Es war einmal in Amerika |
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Vorbild im Verhalten, Gesten und im Körper, so könnte man meinen, ist der von Arnold Schwarzenegger in vier Filmen verkörperte Terminator | ||
(Foto: Filmplakat / Axel Timo Purr) |
Vielleicht muss man, wenn jetzt bald wieder etwas mehr Zeit ist und Donald Trump möglicherweise schon in Haft sitzt und wir dann endlich wieder etwas mehr Ruhe haben, um auch innerlich durchzuatmen, und nicht mehr täglich über diesen Präsidenten nachdenken müssen, vielleicht muss man dann noch mal eine Folge von den Sopranos anschauen, oder besser noch Scarface von Brian de Palma und Goodfellas von Martin Scorsese und Der Pate von Francis Ford Coppola. Vielleicht verstehen wir dann, wie dieser Mann eigentlich tickt. Vielleicht merken wir alle dann, dass wir uns von seinen Twitter-Kaskaden und Pressekonferenzen und den diversen immer absurderen Nachrichten vor allem haben ablenken lassen. Dass wir nicht verstanden haben, dass dieser Mann eigentlich genauso funktioniert, wie ein stinknormaler Drogenbaron, oder, um ihm nicht allzu viel Ehre anzutun: Wie ein Geldeintreiber und Schläger einer irischen Mafia-Bande in der New Yorker Bronx in den 1920er Jahren. Und dass er dazu steht: Politik als Familiy Business.
Wie solche Typen kann Donald Trump einfach nicht verlieren. Und wenn er einmal zu verlieren droht, dann macht er es eben wie ein Mobster: Dann schickt er seine Schläger los, die alles kurz und klein schlagen, und Leute einschüchtern, bis er hat, was er will. Wenn das dann noch nicht reicht, dann kommen seine Mafiaanwälte gleich hinterher, die die Gesetze biegen, bis sie passen, oder brechen, und zur Not ruft er selber mal an: »Finde die Stimmen! Du hast 72 Stunden Zeit!«
Vielleicht ist alles tatsächlich genau so einfach, und man muss dann gar nicht von »Putsch« reden und von einer angeblichen »Krise der Demokratie«, sondern allenfalls von der Psyche der Menschen, die so einen auch noch toll finden, sich mit ihm ernsthaft beschäftigen oder sich von ihm wenigstens einschüchtern lassen. Über die Menschen hat schon Immanuel Kant lange vor Einführung der Demokratie festgestellt, dass sie »aus krummem Holz geschnitzt« seien. Das ist noch nobel formuliert.
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Irgendwann wird es ihn nun geben: Den ersten Spielfilm über Trump. Vielleicht stammt er ja von Oliver Stone, der schon die Präsidentschaften von John F. Kennedy, Richard Nixon und zuletzt von George W. Bush verfilmt hat – mal als eine Art Shakespeare-Drama, mal als Farce, immer als rasante Polit-Thriller mit einem Hauch von Paranoia.
Wer könnte ihn dann wohl spielen, den 45. Präsidenten der USA? Erste Wetten werden schon abgeschlossen: Wie wäre es mit Adam Sandler, Komödiant und Experte für exzentrische Figuren? Auch Arnold Schwarzenegger wäre ein möglicher Kandidat.
Hollywood ist mit seinen Präsidenten immer freundlich gewesen. Manchmal durften sie sogar die ganze Welt vor den Aliens retten. Und vielleicht fühlt sich ja auch ausgerechnet das deutsche »Spielbergle« in der US-Traumfabrik, Roland Emmerich, berufen, einen Trump-Film zu drehen. Meinetwegen à la Absolute Power, also mit einem Monster im Weißen Haus, in dem ein US-Präsident zum Mörder wird.
Was für eine Film-Geschichte könnte es da geben? Man muss nicht soweit gehen wie Clint Eastwood. Aber wenn man auf der Erde bleiben will – vielleicht darf man sich dann an einen leicht vergessenen Film erinnern, in dem die Ähnlichkeit immer noch auf eine gewisse Weise sehr schmeichelhaft für Donald Trump ist: The Siege, auf Deutsch »Belagerungszustand«, heißt er und stammt von Edward Zwick.
