15.03.2012

Reise nach Eurasien

Once upon a time in Anatolia
Elegie in der Wüste:
Once Upon a Time in Anatolia

Istanbul und Anatolien bei den 23. Türkischen Filmtagen

Von Dunja Bialas

Diese Stadt platzt aus allen Nähten. Sie ist die bevöl­ke­rungs­reichste Stadt der Türkei, eine Mega­lo­pole, ein sich ohne Pause verän­dernder Koloss: Istanbul. Kaum eine Stadt hat sich im letzten Jahr­hun­dert so gewandelt wie Istanbul, und dies nicht nur aufgrund der hohen Einwan­de­rungs­zahlen. Menschen aus dem asia­ti­schen Teil der Türkei, aus Anatolien, kamen in die Stadt, in der sich das Leben haupt­säch­lich auf der europäi­schen Seite, am Goldenen Horn, abspielt. Die Menschen aus Anatolien brachten ihre länd­li­chen Gewohn­heiten mit in die puli­sie­rende Großstadt, die sich gleich­zeitig wie sehr europäisch gebärdet. Ländlich geklei­dete Frauen in Strick­ja­cken und Schlappen sieht man hier neben gestylten Mädels in Minirö­cken, auf dem schwin­del­erre­gend großen Platz von Taksim, Künstler, Studenten und Islam­ge­treue bevölkern die Stadt, die an jeder Ecke Über­ra­schung und Leben­dig­keit ist. Verän­de­rung wird in Istanbul groß geschrieben, überall wird gebaut, abge­rissen, neu gebaut. Die Bausub­stanz ist schlecht, keiner rechnet damit wie hier, dass alles bleibt, wie es ist.

Ein so schneller Wandel, der viel­leicht höchstens mit dem Paris des ausge­henden 19. Jahr­hun­derts vergleichbar ist, muss doku­men­tiert werden. Ara Güler heißt der Fotograf, der Istanbul über fünf Jahr­zehnte lang foto­gra­fiert hat und als Chronist seines Landes gilt. Bei den Türki­schen Filmtagen, die am kommenden Freitag beginnen, ist ein Doku­men­tar­film zu sehen, der die Geschichte der derzeit inter­es­san­testen Stadt Europas im Schnell­durch­lauf anhand seiner Foto­gra­fien noch einmal gegen­wärtig werden lässt. (So., 18.03., 16:00 Uhr, dazu gibt es eine Foto­aus­stel­lung mit Bildern von Ara Güler in der Ikona Art Galerie, Asamstr. 1, bis 20. Mai 2012)

Istanbul entdecken, das sollten alle, die es bislang noch nicht getan haben – bevor es zu spät ist, denn der Wandel wird immer mehr auch das vertreiben, was die Stadt so faszi­nie­rend macht. 10 vor 11 (11'e 10 kala) heißt der bereits als Klassiker geltende Spielfilm von 2009 über ein altes Istan­buler Mietshaus, das abge­rissen werden soll, um einem modernen Appar­te­ment­block Platz zu machen. Einer seiner Bewohner ist der alte Mithat Bey, der eine leiden­schaft­liche Zeitungs- und Uhren­samm­lung unterhält. Seine Suche nach immer neuen Fund­s­tü­cken führt ihn (und den Zuschauer) in die abge­le­gensten Ecken des alten Istanbuls. (Di., 20.03, und Fr. 23.03., jeweils 20:30 Uhr)

Viele und immer mehr kommen nach Istanbul, viele verlassen auch die hektische Stadt. Irgendwie aber kommen sie dennoch nicht von ihr los. Do Not Forget Me Istanbul heißt der Episo­den­film, in dem sich sechs verschie­dene Regis­seure an die Zeit erinnern, als sie in Istanbul gelebt haben. (So., 18.03., 20:30 Uhr, und Sa., 24.03., 18:00 Uhr)

Auch wenn Istanbul derzeit alle Blicke auf sich zieht: der über­wie­gende Teil der Türkei liegt auf der asia­ti­schen Seite in Anatolien. Die Türki­schen Filmtage halten eine Reise in die abge­le­genste Region der Türkei bereit, in ein kleines Dorf an der irani­schen Grenze, wo Schnecken und Schlangen das Leben der einst­ma­lige Schmuggler-Gemein­schaft bestimmen. (Die Schlange, Sa., 17.03., 20:30 Uhr, und Di., 20.03, 18:00 Uhr)

In dem episch ange­legten Roadmovie Once Upon a Time in Anatolia geht es quer durch die Provinz, entlang der Fragen von Schuld und Sühne, Bildung und Moderne, Stadt und Land. Ein großan­ge­legter Film von 150 Minuten, in dem man abtauchen kann in ein echtes Meis­ter­werk des europäi­schen Auto­ren­kinos. (Mi., 21.03., 19:00 Uhr, und Sa., 24.03., 20:30 Uhr)