35. DOK.fest München 2020
Die Fronten sind nicht eindeutig |
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Ein ethnologischer Western | ||
(Foto: Edkins / DOK.fest München@home) |
Von Jens Balkenborg
Es ist schon erstaunlich, mit welcher Präzision Teboho Edkins in Days of Cannibalism langsam aber sicher die Schlinge enger zieht. Da sind die ersten Szenen im städtischen Gewusel in Lesotho: ein Einheimischer, der Sonnenbrillen in einem chinesischen Brillenladen kauft und die Ware noch mal prüft, »sometimes you guys pack something, that I didn’t need« erklärt er skeptisch. Momente später dann Sprachverwirrung an der Rezeption eines chinesischen Hotels mit Businessapartments, misstrauische Blicke beim Check out. Hier liegt bereits eine Spannung in der Luft, die sich im Laufe des Films immer weiter anstaut.
Nach dieser Exposition ein harter Schnitt, und wir sind im Distrikt Thaba-Tseka im rauen Hinterland Lesothos. Traditionelle Pferdeverkäufer jagen auf ihren besten Tieren durch einen staubigen Canyon. Es ist die Konfrontation von und die Übergänge zwischen Moderne und Tradition, die Regisseur Edkins seziert. Im Kern ist Days of Cannibalism eine subtile Studie über Machtgefälle und über angehende Gewalt, das innerlich brodelnde Porträt von radikaler Globalisierung und Entfremdung.
Der 1980 geborene amerikanische Regisseur wuchs zu großen Teilen in Lesotho und Südafrika auf und kann somit aus eigenen Erfahrungen zehren. Die präzisen Kadrierungen und die teils vieldeutigen Bilder sprechen dafür, dass hier jemand sein Sujet kennt. Was ist das für ein starkes Bild, wenn ein chinesischer Hotelmitarbeiter durch eine Spiegelung in die Breite gezogen auf der Ausgangsschwelle des Hotels steht, drinnen seine Landsmänner- und Frauen, draußen die Einheimischen.
Edkins porträtiert in seinen Kurz- und Dokumentarfilmen das Leben in Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Zuvor drehte er etwa eine Serie dokumentarischer Gangsterfilme über Südafrika. Nach einem Studium der Fotografie und Bildenden Kunst an der Michaelis School of Fine Art in Kapstadt und am Le Fresnoy im französischen Tourcoing studierte Edkins Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin (DFFB), unter anderem bei Valeska Grisebach (Western).
In Days of Cannibalims stehen auf der einen Seite die chinesischen Wirtschaftsmigranten, die mit der Hoffnung auf eine schnelle Mark in die Enklave in der Republik Südafrika gekommen sind. Sie ziehen Großmärkte, kleinere Geschäfte und Gastronomie hoch und lassen die mittellosen Einheimischen zu kruden Bedingungen für sich arbeiten. Auf der anderen Seite sind die Basotho, traditionelle Viehzüchter, die ihre Tiere hegen und pflegen und als »Götter mit der feuchten Nase« verehren. Und weitere Einheimische: Radiomoderatoren des Senders Mojodi FM, deren Sympathien für die Neuankömmlinge aus Fernost sich genau so in Grenzen halten wie die eines Musikers, der mit der Zeile »The Chinese are abusing us, we are suffering in their factories« Stimmung macht.
Die Fronten sind eindeutig. Allerdings umreißt Edkins dieses Dilemma nicht als platte Dualität zwischen den bösen chinesischen Kolonialherren und den überrumpelten Einheimischen, sondern zeigt vielmehr, dass die Probleme systemische sind. Alle verfolgen sie ihre existenziellen Interessen, der Besitzer eines kleinen Supermarkts ebenso wie der Viehzüchter, der sich darüber ärgert, dass die Chinesen ihre Rinder schlecht behandeln. Zusammen kommen die Eingereisten und die Einheimischen nur geschäftlich. Ansonsten zeigt der Film nebeneinanderher existierende Parallelgesellschaften.
Eine große Stärke dieses globalistischen Sittenbildes ist der Modus operandi: Edkins erzählt seinen Film als Western. Die Bilder sind rau und poetisch zugleich, sie bewegen sich als »kontrollierte« oder »inszenierte« Realität am Rande des Dokumentarfilms und bringen uns mit bedrohlicher Ruhe, ganz ohne Interviewsituationen oder Off-Stimme, immer tiefer hinein in das teils absurde, später vor allem schreckliche Treiben. Angesichts des Themas ist es nur konsequent, dass Edkins' Film selbst wie ein Migrant auf medialen Grenzen wandelt.
Days of Cannibalism hallt nach, erst im Nachgang oder besser noch beim zweiten Sehen erschließt sich, wie viel in Edkins' Film steckt. Am Ende bricht sich die Gewalt in den Bildern einer Überwachungskamera Bahn. Erschreckende Bilder sind das, und zugleich eine hintersinnige Reflexion über das Medium selbst: ausgerechnet diese verpixelten Kamerabilder machen die Ereignisse des Films plötzlich noch realer.
DOK.fest München
6. bis 24. Mai 2020
@home
Filme mieten: 4,50 € (5,50 € mit Soli-Beitrag für die Kinos)
Zeitfenster: 24 Stunden
Festivalflatrate: 50 € (davon gehen 3 € an die Kinos)
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