Der hat 1998, lange vor dem 11. September und vor George W. Bushs »Krieg gegen den Terror«, aber nach dem verheerenden Attentat von Oklahoma und mit diesem als unverhohlenem Vorbild von ein paar FBI-Leuten erzählt, die verhindern, dass aus einem Ausnahmezustand gegen eine terroristische Bedrohung ein Dauerzustand wird, und aus rechten Militärs Diktatoren, die sich berufen fühlen, für Amerika besser zu wissen, was für Amerika gut ist, als Amerika selbst – den charismatischen reaktionären Möchtegerndiktator spielt da Bruce Willis, und er sagt Sätze, wie man sie heute von Trump kennt.
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Es wird noch viel Zeit zum Nachdenken über solche Fragen sein, ohne Twitter-Kaskaden und surreale Pressekonferenzen. Höchste Zeit, also, noch ein letztes Mal auf diesen einmaligen Präsidenten zu blicken, mit dem wir uns alle so merkwürdig-intensiv, so abgestoßen-fasziniert beschäftigt haben.
Woran hat sich dieser Mann eigentlich in seinen Gesten und seiner Bildsprache orientiert? Nach welchem Bild hat Donald Trump seine Präsidentschaft designed und geformt?
Bei seinem Vorgänger Barak Obama war John F. Kennedy das Vorbild, auch der Bürgerrechtler Martin Luther King. Bei seinem Nachfolger Joe Biden scheinen ebenfalls zwei Vorbilder klar: Neben Obama, dessen Vizepräsident er war, gibt es immer wieder Anleihen bei Franklin D. Roosevelt, der die USA in den 30er Jahren nicht ohne Mühen aus einer schweren Krise herausführte.
Aber Donald Trump?
Man könnte es sich jetzt einfach machen, und sagen: Trump habe keine Vorbilder, außer sich selbst. Schließlich war Trump über 13 Jahre lang Showmaster seiner eigenen Fernseh-Show.
Man könnte auch schlechte Witze machen, und gewisse Ähnlichkeiten, bis in den Bewegungsablauf und das zerstörerische Potential, zum Riesenaffen King Kong bemerken, oder zur Riesenechse Godzilla – beide sind vor allem massiger Körper.
Aber das wäre – wie gesagt – alles zu einfach.
Eher schon ein Vorbild im Verhalten, in Gesten und im Körper ist, so könnte man meinen, der von Arnold Schwarzenegger in vier Filmen verkörperte Terminator. Ein Maschinenmensch aus der Zukunft, steif aber wuchtig.
Die Terminator-Filme sprechen auch ein ähnliches Publikum an, wie der Politiker
Trump. Sie haben die gleiche Weltsicht, nach der Stärke, Gewalt und Überlegenheit am Ende die Lösung der allermeisten Probleme sind. Nach der man mit Verhaltenskonventionen brechen muss, um »zu gewinnen«.
Vielleicht lag es auch daran, an dieser untergründigen Ähnlichkeit, dass Arnold Schwarzenegger vor ein paar Wochen darauf geachtet hat, in einer öffentlichen Videobotschaft sehr deutlich zu machen, dass er mit diesem Präsidenten nichts zu tun hat.
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Warum aber hat man ihm das alles vier Jahre lang durchgehen lassen? Zum einen, weil er eben der Chef einer durchaus zur Wort-, Geld- und Waffengewalt bereiten Horde ist, stinkreich und ein Narzisst – eine schlechte Kombination.
Den Narzissmus haben viele Fach- und Hobby-Psychologen in den vergangenen Jahren ausgiebig analysiert. Der Narzissmus ist ein regressives, also zurückgebliebenes Bewusstseinsstadium – das spiegelt sich in einer nicht zuletzt medial
infantilisierten Gesellschaft, die zugleich ängstlich ist. Noch eine weitere schlechte Kombination. Sie ist dominiert von einer Bereitschaft, überwältigt zu werden, der Bereitschaft einen Starken oder sich stark Gebenden zu finden, der sie zum Objekt macht. Und Trump hat seine Chance genutzt: »grab her by the pussy« – das ist ungefähr das, was er mit seinem Land gemacht hat.
