25.03.2021
Lovemobil-Debatte

Lovemobil : Wo im Dunkeln konstruiert wird

Lovemobil
Mit dem Rücken zum Publikum: Lovemobil hat den Rezeptionsvertrag gebrochen
(Foto: WDR/NDR)

Elke Lehrenkrauss steckt fest. Sie wollte über Straßenprostitution aufklären und hat nun eine Debatte entfacht: über Wahrheit, Täuschung und die Redaktionen

Von Nora Moschuering

Die Regis­seurin des Doku­men­tar­films Lovemobil Elke Lehren­krauss ist eingeholt worden und mein Text auch. Zumindest Lehren­krauss hat es wahr­schein­lich geahnt, während sie so ein Screening nach dem anderen besucht und nebenbei auch ein paar Preise mitge­nommen hat. 2019 habe ich mich in meinem Text besonders mit der Form der drei Filme Searching Eva, White Mama und Lovemobil beschäf­tigt, die alle drei in den Werk­statt­ge­sprächen auf dem DOK.fest gezeigt und jeweils ausführ­lich bespro­chen wurden. Damals schrieb ich von »insze­niert anmu­tenden Einstel­lungen« im Bezug zu Lovemobil. Da ist jetzt mit einem Mal das Wort »anmutend« verloren gegangen, denn wie sich mitt­ler­weile heraus­ge­stellt hat, ist fast alles in dem Film insze­niert und von einer Kolla­bo­ra­tion zwischen Filme­ma­cherin und Prot­ago­nis­tInnen, von der ich noch schreibe, kann man im Fall von Lovemobil überhaupt nicht mehr sprechen, im Gegenteil.

Publi­kums­ge­spräche

Der Film gibt uns angeblich einen Einblick in das Leben von zwei Prosti­tu­ierten, die in der Nähe von Wolfsburg/Nieder­sachsen in oft bunt erleuch­teten Wohnwagen in Waldwegen stehen. Mobile Bordelle, direkt auf dem Arbeitsweg von Auto­mo­bil­in­dus­trie­be­schäf­tigten. Die „Miete“ fließt an eine ehemalige Prosti­tu­ierte, es tritt eine Art Zuhälter auf, der in einem Nachtclub arbeitet, und einige Freier.

Nach dem Film gab es ein eins­tün­diges Gespräch, ich erinnere mich noch an Fragen (nicht wort­wört­lich, aber sinngemäß), weil es auch nicht verwun­der­lich war, was da gefragt wurde: »Wie sind Sie da dran­ge­gangen?«, »Wie haben sie die beiden kennen gelernt?«, »Wie haben Sie es geschafft, dass sich selbst die Freier filmen ließen?«, aber natürlich auch die Frage »Wie geht es den Prot­ago­nis­tinnen heute?« Darüber habe ich auch in meinem Text geschrieben: zu dem Bedürfnis der Zuschau­erInnen nach einem Abgleich mit der Wirk­lich­keit. Das ist es doch stark, was Doku­men­tar­filme von fiktio­nalen Filmen unter­scheidet: ihr Verhaf­tet­sein in dem, was wir Wirk­lich­keit nennen, ist stärker, enger, denn dieses Leben besteht schon vor dem Film, es besteht während des Films und auch danach. Gerade im Fall von Lovemobil hat man sich natürlich gefragt, wie sie das gemacht hat, wie sie die Nähe und das Vertrauen erzeugt hat. Man war beein­druckt, nickte und lobte, weil keine ihrer Antworten darauf schließen ließ, dass etwas nicht stimmen könnte (auch im Netz kann man Inter­views lesen, in denen sie ihre Insze­nie­rung nicht offen legt). Also eine Art Ahnung oder Skepsis bestand und Fragen in die Richtung wurden auch gestellt, aber sie wurden einfach falsch beant­wortet. Einmal abgesehen davon, dass es nicht erst einen Verdacht bräuchte oder eine konkrete Nachfrage damit die Filme­ma­cherin ihren Film anders einordnet, benennt, es kenn­zeichnet oder offenlegt, wie auch Dunja Bialas schreibt.

Prot­ago­nis­tinnen, Schau­spie­le­rinnen und wo bitte ist das Team?

Es ist das alles aber auch so bitter, weil das Thema, von dem sie berichtet ein so Wichtiges ist: Prosti­tu­tion, Ausbeu­tung, Frauen- und Männer­bilder. Man erkennt auch, dass Lehren­krauss recher­chiert hat, sie ist den an der Straße arbei­tenden Prosti­tu­ierte und auch ihren Freiern näher­ge­kommen, nur hat sie eben nicht die Bilder bekommen, die sie sich erhofft hat und die die NDR-Redaktion sich viel­leicht gewünscht oder auch gefordert hat. Sie hat dann fiktio­na­li­siert, sie hat Menschen gebeten, als Schau­spie­lerInnen bestimmte Rollen zu über­nehmen und hat sie anschei­nend nicht einmal darüber infor­miert, dass sie in einem Doku­men­tar­film »mitspielen«, sondern diese dachten, es sei ein Spielfilm. Zu guter Letzt, aber sicher nicht ohne Grund, haben sie den finalen Film nicht einmal gezeigt bekommen. Zu sehen ist das alles bei dem NDR-Format STRG_F.

