14.05.2020

Die Fronten sind nicht eindeutig

Days of Cannibalism
Ein ethnologischer Western
(Foto: Edkins / DOK.fest München@home)

Days of Cannibalism ist eine subtile Studie über Machtgefälle und über angehende Gewalt in Südafrika – zu sehen bei DOK.fest München@home

Von Jens Balkenborg

Es ist schon erstaun­lich, mit welcher Präzision Teboho Edkins in Days of Canni­ba­lism langsam aber sicher die Schlinge enger zieht. Da sind die ersten Szenen im städ­ti­schen Gewusel in Lesotho: ein Einhei­mi­scher, der Sonnen­brillen in einem chine­si­schen Bril­len­laden kauft und die Ware noch mal prüft, »sometimes you guys pack something, that I didn’t need« erklärt er skeptisch. Momente später dann Sprach­ver­wir­rung an der Rezeption eines chine­si­schen Hotels mit Busi­ness­a­part­ments, miss­traui­sche Blicke beim Check out. Hier liegt bereits eine Spannung in der Luft, die sich im Laufe des Films immer weiter anstaut.

Nach dieser Expo­si­tion ein harter Schnitt, und wir sind im Distrikt Thaba-Tseka im rauen Hinter­land Lesothos. Tradi­tio­nelle Pfer­de­ver­käufer jagen auf ihren besten Tieren durch einen staubigen Canyon. Es ist die Konfron­ta­tion von und die Übergänge zwischen Moderne und Tradition, die Regisseur Edkins seziert. Im Kern ist Days of Canni­ba­lism eine subtile Studie über Macht­ge­fälle und über angehende Gewalt, das innerlich brodelnde Porträt von radikaler Globa­li­sie­rung und Entfrem­dung.

Der 1980 geborene ameri­ka­ni­sche Regisseur wuchs zu großen Teilen in Lesotho und Südafrika auf und kann somit aus eigenen Erfah­rungen zehren. Die präzisen Kadrie­rungen und die teils viel­deu­tigen Bilder sprechen dafür, dass hier jemand sein Sujet kennt. Was ist das für ein starkes Bild, wenn ein chine­si­scher Hotel­mit­ar­beiter durch eine Spie­ge­lung in die Breite gezogen auf der Ausgangs­schwelle des Hotels steht, drinnen seine Lands­männer- und Frauen, draußen die Einhei­mi­schen.

Edkins porträ­tiert in seinen Kurz- und Doku­men­tar­filmen das Leben in Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Zuvor drehte er etwa eine Serie doku­men­ta­ri­scher Gangs­ter­filme über Südafrika. Nach einem Studium der Foto­grafie und Bildenden Kunst an der Michaelis School of Fine Art in Kapstadt und am Le Fresnoy im fran­zö­si­schen Tourcoing studierte Edkins Film an der Deutschen Film- und Fern­seh­aka­demie in Berlin (DFFB), unter anderem bei Valeska Grisebach (Western).

In Days of Canni­ba­lims stehen auf der einen Seite die chine­si­schen Wirt­schafts­mi­granten, die mit der Hoffnung auf eine schnelle Mark in die Enklave in der Republik Südafrika gekommen sind. Sie ziehen Groß­märkte, kleinere Geschäfte und Gastro­nomie hoch und lassen die mittel­losen Einhei­mi­schen zu kruden Bedin­gungen für sich arbeiten. Auf der anderen Seite sind die Basotho, tradi­tio­nelle Vieh­züchter, die ihre Tiere hegen und pflegen und als »Götter mit der feuchten Nase« verehren. Und weitere Einhei­mi­sche: Radio­mo­de­ra­toren des Senders Mojodi FM, deren Sympa­thien für die Neuan­kömm­linge aus Fernost sich genau so in Grenzen halten wie die eines Musikers, der mit der Zeile »The Chinese are abusing us, we are suffering in their factories« Stimmung macht.

Die Fronten sind eindeutig. Aller­dings umreißt Edkins dieses Dilemma nicht als platte Dualität zwischen den bösen chine­si­schen Kolo­ni­al­herren und den über­rum­pelten Einhei­mi­schen, sondern zeigt vielmehr, dass die Probleme syste­mi­sche sind. Alle verfolgen sie ihre exis­ten­zi­ellen Inter­essen, der Besitzer eines kleinen Super­markts ebenso wie der Vieh­züchter, der sich darüber ärgert, dass die Chinesen ihre Rinder schlecht behandeln. Zusammen kommen die Einge­reisten und die Einhei­mi­schen nur geschäft­lich. Ansonsten zeigt der Film neben­ein­an­derher exis­tie­rende Paral­lel­ge­sell­schaften.

Eine große Stärke dieses globa­lis­ti­schen Sitten­bildes ist der Modus operandi: Edkins erzählt seinen Film als Western. Die Bilder sind rau und poetisch zugleich, sie bewegen sich als »kontrol­lierte« oder »insze­nierte« Realität am Rande des Doku­men­tar­films und bringen uns mit bedroh­li­cher Ruhe, ganz ohne Inter­view­si­tua­tionen oder Off-Stimme, immer tiefer hinein in das teils absurde, später vor allem schreck­liche Treiben. Ange­sichts des Themas ist es nur konse­quent, dass Edkins' Film selbst wie ein Migrant auf medialen Grenzen wandelt.

Days of Canni­ba­lism hallt nach, erst im Nachgang oder besser noch beim zweiten Sehen erschließt sich, wie viel in Edkins' Film steckt. Am Ende bricht sich die Gewalt in den Bildern einer Über­wa­chungs­ka­mera Bahn. Erschre­ckende Bilder sind das, und zugleich eine hinter­sin­nige Reflexion über das Medium selbst: ausge­rechnet diese verpi­xelten Kame­ra­bilder machen die Ereig­nisse des Films plötzlich noch realer.

DOK.fest München
6. bis 24. Mai 2020
@home

Filme mieten: 4,50 € (5,50 € mit Soli-Beitrag für die Kinos)
Zeit­fenster: 24 Stunden

Festi­val­flat­rate: 50 € (davon gehen 3 € an die Kinos)

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