02.05.2019

Hippes Georgien

Scary Mother
Scary Mother spielt vor einer kafkaesken Kulisse

Das Land zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer ist seit einiger Zeit ein spannendes Filmland. Zum Programm der Georgischen Filmtage in München

Von Hanni Beckmann

Wer hätte das gedacht. Geheimer Dreh- und Angel­punkt der Geor­gi­schen Filmtage ist: Claus Hipp. Der Baby­glä­schen-Unter­nehmer ist, wie kaum einer weiß, unter seinem Geburts­namen Nikolaus Hipp ein aner­kannter bildender Künstler, der in den bewegten 1960er Jahren in München an der Kunst­aka­demie studierte. Heute ist der mitt­ler­weile 80-Jährige ordent­li­cher Professor an der Staat­li­chen Kunst­aka­demie in Tiflis, der Haupt­stadt Georgiens, und seit 2008 gar Hono­rar­konsul für die Geor­gi­sche Botschaft in Deutsch­land.

Diese kuriose Verbun­den­heit Münchens mit Georgien mag einer der Gründe sein, wieso es in München seit 2017 ein weiteres Länder­fes­tival gibt – zumindest hält Claus Hipp am heutigen Donnerstag die Eröff­nungs­rede zu den Geor­gi­schen Filmtagen im Film­mu­seum München. Abgesehen davon, dass die Unter­tei­lung des Weltkinos in die Film­na­tionen irgendwie an die Olym­pi­schen Spiele und den Einmarsch der Nationen erinnert, ist Georgien aber auch ein Filmland, das in den letzten Jahren eine immer stärkere inter­na­tio­nale Präsenz erhielt. Ein wenig hat es sich den Stil der Rumänen abgeguckt und macht Filme mit langen Einstel­lungen, Geschichten der kleinen Leute, zeigt Sozi­al­mi­sere, ist karg-poetisch und meist ohne Kitsch.

Das Programm der Geor­gi­schen Filmtage, das die in München lebende geor­gi­sche Musik­pro­du­zentin Tea Robakidze-Brown zusam­men­ge­stellt hat, zeigt durch seine Auswahl, dass das Filmland Georgien in den 2010er Jahren bedeutsam geworden ist. Da ist zum Beispiel Scary Mother (2017), ein kafka­esker Film von Ana Urushadze. Der Film erzählt von einer Mutter, die ganz in einer Paral­lel­welt als Schrift­stel­lerin aufgeht, in ihrem Verleger einen Seelen­ver­wandten findet und ihre Familie verlässt. Der Fami­li­en­vater zwingt sie mit allen Mitteln zu bleiben, schließ­lich driftet der Film in subtilen Horror ab. Ein Glanz­stück des zeit­genös­si­schen Geor­gi­schen Films, der vor der atem­be­rau­benden Kulisse eines herun­ter­ge­kom­menen riesigen Miets­hauses spielt, das mit dem Rest der Stadt durch eine Art Zugbrücke verbunden ist. (Freitag, 3.5., 17:30 Uhr, Werk­statt­kino)

Eröffnet werden die Geor­gi­schen Filmtage am heutigen Donnerstag mit Namme von Zaza Khalvashi, der 2015 mit seinem rauh-poeti­schen Solomon bekannt wurde. Namme spielt in der Abge­schie­den­heit der Berge. Eine Heil­quelle bildet das Zentrum des Films, ihr Antago­nist ist ein Wasser­kraft­werk, das in der Nähe gebaut wird. Namme, die Tochter der Familie, die die Quelle hütet, wirkt in dem zunehmend entvöl­kerten Dorf wie ein äthe­ri­sches Wesen von einer anderen Welt. In dem wunder­schön anzu­schau­enden (Kamera: Giorgi Shvelidze) und nach innerer Einkehr verlan­genden Film geht es natürlich um die Frage, wie die Tradition – und die Natur – ange­sichts der sich rasant verän­dernden Welt weiter­be­stehen kann.
(Donnerstag, 2.5., 19 Uhr, Film­mu­seum München, in Anwe­sen­heit von Zaza Khalvashi)

Die Welt ist in den Filmen Georgiens eigent­lich immer poetisch, lakonisch, meditativ, karg, aber auch wunder­schön. City of the Sun (2017) von Rati Oneli ist so ein stiller, ins Schöne abdrif­tender Doku­men­tar­film, der auf zahl­rei­chen Festivals lief und viele Preise gewann. Es geht um die Mangan-Minen in Tsch­ia­tura, die heute still­ge­legt sind. Eine Reise in eine apok­lyp­ti­sche Geis­ter­stadt.(Samstag, 4.5., 20 Uhr, Werk­statt­kino, in Anwe­sen­heit von Rati Oneli)

The Confes­sion von Zaza Urushadze dringt ebenfalls tief in die Einsam­keit des Landes ein. Im Zentrum steht ein Priester, der in ein kleines Bergdorf geschickt wird. Dort trifft er auf eine blonde Schönheit, die sein Pries­ter­gelübde auf die Probe stellt. Was sich im Plot reiße­risch anhört, ist auf der Leinwand ein durch und durch berüh­render Film. (Sonntag, 5.5., 17:30 Uhr, Werk­statt­kino)

Den Abschluss macht ein Werk des berühmten Otar Iosse­liani: Die Sing­drossel. Die melan­cho­li­sche Komödie um einen jungen Musiker, der im Orchester von Tiflis auf die Pauke haut und sich ansonsten mehr schlecht denn recht durchs sowje­ti­sche Leben schlägt, entstand 1970 und ist der erst zweite Film des geor­gi­schen Groß­meis­ters. Der Film wurde damals in russi­scher Synchro­ni­sa­tion in den Sowjet­re­pu­bliken aufge­führt, erst später wurde die geor­gi­sche Origi­nal­fas­sung gezeigt. Diese ist jetzt bei den Geor­gi­schen Filmtagen zu sehen, als 35mm-Kopie. (Sonntag, 5.5., 20:00, Werk­statt­kino)

Geor­gi­sche Filmtage
2. bis 5. Mai 2019

Film­mu­seum München (Eröffnung), Werk­statt­kino

Veran­stalter: Tea’s Tea Cup Festival
Mehr Infor­ma­tionen und komplette Program­müber­sicht: teacup­f­ilm­fes­tival.jimdofree.com/