Mit Bravour bestanden |
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The Ape Star – so originell wie liebenswert | ||
(Zeichnung: Filmfest München) |
Von Christel Strobel
Es ist schon eine Erinnerung wert, dass das Kinderfilmfest von Anfang an, also von 1983, als fester Bestandteil zum Filmfest München gehört und somit ebenfalls zum 38. Mal stattfand. Die archivierten – grafisch gestalteten und gedruckten – Kinderfilmfest-Programme sind ein interessanter Einblick in eine erstaunlich vielseitige internationale Kinderfilmproduktion im Laufe der Jahrzehnte. So war auch das Münchner Kinderfilmfest mit thematischen Filmreihen, Regieporträts, Begleitseminaren und so mancher wagemutigen und heiß diskutierten Filmentscheidung informativ wie inspirierend für die Kinderfilmszene.
In diesem Jahr nun war so manches anders beim Kinderfilmfest: Mit Tobias Krell trat ein neuer Leiter an – Kindern und Familien ist er vor allem von seinen Wissenssendungen aus dem TV-Kinderkanal als Checker Tobi bekannt und diese sympathische Popularität war auch während des Kinderfilmfests zu erleben. Er tritt nun die Nachfolge an von Hans und Christel Strobel (1983-2004), Katrin Hoffmann (2005-2018) und Katrin Miller (2019).
Die aktuellen Corona-Bestimmungen ließen – nachdem das Filmfest 2020 komplett ausgefallen ist – heuer nur ein begrenztes Programm zu, das waren insgesamt vier Kinderfilme und zwei Folgen einer Jugendserie, jeweils in einer Aufführung im Sommerkino am Olympiasee und in einer Kinovorführung im Rio Filmpalast. Dass Open-Air-Aufführungen einem natürlichen Wetter-Risiko ausgesetzt sind, spürten Team und Publikum in gleicher Weise: Nach einer schwungvollen Eröffnung mit Lauras Stern in schönster Sommerstimmung, dienten die Schirme an den meisten Liegestühlen als Sonnenschutz (hübsches Bild!) am nächsten Tag als – sehr begrenzter – Regenschutz… Zudem machte sich bereits am ersten, sehr sonnigen und hellen Nachmittag der Nachteil der LED-Leinwand bemerkbar, dass nämlich bei dunklen sowie Nacht-Szenen auch das Bild sehr dunkel blieb. Der insgesamt gutgelaunten Eröffnungs-Stimmung aber machte das keinen Abbruch, wie die zahlreichen Fragen der Kinder vornehmlich an die junge Regisseurin zeigten.
Zwei der neuen Kinderfilme hatten eindeutig die jüngeren Kinder im Blick:
Lauras Stern (Regie: Joya Thome, D 2020, 79 Minuten) ist die erste Realverfilmung nach einer Zeichentrickserie und dem erfolgreichen Animationsfilm von 2004 (Thilo Graf Rothkirch, Piet de Rycker). Es ist schon erstaunlich, dass Joya Thoma, die mit dem beachtlichen Kinderfilm Königin von Niendorf 2017 debütierte (Kinderfilmpreis des Verbands der deutschen Filmkritik), sich in ihrem zweiten Film den bekannten Kinderbüchern von Klaus Baumgart widmet. Erzählt wird die Geschichte von der kleinen Laura, die mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder samt dessen liebstem Spielzeug, dem hölzernen „Beschützmichhund“, in eine andere Wohnung zieht und sich in der neuen Umgebung
noch fremd fühlt. Als sie eines Tages einen Stern findet, der aus dem Weltall gefallen und sich verletzt hat, hilft sie ihm liebevoll und erlebt phantastische Abenteuer zwischen Traum und Wirklichkeit. Abgesehen von einigen betulichen Stellen spricht die Verbindung von realen Ereignissen in einer realen Welt mit der Mischung aus Special & Visual Effects auch ein jüngeres Publikum (ab 5) an. Der Kinostart ist für den 9. Dezember 2021 vorgesehen, was dafür spricht, dass Lauras Stern als der Familien-Weihnachtsfilm dieser Saison vorgesehen ist. (Ausführliche Filmkritik folgt zum Kinostart)
The Ape Star (Regie: Linda Hambäck, Dänemark / Schweden / Norwegen 2021, 72 Min.)
Wer den originell wie liebenswert gezeichneten Animationsfilm Kommissar Gordon & Buffy (2017) kennt, kann sich auf den neuen Animationsfilm des gleichen Filmteams freuen, der allerdings noch keinen
deutschen Verleih hat. Diesmal ist es auch wieder eine Geschichte um Vorurteile und Hilfsbereitschaft, Ablehnung und Zusammenhalt. Hier geht es um ein Waisenhaus, auf dessen Grund Tord Fjordmark (Stimme im Original: Stellan Skarsgård) einen lukrativen Wasserpark errichten und deshalb will, dass die Kinder adoptiert werden. Für das Mädchen Jonna allerdings wäre dies genau das Richtige, denn sie sehnt sich nach einer Mutter. Als eines Tages eine große wie mächtige Gorilla-Dame (Stimme:
Pernilla August) erscheint mit der Absicht, Jonna zu adoptieren, ist das Kind erst mal erschrocken. Doch langsam nähern sich die beiden an und Jonna gefällt das neue Leben, fühlt sich mit „Gorilla“ verbunden, auch weil sie das gleiche Schicksal der Ablehnung in ihrer Gesellschaft teilen. Der fiese Tord Fjordmark aber gibt keine Ruhe und versucht Gorilla auszutricksen, um sich auch deren Land – einen bizarren Schrottplatz – anzueignen. Dass es letztlich ein gutes
Ende gibt, wird auch jüngere Kinder glücklich aus dem Kino entlassen.
