Kinos in München – Kinosterben · Sendlinger Tor
Münchner Stadtgespräch: Das Kinosterben |
||
»Stadtgespräch München: Filmtheater Sendlinger Tor«. So schöne Missverständnisse gibt es | ||
(Foto: Dunja Bialas) |
Von Dunja Bialas
Schon wieder eine Hiobsbotschaft aus der ehemaligen Kinostadt München. Gestern schrieb die »Süddeutsche Zeitung« unter der verharmlosenden Headline »Ein Münchner Kino-Krimi« (Printausgabe) von der drohenden Schließung des über 100-jährigen Kinos Sendlinger Tor (hier unser Portrait). In dem Artikel wird die komplizierte Gemengelage zwischen der Vermögensverwaltung WIFA und den Kinobetreibern Preßmar (Vater und Sohn) geschildert. So wurde der Pachtvertrag bereits fristgerecht gekündigt, der damit zum 30. Juni auslaufe, so die WIFA-Geschäftsführerin Winkelmann. Die Preßmars hingegen betonen, dass von der Seite der WIFA versäumt wurde, alle für die Kündigung benötigten Vollmachten der anderen Hauseigentümer einzuholen. Damit sei die Kündigung ungültig, und der Pachtvertrag verlängere sich auf weitere fünf Jahre. Davon gehe man nun aus, eine Antwort auf ihren Einspruch hätten sie nicht mehr erhalten. Treibende Kraft der Kündigung ist Frau Winkelmann, Geschäftsführerin der WIFA. Sie wiederum – und jetzt wird es kompliziert – ist außerdem Gesellschafterin der Filmtheater Sendlinger Tor GmbH und damit Geschäftspartnerin der Preßmars. Und handelt mit der Kündigung letztlich gegen ihre eigenen, in der GmbH verankerten Interessen. Eine Gesellschafterin als Trojanisches Pferd. Das ist doch mal was.
Die Kündigung war den Eingeweihten der Szene schon länger bekannt. Bereits während des Filmfests, als gerade das Aus der Kinos Münchner Freiheit die Runde machte, wurde unter der Hand von der bedrohlichen Lage des Kinos Sendlinger Tor gesprochen. Auch der Stadt ist dies schon lange bekannt.
Meinem Framing durch die morgendliche Zeitungslektüre, in der ich erfuhr, dass nun öffentlich darüber gesprochen werden darf – bislang hielt ich mich an die Vertraulichkeit, mit der mir die Preßmars von der Sache erzählten –, ist es zu verdanken, dass ich einen halben Tag lang ein riesiges Missverständnis mit mir herumtrug. Ich ging einen ganzen Nachmittag davon aus, dass nun endlich auch die CSU das Kinosterben als wichtiges Thema entdeckt habe, was ich als erfreuliche Wende interpretierte.
So stolperte ich über ein Wahlplakat der CSU, das mir auf dem Weg zur Pressevorführung in die City-Kinos, einen Steinwurf vom Filmtheater Sendlinger Tor entfernt, entgegenblickte. Anlässlich der anstehenden OB-Wahlen stand da groß: »Stadtgespräch München« Und: »Filmtheater Sendlinger Tor«. Sind die aber fix!, dachte ich voller Hochachtung. Schon haben sie das Kinosterben als Stadtgespräch aufgegriffen und geschickt so platziert, dass sie die Filmkritiker auf dem Weg zur Arbeit einfangen! Diese Stimmenfänger! Ein wenig wunderte ich mich noch über den betriebenen Aufwand, die wenigen Filmkritiker als Wähler gewinnen zu wollen, und über die Über-Nacht-Plakatierung, zollte aber insgeheim Filmfan Markus Söder einen gewissen Respekt, der neben der wie immer unfrisierten CSU-OB-Kandidatin mit schmachtendem Kajal-Blick vom Plakat heruntersöderte.
