Auf dem Filmschool-Campus |
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Unbegreifliches Coming of Age: Volume von Mahalia Beo |
Von Dunja Bialas
Es ist immer gut zu wissen, dass man in der Filmstadt München noch Neues entdecken kann. So das Internationale Festival der Filmhochschulen, auf englisch schön kurz und knapp »filmschoolfest«. Das Festival gestaltete sich mir bislang vor allem als Ansammlung aufgedrehter knapp über 20-Jähriger, die das Stadtcafé in München verstopfen und das Filmmuseum für eine Woche belagern, so dass die Cineasten-Mischpoke, also unsereins, sich heimatlos und vertrieben vorkam. Und vor allem wären wir nie auf die Idee gekommen, uns unter das Jungvolk zu mischen. Zu viele Vorurteile, die sich aber allesamt auf konkreten Filmerlebnissen begründen, hatten wir im Laufe der Jahre angesammelt, wodurch sich sogar ein eigene, leicht abfällige Genrebezeichnung kreieren ließ: »Hochschulfilm«. Ein Hochschulfilm war demnach ein Film, der etwas unbholfen, mit jugendlichem Überschwang von einem an sich eher belanglosen Ereignis erzählte, an dem sich am Schluss meist eine Pointe aufdrängte, um die Dramaturgie nach Lehrbuch zu komplettieren, alles das mit der Aufbietung der erstaunlichsten filmischen Mitteln: Kamera top, Sound Design ausgefeilt, Schnitte genau richtig gesetzt. Also: dramaturgischer Holzschnitt in Verbindung mit technischer Feinziselierung, das waren für uns »Hochschulfilme«.
Und jetzt zum ersten Mal der Besuch des »Filmschoolfests«. Ich reihe mich im 1. Stock im Filmmuseum in die Schlange vor der Kasse ein, und lasse das etwas mühselige, aber einleuchtende Ticket-System über mich ergehen. Unten im Saal ist es schon brechend voll. Ich fühle mich irgendwie zwischen Taizé, Erasmus-Campus und – ja, Filmschool. Alles sehr international, aufgeregt summend wie in einem Bienenschwarm. Man hat sofort das Gefühl: hier ist man dabei. Dabei an einem Ereignis, den eigenen Film und den seiner Mitschüler jetzt gleich auf großer Leinwand im internationalen Kontext zu sehen, vielleicht einen Preis zu gewinnen, vielleicht von einem Redakteur »entdeckt« zu werden, vielleicht der Nachwuchs zu sein, der Jahre später Karriere gemacht haben wird, und nicht das anspruchsvolle Regiestudium in die Kiste mit den nostalgischen Erinnerungen gepackt hat. Ich notiere mir: Prozentsatz derer, die nach dem Studium an einer Filmhochschule tatsächlich auch eigene Filme drehen, herausfinden. Im Moment fallen mir nur Warnungen ein, ein Filmstudium zu beginnen, wie sie kürzlich durchs Internet geisterten. Zuletzt: »Bad News«, ein Beitrag von Pepe Danquart, den er auf Dokville 2012, dem Branchentreffen der Dokumentarfilmer hielt. Und bei den Spielfilmern sieht es nicht sehr viel anders aus.
Dann beginnt das erste Wettbewerbsprogramm. Vorher ein Trailer, der variiert wird, eine augenzwinkernde Demonstration mit dem Kuleschow-Effekt. Kuleschow-Effekt, noch nie gehört? Dann haben Sie noch nie eine Filmhochschule von innen gesehen. Hier wird der »Trick«, über narrative Ellipsen und entsprechender Montage Zusammenhänge zu erzählen, bereits im ersten Studienjahr gelehrt, er gehört zum ABC oder kleinen 1x1 der Beginners.
Gleich nach den ersten Filmen notiere ich mir: Hier stimmt alles! Die Atmosphäre der Filme, ihre Länge, die Geschichten. In keinem Moment wird hier Kurzfilm als das schreckliche Genre ausgekleidet, wie man ihm allzuoft begegnet (bei den kompilierten Kurzfilmprogrammen zum Beispiel, die gerne auf Tournee geschickt werden). Die Filmhochschüler explorieren die Kurzform als eigene Erzähllänge, die von einer Geschichte ausgefüllt wird. Hier stimmt, was der französische Filmkritiker Jean-Pierre Rehm von Filmen verlangt: es solle keine kurzen und keine langen Filme geben, sondern einfach nur Filme!
Dabei zeugen die Filme von einer großen Diversität. Viele sind ästhetisch ausgefeilt, andere wiederum erzählen eine kleine Geschichte mit geringem Technikaufgebot. Allen ist ihnen gemeinsam: Sie haben für ihre Geschichte immer die richtige Tonart gefunden. So reiht sich in den Programmen 1-3, die ich jetzt sehe, Hochkarätiges an Hochkarätiges. Das macht süchtig, zielt doch jeder stimmige Film direkt in das Belohnungszentrum des Gehirns, das einem sagt: mehr und mehr davon!
So beginnt es mit Men on the Earth, einem australischen Film der Schule VCA, wie ich dem – für meine Zwecke unsinnigerweise nach Filmhochschulen sortierten – Katalog entnehme. Der Film ist wie ein Tableau, auf dem Bauarbeiter an einer Straße mit undurchsichtigen Gesten beschäftigt sind. Unverständliche Rituale vollziehen sich, von der Stimmung wie ein irischer Bergarbeiter-Film. Man kann ihn sich gut vorstellen, als eine Szene in einem umfassenden Ganzen, in einer postapokalyptischen Welt zum Beispiel, in dem alles leise geworden ist und sich nur noch eine seltsame Absurdität vollzieht. Überhaupt: Bei vielen Filmen kann man sich drumherum ein größeres Ganzes vorstellen, die das kurze Stück ohne Mühe bei sich eingliedern. Auch das ein Zeichen dafür, dass für das jeweilige Erzählte genau die richtige Länge und der richtige Rhythmus gefunden wurde.
