Liebe, Arbeit, Kino |
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Slatan Dodows Arbeitermelodram »Frauenschicksale« (1952) ist Kern der großen Installation »Arbeiter verlassen die Fabrik in elf Jahrzehnten« von Harun Farocki, die jetzt im Haus der Kunst zu sehen ist (Foto: Haus der Kunst) |
Von Dunja Bialas
Arbeit ist das halbe Leben. Oder vielleicht sogar das ganze. Harun Farocki, der vor drei Jahren verstarb, war ein Filmemacher, der sein filmisches Werk ganz dem Thema »Arbeit« widmete, zugleich sein Filmen als Arbeit verstand und sein Leben als Filmen. Die größte Einzelausstellung seit seinem Tod widmet nun die Witwe Farockis und Kuratorin Antje Ehmann diesem Kernstück seines Lebens. Neben einer Vielzahl an Filmen und installativen Arbeiten versammelt sie unter dem Glas großflächiger Vitrinen so auch seine Notizbücher, Skizzen zu Filmen, Polaroids als Probeaufnahmen, Hefte der »Filmkritik«, dessen Herausgeber er zehn Jahre lang bis 1984 war. »Nach seinem Tod wird alles zum Archiv«, erklärt Antje Ehmann im Pressegespräch, »aber selbst wenn die Notizbücher jetzt in Vitrinen liegen, geht es nicht um Musealisierung oder gar Fetischisierung.« Die Hefte seien selbst ein Stück Arbeit. Sie dokumentieren seine Arbeit am Film, erzählen die Entstehungsgeschichte zu seinem Werk und auch, dass nichts einfach so passiert.
Da liegen sie also, die aufgeschlagenen Notizbücher. Sie bringen etwas sehr Persönliches und Präsentisches und zugleich auch wohltuend Gegenständliches in die Ausstellung hinein, der als solche die Tücken der ephemeren Kunst zu schaffen macht. Filme kann man eigentlich nur im Kino ausstellen, in dem man sie vorführt. Das wissen die Filmmuseen, mehr und mehr jedoch wandern Filme auch in den musealen Bereich der bildenden Kunst. Bei Farocki geschah dies bereits zu Lebzeiten, als sich das Kinopublikum von ihm abwandte und er von einem neuen, wieder bereitwillig reflektierenden Publikum neu entdeckt wurde. Die erste Einzelausstellung hatte er 2001, mit dem Filmen hatte er aber fast ein halbes Jahrhundert früher begonnen, sein erster Film entstand 1966, hieß Zwei Wege und war eine vergleichende Bildbeschreibung in drei Minuten.
Das Vergleichen war von Anfang an eine von Farockis Hauptgesten, eine seiner ausgestellten Arbeiten nimmt dies in ihren Titel auf: »Vergleich über ein Drittes«, eine Zwei-Channel-Installation von 2007, aus der zwei Jahre später der Kinofilm Zum Vergleich montiert wurde. Schon vor der Ära der Ausstellungen verglich er Bilder durch Splitscreens, ab da werden auch Installationen aus Zwei- oder Mehr-Bild-Kanälen möglich, nebeneinander oder über Eck projiziert. Der Vergleich bringt Kommunikation der Bilder untereinander hervor, damit wiederum Zusammenhänge und letztlich Erkenntnis beim Betrachter. Diese, und das macht auch die Ausstellung »Counter Music« deutlich, kommt fast ganz ohne das sprachliche Zutun des Filmemachers zustande, der sich als Kommentator zurückhält und allenfalls Kapitelüberschriften oder Bildunterschriften hinzufügt. Seine argumentative Sprache, und da ist er ein Seelenverwandter von Jean-Luc Godard und Peter Weiss, ist die des Films: die Montage, die Juxtaposition, die Assemblage und die sich aus all dem ergebende Bild-Analyse.
Den Auftakt der Ausstellung macht die titelgebende Installation »Gegen-Musik« (2004). Hier versammelt Farocki von ihm sogenannte »operative Bilder« von Überwachungskameras, die von automatischen Augen gesehen und ausgewertet werden und den menschlichen Blick überflüssig machen. Die Straßenszenerien, die wir als Betrachter sehen, sind so auch keine zufällig eingefangenen Szenen mehr, wie sie zum Beispiel der nordirische Künster Seamus Harahan bei seinen Streifzügen durch Belfast einfängt, auch wenn sie diesen immer wieder ähneln. Der Filmende wurde hier, im nordfranzösischen Lille, ganz und gar durch die Apparatur substituiert. Damit kommen Fragen nach Bildentstehung und Rezeption auf: Was braucht es für ein sehendes, für ein filmendes Bewusstsein? Was ist, wenn niemand mehr sieht, aber alle gesehen werden? Neben die Überwachungsbilder ordnet Farocki auch Bilder der Überwachung an: Ansichten von Aufsichtsräumen, in denen Menschen vor den Überwachungsmonitoren sitzen (»Men and Women Who Are Paid to Look at Images«), oder gleich Netze aus elektronischen Linien, die die überwachte Stadt zu einem Nervennetz oder Blutkreislauf abstrahieren (»Metabolism of the City-Body Circulation«). Indem Farocki einzelnen Bildern als Inserts immer wieder Untertitel gibt, ähnlich Bildern einer Ausstellung, entreißt er die Bilder wiederum ihrer gleichgültigen Anonymität und versieht sie mit einem Narrativ. Die operativen Bilder werden in »Gegen-Musik« so zur Stadterzählung, hervorgebracht von einer zugleich post-auktorialen und post-humanen Instanz, einer Apparatur ohne Bewusstsein, was Walter Benjamin das »Optisch-Unbewusste« genannt hat. Referentiell zielt Farocki auf ein Kerncharakteristikum der portraitierten Stadt ab: Lille war die erste Metropole weltweit, die über eine führerlose, also subjektlose U-Bahn verfügte.