Stadtgespräch Filmtheater Sendlinger Tor! Endlich also begreift auch der Freistaat, dass er nicht mehr tatenlos zusehen kann, wenn die Herbergen seines Leuchtturmfestivals Filmfest München wegfallen: Kinos Münchner Freiheit, Filmtheater Sendlinger Tor. Dachte ich mir. Und: Söder, der wollte doch Berliner Verhältnisse! Die Berlinale überholen! Und der sind schließlich jetzt die Cinestar-Kinos weggebrochen. München also auf der Aufholjagd? Das Aus des Sendlinger-Tor-Kinos ein wichtiges Etappenziel?
Mir dämmerte, dass ich einer Fiktion aufgesessen war, weil ich das Plakat falsch interpretiert hatte (das Filmtheater Sendlinger Tor ist nur der Veranstaltungsort für das Gespräch, mitnichten das Thema). Im Misreading aber ergeben sich neue Sinnzusammenhänge, auch neue Ideen.
So muss in der Tat jetzt die Politik aufwachen und das sogenannte Kinosterben zwingend auf ihre Agenda setzen. In München werden Kinos zu Grabe getragen, die gute bis überdurchschnittliche Zuschauerzahlen (Münchner Freiheit, Sendlinger Tor) und ein Stammpublikum (Münchner Freiheit) haben oder gar Herr im eigenen Hause sind, wie das Gabriel Filmtheater, das deshalb weder Tod (Schließung) noch Teufel (Vermieter) gefürchtet haben sollte.
Das große Problem der Kinos ist der Privatbesitz der Immobilien, in die sie sich eingemietet haben, und ihre privatwirtschaftliche Einstufung, was sich dem filmwirtschaftlichen Sektor einerseits, ihrer Herkunft aus dem Schaustellergewerbe andererseits verdankt. Das verunmöglicht ein Einmischen der öffentlichen Hand.
Auf der anderen Seite aber ist Einmischung jetzt dringend nötig, will man den Kinobestand in München erhalten. Solange darüber Einigung herrscht, dass Kinos einen wichtigen Bestandteil im kulturellen und sozialen Leben der Stadtgemeinschaft darstellen, soll die Stadt den ernsthaften Dialog mit den jeweiligen Eigentümern aufnehmen, und diese angebliche Privatsache eben nicht privat sein lassen.
Vielleicht kann mit Steuererleichterungen für die Vermieter nachgeholfen
werden, damit sie einen Anreiz finden, Kinobetreibern auch angesichts des lukrativen Münchner Immobiliengeschäfts weiterhin Pachtverträge zu geben. Vielleicht sollte man kulturelles Engagement von Eigentümern belohnen, indem man sie stärker in den Fokus rückt und öffentlich nennt, lobt, gar auszeichnet. Als Person der öffentlichen Aufmerksamkeit lassen sich Kündigungen nicht mehr so leicht schreiben wie aus der Anonymität heraus.
Auch könnte der Denkmalschutz zum
Bestandsschutz ausgebaut werden. Das Interieur des über hundertjährigen Sendlinger-Tor-Kinos ist bereits denkmalgeschützt; wie weit das aber geht, ist wohl nicht festgelegt. Ob ein Club einziehen könnte, wie einst im Filmcasino, wenn der opernhafte Charakter von Kinosaal und Foyer erhalten bliebe? Dagegen würde dann nur der Bestandsschutz helfen. Der hätte beim Gabriel einen Riegel vor die Schließung geschoben, ebenso bei den Kinos Münchner Freiheit. Das ABC Kino übrigens ist im
Bestand gesichert, weil der Hauseigentümer festgelegt hat, dass dort für immer ein Kino sein soll. Es geht also auch anders.
Auch Söder kann sich übrigens einmischen. »Bayern ist ein Kulturstaat«, heißt es in der bayerischen Verfassung und: »Er dient dem Gemeinwohl.« Kinos sind Kultur, sie zu betreiben dient ja wohl dem Gemeinwohl. Ihr Bestand sollte durch die Bayerische Verfassung geschützt sein.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, mein Missverständnis beim Wort zu nehmen und das Kino Sendlinger Tor zum Münchner Stadtgespräch zu machen. Bei der Wahlveranstaltung der CSU und anderswo.
Denn so kann es nicht weitergehen.