28.11.2019
Kinos in München – Circolo Cento Fiori 2019

Der Frauenversteher

Il sole negli occhi
Il sole negli occhi (1953), Antonio Pietrangelis Regiedebüt

Der Circolo Cento Fiori, Mitglied der Filmstadt München e.V., widmet seine diesjährige Filmreihe dem italienischen Regisseur und Drehbuchautor Antonio Pietrangeli, der 1968 im Alter von 49 Jahren bei einem Badeunfall ums Leben gekommen ist. Pietrangeli wäre am 19. Januar dieses Jahres 100 Jahre alt geworden.

Von Elke Eckert

Die Retro­spek­tive umfasst acht seiner Filme, die zwischen 1953 und 1965 entstanden sind. Bevor Pietran­geli seinen ersten eigenen Film drehte, schloss er ein Medi­zin­stu­dium ab und war einige Jahre als Film­kri­tiker tätig. Später schrieb er Dreh­bücher, unter anderem für Die Erde bebt von Luchino Visconti, und arbeitete als Regie­as­sis­tent. Mittel­punkt seiner Werke sind häufig Frauen, deren Rolle sich in der modernen Nach­kriegs­ge­sell­schaft verän­derte, und die versuchten, neu gewonnene Frei­heiten gegen tradi­tio­nelle Wert­vor­stel­lungen zu vertei­digen. Ihre Wünsche und Sehn­süchte, aber auch ihre Enttäu­schungen in einer immer noch männer­do­mi­nierten Welt stehen im Vorder­grund. Pietran­geli erzählt seine gesell­schafts­kri­ti­schen Geschichten im Stil der „Commedia all’ Italiana“, indem er Komik mit Sarkasmus und Melan­cholie kombi­niert.

Der erste Film der Reihe ist gleich­zeitig Antonio Pietran­gelis Regie­debüt von 1953. In Il sole negli occhi (Sonne in den Augen) kommt eine junge Frau vom Land in die Haupt­stadt. Rund um den antiken Kern Roms wachsen Neubau­sied­lungen in die Höhe. Celestina fällt es schwer, sich in der kalten Gleich­för­mig­keit zurecht­zu­finden. Auf sich allein gestellt und als Dienst­mäd­chen arbeitend, lernt sie einen Mann kennen, der sich als Enttäu­schung entpuppt. Rückhalt findet sie bei anderen Frauen, die sich ihr gegenüber soli­da­risch zeigen. Im Anschluss an die Vorstel­lung führt Ambra Sorren­tino-Becker, die die gezeigten Filme auswählte, das Publikum in das Werk Pietran­gelis ein. (Freitag, 29. November ab 18.30 Uhr)

Der Unter­schied zwischen Stadt und Land kommt auch in Lo scapolo (Der Jung­ge­selle) zum Tragen. Der sehr auf sein Äußeres bedachte Paolo verlässt sein Heimat­dorf, um in der Stadt die Frauen mit seinen Verfüh­rungs­künsten zu beglücken. Die Beziehung zu einer Stewar­dess verläuft im Sand, weil Paolo jemand anderen mehr liebt: sich selbst. Die mit Alberto Sordi in der Titel­rolle glänzend besetzte Komödie von 1956 durch­zieht ein melan­cho­li­scher Grundton. Sordi spielt Paolo als tragi­ko­mi­schen Anti­helden, der sich wegen seiner Ichbe­zo­gen­heit selbst im Weg steht. Nach dem Film findet im Foyer des Film­mu­seums, im ersten Ober­ge­schoss, ein Empfang statt. (Samstag, 30. November ab 18.30 Uhr)

Heiter-melan­cho­lisch lässt sich auch Adua e le compagne (Adua und ihre Gefähr­tinnen) von 1960 an. Weil 1958 Bordelle in Italien für illegal erklärt wurden, wollen sich nach der Schließung eines solchen Etab­lis­se­ments vier Frauen mit einer Trattoria selbst­ständig machen. Doch ihre Euphorie wird schnell durch Korrup­tion und andere uner­freu­liche Neben­er­schei­nungen gebremst. Eine Para­de­rolle für Simone Signoret, die als Adua ihr Leben gemeinsam mit ihren Freun­dinnen endlich selbst in die Hand nehmen will. Insgesamt hervor­ra­gend besetzt, unter anderem auch mit Marcello Mastroi­anni, zeichnet Pietran­geli ein Porträt der italie­ni­schen Gesell­schaft Ende der 1950er-Jahre. (Sonntag, 1. Dezember ab 18.30 Uhr)

In Fantasmi A Roma (Das Spuk­schloss in der Via Veneto) spielt Marcello Mastroi­anni einen jungen Mann, der einen alten Palazzo in Rom erbt. Statt in das morbide Anwesen einzu­ziehen, will er den Nachlass schnell verkaufen. Der altehr­wür­dige Stammsitz des seligen Principe Don Annibale soll nämlich einem Einkaufs­zen­trum weichen. Doch der junge Erbe hat seine Rechung ohne die Schloss­geister gemacht, die alles tun, um den Verkauf zu verhin­dern. Die Komödie mit Fantasy-Elementen von 1961 ist eine ironische Hommage an das alte Rom bezie­hungs­weise an das ursprüng­liche Italien der Vergan­gen­heit, das immer mehr einer modernen Fort­schritt­lich­keit Platz machen muss. Pietran­geli macht damit, wie in einigen seiner Filme, auch auf das wachsende Profit­denken aufmerksam und nimmt es auf die Schippe. Film­kri­tiker Gerhard Midding gibt zu Beginn der Veran­stal­tung eine Einfüh­rung.
(Freitag, 6. Dezember ab 18.30 Uhr)

