vielen, die sich im Film tummeln.
Er erklärt am Geld, also den Produktionsmitteln, warum deutscher Film und der Ort Kino in seiner bisherigen Form eine Auslaufindustrie wie die Braunkohle ist, und ein ökonomischer »Sanierungsfall«. Da helfen übrigens auch die Vorschläge Claudia Roths kein bisschen. In denen ist im Marketingdeutsch, das längst auch die Grünen verinnerlicht
haben, von »Effizienz«, »Innovation« »Ganzheitlichkeit«, »Nachhaltigkeit« und anderem PR-Schmonzes [sic!] die Rede und der Umwandlung der Filmförderanstalt in eine »Filmagentur«. Die »Bundesagentur für Arbeit« hat es vorgemacht.
Gegenüber diesem neoliberalen »Dritten Weg« (Gerhard Schröder) steht dann eine Produzentenlandschaft, die zwar den Begriff »Staatskino« als Provokation ablehnt, aber genau das praktiziert und auf Dauer gestellt wünscht: »Planungssicherheit« und »Entwicklungsförderung« und das neue PC-Sprech aus »Diversität«, »Green Producing«, »Gendergerechtigkeit« und anderen Glückswörtern, das ein kulturfernes Kriterium ans nächste reiht, in Wahrheit aber nur Ornament ist, um das
schlechte Gewissen der Kaufleute zu unterdrücken.
Kunst dagegen will man nicht sein, schon den Begriff meiden die Papiere der Produzentenverbände wie der Teufel das Weihwasser. Schlechte Sozialdemokratie trifft auf Work-Life-Balance – das Ergebnis ist bleiernes Mittelmaß.
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Lars Henrik Gass: »Filmförderung ist hierzulande faktisch eine Subvention von 'Medienschaffenden', die nach wirtschaftlichen und künstlerischen Kriterien nirgendwo irgendwie konkurrenzfähig sind und unentwegt von 'Filmkunst' und 'Kinokultur' schwadronieren müssen, um den ideologischen Kern des Unterfangens zu verschleiern. Mitmachen ist alles. Um gute, bessere, herausragende Filme geht es nicht. Dafür hätte man auch keinen Maßstab.
...
Im Sinne des
Gemeinwohls [wären] die konsequente, gemessen am Status quo radikale Unterscheidung der Zielvorstellungen statt deren gegenwärtiger Vermischung und auch vollkommen unterschiedliche Erfolgskriterien: hier eine bedingte Subvention der Filmwirtschaft durch ein Umlagesystem von Abgaben, dort eine bedingungslose Förderung von künstlerischen Positionen auf Grundlage von Steuermitteln; hier ein reales Risiko auf dem Markt, auf dem sich durchsetzt, was wirklich
wirtschaftlich ist, dort eine Investition gegen den Markt, die sich allein an künstlerischen Kriterien messen lassen muss.«
Genau das wird seit Jahren von den Lobbyisten politisch verhindert. »Die Verluste werden vergesellschaftet.« Wie bei der Lufthansa.
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Aber die Berlinale hat sowieso nur dann eine Zukunft, wenn der deutsche Film eine Zukunft hat. Und daran, jedenfalls an einer Zukunft des deutschen Films auf Weltniveau muss man mit Recht zweifeln. »In keiner der vielen Erklärungen ist von einer Zukunft des Kinos auch nur die Rede. Jeder weiß, dass es mit dem Kino vorbei ist.« (Gass).
Einen interessanten Gedanken äußerte neulich eine Produzentin im Gespräch: »Ich möchte Gewerbeparks für den deutschen Film, ich möchte eine Fabrik für den deutschen Film, finanziert mit Subventionen. Wer sagt denn, dass das deutsche Kino nicht gefördert werden soll? Es muss mehr gefördert werden!«
Der Gedanke ist vollkommen richtig: Denn Wirtschaft und Subvention, Wirtschaft und Förderung sind keineswegs ein Gegensatz, sondern sie bedingen einander. In Deutschland wird
unglaublich viel gefördert, alleine im Verkehr: Flugbenzin wird subventioniert, die Bahn wird subventioniert, die Autoindustrie und Autobahnen werden subventioniert, Fahrradwege werden subventioniert – also nahezu jede Art des Verkehrs und der Fortbewegung außer dem Zu-Fuß-Gehen. VW wird subventioniert und Lufthansa wird subventioniert. Windräder und Sonnenenergie, Wasserstoff und manchmal auch noch Kohle. Und so weiter...