Lehren­krauss trägt sowohl die Verant­wor­tung gegenüber den eigent­li­chen Prot­ago­nis­tInnen, also denen, deren Leben sie abbilden will, aber eben nicht kann, darf oder will (viel­leicht auch, um sie zu schützen), und denen sie nebenbei auch noch weniger Authen­ti­zität zuspricht als ihren insze­nierten Bildern, indem sie behautet »eine authen­ti­schere Realität, als sie es mit Direct Cinema hätte schaffen können« kreiert zu haben, aber auch gegenüber den Schau­spie­lerInnen, die mit einem Mal eine neue Biografie bekommen, die als doku­men­ta­risch gekenn­zeichnet wird.

Die Filme­ma­cherin hat aber auch eine Verant­wor­tung gegenüber dem Publikum, hier besteht eine Art unaus­ge­spro­chener Vertrag (siehe Rüdiger Suchsland). Z.B. geht es darum, dass nicht nur innerhalb des Filmes – sei es durch Kommen­tare, Einblen­dungen, Unkennt­lich­ma­chen, Dreh­si­tua­tionen offen­legen, Insze­nie­rungen kenntlich machen und nicht zuletzt im Abspann benennen – eine Aussage gemacht wird: Das ist ein Doku­men­tar­film – oder eben nicht. Aber auch drüber hinaus: auf Festivals, in Publi­kums­ge­sprächen, Preis­ver­lei­hungen wird etwas gesetzt, nämlich: Das ist ein Doku­men­tar­film – oder eben nicht.

Und wo genau ist eigent­lich das restliche Team, wer genau war neben Lehren­krauss, die den Film auch selbst produ­ziert hat, dabei? Es ist schwierig, das zu recher­chieren, auf der Homepage findet man gerade nur sie, und bei imdb und auf der DOK.fest-Website noch den Kame­ra­mann Christoph Rohr­scheidt und einen Cutter. Den Abspann habe ich nicht. Irgendwo habe ich etwas von drei CutterInnen gelesen, eine von ihnen hat sich nun gemeldet. Warum sie das erst jetzt getan hat, keine Ahnung. Wegen der Grimme-Preis-Nomi­nie­rung, die mitt­ler­weile zurück­ge­zogen wurde?

Vertrauen vor Verdacht

Das Youtube-Video von STRG_F hatte gestern (Mittwoch) innerhalb von 9 Stunden 100 000 neue Klicks und über Nacht kamen noch einmal 80 000 dazu (in etwa) – ich finde das eine gute Nachricht, eine Nachricht, die zeigt, dass es eine Ausein­an­der­set­zung geben kann, die auch zu einer Belebung führen kann. Oder zu Miss­trauen? Das wäre schade, denn muss wirklich immer alles unter Verdacht stehen?

Die Klick­zahlen könnt ihr mir glauben oder sie nach­re­cher­chieren, aber, um zum Beginn des Textes zurück­zu­kommen: Was macht denn das mit unserem Leben, und was macht denn das mit unserem Sehen, wenn wir allem miss­trauen müssten? Unsere Wahr­neh­mung muss sich doch auf irgend­eine Basis stellen dürfen. Diesen unaus­ge­spro­chenen Vertrag. Das Publi­kums­ge­spräch. Wir müssen auch mal Ober­flächen akzep­tieren und den »Mantel«, in den etwas gekleidet ist, sonst vermuten wir irgend­wann hinter jedem Doku­men­tar­film eine Verschwörung und miss­trauen jedem Satz, weil wir ihn für kalku­liert halten. Lehren­krauss unter­gräbt dieses Vertrauen. Natürlich muss es ein Befragen von Bildern geben, schon immer und erst recht heute, aber wir müssen bestimmten Aussagen und Umständen auch weiterhin vertrauen dürfen. Deshalb ist es auch so bitter, weil ich konkret weiß, dass viele Doku­men­tar­fil­merInnen auch so arbeiten: Sie legen offen, sind trans­pa­rent, authen­tisch und reden nicht nur über die Prot­ago­nis­tInnen, sondern mit ihnen (siehe die Kolla­bo­ra­tionen), und dabei sind sie – ganz nebenbei – oft auch sehr künst­le­risch.

Lehren­krauss bittet um Entschul­di­gung und räumt »Fehler« ein. Sie habe es versäumt, die Insze­nie­rung im Film kenntlich zu machen und sie habe unter Druck gestanden. Auch Entschul­di­gungen müssen ange­nommen werden, und über den Druck von Seiten der Redak­tionen und des Publikums nach schönen Bildern und span­nenden Drama­tur­gien muss nach­ge­dacht werden, denn was macht es denn mit unseren Leben, wenn wir sie wie Storys erzählen? Aber Lehren­krauss ist kein Opfer davon. Manche Projekte muss man abbrechen – auch nach einigen Jahren – wenn es nicht weiter­geht. Und natürlich hätte man daraus eine hybride Form machen können, einen Spielfilm, auch mit Laien-Schau­spie­lerInnen, der auf bestimmten Fakten beruht denn, by the way, auch Spiel­filme gehören recher­chiert.

Ich kann mir vorstellen, dass Lehren­krauss ein Ziel hatte, und das hieß nicht unbedingt, den Grimme-Preis zu bekommen, sondern auf Gege­ben­heiten aufmerksam zu machen, darauf, dass da etwas überhaupt nicht gut läuft, also eine Debatte über Sexarbeit anstoßen wollte. Jetzt gibt es eine ganz andere Debatte, eine über Trans­pa­renz, Ehrlich­keit und das Doku­men­ta­ri­sche.