13.04.2023
Cinema Moralia – Folge 299

Frauen und Kinder zuerst!

Triangle of Sadness
Ruben Östlunds Antidot gegen die German Trübheit: Die Crew in Triangle of Sadness
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen)

Titanic voraus! – Nicht nur die Berlinale, auch der deutsche Film hat den Eisberg erreicht. Außerdem: On the way to LA sponsored by Netflix und Ausblicke auf die Zukunft bei einem Frankfurter Kongress – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 299. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Nach­denken ist in der Film­branche generell ein Verdachts­mo­ment.« – Lars Henrik Gass

»Took a trip down to L.A. for a week-end
Let my hear flow an' my inspi­ra­tion grove
Make a beach scene, such a sweet dream, nice an' breezy
On my way to L.A.« – Phil Carmen »On my way to L.A.«

Viel­leicht tut sich ja wirklich gerade etwas im deutschen Film, allen Fakten zum Trotz. Jeden­falls fand ich zumindest einige der vor ein paar Wochen veröf­fent­lichten Nomi­nie­rungen und auch Nicht­no­mi­nie­rungen zum Deutschen Filmpreis über­ra­schend erfreu­lich. Allen voran müssen wir über die Doku­men­tar­filme sprechen. Zwei von drei Nomi­nie­rungen sind essay­is­ti­sche Monta­ge­filme, in denen mit Archiv­ma­te­rial gear­beitet wird. Es sind gute Filme. Natürlich gefällt mir das auch, weil ich selbst zwei solche Filme gemacht habe, aber eben auch, weil diese Tradition von Großen wie Godard prak­ti­ziert, aber gerade in Deutsch­land lange vernach­läs­sigt wurde. Zu Cem Kayas Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod hatte ich an dieser Stelle schon mal was gesagt, über Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen habe ich aus Gründen persön­li­cher Befan­gen­heit bisher nichts geschrieben, und werde das auch in Zukunft so handhaben. Aber ich hoffe trotz besserer Erfahrung auf die Weisheit der Film­aka­demie.
Die hat sie immerhin bei den Nicht­no­mi­nie­rungen bewiesen. Denn es war ein wichtiges Zeichen, dass auch die Lieblinge gewisser Kreise kein Geschäfts­mo­dell aus der Film­preis­no­mi­nie­rung machen können, dass es kein Abon­ne­ment oder gar den Anspruch auf Nomi­nie­rungen gibt.

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Deswegen irritiert es gleich doppelt, wenn im Berliner Lokal­blatt »Tages­spiegel« zu lesen ist, Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth habe auf die Kritik an der Nicht­no­mi­nie­rung von Christian Petzolds Roter Himmel geant­wortet, dass die gut 2000 Mitglieder ja Im Westen nichts Neues für den Filmpreis berück­sich­tigt hätten. Und weiter: »Einen deutschen Film zu igno­rieren, der neun Oscar-Nomi­nie­rungen und 14 Bafta-Nomi­nie­rungen bekommen hat, wäre sicher erklärungs­be­dürftig.« Eine Frechheit, denn dies ist eine unver­stellte Drohung der Politik an die Mitglieder der Film­aka­demie, die doch bitte voll­kommen unab­hängig entscheiden dürfen.

Auch eine Film­aka­demie muss sich für ihre Entschei­dungen, für Dumm­heiten, wie Klug­heiten nicht erklären.

Der »Tages­spiegel« nennt das einen »Fauxpas«. Auch mindes­tens irri­tie­rend. Ja, der höchst­do­tierte deutsche Kultur­preis bei dem, lieber Tages­spiegel, nicht Roth, sondern der Bundestag, und jeden­falls die Steu­er­zahler »Geldgeber« sind, sollte besser von einer Jury vergeben werden.
Aber so lange er von der Masse der Akade­mie­mit­glieder in undurch­sich­tigen Abstim­mungs­ver­fahren verteilt wird, sollte dieses nicht noch durch poli­ti­sche und mediale Beein­flus­sung zusätz­lich belastet werden.

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Zweimal Fantasy, zweimal verbunden mit Autoren­kino zweimal auf ganz unter­schied­liche Art und Weise – das bieten die Filme dieser Woche Les cinq diables und Suzume. Ein bisschen mehr Phantasie und auch Fantasy und viel mehr Autoren­kino würde man auch dem deutschen Film wünschen, der deutschen Film­för­de­rung und insbe­son­dere der Kultur­staats­mi­nis­terin.