Vor allem aber existiert diese Gesellschaft kaum noch, sondern ist tatsächlich zersplittert (zerschlagen? aufgelöst? atomisiert?) in lauter kleine Einzelteile. Das Bild der »Spaltung« der US-Gesellschaft, das jetzt oft bemüht wird, trifft eigentlich nicht zu: Da sind nicht zwei Lager, sondern lauter Häufchen, Gruppen und Grüppchen, Filterblasen und Schwärmchen. Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht treffend von einer »Gesellschaft der Singularitäten«. Wo jeder individuell und
etwas Besonderes sein will, soll, muss, da vereinzeln alle.
Egoismus und Selbstsucht sind die Folge dieser fortschreitenden Singularisierung der Menschen.
Donald Trump verkörpert diese Eigenschaften sämtlich und perfekt; er spiegelt den Haufen der Ichlinge, und deren niedere Gesinnungen, bewusste schlechte Eigenschaften und unbewusste Triebe – sogar die seiner Gegner. Ein Autor, Rick Reilly, auf den wir später noch ausführlicher kommen, schreibt sehr ehrlich: »I liked Trump the way I liked Batman. He was what eight-year-old me thought a gazillionaire should be like, his name in 10-foot-high letters on skyscrapers and on giant jets, hot and cold running blondes hanging on each arm, $1,000 bills sticking out of his socks.«
Trump steigert diese Gesinnungen, Eigenschaften und Triebe allenfalls noch ins Egozentrische zur Rücksichtslosigkeit und Hybris. So ist Trump keineswegs außergewöhnlich, sondern eher durchschnittlich, aber gerade in seiner Durchschnittlichkeit komplett ein Kind dieser Zeit – außergewöhnlich sind nur seine durch Geld und Macht geschaffenen Möglichkeiten und die Aufmerksamkeit, die ihm durch sein Tun und seine Position sicher ist. Die neuen, zusätzlichen Techniken der digitalen Medien bereiten ihm eine weltweite Bühne, stärken damit seinen Narzissmus ins Unermessliche – diese Bühne ist tatsächlich neu.
Donald Trump ist nicht nur ein Selbstdarsteller. Sondern er ist zugleich der erste Zuschauer seiner eigenen Selbstdarstellung, und damit aber auch sehr Twitter-gerecht ein scharfer Beobachter und Kommentator des mit dieser eigenen Selbstdarstellung erzielten Feedbacks. Sein Denken kreist rastlos um nichts anderes als das höchstpersönliche Ego.
Donald Trump ist das zum Präsidenten gewordene Selfie. »America first« heißt tatsächlich »Trump first«. Und in dieser Selbstermächtigung spiegelt Trump wiederum nur den Wunsch seiner Wähler. Sie lassen ihm das alles durchgehen, weil sie selber so sein möchten, weil sie eigentlich selber so sind.
In dieser Mentalität ist eine Niederlage eine Kränkung, eine Kränkung ein Skandal, Unterlegenheit etwas, das nicht wahr sein kann, weil es nicht wahr sein darf, und eine Wahlniederlage kein demokratischer Normalfall, sondern eine Katastrophe, eine Beleidigung des Eigensinns.
Darum muss ein solch unmögliches Ereignis in einen Sieg verwandelt werden.
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»Commander in Cheat« heißt das Buch des Sportjournalisten Rick Reilly im Original – also »Kommandeur des Betrugs«, was zugleich eine kalauernde Anspielung auf den offiziellen Titel des Präsidenten als »Commander in Chief« ist. Darin konzentriert sich Reilly auf Trumps Rolle als Besitzer eines Imperiums aus sündteuren Golf-Resorts – neue Mitglieder müssen Hunderttausende Dollar Aufnahmegebühr zahlen – und auf Trumps eigene Golf-Karriere. Trump nimmt nämlich
seit vielen Jahren auch regelmäßig an allen möglichen Golf-Wettbewerben und -Turnieren teil. Oder eben auch nicht: Denn Reillys Buch, das auf Deutsch den Titel trägt »Der Mann, der nicht verlieren kann«, belegt, dass Trump auf einigen seiner Golfplätze sogar Klubmeisterschaften gewonnen hat, an denen er gar nicht teilgenommen hat.