Der Zeichenstil dieses Films ist ein ganz anderer als bei Kommissar Gordon & Buffy und man muss sich erst „ein-sehen“; wobei auch die wunderbar stimmige und von leisen Tönen durchzogene Filmmusik zur Atmosphäre des Films beiträgt. Vorlage für diesen Film ist das ausgezeichnete Kinderbuch „Ich, Gorilla
und der Affenstern“ von Frida Nilsson. Im Gespräch, das Tobias Krell vorab mit der aus Seoul stammenden Regisseurin Linda Hambäck per Video geführt hat und das nach der Filmvorführung auf der Kinoleinwand zu sehen war, wurde deutlich, dass ihr das Thema Adoption aus der persönlichen Erfahrung nahe ist. Es ist zu hoffen, dass auch ihr neuer, in mehrjähriger Arbeit entstandener Film, hierzulande im Kino zu sehen ist.
Die beiden anderen Filme wenden sich an ältere Kinder ab zehn Jahren:
Mission Ulja Funk (R: Barbara Kronenberg, Deutschland 2020), ein verrücktes Roadmovie, das im deutsch-russischen Familien-Milieu angesiedelt ist, zwischen Forscherdrang der zwölfjährigen Ulja und religiösem Eigensinn ihrer Oma. Ein Film, der im Rahmen der Initiative „Der besondere Kinderfilm“
entstand und der die unterschiedlichsten Reaktionen auslöst. Für die einen enthält er zu viel Klamauk, die anderen amüsieren sich ob der schrägen Einfälle. Beim diesjährigen Kindermedienfestival „Goldener Spatz“ verlieh die Kinderjury ihren Hauptpreis an „Mission Ulja Funk“ und die Jury der Interfilm Akademie München, die seit 1986 Filme aus dem Filmfest München mit dem ONE-FUTURE-PREIS auszeichnet, vergab eine Lobende Erwähnung. (siehe auch Bericht Berlinale
2020).
Nachtwald, das Spielfilmdebüt von André Hörmann (D 2021), eine spannende wie einfühlsame Geschichte über die Funktion und Macht von Träumen und deren Verwirklichung (siehe Festivalbericht Goldener Spatz 2021), kam auch beim Münchner Publikum gut an und löste ein lebhaftes Gespräch aus. „Nachtwald“ ist bereits im Verleih von Farbfilm und kommt
hoffentlich bald ins Kino.
Die Jugendserie Wir Sind Jetzt (Regie: Christian Klandt), wovon zwei Folgen aus Staffel 2 ausgewählt wurden, war für den Kinonachwuchs zwischen Kinder- und Erwachsenenfilm gedacht. Die von RTL 2 mit Förderung vom Medienboard Berlin-Brandenburg produzierte TV-Serie befasst sich mit diversen Problemen der Adoleszenz am Beispiel einer Jugend-Clique. In den beiden Folgen geht es um sexuelle Orientierung eines 17jährigen Gymnasiasten. Es war ein Versuch,
der allerdings in der Open Air-Aufführung im Regen unterging und in der Kinoverführung nur wenige vom gewünschten Zielpublikum erreichte.
Dem neuen Leiter des Kinderfilmfests ist es schon klar, dass es ein wichtiger Versuch war, den er weiter verfolgen will, dass dafür aber ein Rahmen geschaffen und nicht zuletzt ein griffiger Titel gefunden werden muss, der das gewünschte Publikum anspricht und zum Kinobesuch motiviert.
Für die Schulen gab es noch ein besonderes Angebot: »Kino mit Tobi und Tim – Der filmische Schulworkshop des Kinderfilmfest München« (mit Tobias Krell und Tim Gailus). Der Workshop-Film enthält Ausschnitte aus den Filmen Lauras Stern und Mission Ulja Funk.
Zum digitalen Schul-Workshop
gibt es Arbeitsblätter (Text Ulrike Seyffarth) für die filmpädagogische Begleitung. Diese Programmerweiterung kann nicht hoch genug geschätzt werden, nachdem Filmerziehung im Schulunterricht hierzulande (im Gegensatz zu Frankreich) immer noch nicht verankert ist.
Es war keine leichte Aufgabe, unter den diesjährigen Bedingungen das Kinderfilmfest durchzuführen. Da muss man schon eine unerschütterlich optimistische Grundhaltung haben und überzeugt von der Sache sein – und Tobias Krell hat das mit Bravour bestanden.
Sein Resümee macht Hoffnung für die kommenden Jahrgänge:
»In erster Linie freue ich mich, endlich wieder Kino erlebt zu haben! Hunderte Kinder vor einer Leinwand, Filme für alle Altersklassen, Open-Air und
‚echter’ Kinosaal – ich bin froh und stolz, dass wir das unter den immer noch erschwerten Pandemie-Bedingungen hinbekommen haben. Die Begegnungen mit den Filmschaffenden, die Publikums-Gespräche und einfach die Stimmung in der ganzen Stadt, das waren Highlights. Manches hat auch noch nicht so hingehauen, wie wir uns das vorgestellt haben, aber das motiviert umso mehr für die kommenden Jahre. Auf jeden Fall hat das Festival mir Lust gemacht, noch weitere Jahrgänge
mitzugestalten!«