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Man fragt sich schon, wie man darauf überhaupt kommen kann. Man fragt sich, wie man auch nur eine Sekunde ernsthaft glauben kann, dass so etwas durchgeht, dass es nicht heraus­kommt. Claudia Roth hat sich den Besuch bei der Oscar-Verlei­hung in Los Angeles von Netflix bezahlen lassen! Sie hat eine Einladung des Streaming-Giganten ange­nommen, eine Einladung, deren Wert auf Nachfrage beim Büro der Staats­mi­nis­terin 2250 Euro wert ist.

Erst nach­träg­lich, so meldeten SZ und FAZ, wollte Claudia Roth die Einladung, dann doch nicht annehmen. Wie die »Süddeut­sche Zeitung« am Donnerstag meldete, hat die Kultur­staats­mi­nis­terin nach­träg­lich das Ticket aus eigener Tasche bezahlt. Dass Netflix, der Auftrag­geber der Produk­tion, der ameri­ka­ni­schen Film­aka­demie als Ausrichter der Oscars die Summe für die Karte über­wiesen hatte, war der Grünen-Poli­ti­kerin laut ihrem Sprecher nicht bewusst, und sie habe »diese Kosten umgehend an Netflix erstattet, aus ihren privaten Mitteln«.

Im »Spiegel« heißt es dazu weiter, Roth habe diese Einladung zuvor »gerne ange­nommen, um das Filmteam bei dieser Preis­ver­lei­hung zu unter­s­tützen und ihm seine Aner­ken­nung im Namen der Bundes­re­gie­rung vor Ort auszu­spre­chen«.
Nun hatte sie das alles schon zuvor tun können beim tradi­tio­nellen Empfang der deutschen Oscar-Anwärter in der Villa Aurora. Dort habe sie, auch das meldet ihr Minis­te­rium, »einen auch inter­na­tional viel beach­teten Vorschlag zur Reform des Förder­sys­tems vorgelegt«, und in Los Angeles politisch für den Film­standort, den deutschen Film und die nomi­nierten Filme, darunter auch die in Deutsch­land geför­derten Filme Tár und Triangle of Sadness, geworben.

An Letzteres erinnern sich Anwesende anders. In den letzten Tagen wurde mir von Teil­neh­mern des Empfangs nicht ohne Empörung erzählt, Roth habe die beiden anderen Filme mit keinem Wort erwähnt. Diese Filme wurden zwar von nicht­deut­schen Regis­seuren, aber mit deutschem Geld produ­ziert, und sind deswegen nach den Kriterien der deutschen Film­för­de­rung auch deutsche Filme.

Die Kosten der gesamten Reise belaufen sich übrigens auf exakt 34.783,24 Euro, wie das Büro von Roth schrieb. Zur Erläu­te­rung heißt es weiter: »Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth hat während ihrer Reise in Los Angeles eine Vielzahl von (Veran­stal­tungs-) Terminen zur Film­för­de­rung, Film­wirt­schaft, Exil- und Erin­ne­rungs­kultur wahr­ge­nommen. Von Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen ist sie nicht begleitet worden. Sie hat einen Lini­en­flug genutzt. Ebenso die drei sie beglei­tenden Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter.«

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Man fragt sich schon, wer denn da eigent­lich berät beim BKM. Ob überhaupt jemand berät? Und wenn man Claudia Roth wirklich geraten hat, diese Netflix-Einladung anzu­nehmen – waren es dann Leute, die einfach nur naiv und dumm waren? Oder Leute, die ihr übel wollten? Viel­leicht kann wenigs­tens Frau Roth diese Frage beant­worten.

An anderer Stelle hat der Spiegel über Roth geschrieben, sie lasse »Kultur­po­litik wirken wie eine Farce«.

Trotzdem haben außer dem Hamburger Magazin fast nur die ganz Großen, SZ und FAZ berichtet. Warum eigent­lich nicht? Finden wir es normal, dass sich Minister von Privat­un­ter­neh­mern einladen lassen, die in ihren engen Tätig­keits­be­reich fallen, über die sie also unab­hängig urteilen müssen, und für oder gegen die sie Politik machen sollen? Oder gibt es Partei­lich­keit für die Grünen? Hätte man einer CDU-Minis­terin so eine Instinkt­lo­sig­keit auch einfach durch­gehen lassen?

