13.10.2016

Wider­stand und Anpassung

Andrzej Wajda Foto by Kubik, 2008.04.22
Andrzej Wajda: 1926-2016 (Foto by Kubik, 2008.04.22)

Moralisch-politische Instanz: Zum Tod des polnischen Regisseur Andrzej Wajda

Von Rüdiger Suchsland

Er war der bedeu­tendste Filme­ma­cher seiner Gene­ra­tion, der letzte derje­nigen, die noch den Zweiten Weltkrieg und den Terror durch die nazi­deut­sche Besatzung mit erwach­senem Bewusst­sein erlebt hatten: Der polnische Film­re­gis­seur Andrzej Wajda, der am Sonntag mit über 90 Jahren in Warschau gestorben ist, war im Polen der Gegenwart ein welt­li­cher Natio­nal­hei­liger, weit über Polen hinaus aber war er ein Reprä­sen­tant seines Jahr­hun­derts, gerade auch in seiner so spezi­fi­schen, soweit man das beur­teilen kann, immer anstän­digen Mischung aus Wider­stand und Anpassung.

Macziek und Andrzej sind Freunde und Kämpfer in der polni­schen Heimat­armee. In den Tagen nach der deutschen Nieder­lage 1945 müssen sie sich wie alle ihre Lands­leute neu orien­tieren: Sind die Sowjets Befreier oder die neuen Unter­drü­cker? Asche und Diamant, Wajdas dritter Spielfilm, die 1958 entstan­dene Verfil­mung eines Romans von 1947, zeigt in diesem Szenario alle­go­risch die »fünfte polnische Teilung« Mitte des Jahr­hun­derts und das Drama der Nation: Bruder­krieg, Verrat, Oppor­tu­nismus, univer­sale Orien­tie­rungs­lo­sig­keit und Ohnmacht ange­sichts der Welt­po­litik. Dies war der wich­tigste und viel­leicht auch beste aller 38 Filme, die Wajda im Lauf seines Lebens gedreht hat. Dazu kamen viele Thea­ter­in­sze­nie­rungen, vor allem Shake­speare, aber auch mehrfach Dürren­matt. Vor allem in den Jahren des Kalten Kriegs war Wajda einer der maßgeb­li­chen Reprä­sen­tanten Polens und der osteu­ropäi­schen Kultur in der Welt: Kein dezi­dierter Dissident, aber erst recht kein Partei­gänger der Regie­renden und nie oppor­tu­nis­tisch, fand er einen Weg, um sich selbst gegen alle Zumu­tungen und Verein­nah­mungen zu behaupten. Indem er seine Kunst auch kultur­po­li­tisch verstand, und sich weder für Botschaften, noch für konkretes Enga­ge­ment zu fein war, wurde Wajda mit den Jahren zum wohl bedeu­tendsten öffent­li­chen Intel­lek­tu­ellen Polens, und zu einer moralisch-poli­ti­schen Instanz.

Geschichte und Politik bilden den Roten Faden von Wajdas Kino, vor allem die seines eigenen, 20. Jahr­hun­derts und seiner polni­schen Heimat. Es sind demnach Geschichten von Wider­stand und Anpassung.
Damit, was das ganz konkret hieß, hatte der Regisseur früh Erfahrung gemacht: 1926 geboren, wuchs Wajda in bürger­li­chen Verhält­nissen auf. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater Offizier in der polni­schen Armee und eines jener 3000 Opfer des Massakers von Katyn. Wajda kämpfte in der polni­schen Heimat­armee im Unter­grund gegen die Nazis. Nach dem Krieg besuchte er zunächst die Kunst­aka­demie in Krakau, doch bald wandte er sich von der Malerei ab und dem Film zu: Bis 1953 studierte er in der Akademie von Lodz, wo er auch den jüngeren Roman Polanski kennen­lernte, der in Wajda Erstling, dem auto­bio­gra­phi­schen Eine Gene­ra­tion (1955) mitspielt. Es folgte Der Kanal (1957) über den Warschauer Aufstand, und eben Asche und Diamant (1958) – zusammen bilden sie eine Trilogie über das Polen des Krieges.

In den Jahr­zehnten danach ist Wajdas Werk weniger gradlinig. Fast als wolle er sich absicht­lich ungern festlegen lassen, schlägt jeder Film dem Vorgänger gegenüber einen Haken: Gegen­wart­s­por­traits wie der flirrend leichte Die unschul­digen Zauberer (1960), der wie ein polni­sches Pendant zu Außer Atem wirkt, das christ­liche Kinder­kreuz­zugs-Drama Die Pforten des Para­dieses – in dem man einen Kommentar zur reak­ti­onären Mystik Tarkow­skis sehen kann –, der glau­bens­kep­ti­sche Pilatus und andere (1972), das Industrie-Epos Das gelobte Land (1973) und politisch Enga­giertes wie Der Mann aus Eisen (1981), mit dem Wajda die Goldene Palme von Cannes gewann – seine einzige große inter­na­tio­nale Wett­be­werbs-Auszeich­nung, die wohl auch dadurch zu erklären ist, dass Wajda seiner­zeit bereits Mitglied der »Soli­car­nosc« in diesem Film das Leben im Polen des Ausnah­me­zu­stands beschreibt.
Kurz darauf dann drehte er zweimal große Filme in Frank­reich Danton mit Gerard Depardieu, Patrice Chereau und Angela Winkler, und dann Die Dämonen nach Dosto­jewski mit Isabelle Huppert, Jutta Lampe, Lambert Wilson und Bertrand Blier.

Wajdas Werk wie seine Person stehen für das Auf und Ab der polni­schen Geschichte, für ihre Themen – Poli­ti­sches Pathos, Frei­heits­kampf, Terror, Verrat –; wie ihre Obses­sionen – Katho­li­zismus und Atheismus, Russen­hass und Angst vor Deutsch­land, Natio­na­lismus und Minder­wer­tig­keits­ge­fühle.

»Ich habe einen Film gemacht, der zeigt, dass das Eing­reifen in die Kunst nicht Aufgabe der Regierung ist.« sagte Wajda erst im März bei der Vorstel­lung seines letzten Films Nach­bilder, und posi­tio­nierte sich damit offen gegen die natio­nal­kon­ser­va­tive Regierung in Warschau.

Dass umgekehrt die Kunst in die Gesell­schaft einzu­greifen habe, war die Über­zeu­gung Wajdas, der nach 1989 mehrere Jahre im Parlament saß und Jahr­zehnte als Dozent in Lodz und als Kultur­funk­ti­onär wirkte. Mit ihm verliert Polen einen Künstler von europäi­scher Bedeutung.

Lite­ra­tur­hin­weis:
»Asche oder Diamant? Polnische Geschichte in den Filmen Andrzej Wajdas« heißt das beste deutsche Buch zu Wajda. Es stammt vom Berliner Filme­ma­cher Robert Thalheim (Netto), ist 2000 im Reijs e.V Verlag erschienen und anti­qua­risch weiterhin erhält­lich.