Das Buch ist auch deshalb sehr vergnüglich zu lesen, weil es voller Anekdoten steckt, die so absurd sind, wie eine durchschnittliche
Trump-Pressekonferenz, und wahnsinnig lustig wären, würden sie nicht leider stimmen.
Denn Donald Trump hält sich selbst offenbar tatsächlich auch im Golfspiel für exzellent und »einfach genial« (»A Very Stable Genius«). Das hält ihn aber nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit zu schummeln – sogar der Golfstar Tiger Woods wurde von Trump beim Spiel betrogen. Offenbar ist dieses Verhalten unter Golfspielern allgemein bekannt – auch weil der Präsident sich gar nicht darum
kümmert, sein schlechtes Benehmen irgendwie zu verbergen. Trump platziere zum Beispiel gern heimlich einen Ersatzball, den er dann seinem Gegner wie aus dem Nichts triumphierend präsentiere. Bälle in schlechter Lage würden häufig in seiner Hosentasche verschwinden, berichtet Reilly. »Na und?«, könnte man jetzt sagen, es geht doch nur um ein Spiel. Reilly aber zitiert Psychologen, die argumentieren, dass das Verhalten im Spiel den wahren Charakter eines Menschen enthüllt. In Wahrheit
verrät Trumps schlechtes Benehmen auf dem Grün also viel darüber, wie er charakterlich gebaut ist. Weniger lustig sind daher auch andere Geschichten, etwa die, dass Trump auf dem Gelände seines Golfklubs in Bedminster eine Herde Ziegen hält, um den Golfpark damit gegen Steuervergünstigungen als Weideland zu deklarieren.
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Aus alternativen Golfergebnissen folgen alternative Fakten. Trumps zeitlose Leistung besteht darin, dass er das, was Jahrzehnte philosophischer Konstruktivismus, Jahrhunderte erkenntnistheoretischer Relativismus, was weder Nietzsche, noch Berkeley noch die Sophisten vermocht haben, in ein paar kühnen, von präsidialer Autorität umkränzten Twitter-Stammlern geschafft hat: Die Einebnung von Wahrheit und Lüge, Sein und Schein, Realität und Irrsinn. Zwar war das nur möglich, weil dem Tullius Destructivus im Weißen Haus keiner widersprach. Aber warum eigentlich tat das niemand?
Dieser Fehler war der Kardinalfehler, moraltheologisch gesprochen die Erbsünde der demokratischen Staaten: Sie ließen es ihm durchgehen. So billig es war, Trumps Social-Media-Accounts wenige Tage vor Ende seiner Präsidentschaft zu sperren, so teuer wäre es gewesen, das von Anfang an zu tun. Dass Facebook-Boss Mark Zuckerberg in Trump am Ende einen ihm Ähnlichen erkennt, mag man noch verstehen. Aber warum wollte Angela Merkel von ihm einen Handshake – den er verweigerte. Warum wollte Macron ein Photo mit ihm? Hätte man ihn doch ignoriert!
Am meisten profitierten aber die Medien von Trump. Mit seiner Wahl schossen Abozahlen und TV-Quoten in die Höhe. Es wird bald eine Menge Suchtkliniken zur Behandlung aller Trump-Entzugssymptome unter Mediennutzern auf beiden Seiten des Atlantiks geben.
Statt noch weitere vier Jahre erschreckt auf die neueste New-York-Times-Schlagzeile zu starren, oder surreale Twitter-Botschaften zu decodieren, können wir alle jetzt anfangen, nachzudenken, was da eigentlich passiert ist in den letzten fünfeinhalb Jahren.