Gerhard Midding führt auch in die Bezie­hungs­komödie La Visita (Der Ehekan­didat) von 1963 ein. Pina ist Mitte 30 und lebt mit ihren Tieren in einem Haus auf dem Land. Ab und zu hat sie eine Affäre. Über eine Kontakt­an­zeige lernt sie einen Buch­händler aus Rom kennen. Adolfo, so heißt der Ehekan­didat, kommt zu Pina in die Poebene. In Rück­blenden erfährt der Zuschauer mehr über das Leben der beiden, ihre Vorstel­lungen und Träume. Wie Pietran­geli die Begegnung zwischen der unab­hän­gigen, aber einsamen Mitt­dreißi­gerin und dem unbe­hol­fenen Kauz schildert, ist fein beob­achtet. In einer Neben­rolle ist Mario Adorf zu sehen. (Samstag, 7. Dezember ab 18.30 Uhr)

Eine selbst­be­wusste Frau­en­figur, die sich nicht von über­holten Moral­vor­stel­lungen vorschreiben lassen will, wie sie zu leben und zu lieben hat, ist auch La Parmi­giana (Das Mädchen aus Parma). Auf der Suche nach dem richtigen und vor allem eben­bür­tigen Mann, gerät diese Dora an einen Pries­ter­se­mi­na­risten, einen Werbe­fo­to­grafen und bei einem Neustart in Parma an einen naiven Sizi­lianer, der mit ihrer Frei­zü­gig­keit und Selbst­be­stimmt­heit nur schwer zurecht­kommt. Pietran­geli erzählt auch hier mit vielen Rück­blenden die Geschichte einer Frau, die ihrer Zeit voraus ist. Die in Paris geborene und bei den Dreh­ar­beiten 1963 erst 18-Jährige Catherine Spaak, wurde in den 1960er-Jahren häufig als Lolita besetzt, ließ sich aber nie als Lust­ob­jekt verein­nahmen und wurde damit zu einer Vorrei­terin der Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung. (Sonntag, 8. Dezember ab 18.30 Uhr)

Um den Wandel der Geschlech­ter­rollen geht es auch in der Gesell­schafts­komödie Il Magnifico Cornuto (Cocü) von 1964. Der reiche Hutfa­bri­kant Artusi befürchtet, dass seine attrak­tive Frau fremdgeht, und will ihr unbedingt auf die Schliche kommen. Für ihn selbst gelten andere Regeln, seine Seiten­sprünge sind eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Ugo Tognazzi und Claudia Cardinale glänzen als Ehepaar auf Abwegen. Während Tognazzi erst in den 1970er-Jahren mit „Das große Fressen“ und „Ein Käfig voller Narren“ seine ganz großen Erfolge feiern konnte, war die Cardinale schon in den Sech­zi­gern ein Star, unter anderem dank Rocco und seine Brüder und Der Leopard. (Freitag, 13. Dezember ab 18.30 Uhr)

In Io la conoscevo bene (Ich habe sie gut gekannt) von 1965 kommt mit Adriana wieder eine junge Frau aus der Provinz nach Rom. Sie will den wirt­schaft­li­chen Aufschwung für sich nutzen und als Schau­spie­lerin berühmt werden. In der Zwischen­zeit verdient sie ihr Geld mit Gele­gen­heits­jobs und hat wech­selnde Männer­be­kannt­schaften. Dass sie wie viele von Pietran­gelis Prot­ago­nis­tinnen letzt­end­lich nicht nur an ihren eigenen Ansprüchen, sondern vor allem an ausbeu­te­ri­schen Bezie­hungs­ver­hält­nissen scheitert, wirft einmal mehr ein Schlag­licht auf die immer noch sehr starren und verlo­genen Moral­vor­stel­lungen der damaligen Zeit. Antonio Pietran­geli bekam für diesen gesell­schafts­kri­ti­schen Film, der gleich­zeitig sein letzter war, den er noch selbst vor seinem Unfalltod fertig stellen konnte, viel Aner­ken­nung. Unter anderem erhielt er den Preis der italie­ni­schen Film­kri­tiker für die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Neben­dar­steller, Ugo Tognazzi. An dessen Seite bril­lierte die 19-jährige Stefania Sandrelli in ihrer ersten Haupt­rolle. Bei dieser letzten Vorstel­lung ist Carmen Accaputo vom „Cineteca di Bologna“ zu Gast. (Samstag, 14. Dezember ab 18.30 Uhr)

Die Filmreihe Antonio Pietran­geli – Der Regisseur, der die Frauen liebte ist vom 29. November bis 14. Dezember im Film­mu­seum München zu sehen.