Die Sache ist hoch­gradig peinlich. Schon weil Netflix und die Remarque-Verfil­mung aber auch nichts mit deutscher Film­po­litik zu tun haben. Es ist schon ok, dass Roth dahin­fliegt. Aber sie hätte sich nicht im Erfolg des Netflix-Films sonnen dürfen. Die zurück­ge­nom­mene Vorteils­an­nahme ist dann nur noch peinlich. Sie lässt den Verdacht falscher Nähe im Raum stehen.

Das passt schlecht, denn 2022 hat Netflix aus dem steu­er­fi­nan­zierten Topf für Seri­en­för­de­rung (GMPF) aus Roths Behörde allein 8,3 Millionen Förder-Euro erhalten, 2021 sogar doppelt so viel. Peanuts für den Streamer, aber Stupid German Money für die Film­för­de­rung.
Claudia Roth muss es in Zukunft erreichen – das ist ihr poli­ti­scher Auftrag –, Netflix und andere Streamer in die Film­för­de­rung einzahlen zu lassen. In ihrem welt­be­we­genden Papier heißt es zum Thema: »Wir wollen die Einfüh­rung einer Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tung prüfen, die zum Beispiel Strea­ming­platt­formen dazu verpflichtet, einen bestimmten Teil ihres Umsatzes mit audio­vi­su­ellen Inhalten in Deutsch­land wieder hier­zu­lande zu reinves­tieren«.

Nach dem Oscar-Trip prüft es sich nicht leichter.

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Seit der Berlinale reden manche, vor allem Produ­zen­ten­ver­bände, nur noch über die Skizze, die Claudia Roth zuerst in der »Süddeut­schen Zeitung« und dann später auf ihrer Homepage veröf­fent­licht hat. Acht Punkte stehen da drin, sechs handeln wirklich von Film, und seit etwa zwei Monaten rätselt die Branche darüber, wer die wohl geschrieben hat. Claudia Roth selber? Wohl kaum. Ihre Refe­renten? Schon eher, wobei dann die Frage ist, welcher von den vielen? Einige von denen, die seit 20 Jahren das Kanz­leramt nicht verlassen haben und dort irgendwo im Schrank über­nachten, oder die eher neuen?

Es gibt allein fünf Produ­zenten, die zuletzt bei irgend­wel­chen Gele­gen­heiten erzählt haben, sie hätten mitge­schrieben. Es sind die üblichen Verdäch­tigen unter den Appa­rat­schiks der Branche, alles Männer, alles Produ­zenten, oder ehemalige. Einige aus den Vors­tänden der Produ­zen­ten­ver­bände.

Die waren auch die ersten, die Minuten nach der Veröf­fent­li­chung des Roth-Papiers trom­pe­teten: »Die deutsche Film­branche begrüßt die Film­för­der­initia­tive von Claudia Roth« und deren wegwei­sende Impulse. Wie tief kann man sinken? Wie unsym­pa­thisch agieren?
Denn erstens: Eigenlob stinkt. Wenn Vorstände und Funk­ti­onäre der drei Produ­zenten-Verbände schon gern an den Stamm­ti­schen des deutschen Kinos damit hausieren gehen, sie hätten »mitge­schrieben«, muss man seine Ergüsse dann noch »wegwei­send« nennen?
Zweitens: »Die deutsche Film­branche« ist eine glatte Lüge. Denn die besteht aus weit mehr als den drei Produ­zen­ten­ver­bänden, die die Meldung unter­zeichnet haben. Solches Getröte offenbart nur die Denke an einigen Produ­zen­ten­schreib­ti­schen: Wir entscheiden!
Drittens ist es nicht sehr nett, dass man dazu auch noch die arme Film­aka­demie miss­braucht hat, die genug Probleme hat, und nun zu Recht dafür getadelt wird, dass sie sich zum Sprecher der Branche aufschwingt und von den Produ­zenten gegen die über­wie­gende Mehrheit der Branche in Stellung bringen und damit miss­brau­chen lässt. Denn diese Mehrheit begrüßt Roths Vorschläge keines­wegs so unisono.

