Lovemobil-Debatte
Lovemobil : Wo im Dunkeln konstruiert wird |
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Mit dem Rücken zum Publikum: Lovemobil hat den Rezeptionsvertrag gebrochen | ||
(Foto: WDR/NDR) |
Von Nora Moschuering
Die Regisseurin des Dokumentarfilms Lovemobil Elke Lehrenkrauss ist eingeholt worden und mein Text auch. Zumindest Lehrenkrauss hat es wahrscheinlich geahnt, während sie so ein Screening nach dem anderen besucht und nebenbei auch ein paar Preise mitgenommen hat. 2019 habe ich mich in meinem Text besonders mit der Form der drei Filme Searching Eva, White Mama und Lovemobil beschäftigt, die alle drei in den Werkstattgesprächen auf dem DOK.fest gezeigt und jeweils ausführlich besprochen wurden. Damals schrieb ich von »inszeniert anmutenden Einstellungen« im Bezug zu Lovemobil. Da ist jetzt mit einem Mal das Wort »anmutend« verloren gegangen, denn wie sich mittlerweile herausgestellt hat, ist fast alles in dem Film inszeniert und von einer Kollaboration zwischen Filmemacherin und ProtagonistInnen, von der ich noch schreibe, kann man im Fall von Lovemobil überhaupt nicht mehr sprechen, im Gegenteil.
Der Film gibt uns angeblich einen Einblick in das Leben von zwei Prostituierten, die in der Nähe von Wolfsburg/Niedersachsen in oft bunt erleuchteten Wohnwagen in Waldwegen stehen. Mobile Bordelle, direkt auf dem Arbeitsweg von Automobilindustriebeschäftigten. Die „Miete“ fließt an eine ehemalige Prostituierte, es tritt eine Art Zuhälter auf, der in einem Nachtclub arbeitet, und einige Freier.
Nach dem Film gab es ein einstündiges Gespräch, ich erinnere mich noch an Fragen (nicht wortwörtlich, aber sinngemäß), weil es auch nicht verwunderlich war, was da gefragt wurde: »Wie sind Sie da drangegangen?«, »Wie haben sie die beiden kennen gelernt?«, »Wie haben Sie es geschafft, dass sich selbst die Freier filmen ließen?«, aber natürlich auch die Frage »Wie geht es den Protagonistinnen heute?« Darüber habe ich auch in meinem Text geschrieben: zu dem Bedürfnis der ZuschauerInnen nach einem Abgleich mit der Wirklichkeit. Das ist es doch stark, was Dokumentarfilme von fiktionalen Filmen unterscheidet: ihr Verhaftetsein in dem, was wir Wirklichkeit nennen, ist stärker, enger, denn dieses Leben besteht schon vor dem Film, es besteht während des Films und auch danach. Gerade im Fall von Lovemobil hat man sich natürlich gefragt, wie sie das gemacht hat, wie sie die Nähe und das Vertrauen erzeugt hat. Man war beeindruckt, nickte und lobte, weil keine ihrer Antworten darauf schließen ließ, dass etwas nicht stimmen könnte (auch im Netz kann man Interviews lesen, in denen sie ihre Inszenierung nicht offen legt). Also eine Art Ahnung oder Skepsis bestand und Fragen in die Richtung wurden auch gestellt, aber sie wurden einfach falsch beantwortet. Einmal abgesehen davon, dass es nicht erst einen Verdacht bräuchte oder eine konkrete Nachfrage damit die Filmemacherin ihren Film anders einordnet, benennt, es kennzeichnet oder offenlegt, wie auch Dunja Bialas schreibt.
Es ist das alles aber auch so bitter, weil das Thema, von dem sie berichtet ein so Wichtiges ist: Prostitution, Ausbeutung, Frauen- und Männerbilder. Man erkennt auch, dass Lehrenkrauss recherchiert hat, sie ist den an der Straße arbeitenden Prostituierte und auch ihren Freiern nähergekommen, nur hat sie eben nicht die Bilder bekommen, die sie sich erhofft hat und die die NDR-Redaktion sich vielleicht gewünscht oder auch gefordert hat. Sie hat dann fiktionalisiert, sie hat Menschen gebeten, als SchauspielerInnen bestimmte Rollen zu übernehmen und hat sie anscheinend nicht einmal darüber informiert, dass sie in einem Dokumentarfilm »mitspielen«, sondern diese dachten, es sei ein Spielfilm. Zu guter Letzt, aber sicher nicht ohne Grund, haben sie den finalen Film nicht einmal gezeigt bekommen. Zu sehen ist das alles bei dem NDR-Format STRG_F.
