Widerstand und Anpassung |
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Andrzej Wajda: 1926-2016 (Foto by Kubik, 2008.04.22) |
Er war der bedeutendste Filmemacher seiner Generation, der letzte derjenigen, die noch den Zweiten Weltkrieg und den Terror durch die nazideutsche Besatzung mit erwachsenem Bewusstsein erlebt hatten: Der polnische Filmregisseur Andrzej Wajda, der am Sonntag mit über 90 Jahren in Warschau gestorben ist, war im Polen der Gegenwart ein weltlicher Nationalheiliger, weit über Polen hinaus aber war er ein Repräsentant seines Jahrhunderts, gerade auch in seiner so spezifischen, soweit man das beurteilen kann, immer anständigen Mischung aus Widerstand und Anpassung.
Macziek und Andrzej sind Freunde und Kämpfer in der polnischen Heimatarmee. In den Tagen nach der deutschen Niederlage 1945 müssen sie sich wie alle ihre Landsleute neu orientieren: Sind die Sowjets Befreier oder die neuen Unterdrücker? Asche und Diamant, Wajdas dritter Spielfilm, die 1958 entstandene Verfilmung eines Romans von 1947, zeigt in diesem Szenario allegorisch die »fünfte polnische Teilung« Mitte des Jahrhunderts und das Drama der Nation: Bruderkrieg, Verrat, Opportunismus, universale Orientierungslosigkeit und Ohnmacht angesichts der Weltpolitik. Dies war der wichtigste und vielleicht auch beste aller 38 Filme, die Wajda im Lauf seines Lebens gedreht hat. Dazu kamen viele Theaterinszenierungen, vor allem Shakespeare, aber auch mehrfach Dürrenmatt. Vor allem in den Jahren des Kalten Kriegs war Wajda einer der maßgeblichen Repräsentanten Polens und der osteuropäischen Kultur in der Welt: Kein dezidierter Dissident, aber erst recht kein Parteigänger der Regierenden und nie opportunistisch, fand er einen Weg, um sich selbst gegen alle Zumutungen und Vereinnahmungen zu behaupten. Indem er seine Kunst auch kulturpolitisch verstand, und sich weder für Botschaften, noch für konkretes Engagement zu fein war, wurde Wajda mit den Jahren zum wohl bedeutendsten öffentlichen Intellektuellen Polens, und zu einer moralisch-politischen Instanz.
Geschichte und Politik bilden den Roten Faden von Wajdas Kino, vor allem die seines eigenen, 20. Jahrhunderts und seiner polnischen Heimat. Es sind demnach Geschichten von Widerstand und Anpassung.
Damit, was das ganz konkret hieß, hatte der Regisseur früh Erfahrung gemacht: 1926 geboren, wuchs Wajda in bürgerlichen Verhältnissen auf. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater Offizier in der polnischen Armee und eines jener 3000 Opfer des Massakers von Katyn. Wajda kämpfte in der
polnischen Heimatarmee im Untergrund gegen die Nazis. Nach dem Krieg besuchte er zunächst die Kunstakademie in Krakau, doch bald wandte er sich von der Malerei ab und dem Film zu: Bis 1953 studierte er in der Akademie von Lodz, wo er auch den jüngeren Roman Polanski kennenlernte, der in Wajda Erstling, dem autobiographischen Eine Generation (1955) mitspielt. Es folgte Der Kanal (1957) über den Warschauer Aufstand, und eben Asche und Diamant (1958) – zusammen bilden sie eine Trilogie über das Polen des Krieges.
In den Jahrzehnten danach ist Wajdas Werk weniger gradlinig. Fast als wolle er sich absichtlich ungern festlegen lassen, schlägt jeder Film dem Vorgänger gegenüber einen Haken: Gegenwartsportraits wie der flirrend leichte Die unschuldigen Zauberer (1960), der wie ein polnisches Pendant zu Außer Atem
wirkt, das christliche Kinderkreuzzugs-Drama Die Pforten des Paradieses – in dem man einen Kommentar zur reaktionären Mystik Tarkowskis sehen kann –, der glaubenskeptische Pilatus und andere (1972), das Industrie-Epos Das gelobte Land (1973) und politisch Engagiertes wie Der Mann aus Eisen (1981), mit dem Wajda die Goldene Palme von Cannes gewann – seine einzige große internationale Wettbewerbs-Auszeichnung, die wohl auch dadurch zu erklären ist, dass Wajda seinerzeit bereits Mitglied der »Solicarnosc« in diesem Film das Leben im Polen des Ausnahmezustands
beschreibt.
Kurz darauf dann drehte er zweimal große Filme in Frankreich Danton mit Gerard Depardieu, Patrice Chereau und Angela Winkler, und dann Die Dämonen nach Dostojewski mit Isabelle Huppert, Jutta Lampe, Lambert Wilson und Bertrand Blier.
Wajdas Werk wie seine Person stehen für das Auf und Ab der polnischen Geschichte, für ihre Themen – Politisches Pathos, Freiheitskampf, Terror, Verrat –; wie ihre Obsessionen – Katholizismus und Atheismus, Russenhass und Angst vor Deutschland, Nationalismus und Minderwertigkeitsgefühle.
»Ich habe einen Film gemacht, der zeigt, dass das Eingreifen in die Kunst nicht Aufgabe der Regierung ist.« sagte Wajda erst im März bei der Vorstellung seines letzten Films Nachbilder, und positionierte sich damit offen gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau.
Dass umgekehrt die Kunst in die Gesellschaft einzugreifen habe, war die Überzeugung Wajdas, der nach 1989 mehrere Jahre im Parlament saß und Jahrzehnte als Dozent in Lodz und als Kulturfunktionär wirkte. Mit ihm verliert Polen einen Künstler von europäischer Bedeutung.
Literaturhinweis:
»Asche oder Diamant? Polnische Geschichte in den Filmen Andrzej Wajdas« heißt das beste deutsche Buch zu Wajda. Es stammt vom Berliner Filmemacher Robert Thalheim (Netto), ist 2000 im Reijs e.V Verlag erschienen und antiquarisch weiterhin erhältlich.