Die Hinwendung zur Welt oder: Adorno hat es gut gemeint |
||
So in etwa sollte man sich den Weltschmerz-Verdrängungskonsum vorstellen. Noch Fragen? Dann bitte What Happens In Your Brain If You See a German Word Like… ansehen. |
Von Dunja Bialas
Über den filmische Nachwuchs wird oft gejammert. Mit der Verschulung ihrer Ausbildung hätten sie kaum Gelegenheit, die Welt kennenzulernen. Gerade im Dokumentarfilmbereich wird bisweilen die Weltfremdheit spürbar, wenn keine Zeit mehr für Recherche-Reisen bleibt und Exposés auf der Basis von Google-Earth und Zeitungsarchiven entstehen. Wie also lässt sich von der Welt erzählen, wenn die Ausbildung drängt? Die Dokumentarfilme des 36. Internationalen Festivals der Filmhochschulen, kurz Filmschoolfest Munich, beweisen, wie sich Spannendes direkt vor der Haustür und über die eigene Lebenswelt finden lassen. Leute, es muss nicht immer Südamerika oder Indien sein!
Das Unsichtbare unserer Lebenswelt zu zeigen ist die große Kunst des Filmemachens und sollte ein grundlegender Antrieb sein, Dokumentarfilme zu machen. Davon berichten die Werke, die noch bis Samstag auf dem Festival der Nachwuchsfilmer im Münchner Filmmuseum zu sehen sind. Besonders stark sind die beiden Portraits My Silicone Love und Julian. Beide wenden sich irgendwie verschrobenen Personen zu, die in einer Art Parallelwelt leben, mit recht skurillen Hobbys. Sophie Dros von der Niederländischen Filmakademie in Amsterdam hat den, im realen Leben vermutlich locker mal als »pervers« eingestuften Evedard in England mit ihrer Kamera begleitet, der eine sehr unheimliche und nekrophil anmutende Liebe zu lebensgroßen Puppen pflegt. Damit ist er nicht allein, ein Treffen mit Gleichgesinnten – einem Biker-Treffen nicht unähnlich – zeigt, wie hier Puppen aufgetunt werden, die dann im Speisesaal mit am Tisch sitzen. Mit anderen ist man eigentlich gar nicht so gerne zusammen, am liebsten schweigt man sich mit der Angebeteten an. Das ist erhellend, entlarvend und erzählt stillschweigend von einer fundamentalen Sehnsucht nach dem Bei-sich-Sein in unserer modernen Gesellschaft. Sophie Dros hat darüber hinaus zu einer sehr stilsicheren Filmsprache gefunden und balanciert Distanz und Nähe zu ihrem Protagonisten, den sie als distinguierten und respektablen Menschen zeigt. (Zu sehen am Freitag, 18.11., Programm 7, 14:30 Uhr, Filmmuseum München)
So etwas wie Everards Gegenspieler ist der Exil-Kanadier Julian. Er lebt in Zürich auf einem brachliegenden Zwischennutzungs-Areal in einer Werkstatt lebt, in der er in Handarbeit Cembalos baut. Julian ist ein Überlebenskünstler, ein drahtiger Kerl, der sich einen Dreck um Konventionen und das gesellschaftliche Leben schert, und lebt in völliger Zufriedenheit in der Werkstatt zwischen Sägespäne und Werkzeugbergen. Die Räumung des Areals aber steht bevor, und Julian wird nach Kanada zurückgehen. Julia Furer (Hochschule Luzern) hat ein sehr feinsinniges Portrait geschaffen, das subkutan von der Tragik unserer normierten Lebenswelt erzählt: für Menschen wie Julian, ohnehin schon am Rand der Gesellschaft, ist in unserer modernen Performance-Welt immer weniger Platz. Sie werden sie im Zuge von Gentrifizierung und Optimierung, die Freiräume und die terrains vagues offener Lebensentwürfe nicht duldet, ausgespült. (Freitag, 18.11., Programm 8, 17:00 Uhr, Filmmuseum München)
Was liegt den digital natives näher, als Filme mit und übers Handy zu machen? Zwei Filme zeigen, wie die Technologie unser Leben bestimmt. Der finnische Blessings von Lisa Myllymäki (UAS Metropolia Department of Media) zeigt das ganz normale Leben einer Sechzehnjährigen. Machen wir es kurz: der erste und der letzte Blick gilt dem Handy, der Tag wird getaktet von Whatsup, Snapshot, Selfies & Co. Die zeigt sich als Poesie des Alltags und einem ständigen Kontakthalten mit den Freundinnen. Wie soll man nun eine solch kurzlebige Kommunikation abbilden? Lisa Myllymäki verlegt sich auf Inserts, die im Bild aufpoppen. Irgendwann verliert man die Orientierung, wer jetzt alles am Chat beteiligt ist: Der permanente Beschuss mit ultrakurzen Messages zeigt auch das unreflektierte Vertauen aufs Medium, das sich in einen gruseligen Overkill hineinsteigert.
Von den Jungen müssen die Alten lernen. Und ja, es ist sehr amüsant zuzusehen, wie die digital immigrants, die man sich als Zeitreisende aus der Vergangenheit denken kann, in dem gleichnamigen Film die Bedienung von Computern und Handys erlernen. Der Seniorensektor hat es ja vielleicht gar nicht mehr nötig, das mit den E-Mails und den SMS, mit Blick auf Blessings aber wissen wir: Wenn sie Kontakt zu ihren Enkeln halten wollen, ist es dringend geboten, dass sie sich schlau machen. Dennis Stauffer von der Zürcher Hochschule für Künste schneidet zwischen die Lernstunden der Senioren erhellendes Archivmaterial aus den Anfängen von Computer und, wie die Schweizer sagen, »Nahtel« & Co. (immer wieder toll: Handys in der Größe eines Hundeknochens, Commodore, MS-Dos-Oberfläche und die ersten Apple-Computer), das zeigt, dass die Alten sich gar nicht so anstellen müssen: Die Zukunft hatte schon in ihrer Jugend begonnen. (Donnerstag, 17.11., Programm 6, 22:00 Uhr, Filmmuseum München)
Der Film mit dem längsten Titel des Festivals stammt aus der Kelemen-Klasse der dffb Berlin und zeigt mal wieder, dass es keinen Grund gibt, Experimentalfilm für den schwer konsumierbaren Free-Jazz unter den Filmformen zu halten. Zora Rux' What Happens In Your Brain If You See a German Word Like… wendet sich dem parodierten Begriffsgebäude von Adorno zu, das sie ganz und gar beim Wort nimmt, um daraus ein Ungetüm des zusammengesetzten Substantivs zu visualisieren. Der Film könnte locker als heitere Einführung in die Philosophie durchgehen und ist in mehreren Varianten vorstellbar: als Anschaulichmachen der Abschattungen von Husserl, oder auch sprachkritisch als avantgardistische Speerspitzen gegen Denglisch und Neusprech: Immer wieder gerne! (Freitag, 18.11., Programm 7, 14:30 Uhr, Filmmuseum München)
+ + +
36. Filmschoolfest Munich, 13.-19.11.2016, Filmmuseum München
Mehr Informationen gibt es hier: www.filmschoolfest-munich.de