Lehrenkrauss trägt sowohl die Verantwortung gegenüber den eigentlichen ProtagonistInnen, also denen, deren Leben sie abbilden will, aber eben nicht kann, darf oder will (vielleicht auch, um sie zu schützen), und denen sie nebenbei auch noch weniger Authentizität zuspricht als ihren inszenierten Bildern, indem sie behautet »eine authentischere Realität, als sie es mit Direct Cinema hätte schaffen können« kreiert zu haben, aber auch gegenüber den SchauspielerInnen, die mit einem Mal eine neue Biografie bekommen, die als dokumentarisch gekennzeichnet wird.
Die Filmemacherin hat aber auch eine Verantwortung gegenüber dem Publikum, hier besteht eine Art unausgesprochener Vertrag (siehe Rüdiger Suchsland). Z.B. geht es darum, dass nicht nur innerhalb des Filmes – sei es durch Kommentare, Einblendungen, Unkenntlichmachen, Drehsituationen offenlegen, Inszenierungen kenntlich machen und nicht zuletzt im Abspann benennen – eine Aussage gemacht wird: Das ist ein Dokumentarfilm – oder eben nicht. Aber auch drüber hinaus: auf Festivals, in Publikumsgesprächen, Preisverleihungen wird etwas gesetzt, nämlich: Das ist ein Dokumentarfilm – oder eben nicht.
Und wo genau ist eigentlich das restliche Team, wer genau war neben Lehrenkrauss, die den Film auch selbst produziert hat, dabei? Es ist schwierig, das zu recherchieren, auf der Homepage findet man gerade nur sie, und bei imdb und auf der DOK.fest-Website noch den Kameramann Christoph Rohrscheidt und einen Cutter. Den Abspann habe ich nicht. Irgendwo habe ich etwas von drei CutterInnen gelesen, eine von ihnen hat sich nun gemeldet. Warum sie das erst jetzt getan hat, keine Ahnung. Wegen der Grimme-Preis-Nominierung, die mittlerweile zurückgezogen wurde?
Das Youtube-Video von STRG_F hatte gestern (Mittwoch) innerhalb von 9 Stunden 100 000 neue Klicks und über Nacht kamen noch einmal 80 000 dazu (in etwa) – ich finde das eine gute Nachricht, eine Nachricht, die zeigt, dass es eine Auseinandersetzung geben kann, die auch zu einer Belebung führen kann. Oder zu Misstrauen? Das wäre schade, denn muss wirklich immer alles unter Verdacht stehen?
Die Klickzahlen könnt ihr mir glauben oder sie nachrecherchieren, aber, um zum Beginn des Textes zurückzukommen: Was macht denn das mit unserem Leben, und was macht denn das mit unserem Sehen, wenn wir allem misstrauen müssten? Unsere Wahrnehmung muss sich doch auf irgendeine Basis stellen dürfen. Diesen unausgesprochenen Vertrag. Das Publikumsgespräch. Wir müssen auch mal Oberflächen akzeptieren und den »Mantel«, in den etwas gekleidet ist, sonst vermuten wir irgendwann hinter jedem Dokumentarfilm eine Verschwörung und misstrauen jedem Satz, weil wir ihn für kalkuliert halten. Lehrenkrauss untergräbt dieses Vertrauen. Natürlich muss es ein Befragen von Bildern geben, schon immer und erst recht heute, aber wir müssen bestimmten Aussagen und Umständen auch weiterhin vertrauen dürfen. Deshalb ist es auch so bitter, weil ich konkret weiß, dass viele DokumentarfilmerInnen auch so arbeiten: Sie legen offen, sind transparent, authentisch und reden nicht nur über die ProtagonistInnen, sondern mit ihnen (siehe die Kollaborationen), und dabei sind sie – ganz nebenbei – oft auch sehr künstlerisch.
Lehrenkrauss bittet um Entschuldigung und räumt »Fehler« ein. Sie habe es versäumt, die Inszenierung im Film kenntlich zu machen und sie habe unter Druck gestanden. Auch Entschuldigungen müssen angenommen werden, und über den Druck von Seiten der Redaktionen und des Publikums nach schönen Bildern und spannenden Dramaturgien muss nachgedacht werden, denn was macht es denn mit unseren Leben, wenn wir sie wie Storys erzählen? Aber Lehrenkrauss ist kein Opfer davon. Manche Projekte muss man abbrechen – auch nach einigen Jahren – wenn es nicht weitergeht. Und natürlich hätte man daraus eine hybride Form machen können, einen Spielfilm, auch mit Laien-SchauspielerInnen, der auf bestimmten Fakten beruht denn, by the way, auch Spielfilme gehören recherchiert.
Ich kann mir vorstellen, dass Lehrenkrauss ein Ziel hatte, und das hieß nicht unbedingt, den Grimme-Preis zu bekommen, sondern auf Gegebenheiten aufmerksam zu machen, darauf, dass da etwas überhaupt nicht gut läuft, also eine Debatte über Sexarbeit anstoßen wollte. Jetzt gibt es eine ganz andere Debatte, eine über Transparenz, Ehrlichkeit und das Dokumentarische.