Die Oscarnacht belegt: Der Autorenfilm kehrt zurück,
Hollywood wird politisch - zumindest auf Zeit.
An die vergangene Oscarnacht wird man sich lange erinnern.
Denn gleich mehrfach verstand es die sonst allzu oft arg Mainstream-lastige
und konventionelle amerikanische Filmakademie in diesem Jahr
die Filmszene zu überraschen. Schon die Nominierungen
waren unerwartet: Einige Blockbuster gingen völlig leer
aus (STAR WARS: EPISODE III), andere, von denen man fürchtete,
sie würden die diesjährige Veranstaltung dominieren,
wie Peter Jacksons KING KONG-Remake oder Spielbergs WAR OF
THE WORLDS wurden für die Macher enttäuschend nur
in technischen Nebenkategorien nominiert - einmal mehr zeigte
sich Hollywood hier auch als gnadenloser Apparat, der bei
Filmen, denen es allein ums Kasse-machen geht, auch nur kommerziellen
Erfolg mit Nominierungen belohnt.
So bringt die Krise der Massenware - die Budgets geraten
außer Kontrolle, die Konsumgewohnheiten ändern
sich -, die derzeit überall zu erkennen ist, künstlerischem
und unabhängigem Kino überraschende Chancen. In
der Krise, die mit künstlerischer Einfallslosigkeit ebensoviel
zu tun hat wie damit, dass der "amerikanische Traum",
den Hollywood seit jeher mit missionarischem Eifer propagiert,
unter dem Regime von George W. Bush allen Glanz eingebüßt
hat, besinnt sich Hollywood auf seine Ursprünge: Fast
möchte man bei Blick auf die diesjährigen Nominierten
von einer Rückkehr des Autorenfilms sprechen. Bis auf
Spielberg - und der bekam für MUNICH nichts - sind sie
alle unabhängige Köpfe, deren Filme für vergleichsweise
wenig Geld gegen die großen Studios oder an ihnen vorbei
produziert wurden. Alles sind politisch bedeutende Filme,
die ernsthafte Fragen an die politischen Verhältnisse
in den USA, aber auch an den Weltentwurf des Westens insgesamt
stellen. Keiner dieser Filme ist dabei plumper Agitprop. Vielmehr
bringen sie ihre Botschaften indirekt ans Publikum, und opfern
ihnen nicht Stilbewußtsein und cineastische Haltung.
Dafür steht auch der überfällige Ehrenoscar
an Robert Altmann, den linksliberalen Außenseiter des
US-Kinos. Wunderbar, seine Lebensbilanz am Oscarabend: "Für
mich ist Filme machen so, wie alle seine Freunde an den Strand
einzuladen, um gemeinsam eine Sandburg zu bauen. Und sie bauen
und bauen, und man selber lehnt sich zurück, und man
sieht die Welle kommen, die die Sandburg mit nimmt. Nichts
bleibt übrig. Aber sie bleibt im Kopf - ich liebe das.
Ich liebe Filme machen."
Bemerkenswert ist auch, dass die konventionelleren unter
den Nominierten, vergleichsweise wenig Preise bekamen, dass
die Academy in diesem Jahr klare Aussagen gegenüber wohlfeilen
kleinen Fluchten bevorzugte. Dies zeigt vor allem das angesichts
der Vorschlußlorbeeren enttäuschende Ergebnis für
BROKEBACK MOUNTAIN und WALK THE LINE (RAY - with white people,
wie der Moderator spottete). Überraschende Sieger sind
Paul Haggis komplexes Sozialdrama CRASH, das in Deutschland
leider unter Wert gelaufen ist, und der Politthriller SYRIANA
- beiden Filmen hatte man nur Außenseiterchancen gegeben.
Man darf also konstatieren: Hollywood wird wieder politisch,
gesellschaftskritisch, fordert sein Publikum mehr als zuletzt.
Auch filmhistorische Reminiszenzen während der Verleihung
feierten durchweg das engagierte Kino: Filme wie NETWORK und
TO KILL A MOCKINGBIRD, die "gute Amerikaner", wie
sie Henry Fonda, Spencer Tracy, James Stewart oft verkörperten.
Das ist ein gutes Zeichen. Ob diese Tendenz von Dauer ist,
muss sich allerdings erst zeigen. Schon gibt es Gegenwind:
Konservative unken, Hollywood entferne sich von den normalen
Menschen - worauf Clooney erwiderte: "We are a bit out
of touch in Hollywood", und an die Schwarzenverfolgung
der 50er, 60er Jahre erinnerte. Noch ist unklar, ob der schwere
Tanker Hollywood seinen Kurs ändert, stärker auf
Vielfalt, auf kleinere, billigere, riskantere Filme setzt,
an denen dann auch nicht gleich die Existenz eines ganzen
Studios hängt, oder ob 2006 nur die Independents einmalig
von der Schwäche der Großen profitierten. Die Entscheidung
hierzu fällt an der Kinokasse, auch der deutschen.
Rüdiger Suchsland
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