Dogum günün kutlu olsun, SinemaTürk! |
||
Scheiternde Lebensträume: Araf – Somewhere in Between |
Von Natascha Gerold
Damals, als alles anfing, waren Untertitel ein seltenes Gut. Deshalb haben sie, um etwaige Sprachhürden zu überwinden, die Dialoge selbst übersetzt und über Kopfhörer via Synchronanlage eingesprochen. Wenn das keine wahre Leidenschaft fürs Kino ist!
Die Tage der Homemade-Synchronisation sind längst vorbei, die Leidenschaft ist geblieben. Auch 25 Jahre, nachdem türkische und deutsche Münchner den Verein SinemaTürk Filmzentrum e.V. gegründet und ebenfalls 1989 die ersten
Türkischen Filmtage ins Leben gerufen haben.
Ihr 25. Jubiläum feiern die Türkischen Filmtage in Zeiten, wie sie für viele Menschen in der Türkei schwieriger nicht sein können: Eine Regierungspartei und ihr Ministerpräsident, die mit immer schwerwiegenderen Korruptionsvorwürfen konfrontiert werden. Grund- und Persönlichkeitsrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, die, zwecks Machterhalts, qua Gesetz hastig und massiv ausgehöhlt werden. Ein Vorabend der Kommunalwahlen am 30. März, der geprägt ist von »der
Herrschaft der Gerüchte und [des Fehlens] (…) neutraler, unabhängiger Instanzen«, wie in einem Onlineartikel der »Zeit« vom 7. März zu lesen war. Doch nicht nur das: Die Wut, die sich landesweit im vergangen Frühjahr während der Gezi-Proteste und der Besetzung des Istanbuler Taksin-Platzes entlud, treibt die Bürger überall nach wie vor auf die Straße. Erst recht, nachdem ein Jugendlicher, der während der Demonstrationen 2013 schwer verletzt wurde, seinen Verletzungen
erlag.
Gentrifizierung und profitorientierte Planung von Lebensraum sind Aspekte, die die Proteste von Anfang an begleitet haben – und natürlich auch Thema der diesjährigen Türkischen Filmtage in München sind: Der Titel des Dokumentarfilms Ekümenopolis – Stadt ohne Grenzen von Imre Azem ist eine Referenz an den griechischen Stadtplaner Constantinos Doxiadis. Dieser
umschrieb mit dem Begriff »Ecomenopolis« die Annahme, dass Metropolen dieser Welt immer weiter und schließlich zu einem weltumspannenden Gewebe zusammenwachsen könnten. Azem choreografiert in seinem Film einen Kassandra-Chor an Architekten und Stadtplanern, die vor den Folgen der aktuellen Wohnraum-, Verkehrs- und Stadtplanung der 15-Millionen-Metropole Istanbul mehr als eindringlich warnen. Der Blick auf die Gegenwart ist umso schmerzhafter, blickt man gleichzeitig auf das
zurück, was einmal als Zukunft gedacht war. Istanbul Hayali – A Dream of Istanbul von Perihan Bayraktar portraitiert Istanbuls Stadtplaner-Pionier Aron Angel, der unter anderem als Mitglied im Team von Henri Prost in den ersten Jahren der türkischen Republik wirkte, die Stadt als riesiges Freilichtmuseum betrachtete und bis zu seinem Tod 2010 vehement gegen den rücksichtslosen
Kapitalismus der Institutionen protestierte.
Not und Perspektivlosigkeit, die die Menschen ab dem 19. Jahrhundert zur Landflucht bewog, macht Großstädter heute zu modernen Nomaden – Was Ekümenopolis erläutert, wird in Spielfilmen wie Zerre – The Particle und Yozgat Blues von Mahmut Fazil Coskun lebendig, bekommt Gesichter. Als Pendant in die entgegengesetzte Richtung kann das Sozialdrama Sürü – Die Herde aus dem Jahr 1978 gesehen werden, in dem die archaische Hirtenkultur den jungen Nomaden Sivan mit seiner Frau nach Ankara treibt, wo sie sich ein freieres Leben erhoffen. »Im Gefängnis schrieb der türkische Filmemacher Yilmaz Güney (Yol) das Drehbuch zu diesem von Zeki Ökten inszenierten Film. Die harsche Sozialkritik an der brutalen Unterdrückung der Frau und der unausrottbaren Tradition der Blutfehden ließ den Film zu einem Renner in unseren Programmkinos werden, während er in der Türkei auf wenig Gegenliebe stieß«, hieß es einst in der Fernsehprogramm-Ankündigung des »Spiegel«. Anlässlich des Todes des großen Darstellers Tuncel Kurtiz im vergangenen Jahr ist dieser Klassiker noch einmal in München zu sehen.
Ob beabsichtigt oder nicht – in auffallend vielen Filmen der diesjährigen Reihe sind komplexe Frauencharaktere, genre- und generationenübergreifend, die Hauptfiguren. Im Eröffnungsfilm Araf – Somewhere in Between von Yesim Ustaoglu verheddert sich Zehra folgenschwer im Durcheinander der ersten großen Liebe, die noch minderjährige Kriegerin Jin flieht im gleichnamigen Spielfilm von Reha Erdem aus der Kampfzone im Osten der Türkei in Hoffnung auf ein Leben in Frieden. Das Sozialdrama Zerre – The Particle erzählt von der krisenerprobte Mutter, die die letzten Drecksjobs annimmt und alles tut, um ihr Kind zu schützen, während sich zwei Schwestern in
dem Psychothriller Kusursuzlar – Die Makellosen von Ramin Matin ihrer Vergangenheit stellen müssen. Und in dem herzerwärmenden Familienmovie Pandora'nin Kutusu – Pandora’s Box von Yesim Ustaoglu überwiegt die Hoffnung, wenn die an Alzheimer erkrankte Nusret mit ihrem Enkel eine
heilvolle Allianz gegen den Konformismus der Generation zwischen ihnen beiden schmiedet.
In Tagen, an denen das Chaos regiert, braucht es wohl diesen Mut zur Poesie.
25. Türkische Filmtage München / Türk Film Günleri Münich von 21. bis 30. März 2014 im Gasteig, München.
Eine Veranstaltung der Filmstadt München e.V.