20.03.2014

Dogum günün kutlu olsun, Sine­maTürk!

Araf - Somewhere in Between
Scheiternde Lebensträume:
Araf – Somewhere in Between

Planerische Katastrophen, Heldinnen aller Altersklassen und kontrovers diskutierte Filme der Vergangenheit –
Von 21. bis 30. März feiern die Türkischen Filmtage in München ihr 25. Jubiläum

Von Natascha Gerold

Damals, als alles anfing, waren Unter­titel ein seltenes Gut. Deshalb haben sie, um etwaige Sprach­hürden zu über­winden, die Dialoge selbst übersetzt und über Kopfhörer via Synchron­an­lage einge­spro­chen. Wenn das keine wahre Leiden­schaft fürs Kino ist!
Die Tage der Homemade-Synchro­ni­sa­tion sind längst vorbei, die Leiden­schaft ist geblieben. Auch 25 Jahre, nachdem türkische und deutsche Münchner den Verein Sine­maTürk Film­zen­trum e.V. gegründet und ebenfalls 1989 die ersten Türki­schen Filmtage ins Leben gerufen haben.

Ihr 25. Jubiläum feiern die Türki­schen Filmtage in Zeiten, wie sie für viele Menschen in der Türkei schwie­riger nicht sein können: Eine Regie­rungs­partei und ihr Minis­ter­prä­si­dent, die mit immer schwer­wie­gen­deren Korrup­ti­ons­vor­würfen konfron­tiert werden. Grund- und Persön­lich­keits­rechte wie Meinungs- und Pres­se­frei­heit, die, zwecks Macht­erhalts, qua Gesetz hastig und massiv ausgehöhlt werden. Ein Vorabend der Kommu­nal­wahlen am 30. März, der geprägt ist von »der Herr­schaft der Gerüchte und [des Fehlens] (…) neutraler, unab­hän­giger Instanzen«, wie in einem Onli­ne­ar­tikel der »Zeit« vom 7. März zu lesen war. Doch nicht nur das: Die Wut, die sich landes­weit im vergangen Frühjahr während der Gezi-Proteste und der Besetzung des Istan­buler Taksin-Platzes entlud, treibt die Bürger überall nach wie vor auf die Straße. Erst recht, nachdem ein Jugend­li­cher, der während der Demons­tra­tionen 2013 schwer verletzt wurde, seinen Verlet­zungen erlag.
Gentri­fi­zie­rung und profit­ori­en­tierte Planung von Lebens­raum sind Aspekte, die die Proteste von Anfang an begleitet haben – und natürlich auch Thema der dies­jäh­rigen Türki­schen Filmtage in München sind: Der Titel des Doku­men­tar­films Ekümeno­polis – Stadt ohne Grenzen von Imre Azem ist eine Referenz an den grie­chi­schen Stadt­planer Constan­tinos Doxiadis. Dieser umschrieb mit dem Begriff »Ecomeno­polis« die Annahme, dass Metro­polen dieser Welt immer weiter und schließ­lich zu einem welt­um­span­nenden Gewebe zusam­men­wachsen könnten. Azem choreo­gra­fiert in seinem Film einen Kassandra-Chor an Archi­tekten und Stadt­pla­nern, die vor den Folgen der aktuellen Wohnraum-, Verkehrs- und Stadt­pla­nung der 15-Millionen-Metropole Istanbul mehr als eindring­lich warnen. Der Blick auf die Gegenwart ist umso schmerz­hafter, blickt man gleich­zeitig auf das zurück, was einmal als Zukunft gedacht war. Istanbul Hayali – A Dream of Istanbul von Perihan Bayraktar portrai­tiert Istanbuls Stadt­planer-Pionier Aron Angel, der unter anderem als Mitglied im Team von Henri Prost in den ersten Jahren der türki­schen Republik wirkte, die Stadt als riesiges Frei­licht­mu­seum betrach­tete und bis zu seinem Tod 2010 vehement gegen den rück­sichts­losen Kapi­ta­lismus der Insti­tu­tionen protes­tierte.

Not und Perspek­tiv­lo­sig­keit, die die Menschen ab dem 19. Jahr­hun­dert zur Land­flucht bewog, macht Großs­tädter heute zu modernen Nomaden – Was Ekümeno­polis erläutert, wird in Spiel­filmen wie Zerre – The Particle und Yozgat Blues von Mahmut Fazil Coskun lebendig, bekommt Gesichter. Als Pendant in die entge­gen­ge­setzte Richtung kann das Sozi­al­drama Sürü – Die Herde aus dem Jahr 1978 gesehen werden, in dem die archai­sche Hirten­kultur den jungen Nomaden Sivan mit seiner Frau nach Ankara treibt, wo sie sich ein freieres Leben erhoffen. »Im Gefängnis schrieb der türkische Filme­ma­cher Yilmaz Güney (Yol) das Drehbuch zu diesem von Zeki Ökten insze­nierten Film. Die harsche Sozi­al­kritik an der brutalen Unter­drü­ckung der Frau und der unaus­rott­baren Tradition der Blut­fehden ließ den Film zu einem Renner in unseren Programm­kinos werden, während er in der Türkei auf wenig Gegen­liebe stieß«, hieß es einst in der Fern­seh­pro­gramm-Ankün­di­gung des »Spiegel«. Anläss­lich des Todes des großen Darstel­lers Tuncel Kurtiz im vergan­genen Jahr ist dieser Klassiker noch einmal in München zu sehen.

Ob beab­sich­tigt oder nicht – in auffal­lend vielen Filmen der dies­jäh­rigen Reihe sind komplexe Frau­en­cha­rak­tere, genre- und gene­ra­tio­nen­über­grei­fend, die Haupt­fi­guren. Im Eröff­nungs­film Araf – Somewhere in Between von Yesim Ustaoglu verhed­dert sich Zehra folgen­schwer im Durch­ein­ander der ersten großen Liebe, die noch minder­jäh­rige Kriegerin Jin flieht im gleich­na­migen Spielfilm von Reha Erdem aus der Kampfzone im Osten der Türkei in Hoffnung auf ein Leben in Frieden. Das Sozi­al­drama Zerre – The Particle erzählt von der krisener­probte Mutter, die die letzten Drecks­jobs annimmt und alles tut, um ihr Kind zu schützen, während sich zwei Schwes­tern in dem Psycho­thriller Kusur­suzlar – Die Makel­losen von Ramin Matin ihrer Vergan­gen­heit stellen müssen. Und in dem herz­er­wär­menden Fami­li­en­movie Pandora'nin Kutusu – Pandora’s Box von Yesim Ustaoglu überwiegt die Hoffnung, wenn die an Alzheimer erkrankte Nusret mit ihrem Enkel eine heilvolle Allianz gegen den Konfor­mismus der Gene­ra­tion zwischen ihnen beiden schmiedet.
In Tagen, an denen das Chaos regiert, braucht es wohl diesen Mut zur Poesie.

25. Türkische Filmtage München / Türk Film Günleri Münich von 21. bis 30. März 2014 im Gasteig, München.

Eine Veran­stal­tung der Filmstadt München e.V.