Vor allem diejenigen Medien, die einst – wie die New York Times, die Washington Post, das Time-Magazine, wie CNN und ihre europäischen Pendants –, zu recht Leitmedien genannt wurden, müssen mit sich ins Gericht gehen.
Denn selbst wo sie Erfolge in Form von Auflagen-, Quoten- und Zugriffssteigerungen verbuchen können, haben sie diese teuer erkauft: Sie haben sie damit bezahlt, sich vom Zirkusclown Trump am Gängelband durch die Medienarena führen zu lassen. Einst waren Leitmedien deshalb so genannt und zur »Vierten Gewalt« geadelt, weil sie die Agenda-Setter der öffentlichen Angelegenheiten waren.
Diese Rolle als Agenda-Setter haben sie derzeit und bis in die letzten Tage, bis nach dem 6. Januar, völlig verloren.
Was immer man von Donald Trump halten möchte: Er hat es wie keiner seiner Vorgänger mindestens seit Franklin D. Roosevelt, vielleicht überhaupt im modernen Massenzeitalter, verstanden, mit der öffentlichen Meinung zu spielen, sie zu beeinflussen und oft zu lenken. Trump hat die Themen gesetzt, und oft genug den Rahmen, in dem sie diskutiert wurden. Das ist Trumps
zweite zeitlose Leistung.
Er war, wie Sascha Lobo im Spiegel schreibt, »der erste Große eines neuen Herrscher-Typus, des Social Media Leaders.«
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Nachdem Donald Trump vor über vier Jahren zum US-Präsidenten gewählt wurde, hat George Orwells »1984« Rekordauflagen erzielt; man hat die Studien vor Hitler geflohener deutscher Emigranten für die damalige, viel bessere US-Regierung über den »Autoritären Charakter« wieder aufgelegt, und sogar einen noch nie veröffentlichten Vortrag des Philosophen Theodor W. Adorno über »Aspekte des neuen Rechtsradikalismus«.
Vor allem aber sind unfassbar viele neue Bücher erschienen, die das Phänomen Trump erklären wollen: Über 1200! Also fast ein Buch pro Tag seiner Amtszeit!! Über Trumps Vorgänger Obama erschienen während dessen Amtszeit nur rund 500 Bücher. Auch das war schon eine Menge. Offenbar haben aber alle diese Bücher das Rätsel noch nicht gelöst, dann es erscheinen immer weitere.
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»Die Trump-Ära hat so viele Bücher über die düsteren Gefahren hervorgebracht, denen der Staat ausgesetzt sei, dass ihre Titel klingen, als redeten sie miteinander, eine gesprochene Poesie des politischen Zusammenbruchs.« – ein ganz besonderes Buchprojekt ist das des »Washington Post«-Redakteurs Carlos Lozada: »What Were We Thinking« – also im Doppelsinn: »Was wir uns gedacht haben«, aber auch »Was haben wir uns bloß gedacht!«. 150 Buchtitel hat sich Lozada näher angeschaut, um eine »kurze Geistesgeschichte der Trump-Ära« zu schreiben. Auch dieses Buch ist auf bizarre Weise sehr lustig, denn ohne Frage ist das Lachen eine sehr geeignete Form, sich den Schrecken vom Leib zu halten.
Um seinen Gegenstand zu ordnen, hat ihn Lozada nach Themen in zehn Rubriken unterteilt, unter denen er jeweils mehrere Bücher bespricht: »The Chaos-Chronicles« handelt vom hanebüchenen Alltag im Weißen Haus unter Trump, »Him Too« dreht sich um Bücher zum Sujet »Trump und die Frauen«. Es geht um Trumps Wahlkampf, um »Post-Wahrheit« und »alternative Fakten«, und um die Betrogenen: »Die weiße Arbeiterklasse«.
Das eigentliche Ergebnis seines Buches geht aber weit über diese einzelnen Schneisen in den Trump-Dschungel hinaus. Denn genau genommen handelt Lozadas Buch gar nicht primär von Trump. Sondern es ist eine Analyse von dessen Beobachtern.