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»Nach 19 erfolg­rei­chen Jahren verlässt Christine Tröstrum zum Sommer 2023 ihre Position als Projekt­lei­terin bei Berlinale Talents«. Diese Meldung ließ bereits aufhor­chen. Christine Tröstrum war wichtig für die Berlinale, ist beliebt, und sie war die zweite Frau, die die Berlinale jetzt verlässt.
Die erste, jeden­falls ein bisschen, ist Barbara Wurm, die als Forums­lei­terin natürlich irgendwie Teil der Berlinale bleibt, aber doch das Auswahl­gre­mium verlässt.
Die dritte ist Mariette Rissen­beek. Dass sie ihren Vertrag nicht verlän­gert, hat nicht voll­kommen über­rascht, erst recht nicht nach der dies­jäh­rigen Berlinale. Aber es ist eine Zäsur. Es stellt noch einmal alles auf den Prüfstand: Was soll die Berlinale sein? Was will sie sein? Was kann sie sein?
Und natürlich personell: Kann Carlo Chatrian weiter­ma­chen? Allein traut ihm das keiner zu. Aber die Struktur der Doppel­spitze ist unaus­ge­goren und muss überdacht werden. Die Berlinale braucht ein einziges Gesicht. Sie braucht die Fähigkeit, zu begeis­tern und mitzu­reißen. Und zwar durch Substanz, nicht durch hohle Worte.

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Das ist alles nur der Beginn eines großen Stüh­lerü­ckens im deutschen Film. Gerade wurde auch bekannt, dass Claas Danielsen, der Chef der Mittel­deut­schen Film­för­de­rung, seine Position zum Jahres­ende verlässt. Und schon fragt man sich nicht nur, wer sein Nach­folger wird, sondern wohin er selber geht? Außer der Position Rissen­beeks bei der Berlinale ist auch die Position des Leiters des Hamburger Filmfests bald frei, und schon ausge­schrieben. Und neben der mittel­deut­schen werden zwei weitere Förder­po­si­tionen in naher Zukunft frei: Bei der Film­stif­tung NRW wird Petra Müller ihren Posten verlassen und kaum jemand erwartet, dass Kirsten Niehuus als Leiterin des Medi­en­boards Berlin-Bran­den­burg ihren Vertrag, der im kommenden Jahr ausläuft, dann mit 65 Jahren und nach 20 Jahren im Amt dann noch einmal verlän­gern wird.

Neue Posten braucht das Land. Vor allem aber neue Posi­tionen, also inhalt­liche Posi­tionen. Woher könnte das kommen, im Einerlei des nicht sehr schmack­haften Eintopfs namens deutscher Film?

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Wenig Hoffnung hat Lars Henrik Gass, der nicht nur Leiter der Ober­hau­sener Kurz­film­tage ist, sondern auch ein inspi­rie­render Autor. Neben den vielen Inte­grierten im deutschen Film ist er ein Außen­seiter, und zwar ein apoka­lyp­ti­scher Außen­seiter. Eine Position, die ihn vieles klarer sehen und benennen lässt, aber auch zur Kassandra macht, deren Texte Wunden aufreißen und keine Illusion möglicher Alter­na­tiven erlauben. Gerade dass er an guter Laune und schlechten Witzen nicht inter­es­siert ist, macht seine Texte lesens­wert. Sein neuester erschienen bei »Konkret«.

Präzise benennt Gass das Falsche und Dumme, vor allem aber kontra­pro­duk­tive Einver­s­tändnis der vielen, die sich im Film tummeln.
Er erklärt am Geld, also den Produk­ti­ons­mit­teln, warum deutscher Film und der Ort Kino in seiner bishe­rigen Form eine Auslauf­in­dus­trie wie die Braun­kohle ist, und ein ökono­mi­scher »Sanie­rungs­fall«. Da helfen übrigens auch die Vorschläge Claudia Roths kein bisschen. In denen ist im Marke­ting­deutsch, das längst auch die Grünen verin­ner­licht haben, von »Effizienz«, »Inno­va­tion« »Ganz­heit­lich­keit«, »Nach­hal­tig­keit« und anderem PR-Schmonzes [sic!] die Rede und der Umwand­lung der Film­för­der­an­stalt in eine »Film­agentur«. Die »Bundes­agentur für Arbeit« hat es vorge­macht.

