Life is beautiful after all |
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In sich versunkene Ménage à trois: Burning (Foto: Public Insight / Neues asiatisches Kino) |
Von Dunja Bialas
Gewächshäuser anzünden ist seine Leidenschaft. Eine gefährliche Passion mit viel Symbolik, von der man aber nicht genau weiß, wofür sie stehen könnte. Vielleicht ist das alles ja nur eine Art Sport, oder ein dummer Spaß. Eine Art Lausbubenstreich. Das wäre dem reichen Schnösel Ben auf jeden Fall zuzutrauen, in seiner Upper-Class-Wohnung scheint er auch noch andere unschöne Hobbys zu pflegen. Aber ob das alles überhaupt wahr ist oder nur Hirngespinste des Möchtegernschriftstellers Jong-su, einem Freund von Ben, der ihm sein Freundin ausgespannt hat, lässt Lee Chang-dong in seinem gefeierten Burning offen. Raffiniert unternimmt er die Gratwanderung zwischen dem Imaginären und dem Realen, ausgehend von den sozialen Unterschieden der südkoreanischen Gesellschaft. Ungerechtigkeit setzt Phantasie in Gang, so viel steht fest.
Lee Chang-dong wurde mit Burning vor zwei Jahren in Cannes von der internationalen Kritik euphorisch als »bester Film aller Zeiten« gefeiert, die Goldene Palme erhielt dann ein Jahr später sein Landsmann Bong Joon-ho für Parasite, die damit erstmals an einen Südkoreaner ging. Beide Regisseure zeigen die Meisterschaft, Sozialkritik mit einer großen Lust am Erzählen zu verbinden. Das südkoreanische Kino machen sie unbestritten zu einer der spannendsten Kinematographien weltweit.
Mit seiner Wachheit gegenüber sozialen und politischen Themen, gleichzeitig dem hohen Grad an Unterhaltsamkeit und der ästhetischen und darstellerischen Brillanz versöhnt das südkoreanische Kino große Genre-Würfe à la Hollywood mit dem intellektuellen Anspruch des europäischen Autorenkinos, das ebenfalls das Filmschaffen in Asien stark beeinflusst hat. Bong Joon-ho hat mit Genreerneuerungen und spielerischen Interpretationenen kluge Blockbuster geschaffen, und Lee Chang-dong ist mit seiner Mystery-Verfilmung Burning von Murakamis Kurzgeschichte einem breiten Publikum bekannt geworden.
Lee Chang-dong ist fünfzehn Jahre älter als Bong, und doch hat der 65-Jährige seit seinem Debüt Green Fish 1997 gerade erst einmal sechs Filme realisiert. Ein Glücksfall für die Filmreihe Neues Asiatisches Kino, die jetzt im Münchner Werkstattkino fünf seiner Filme zeigt. Die Münchner Filmemacherin Susanne Mi-Son Quester hat die Reihe vor ein paar Jahren wiederbelebt und zeigt nun immer zum Jahresbeginn ausgesuchte Filmographien.
Lee begann mit dem Filmemachen, als die südkoreanische Filmindustrie, die in den fünfziger Jahren herausragende Werke geschaffen hatte, nahezu brachlag. Schuld an der Zäsur war die Militärdiktatur, und erst Ende der achtziger Jahre, mit dem Aufbegehren gegen die Diktatur und dem Einsetzen der Demokratisierungsprozesse, kam der neue Boom des südkoreanischen Kinos. Plötzlich war die Rede von einer Korean New Wave, und der 1954 geborene Lee, zunächst Schriftsteller und Lehrer, bis er mit Anfang vierzig seinen ersten Film realisierte, gehört zu dieser neuen Regie-Generation.
Im Interview beklagt Lee den Wandel der Gesellschaft. Auch seine Filme, die in das Imaginäre hineinreichen und die Wirklichkeit überformen, sind getragen von der Wachheit gegenüber einer Härte des Lebens. In Peppermint Candy (1999), seinem zweiten Film, verarbeitet Lee die unmittelbare Vergangenheit der Militärdiktatur, unter der seine Generation aufwuchs. »Life is beautiful after all«, kehrt es wie in einer Beschwörungsformel im Film wieder. Ein Spruch wie ein Pfefferminzbonbon, das den schlechten Geschmack vertreiben soll.
In einer Zeitreise erkundet Peppermint Candy die Vergangenheit, erforscht, wie die Geschichte des Landes das Leben insgesamt im Griff hatte: die Liebe, die Schule, den Alltag. Mit Oasis (2002) taucht er in die dunkle Gegenwart ein, erzählt mit Anklängen an das Melodram und den Stummfilm von der unmöglichen Liebe zweier Außenseiter, die – der eine delinquent und geistig zurückgeblieben, die andere mit Kinderlähmung – ein erschütterndes Paar formen, das mit ihrer anarchischen Vitalität immer wieder auch mit den Liebenden von Pont Neuf aus Leo Carax’ gleichnamigem Film verglichen wurde. Ein mitreißender Gefühlsstrudel, für den Lee mit Preisen, unter anderem in Venedig, überschüttet wurde. Er hatte einen Nerv getroffen.
Erst fünf Jahre später folgte Secret Sunshine (2007, im Werkstattkino auf 35mm zu sehen!), eine sozialkritische Tour de Force, von einer, die zunächst Rache nehmen möchte, dann an der großen Frage nach Vergebung fast zerbricht. Lee stellt im Interview seinen Film in den Zusammenhang des Massakers von Gwangju 1980, das ebenfalls Fragen nach dem Verzeihen aufwarf. Allerdings, so Lee, »ist die Frage nach der Vergebung automatisch eine politische«, ist der Staat beteiligt. In Secret Sunshine verlegt er diese großen Fragen in einen sozialkritisch angelegten Kriminalplot, dessen Hauptfigur nach dem Trauma, ihr Kind durch ein Verbrechen verloren zu haben, religiös abdriftet. Das alles ist bei Lee aber auch immer wieder komisch, satirisch, ein Genremix, worin er seinem Regiekollegen Bong sehr nahe steht.
Der Tod kehrt in den Filmen Lees wieder, als Konstante der Existenz. Fast wie ein Zentrum erscheint er in der Weltsicht des Südkoreaners, ordnet Erinnerungen, Religiosität, Politik. Gegen den Schmerz und gegen die Welt können seine Figuren nur durch Fantasie antreten, wie in Burning. Bereits in Poetry (2010) erzählt Lee von der Kraft des Schreibens. Die 60-jährige Mija hat Alzheimer und verliert sich mehr und mehr im imaginären Raum ihrer Worte.
Neues asiatisches Kino: Lee Chang-dong – Retrospektive
Werkstattkino München
9. – 15. Januar 2020
Gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München
Burning: 9. und 16.1.
Peppermint Candy: 10.1.
Secret Sunshine: 11. und 14.1. (35mm!)
Oasis: 12.1.
Poetry: 13.1.
Mehr Informationen unter neuesasiatischeskino.de