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Zuallererst von ihren Täuschungen, die jenen der Steigbügelhalter der deutschen Diktatur nicht nachstehen. Lozada konstatiert kühl: »Während Trumps Wahlkampf 2016 und sogar zu Beginn seiner Präsidentschaft phantasierten einige konservative Kommentatoren und Intellektuelle, dass Trump sich ändern würde, dass die Schwerkraft des Amtes ihn in etwas anderes verwandeln würde als das, was er war. Aber es gab keine Kehrtwende; sowohl als Kandidat als auch als Präsident blieb Trump Trump treu. Der einzige wahrnehmbare Wende kam von den Konservativen selbst.«
Lozada zeigt, wie wir alle auch immer wieder in die Fallen gehen, die nicht so sehr von Trump selbst gestellt werden – der ist vielleicht naiver und triebgesteuerter, als wir alle es uns vorstellen können –, sondern die in den blinden Flecken und dem fasziniert-abgestoßenen Tunnelblick seiner Begleiter, Kommentatoren und Gegner angelegt sind. Ein Beispiel hierfür ist das frühe Bestseller-Buch von Michael Wolff: »Fire and Fury« liefert laut Lozada weniger erschütternde Einblicke in Trumps Arbeitsweise, mit denen man nicht sowieso gerechnet hätte, als »eine Blaupause« für einen einseitig-verengten Blick aufs Weiße Haus, der in diesem nur ein Chaoszentrum sehen will, und nicht etwa einen Präsidenten, der von einem Apparat umgeben ist, der sehr wohl weiß, was er tut, und der dafür sorgt, dass der Elefant im Porzellanladen nicht allzu viel Unheil anrichten kann. Das Ergebnis vieler Bücher, so Lozada, sei vor allem eine Abstumpfung des Publikums. Man nehme Dinge hin und halte sie für möglich, wenn nicht sogar für normal, die noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen wären. Und es gibt keinen Widerstand mehr dagegen, nur Erschöpfung.
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»Trump mag die Muse des Tod-der-Demokratie-Büchereiabschnitts sein, aber er trägt dieses Prädikat nicht allein. Degradierte Normen und entrechtete Wähler, ... prinzipienlose politische Parteien und ungleiche Rechtsprechung – das sind nur einige der vielen Krankheiten der Demokratie in unserem Zeitalter.« schreibt Lozada.
Der tiefste Abgrund der Gegenwart liegt nicht in der Person Trump. Er liegt auch nicht in alldem, was nicht stimmt mit der Demokratie. Sondern er liegt in ihren Bürgern, in uns, die wir uns unsere wahre Lage und unsere Schwächen nicht eingestehen wollen, trotz aller dunkler Ahnungen.
Trump ist ein Symptom dafür. Ein trotz allem sehr unterhaltsames und noch besser ablenkendes Symptom. Denn es laufen ein paar Dinge falsch, wenn wir Europäer uns dauerhaft mehr mit Trump beschäftigen, als mit Orban, Erdogan, LePen, der PiS-Partei, als mit AFD und Pegida und Schellroda und Konsorten.
Oder wenn uns der Tod von George Floyd näher geht, als die Terror-Morde von Hanau. Kennen wir nur einen der Namen der dortigen Opfer? In alphabetischer Reihenfolge: Gökhan Gültekin,
Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov. Es waren unsere Landsleute. Jedes Leben zählt gleich. Ihres auch.
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Noch ist Lozadas Buch, das im Oktober erschien, nicht übersetzt. Aber das kann nicht mehr lange dauern. Bis dahin helfen uns bei der anstehenden Trump-Entziehungskur die genannten Mafia-Filme. Oder wir schauen einfach mal in der Fußgängerzone vorbei und betrachten die Hütchenspieler.
Buchhinweise:
Carlos Lozada: »What Were We Thinking. A Brief Intellectual History of the Trump Era« Verlag Simon & Schuster; New York 2020; 260 Seiten, 24 Euro.
Rick Reilly: »Der Mann, der nicht verlieren kann.«; Hoffmann & Campe, Hamburg 2020; 288 Seiten, 18 Euro.