Gegenüber diesem neoli­be­ralen »Dritten Weg« (Gerhard Schröder) steht dann eine Produ­zen­ten­land­schaft, die zwar den Begriff »Staats­kino« als Provo­ka­tion ablehnt, aber genau das prak­ti­ziert und auf Dauer gestellt wünscht: »Planungs­si­cher­heit« und »Entwick­lungs­för­de­rung« und das neue PC-Sprech aus »Diver­sität«, »Green Producing«, »Gender­ge­rech­tig­keit« und anderen Glücks­wör­tern, das ein kultur­fernes Kriterium ans nächste reiht, in Wahrheit aber nur Ornament ist, um das schlechte Gewissen der Kaufleute zu unter­drü­cken.
Kunst dagegen will man nicht sein, schon den Begriff meiden die Papiere der Produ­zen­ten­ver­bände wie der Teufel das Weih­wasser. Schlechte Sozi­al­de­mo­kratie trifft auf Work-Life-Balance – das Ergebnis ist bleiernes Mittelmaß.

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Lars Henrik Gass: »Film­för­de­rung ist hier­zu­lande faktisch eine Subven­tion von 'Medi­en­schaf­fenden', die nach wirt­schaft­li­chen und künst­le­ri­schen Kriterien nirgendwo irgendwie konkur­renz­fähig sind und unentwegt von 'Filmkunst' und 'Kino­kultur' schwa­dro­nieren müssen, um den ideo­lo­gi­schen Kern des Unter­fan­gens zu verschleiern. Mitmachen ist alles. Um gute, bessere, heraus­ra­gende Filme geht es nicht. Dafür hätte man auch keinen Maßstab.
...
Im Sinne des Gemein­wohls [wären] die konse­quente, gemessen am Status quo radikale Unter­schei­dung der Ziel­vor­stel­lungen statt deren gegen­wär­tiger Vermi­schung und auch voll­kommen unter­schied­liche Erfolgs­kri­te­rien: hier eine bedingte Subven­tion der Film­wirt­schaft durch ein Umla­ge­system von Abgaben, dort eine bedin­gungs­lose Förderung von künst­le­ri­schen Posi­tionen auf Grundlage von Steu­er­mit­teln; hier ein reales Risiko auf dem Markt, auf dem sich durch­setzt, was wirklich wirt­schaft­lich ist, dort eine Inves­ti­tion gegen den Markt, die sich allein an künst­le­ri­schen Kriterien messen lassen muss.«

Genau das wird seit Jahren von den Lobby­isten politisch verhin­dert. »Die Verluste werden verge­sell­schaftet.« Wie bei der Lufthansa.

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Aber die Berlinale hat sowieso nur dann eine Zukunft, wenn der deutsche Film eine Zukunft hat. Und daran, jeden­falls an einer Zukunft des deutschen Films auf Welt­ni­veau muss man mit Recht zweifeln. »In keiner der vielen Erklärungen ist von einer Zukunft des Kinos auch nur die Rede. Jeder weiß, dass es mit dem Kino vorbei ist.« (Gass).

Einen inter­es­santen Gedanken äußerte neulich eine Produ­zentin im Gespräch: »Ich möchte Gewer­be­parks für den deutschen Film, ich möchte eine Fabrik für den deutschen Film, finan­ziert mit Subven­tionen. Wer sagt denn, dass das deutsche Kino nicht gefördert werden soll? Es muss mehr gefördert werden!«
Der Gedanke ist voll­kommen richtig: Denn Wirt­schaft und Subven­tion, Wirt­schaft und Förderung sind keines­wegs ein Gegensatz, sondern sie bedingen einander. In Deutsch­land wird unglaub­lich viel gefördert, alleine im Verkehr: Flug­benzin wird subven­tio­niert, die Bahn wird subven­tio­niert, die Auto­in­dus­trie und Auto­bahnen werden subven­tio­niert, Fahr­rad­wege werden subven­tio­niert – also nahezu jede Art des Verkehrs und der Fort­be­we­gung außer dem Zu-Fuß-Gehen. VW wird subven­tio­niert und Lufthansa wird subven­tio­niert. Windräder und Sonnen­en­ergie, Wasser­stoff und manchmal auch noch Kohle. Und so weiter...
Warum also soll es nicht auch Geld für deutsche Filme geben? Genau genommen gibt es viel zu wenig Geld für deutsche Filme, deswegen sehen sie so aus, wie sie aussehen und sind so, wie sie sind. Wir brauchen also viel mehr Geld für deutsche Filme, wenn das deutsche Kino nicht ebenso unter­gehen soll, wie einst die Titanic. Es müsste aber Geld für Kinokunst sein. Für le cinéma. In Deutsch­land ist das nur leider nicht zu machen. Es ist zum Verzwei­feln!

