28.02.2013

Nostalgie in Anatolien

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
In die Vergangenheit horchen: Future Lasts Forever

Über Zazaki, Hörkassetten und dem Verschwinden von Kulturen – Die 24. Türkischen Filmtage holen anspruchsvolle Filmkunst nach München

Von Dunja Bialas

In Istanbul stirbt gerade das Kino, wieder einmal. Auch wenn in den 80er Jahren der Video­re­korder einer leben­digen Kinokunst den Garaus bereitet hat, galt Istanbul immer noch als Stadt des Kinos. Sogar der neue Bond spielt in der Filmstadt, wenn auch die Dreh­ar­beiten zu Skyfall eher Unmut erregten, als dass man sich über den Aufmerk­sam­keits­faktor freuen konnte: Die Istan­buler mussten als Zaungäste der ameri­ka­ni­schen Produk­tion weichen und durften nur noch »Kulisse« sein. Kommerz statt Kultur, das ist die schmerz­liche Erfahrung derzeit, die die Türken in ihrer Heimat erleben. So müssen in Pera, dem Istan­buler Viertel, einst Zentrum der türki­schen Film­pro­duk­tion, das altein­ge­ses­sene Kino Emek und zig Wohnungen einem luxu­riösen Einkaufs­tempel weichen. Ein unwie­der­bring­barer Abschied nicht nur von einer pulsie­renden Stadt, sondern auch von einem goldenen Kino­jahr­hun­dert.

Dabei ist die türkische Kino­pro­duk­tion schon seit Jahren mehr als beach­tens­wert. Neben großen Produk­tionen, die auch in Deutsch­land die türki­schen Zuschauer in die Kinosäle bringen, erlebt der türkische Arthouse­film gerade einen Boom. Auf Film­fes­ti­vals laufen Reihen zum jungen türki­schen Kino, die der »Istan­buler Schule« entstammen. Ein wenig ähnlich zu unserer Berliner Schule wirft man den Filme zwar bisweilen eine elegische Lang­sam­keit vor, in atem­be­rau­benden Bildern aber erzählen sie von den Verän­de­rungen in der sich erneu­ernden Türkei.

Die Türki­schen Filmtage in München, so steht es im Vorwort zur 24. Ausgabe, sehen in diesen Filmen »Auswege« trans­por­tiert, die das Neue mit dem Alten versöhnen und Verschwinden und Verun­si­che­rungen aufzeigen. Höchst kunstvoll gelingt dies in Nar – Der Granat­apfel von Ümit Ünal. Kammer­spiel­artig wird hier die Frage nach den Möglich­keiten und Recht­fer­ti­gungen von Selbst­justiz nach­ge­gangen, die immer neue Fragen nach sich zieht: Was ist die Wahrheit? Wie entsteht Gerech­tig­keit? (Mo., 04.03., 20:30 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig, in Anwe­sen­heit des Regis­seurs. Wieder­ho­lung am Sa., 09.03., 18:00 Uhr)

Um die verdrängte Geschichte einer kurdi­schen Familie geht es in Babamin Sesi – Die Stimme meines Vaters von Orhan Eskiköy und Zeynel Dogan. In dem Film, der letztes Jahr in Rotterdam im Tiger Award Wett­be­werb lief, findet Mehmet eine Kasset­ten­auf­nahme seines verstor­benes Vaters, die von einer schwie­rigen Vergan­gen­heit zeugt. Ein poeti­sches Nach­denken über Identität und Familie, und ein Zeugnis über die Verän­de­rungen in einem abge­le­genen Land­strich, der mit seiner Vergan­gen­heit ringt. (Di., 05.03., 18:00 Uhr, in Anwe­sen­heit von Zeynel Dogan)

Schon mal etwas von einer Sprache namens Zazaki gehört? Sicher­lich nicht. Wussten Sie überhaupt, dass in der Türkei viele Sprachen neben dem Türki­schen exis­tieren? Genau achtzehn von ihnen sterben gerade aus, und über das Verschwinden der Sprache Zazaki geht es in der Doku­fik­tion Ana Dilim Nerede – Where is My Mother Tongue. Der 71-jährige Mustafa will das Versäumnis nachholen, seinen Kindern nicht seine Mutter­sprache beige­bracht zu haben und erstellt ein Zazaki-Wörter­buch, sein echter Sohn Veli Kahraman, auch Regisseur des Films, filmt den Prozess. (Fr., 08.03., 20:30 Uhr)

Um das Entdecken des Verges­senen geht es in Gelecek Uzun Sürer – Future Lasts Forever des gefei­erten Istan­buler-Schule-Regisseur Özcan Apler. Eine Musi­ket­h­no­login recher­chiert im Südosten der Türkei über das anato­li­sche Liedgut und gerät dabei auf die Spuren des »namen­losen Kriegs« zwischen den Kurden und Türken. Als sie ein kurdi­sches Klagelied hört, erinnert sie sich an eine alte Liebe und tritt eine Reise in ihre persön­liche Vergan­gen­heit und die einer Region an: Das Schicksal der Menschen und Land­schaften verbinden sich in dem Film zu einer schmerz­vollen Einheit. (Sa., 09.03, 20:30 Uhr, in Anwe­sen­heit von Özcan Alper)

24. Türkische Filmtage München / Türk Film Günleri Münich. 02.-10. März 2013, Gasteig, München. Alle Vorfüh­rungen im Vortrags­saal der Bibiothek.