Ein Asia-Kurzfilm, der auch ein Langfilm sein könnte, wie man ihn auf internationalen Festivals zu sehen bekommt, mit der Einschränkung, dass dieser Film weiß, dass er als Kurzfilm genügt (im Gegensatz zu vielen seiner Pendants), ist The Home Gleaners von der BFA, der Pekinger Filmschule. Der Film erzählt eine weitgefasste Version von Charlie Chaplins sozialem Rührstück The Kid: ein Altmaterialsammler lebt vom Brieftaschen-Recycling weggeworfener Diebesstücke, indem er Finderlohn kassiert. Ein Junge findet in einer dieser Brieftaschen das Bild seiner Mutter, gemeinsam machen sie sich auf, diese zu finden und geraten dabei in die Hoffnungslosigkeit einer von sich selbst verlassenen Gesellschaft. »Nicht über das arme China« wollte er erzählen, sagt Siqing Zhang im Anschluss an den Film, »der Film geht über alle Leute, über die Menschlichkeit an sich.« Man kann ihm sofort zustimmen.
Während sich hier in 30 Minuten ein kompletter Spielfilm entfaltete, zeigt die Serbin Jelena Gavirlovic mit Boys Where Are You ein minimalistisches Kleinod. Lena hat beschlossen, sich entjungfern zu lassen, und das wird jetzt gemacht. Der Film atmet soziale Depression aus, der Wille der Jungen, die Dinge anders zu machen, ist unverkennbar.
Dokumentarisch erzählt wird dann im ersten Film des zweiten Programms. Sacrifice ist ein russischer Film, der im muslimischen Grenzland spielt, »vermutlich in einem der Staaten, die mit -istan enden«, amüsiert sich Saalaufseher Alexander, der einzige Russe, der mir greifbar ist, um ihn zu fragen, welche Sprache hier gesprochen wurde. Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan: Vielleicht wäre es wichtig zu wissen, wo genau die Geschichte spielt von dem Mann, der mit seinem Schaf loszieht, um es zu opfern, damit er endlich männlichen Nachwuchs bekommt. Andererseits steht Sacrifice locker ein für alles, was man aus dem kleineren, sorgfältigen Weltkino kennt: eine ethnologische Geschichte, nicht frei von moralischer Belehrung, aber gerade deshalb für das osteuropäische Filmschaffen so typisch und so sympathisch. Filmregisseur Anar Abbasov kommt von der Moskauer VGIK, die große Regisseure wie Iosselani, Mikhalkov oder Sokurov hervorgebracht hat, und es erscheint, als wäre genau dies der richtige Weg: Nicht immer die großen Geschichten mit dem großen Technikaufgebot zu erzählen, sondern einmal auch klein sein, in der genau richtigen Tonlage.
Wie großes Kino geht, zeigen dann noch zwei Filme, die aus dem ohnehin hochkrätigen hervorstechen. Ausgereift! notiere ich mir. Der amerikanische Film Shoot the Moon von der CUSFT Universität in Kalifornien ist direkt dem New-Hollywood-Erbe eine John Cassavetes verpflichtet. Marcy, die seit ihrer Arbeitslogkeit und Scheidung als Mutter und Familienoberhaupt völlig versagt, ist süchtig nach dem TV-Gewinnspiel »Shoot the Moon«, das für sie als letzter Rettungsanker in der drohenden Räumung erscheint. Bei Alexander Gaeta stimmt jedes Detail: die Geschichte ist das soziale Stimmungsbild der 53% Amerikaner, von denen Mitt Romney nichts wissen will, die Ausstattung der Räume, die Dialoge zwischen der passiven Mutter und der verzweifelten Tochter stimmen in jedem Moment. Der Film atmet eine Atmosphäre, die genau das eingeschlossene-klaustrophobische seiner Protagonistin wiedergibt, und findet am Schluss doch noch zu einer stimmungsaufhellenden Note, die aber nicht aufgesetzt wirkt.
Volume, mit dem das 3. Programm beginnt, ist dann die Steigerung von allem bisher Gesehehnen. Unverkennbar dem jungen britischen Kino angehörend, beherrscht der Film von Mahalia Beo von der renommierten NFTS in London das Erzählen im Vordergrund und Hintergrund: In ihrer Geschichte von Sam, der sich in das Nachbarmädchen Georgina verguckt, die eines Tages plötzlich verschwunden ist, stimmt nicht nur jede einzelne, perfide Andeutungen. Beo beherrscht es, den ganzen Schrecken einer in architektonischer Kälte erstarrten Welt zu schildern, mit einer einzigartigen Farbdramaturgie, die die verschiedenen Zeitebenen unaufdringlich ineinander verwebt. Das Highlight in einem insgesamt bestechenden Programm.
Das Filmmuseum war in allen drei Vorstellungen ausverkauft, und eigentlich ist es wirklich schade, dass aufgrund des Platzmangels und der Campus-Atmosphäre Annäherungen an das normale Publikum verbaut werden. Das Filmschoolfest hätte es sich verdient, ein breiteres Publikum zu haben, das Münchener Kinopublikum hätte es sich verdient, diese Filme zu sehen, um lebendiges Filmschaffen zu erfahren (und nicht, wie so oft, bereits in Kommerz oder Arthouse gegossene Erzählroutine). Vielleicht gibt es ja in der Zukunft die Möglichkeit, ein »Best of international filmschools«-Programm durch die Kinos touren zu lassen?
Das Internationale Festival der Filmhochschulen läuft noch bis zum 17.11. im Filmmuseum München