Ernst & Politik |
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Bestimmte den Tenor des Festivals: Two at the Border |
Von Anna Steinbauer
Eigentlich wollten die zwei HFF-Studenten einen Film über Flüchtlinge an der Grenze nach Europa machen. Herausgekommen ist ein berührender Dokumentarfilm über einen Syrer und einen Palästinenser, die zwischen der Türkei und Griechenland illegal Menschen schleusen. Two at the Border heißt der Beitrag von Tuna Kaptan und Felicitas Sonvilla, der das diesjährige Filmfest der Filmhochschulen eröffnete. Die eindrucksvollen Bilder von Grenzzäunen, Patrouillen und Wärmebildern schwanken abwechselnd zwischen Hoffnung und Frustration – ganz wie ihre Protagonisten. Dazwischen das trostlose Hotelzimmer, in dem die beiden Männer oft tagelang warten. Auf den Einbruch der Nacht, auf Nachricht von drüben, auf Veränderung. Ein raffinierter Perspektivenwechsel zeigt die beiden Schleuser, die eigentlich selbst Flüchtlinge sind.
Das Werk der beiden Nachwuchsregisseure bestimmt den Tenor des Festivals: Der filmische Nachwuchs widmet sich zunehmend ernsten und politischen Themen. Krieg, Flucht, Migration und Illegalität spielen in vielen der rund 50 gezeigten Filme eine große Rolle. Das betrifft das Weltgeschehen mit seinen unterschiedlichen Krisenherden wie Israel und Syrien, aber auch die Kämpfe und Probleme im Mikrokosmos Familie. Unter dem eher nichtssagenden Motto »Expect the unexpected« stellten junge internationale Filmemacher von 37 Hochschulen aus 22 Ländern ihre Beiträge vor, die vom 16.-22. November wie jedes Jahr im Münchner Filmmuseum zu sehen waren. Zusammen mit ihren Schöpfern, die von überall her anreisten, um sich nach dem jeweiligen Screening kurz über ihr Werk befragen zu lassen. Ein paar Besonderheiten gab es auch diesmal: ein Filmbeitrag aus Montenegro, das als Land zum ersten Mal seit seiner Unabhängigkeit 2006 auf dem Festival vertreten war. Und die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Stephen King, ein „0ne-Dollar-Baby“ des amerikanischen Horrorautors. Für einen Dollar erwarb Johanna Thalmann die Rechte für die Geschichte, auf der ihr gruseliger Roadmovie Mute basiert.
Grausame Schicksale und die schrecklichen Folgen von Krieg und Ausnahmezustand standen im Vordergrund vieler Filme. Children of God, ein Spielfilm von Ahmed Yassin von der London Film School, zeigt den Alltag des Kriegskrüppelkindes Amir, der während des Irakkrieges seine Beine verloren hat und nun im Rollstuhl sitzt. Der etwas linkische Junge lässt sich trotz seiner Behinderung nicht davon abhalten, um die Aufmerksamkeit von Mariam zu kämpfen, die in seine Klasse geht. Der Film wurde im Irak gedreht und thematisiert sensibel den absurden Kampf um Normalität in einer vom Krieg gezeichneten Gegend. Auch in vier der fünf israelischen Festivalbeiträge dominieren die Themen Krieg und Armee. The Arrest von Yair Agmon spielt mit der Umkehr der Besatzer-Perspektive: Der Film handelt von einem palästinensischen Regisseur, der einen Film dreht, um sein Kriegstrauma zu verarbeiten. In dieser fiktiven Realität tritt die palästinensische Armee als Besatzer auf. In zwei weiteren Filmen aus Israel, Deserted und Poison, geht es bemerkenswerterweise um zwei junge Soldatinnen, die ihre Gewehre verlieren. Beide Werke beleuchten die weibliche Perspektive auf die Armee, in der auch die israelischen Frauen dienen müssen. In Deserted, der auch mit dem Prix Interculturel für Verdienste um den interkulturellen Dialog ausgezeichnet wurde, vergisst die Hauptfigur bei einem Orientierungsmarsch durch die Wüste ihr Gewehr am Rastplatz. Getrieben von dem wahnsinnigen Druck, die Aufgabe in der vorgegebenen Zeit zu erfüllen, nimmt sie die Hilfe eines Beduinen in Anspruch, der auf grausame Weise ihrem Ehrgeiz zum Opfer fällt. Auch in Poisin, der junge Soldatinnen während ihrer Offiziersausbildung zeigt, legt die 18-jährige Chen in einer Schlüsselszene ihre Waffe für einen kurzen Moment aus der Hand, um etwas zu essen. Fatalerweise erwischt sie in dieser Situation ihr Ausbilder – es gehört zu den Grundpflichten, das Gewehr stets bei sich zu tragen. Der Konflikt entpuppt sich in beiden Filmen über eine fehlende Identifikation mit der Waffe, mit der das Land verteidigt und der Feind erschossen werden soll. Die israelische Filmwissenschaftlerin Noa Regev, diesjähriges Jurymitglied des Filmfests, sieht das verlorene Gewehr als Symbol für die Hoffnung der jungen israelischen Filmemacher: »Vielleicht ist das ein Ausdruck dessen, was die junge Generation möchte: Die Waffen ablegen. Ich kann nicht für die Filmemacher sprechen, aber vielleicht spricht daraus auch ein Wunsch. In vielen israelischen Filmen geht es um Krieg. Man muss beachten, dass nicht wenige der jungen Regisseure direkt aus der Armee kommen. Manche sind stark traumatisiert.«
Der Wunsch nach Veränderung treibt auch Pablo, die Hauptfigur aus dem diesjährigen Gewinner-Film Burundanga an, der seine Heimat verlassen will, weil er dort keine Zukunftsperspektive sieht. Der französische Kurzfilm von Anais Ruales spielt in einer südamerikanischen Kleinstadt, in der Verbrechen und Überfälle mithilfe der Droge Burundanga geschehen, die die Leute beim geringsten Kontakt mit dem weißen Pulver gefügig macht. Doch auch familiäre Strukturen, Generationenprobleme und schwierige Paarbeziehungen spielten in vielen Filmbeiträgen wie Sunday Dinner with the Morgans oder Sunny im Fokus. Sunny erzählt von dem jungen arbeitslosen Hajo, der sich mit Vaterrolle und Verantwortung nicht recht arrangieren kann und sein Leben neu strukturieren muss. Der Festivalbeitrag der Filmakademie Baden-Württemberg wurde mit zwei Preisen ausgezeichnet: Regisseurin und Drehbuchautorin Barbara Ott erhielt den Luggi-Waldleitner-Preis für das beste Drehbuch und Kameramann Falko Lachmund den Student Camera Award. Das Filmfest der Filmhochschulen ist für die Nachwuchsregisseure eine gute Gelegenheit, sich zu vernetzen und sich gegenseitig über die doch sehr unterschiedlichen Filme auszutauschen. »Ein Studentenfilm ist so etwas wie eine Visitenkarte.«, sagt Jurymitglied Regev. »Aber es ist auch eine Chance für junge Künstler, sich auszuprobieren und das zu machen, was sie wollen.«