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»Zukunft deutscher Film« heißt der Kongress, der in der kommenden Woche im Rahmen des Lichter-Filmfests in Frankfurt statt­findet und kontra­fak­tisch an einer solchen Zukunft arbeitet. Es kann hier allen, die das lesen, nur empfohlen werden zu kommen. Es lohnt sich. Es lohnt sich wegen der Veran­stal­tung, aber noch mehr vor allem wegen der Begeg­nungen, die man dort auch zwischen den Veran­stal­tungen haben kann, und die einem wenigs­tens in der Verzweif­lung Trost spenden können. Ansonsten bleibt noch der Äppelwoi.

Hier steht das Programm. Es wird Über­ra­schungen vor Ort geben. Mein Lieb­lings­pro­gramm­punkt ist viel­leicht das Gespräch über neue Erzähl­formen, in dem The Ordi­na­ries-Regis­seurin Sophie Linnen­baum auf Dominik Graf trifft und beide dann auf Moritz Baßler, jenen Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler, der 2022 das Buch »Populärer Realismus« veröf­fent­licht hat, dessen auf die Literatur gemünzte Thesen vom »Midcult« und Inter­na­tional Style sich prima auf den Film über­tragen lassen.

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»Liege­stuhl­taug­liche Texte« bemerkt Baßler in der Gegen­warts­li­te­ratur in jeder Ecke, einen global anschluss­fähigen »Inter­na­tional Style«, der die Bildungs­bürger aller Länder vereinigt (Inter­na­tional Style, das ist der mittlere Realismus einer nie welt­erschüt­ternden Prosa im Verbund mit routi­nierten Plots, und entschieden-gedämpften Stil­willen, der nie die leichte Lesbar­keit gefährdet): »Midcult« nennt er mit Umberto Eco diese Erbau­ungs­li­te­ratur für die besseren Kreise, sprich: für Kuratoren, Kenner, Konsu­menten dessen, was jeweils gerade angesagt und hip ist, ein gutes Gesprächs­thema und Distink­ti­ons­merkmal im Party­plausch, aber sonst nicht weiter provo­kativ oder gar störend.

Was aber wäre jener Midcult eigent­lich im (deutschen) Kino? Christian Petzolds Filme viel­leicht, die auf wahn­sinnig saubere, puri­ta­nisch aufgeräumte Weise zugleich unan­greifbar sind und unendlich lang­weilig und tiefere Bedeutung eher behaupten, als tatsäch­lich schaffen? Oder das Werk von Fatih Akin, das mit »wichtigen« Themen und Migra­ti­ons­hin­ter­grund für gute Stimmung und ange­messen aufge­wühlte Gefühle sorgt, und seine gele­gent­liche innere Leere und mitunter leeren Behaup­tungen mit kenne­ri­scher Musik­aus­wahl und rhyth­mi­scher Montage über­dröhnt? Oder gar Sophie Linnen­baums The Ordi­na­ries, der letztes Jahr den »Förder­preis Deutscher Film« gewann und gerade noch im Kino läuft?
In ihrer Master­ar­beit an der Filmuni Potsdam fragte Linnen­baum kess: »Wer hat Angst vorm Happy End?« und versteckt in ihrer Frage den Vorwurf ans Arthaus-Kino, dadurch pädago­gisch wertvoll zu sein, dass es miese­pe­trig daher­kommt, anstatt lieber einfach Spaß zu machen, oder wie es im preußi­schen Mili­tär­deutsch lautet, seinen »Unter­hal­tungs­auf­trag« auszu­führen.
Aber macht es Linnen­baum sich viel­leicht einfach zu leicht? Will sie am Ende lieber selbst im Liege­stuhl dösen, als Kunst zu machen?
Was also könnte im Kino die Filter­blasen zum Platzen bringen?

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Eine weitere Beson­der­heit: In diesem Jahr gibt es aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des IfS der »Frank­furter Schule« eine Koope­ra­tion. Theorie trifft auf Film, da werden hoffent­lich ein paar Funken fliegen.
Dazu bei Gele­gen­heit mehr.

(to be continued)

Anmerkung:
Gleich zweimal darf ich zu diesem Text erfreu­li­cher­weise etwas offen­legen: Ich gehöre zu der Handvoll Leuten, die den oben erwähnten Frank­furter Kongress mitku­ra­tieren und meine Freundin ist als Produ­zentin von Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen für den Deutschen Filmpreis nominiert. Das trübt mein Urteil nicht, es schärft es nur.