Monika Grütters ist gefordert |
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Im Visier der Filmkritik und Branche: Die Berlinale unter Dieter Kosslick. Jetzt geht es vor allem darum: Was kommt danach? |
Über 80 deutsche Film-Regisseure sind es. Sie fordern keine Revolution, keinen Putsch, sie machen sich einfach Sorgen um das mit Abstand wichtigste deutsche Filmfestival, eine mit zweistelliger Millionensumme Steuergeld finanzierte Kulturveranstaltung. Und sie wollen gehört werden, beim überfälligen Neuanfang. Denn sie, die fast alle schon mit Filmen auf der Berlinale vertreten waren, die dort Preise gewonnen haben, sie wissen aus eigener Erfahrung, dass die Berlinale dem
deutschen Kino schon seit Jahren nicht mehr nutzt.
Wenn ein Film heute bei der Berlinale läuft, dann bedeutet dies, dass er in Cannes oder Venedig abgelehnt wurde – das deutsche A-Festival sei nicht mehr auf Augenhöhe mit diesen wichtigsten Filmfestivals, stellen die Regisseure nüchtern fest.
Die Internationalen Berliner Filmfestspiele sind in Teilen zu einer vulgären Jahrmarktsveranstaltung verkommen. Geprägt nicht vom Besonderen, von Filmkunst, sondern von
beliebiger Massenware und von einer glitzernden Starparade auf dem roten Teppich, wo zwischen Rudeln deutscher Fernsehstars nur einzelne international bedeutende Schauspieler und Regisseure zu entdecken sind.
Es ist ein aufgeblasenes Programm mit über zehn Sektionen und weiteren Untersektionen, doppelt so groß wie Cannes und Venedig zusammen, ein unüberschaubar gewordener Moloch, in dem sich selbst Fachleute nicht mehr zurechtfinden.
Aber bei einem Filmfestival geht es um nichts so sehr wie um Sichtbarkeit. Darum, wahrgenommen zu werden. Um Klasse statt Masse.
Auch ein selbsternanntes »Publikumsfestival« – welches Festival ist keines? – kann nicht jeden Film zeigen, es muss auswählen, kuratieren. Mit Elitismus und Elfenbeinturm hat das nichts zu tun, sondern mit Dienst am Publikum. Denn wer dient dem Publikum mehr? Der ihm etwas nahe bringt und vermittelt, was nicht von selbst zu konsumieren ist? Oder der es unterschätzt?
Und wo wir gerade beim Dienen sind: Ein Filmfestival hat nicht nur dem Publikum zu dienen, sondern
auch den Filmemachern und den Filmen selbst. Und ihren Vermittlern: Den Verleihern und den Kinos.
Die Berlinale, nicht nur der Wettbewerb, ist heute längst kein Ort der Avantgarde von Morgen mehr. Sie entdeckt nichts mehr – die Neuen Kinowellen des letzten Jahrzehnts kamen aus Rumänien, Korea, der Türkei und Argentinien und betraten sämtlich in Cannes die Bühne des Weltkinos.
Der Anspruch eines solchen Festivals wie der Berlinale – eines der bedeutenden drei zu sein – muss aber genau darin liegen: Eine Handvoll Filme zu präsentieren, die über das Filmjahr
hinweg relevant bleiben, die in den Köpfen und Körpern nachwirken, die nicht schon nach wenigen Tagen vergessen sind.
Dem überfälligen Neuanfang, den die Regisseure fordern, stehen, so sieht es derzeit aus, zwei Leute im Wege. Der eine ist Dieter Kosslick, der Leiter der Berlinale. Er reagiert auf die Kritik der Branche persönlich gekränkt, wiegelt ab, wirft Nebelkerzen. Das wäre eigentlich egal, denn Kosslicks Vertrag läuft in eineinhalb Jahren aus, er ist dann 70, und ein Mann von Gestern.
Aber er will auch der Mann der Zukunft sein, kämpft hinter den Kulissen bissig um eine Vertragsverlängerung und möchte aus dem Hintergrund weiter die Strippen ziehen, als eine Art Präsident, unter dem dann ein künstlerischer Leiter arbeiten soll.
Gewiss wäre eine Trennung der Ämter, wie es sie in Cannes und Venedig schon längst gibt, eine gute Sache. Aber entscheidend ist nicht, ob die Ämter getrennt werden, sondern wie, wer über die jeweilige Besetzung entscheidet, welche
Hierarchien es zwischen den Ämtern gibt und wie unabhängig von der Politik sie sein dürfen.
Kosslick versucht nun, den Wunsch nach einem Neuanfang zu personalisieren. Als ob es um ihn ginge, droht er offen: »Ich oder das Chaos.«
Aber es geht nicht um die Eitelkeit eines alten Kulturfunktionärs, sondern um die Zukunft einer Institution.
So hängt alles an der amtierenden Kulturstaatsministerin. Offensichtlich schlecht informiert, hat sie die Kritik an der Berlinale überrascht.
So ist der Wunsch der Regisseure nach einem klaren Schnitt und Neuanfang auch eine schallende Ohrfeige für eine Kulturpolitik, die die Berlinale bislang systematisch vernachlässigt hat, der offenbar jede Idee dafür fehlt, was sich mit so einem Filmfestival tatsächlich anfangen ließe.
Die Kulturstaatsministerin hat jetzt den »schwarzen Peter« zugespielt bekommen.
Sie behauptet, auf eine Findungskommission verzichten zu können. Kann sie das wirklich? Kann diese filmfremde Ministerin über die wichtigste Filminstitution allein entscheiden?
Auch wenn sie das rechtlich womöglich kann – sie sollte es nicht. Politisch wäre ein Alleingang nicht weise – da sollte ihr auch das Beispiel Chris Dercon und das Desaster an der Volksbühne vor Augen stehen, oder die missglückten Berufungen von Neil McGregor (Humboldt Forum) und Ben Gibson
(DFFB).
Davon abgesehen: Warum darf die Ministerin das eigentlich? Warum gilt das Prinzip der Legitimation durch Verfahren, der Transparenz über Kriterien und Kandidaten, der Information der Öffentlichkeit nicht auch für die Berlinale?
Warum soll, was für Lehrstühle und Intendantenposten selbstverständlich ist, hier nicht gelten?
Ist politisch und moralisch legitim, was rechtlich legal ist?
Hoffen wir einmal, dass Monika Grütters doch wohl nicht wie eine absolutistische Kulturfürstin in Hinterzimmern allein entscheiden möchte.