Der Treppenbereich, wo das titelgebende Kernstück der Ausstellung angebracht ist, passt als Transit-Raum zur inhaltlichen Charakteristik von »Gegen-Musik«. Trotzdem ist es empfohlen, sich zum Auftakt Zeit für die Arbeit zu nehmen (23 Min.). Denn im oberen Stock fällt die Konzentration auf eine Arbeit ungleich schwerer, was auch Ausstellungskonzept ist, das sich das »Vergleichen« Farockis zu eigen macht. Viele Monitore und Projektionen treten hier miteinander, teils auch gegeneinander an (wegen der nicht ganz austarierten Lautstärken), erzeugen eine Vielbilderei und Vielstimmigkeit, die die Arbeiten in Relation zueinander setzt – aber eben auch den konzentrierten Blick erschwert.
Wer die hier als Ausstellungsstücke präsentierten Filme Farockis im Kino sehen konnte, wird schmerzlich erfahren, wie der Film als denkende Form (nach Godards Formel »une forme qui pense«) kollabiert. Die Argumention der Bilder und Analysen fällt zusammen, wenn der durch die Ausstellung wandernde Besucher random-mäßig in einen Film hinein- und wieder hinausspringt, den Ton über Kopfhörer bekommt, die nur schwerlich die laute Großinstalltion aus fünfzehn Monitoren »Eine Einstellung zur Arbeit« (entstanden in Workshops mit Studenten zwischen 2011-2014) akustisch abdämpfen. Die drei Filmessays Ein Bild (1983, 25 Min.), Nicht ohne Risiko (2004, 50 Min.) und Ein neues Produkt (2012, 27 Min.), Paradigmen zur modernen Arbeitswelt (der Fotograf beim Erstellen eines Centerfolds für den Playboy, die Machenschaften der Risikokapitalgesellschaft, die Marketingstrategien der Wirtschaft), können in der wie Gemälde relativ eng gehängten Präsentation kaum ihre Kraft entfalten. Das Sehen von Farockis Filmen bedeutete immer auch, sich der Strenge und Ruhe seiner Arbeiten auszustetzen, die denkende Langsamkeit von Prozessen mitzuerleben und auch zu erdulden, im doppelten Sinne: Zeit und Geduld mitzubringen.
Am besten »funktioniert« so auch die Aufreihung von zwölf Monitoren in der Installation »Arbeiter verlassen die Fabrik in elf Jahrzehnten«. Beginnend mit den ersten Bewegtbildern der Brüder Lumière von 1895 findet Farocki in jedem filmischen Jahrzehnt sich wiederholende Szenen von Arbeitern, die aus dem Fabriktor kommen oder das Werksgelände verlassen. Darunter sind kurze, zum Loop angeordnete Ausschnitte von Fritz Langs Metropolis (1927), Charlie Chaplins Modern Times (1936), Slatan Dodows Frauenschicksale (1952), ein Kernstück für das Zusammentreffen von Realismus und Romantik im ostdeutschen Kino, Michelangelo Antonionis neo-realistischer Il deserto rosso (1962) mit Monica Vitti und Lars von Triers Arbeitermelodram Dancer in the Dark (2000). Zentral ist hier das markante Jahr 1968, rot hervorgehoben. La reprise du travail aux usines Wonder von Jacques Willemot (hier kann auf Youtube der Film in seiner ganzen Länge gesehen werden) erzählt vom Ende des Arbeitskampfes, auch wenn sich im Hintergrund in einem Autobus noch ein Transparent spiegelt: »la lutte continue«, der Kampf geht weiter. Ab da ist die Fabrik in der Filmgeschichte nicht mehr umkämpftes Gelände, sondern wird zum Setting und damit zur Konnotation geschrumpft – oder Metapher erhoben.
Um dem Filmischen in Farockis Werk dennoch gerecht zu werden, wird die Ausstellung von einer Filmnacht ergänzt. Hier laufen Wie man sieht (1986, 72 Min.) und Jean-Marie Straub und Danièle Huillet bei der Arbeit an Franz Kafkas Romanfragment Amerika (1983, 26 Min.), mit anschließendem Gespräch mit Antje Ehmann und dem Medienwissenschaftler Rembert Hüser. Für Cineasten kann dies nur ein Trostpflaster sein.
Harun Farocki – Counter Music
10. März bis 28. Mai 2017
Haus der Kunst München, Prinzregentenstr. 1, 80538 München
Programm plus: Sa., 22. April 2017, 21 Uhr
Münchner Kammerspiele, Kammer 2
Harun Farocki – Filmnacht zum Thema Arbeit