Reise nach Eurasien |
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Elegie in der Wüste: Once Upon a Time in Anatolia |
Von Dunja Bialas
Diese Stadt platzt aus allen Nähten. Sie ist die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei, eine Megalopole, ein sich ohne Pause verändernder Koloss: Istanbul. Kaum eine Stadt hat sich im letzten Jahrhundert so gewandelt wie Istanbul, und dies nicht nur aufgrund der hohen Einwanderungszahlen. Menschen aus dem asiatischen Teil der Türkei, aus Anatolien, kamen in die Stadt, in der sich das Leben hauptsächlich auf der europäischen Seite, am Goldenen Horn, abspielt. Die Menschen aus Anatolien brachten ihre ländlichen Gewohnheiten mit in die pulisierende Großstadt, die sich gleichzeitig wie sehr europäisch gebärdet. Ländlich gekleidete Frauen in Strickjacken und Schlappen sieht man hier neben gestylten Mädels in Miniröcken, auf dem schwindelerregend großen Platz von Taksim, Künstler, Studenten und Islamgetreue bevölkern die Stadt, die an jeder Ecke Überraschung und Lebendigkeit ist. Veränderung wird in Istanbul groß geschrieben, überall wird gebaut, abgerissen, neu gebaut. Die Bausubstanz ist schlecht, keiner rechnet damit wie hier, dass alles bleibt, wie es ist.
Ein so schneller Wandel, der vielleicht höchstens mit dem Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts vergleichbar ist, muss dokumentiert werden. Ara Güler heißt der Fotograf, der Istanbul über fünf Jahrzehnte lang fotografiert hat und als Chronist seines Landes gilt. Bei den Türkischen Filmtagen, die am kommenden Freitag beginnen, ist ein Dokumentarfilm zu sehen, der die Geschichte der derzeit interessantesten Stadt Europas im Schnelldurchlauf anhand seiner Fotografien noch einmal gegenwärtig werden lässt. (So., 18.03., 16:00 Uhr, dazu gibt es eine Fotoausstellung mit Bildern von Ara Güler in der Ikona Art Galerie, Asamstr. 1, bis 20. Mai 2012)
Istanbul entdecken, das sollten alle, die es bislang noch nicht getan haben – bevor es zu spät ist, denn der Wandel wird immer mehr auch das vertreiben, was die Stadt so faszinierend macht. 10 vor 11 (11'e 10 kala) heißt der bereits als Klassiker geltende Spielfilm von 2009 über ein altes Istanbuler Mietshaus, das abgerissen werden soll, um einem modernen Appartementblock Platz zu machen. Einer seiner Bewohner ist der alte Mithat Bey, der eine leidenschaftliche Zeitungs- und Uhrensammlung unterhält. Seine Suche nach immer neuen Fundstücken führt ihn (und den Zuschauer) in die abgelegensten Ecken des alten Istanbuls. (Di., 20.03, und Fr. 23.03., jeweils 20:30 Uhr)
Viele und immer mehr kommen nach Istanbul, viele verlassen auch die hektische Stadt. Irgendwie aber kommen sie dennoch nicht von ihr los. Do Not Forget Me Istanbul heißt der Episodenfilm, in dem sich sechs verschiedene Regisseure an die Zeit erinnern, als sie in Istanbul gelebt haben. (So., 18.03., 20:30 Uhr, und Sa., 24.03., 18:00 Uhr)
Auch wenn Istanbul derzeit alle Blicke auf sich zieht: der überwiegende Teil der Türkei liegt auf der asiatischen Seite in Anatolien. Die Türkischen Filmtage halten eine Reise in die abgelegenste Region der Türkei bereit, in ein kleines Dorf an der iranischen Grenze, wo Schnecken und Schlangen das Leben der einstmalige Schmuggler-Gemeinschaft bestimmen. (Die Schlange, Sa., 17.03., 20:30 Uhr, und Di., 20.03, 18:00 Uhr)
In dem episch angelegten Roadmovie Once Upon a Time in Anatolia geht es quer durch die Provinz, entlang der Fragen von Schuld und Sühne, Bildung und Moderne, Stadt und Land. Ein großangelegter Film von 150 Minuten, in dem man abtauchen kann in ein echtes Meisterwerk des europäischen Autorenkinos. (Mi., 21.03., 19:00 Uhr, und Sa., 24.03., 20:30 Uhr)