Warum also soll es nicht auch Geld
für deutsche Filme geben? Genau genommen gibt es viel zu wenig Geld für deutsche Filme, deswegen sehen sie so aus, wie sie aussehen und sind so, wie sie sind. Wir brauchen also viel mehr Geld für deutsche Filme, wenn das deutsche Kino nicht ebenso untergehen soll, wie einst die Titanic. Es müsste aber Geld für Kinokunst sein. Für le cinéma. In Deutschland ist das nur leider nicht zu machen. Es ist zum Verzweifeln!
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»Zukunft deutscher Film« heißt der Kongress, der in der kommenden Woche im Rahmen des Lichter-Filmfests in Frankfurt stattfindet und kontrafaktisch an einer solchen Zukunft arbeitet. Es kann hier allen, die das lesen, nur empfohlen werden zu kommen. Es lohnt sich. Es lohnt sich wegen der Veranstaltung, aber noch mehr vor allem wegen der Begegnungen, die man dort auch zwischen den Veranstaltungen haben kann, und die einem wenigstens in der Verzweiflung Trost spenden können. Ansonsten bleibt noch der Äppelwoi.
Hier steht das Programm. Es wird Überraschungen vor Ort geben. Mein Lieblingsprogrammpunkt ist vielleicht das Gespräch über neue Erzählformen, in dem The Ordinaries-Regisseurin Sophie Linnenbaum auf Dominik Graf trifft und beide dann auf Moritz Baßler, jenen Literaturwissenschaftler, der 2022 das Buch »Populärer Realismus« veröffentlicht hat, dessen auf die Literatur gemünzte Thesen vom »Midcult« und International Style sich prima auf den Film übertragen lassen.
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»Liegestuhltaugliche Texte« bemerkt Baßler in der Gegenwartsliteratur in jeder Ecke, einen global anschlussfähigen »International Style«, der die Bildungsbürger aller Länder vereinigt (International Style, das ist der mittlere Realismus einer nie welterschütternden Prosa im Verbund mit routinierten Plots, und entschieden-gedämpften Stilwillen, der nie die leichte Lesbarkeit gefährdet): »Midcult« nennt er mit Umberto Eco diese Erbauungsliteratur für die besseren Kreise, sprich: für Kuratoren, Kenner, Konsumenten dessen, was jeweils gerade angesagt und hip ist, ein gutes Gesprächsthema und Distinktionsmerkmal im Partyplausch, aber sonst nicht weiter provokativ oder gar störend.
Was aber wäre jener Midcult eigentlich im (deutschen) Kino? Christian Petzolds Filme vielleicht, die auf wahnsinnig saubere, puritanisch aufgeräumte Weise zugleich unangreifbar sind und unendlich langweilig und tiefere Bedeutung eher behaupten, als tatsächlich schaffen? Oder das Werk von Fatih Akin, das mit »wichtigen« Themen und Migrationshintergrund für gute Stimmung und angemessen aufgewühlte Gefühle sorgt, und seine gelegentliche innere Leere und mitunter leeren
Behauptungen mit kennerischer Musikauswahl und rhythmischer Montage überdröhnt? Oder gar Sophie Linnenbaums The Ordinaries, der letztes Jahr den »Förderpreis Deutscher Film« gewann und gerade noch im Kino läuft?
In ihrer Masterarbeit an der Filmuni Potsdam fragte Linnenbaum kess: »Wer hat Angst vorm Happy End?« und versteckt in ihrer Frage den Vorwurf ans Arthaus-Kino, dadurch
pädagogisch wertvoll zu sein, dass es miesepetrig daherkommt, anstatt lieber einfach Spaß zu machen, oder wie es im preußischen Militärdeutsch lautet, seinen »Unterhaltungsauftrag« auszuführen.
Aber macht es Linnenbaum sich vielleicht einfach zu leicht? Will sie am Ende lieber selbst im Liegestuhl dösen, als Kunst zu machen?
Was also könnte im Kino die Filterblasen zum Platzen bringen?
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Eine weitere Besonderheit: In diesem Jahr gibt es aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des IfS der »Frankfurter Schule« eine Kooperation. Theorie trifft auf Film, da werden hoffentlich ein paar Funken fliegen.
Dazu bei Gelegenheit mehr.
(to be continued)
Anmerkung:
Gleich zweimal darf ich zu diesem Text erfreulicherweise etwas offenlegen: Ich gehöre zu der Handvoll Leuten, die den oben erwähnten Frankfurter Kongress mitkuratieren und meine Freundin ist als Produzentin von Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen für den Deutschen Filmpreis nominiert. Das trübt mein Urteil nicht, es schärft es
nur.