Nostalgie in Anatolien |
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In die Vergangenheit horchen: Future Lasts Forever |
Von Dunja Bialas
In Istanbul stirbt gerade das Kino, wieder einmal. Auch wenn in den 80er Jahren der Videorekorder einer lebendigen Kinokunst den Garaus bereitet hat, galt Istanbul immer noch als Stadt des Kinos. Sogar der neue Bond spielt in der Filmstadt, wenn auch die Dreharbeiten zu Skyfall eher Unmut erregten, als dass man sich über den Aufmerksamkeitsfaktor freuen konnte: Die Istanbuler mussten als Zaungäste der amerikanischen Produktion weichen und durften nur noch »Kulisse« sein. Kommerz statt Kultur, das ist die schmerzliche Erfahrung derzeit, die die Türken in ihrer Heimat erleben. So müssen in Pera, dem Istanbuler Viertel, einst Zentrum der türkischen Filmproduktion, das alteingesessene Kino Emek und zig Wohnungen einem luxuriösen Einkaufstempel weichen. Ein unwiederbringbarer Abschied nicht nur von einer pulsierenden Stadt, sondern auch von einem goldenen Kinojahrhundert.
Dabei ist die türkische Kinoproduktion schon seit Jahren mehr als beachtenswert. Neben großen Produktionen, die auch in Deutschland die türkischen Zuschauer in die Kinosäle bringen, erlebt der türkische Arthousefilm gerade einen Boom. Auf Filmfestivals laufen Reihen zum jungen türkischen Kino, die der »Istanbuler Schule« entstammen. Ein wenig ähnlich zu unserer Berliner Schule wirft man den Filme zwar bisweilen eine elegische Langsamkeit vor, in atemberaubenden Bildern aber erzählen sie von den Veränderungen in der sich erneuernden Türkei.
Die Türkischen Filmtage in München, so steht es im Vorwort zur 24. Ausgabe, sehen in diesen Filmen »Auswege« transportiert, die das Neue mit dem Alten versöhnen und Verschwinden und Verunsicherungen aufzeigen. Höchst kunstvoll gelingt dies in Nar – Der Granatapfel von Ümit Ünal. Kammerspielartig wird hier die Frage nach den Möglichkeiten und Rechtfertigungen von Selbstjustiz nachgegangen, die immer neue Fragen nach sich zieht: Was ist die Wahrheit? Wie entsteht Gerechtigkeit? (Mo., 04.03., 20:30 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig, in Anwesenheit des Regisseurs. Wiederholung am Sa., 09.03., 18:00 Uhr)
Um die verdrängte Geschichte einer kurdischen Familie geht es in Babamin Sesi – Die Stimme meines Vaters von Orhan Eskiköy und Zeynel Dogan. In dem Film, der letztes Jahr in Rotterdam im Tiger Award Wettbewerb lief, findet Mehmet eine Kassettenaufnahme seines verstorbenes Vaters, die von einer schwierigen Vergangenheit zeugt. Ein poetisches Nachdenken über Identität und Familie, und ein Zeugnis über die Veränderungen in einem abgelegenen Landstrich, der mit seiner Vergangenheit ringt. (Di., 05.03., 18:00 Uhr, in Anwesenheit von Zeynel Dogan)
Schon mal etwas von einer Sprache namens Zazaki gehört? Sicherlich nicht. Wussten Sie überhaupt, dass in der Türkei viele Sprachen neben dem Türkischen existieren? Genau achtzehn von ihnen sterben gerade aus, und über das Verschwinden der Sprache Zazaki geht es in der Dokufiktion Ana Dilim Nerede – Where is My Mother Tongue. Der 71-jährige Mustafa will das Versäumnis nachholen, seinen Kindern nicht seine Muttersprache beigebracht zu haben und erstellt ein Zazaki-Wörterbuch, sein echter Sohn Veli Kahraman, auch Regisseur des Films, filmt den Prozess. (Fr., 08.03., 20:30 Uhr)
Um das Entdecken des Vergessenen geht es in Gelecek Uzun Sürer – Future Lasts Forever des gefeierten Istanbuler-Schule-Regisseur Özcan Apler. Eine Musikethnologin recherchiert im Südosten der Türkei über das anatolische Liedgut und gerät dabei auf die Spuren des »namenlosen Kriegs« zwischen den Kurden und Türken. Als sie ein kurdisches Klagelied hört, erinnert sie sich an eine alte Liebe und tritt eine Reise in ihre persönliche Vergangenheit und die einer Region an: Das Schicksal der Menschen und Landschaften verbinden sich in dem Film zu einer schmerzvollen Einheit. (Sa., 09.03, 20:30 Uhr, in Anwesenheit von Özcan Alper)
24. Türkische Filmtage München / Türk Film Günleri Münich. 02.-10. März 2013, Gasteig, München. Alle Vorführungen im Vortragssaal der Bibiothek.