Knick in der Pupille |
||
So banal wie ärgerlich: A Pure Place | ||
(Foto: Filmfest München) |
Von Axel Timo Purr
Auch dieses Jahr war wie das vorletzte Jahr ein gutes Jahr für das neue deutsche Kino auf dem Filmfest München.
Es wurde überzeugend Vergangenheitsbewältigung geübt (Schattenstunde), die aktuellen Identitätsdebatten facettenreich präsentiert (Ivie wie Ivie, Trans – I Got Life), sich an alten DDR- und Post-DDR-Clustern aufregend abgearbeitet (Nahschuss, Lieber Thomas, Das Mädchen mit den goldenen Händen), mal weniger und mal mehr überzeugend Beziehungsarbeit geleistet (Generation Beziehungsunfähig, Viva Forever, Nö, Monday um zehn, Heikos Welt) – ein aufregendes Panoptikum, das in seiner Vielfalt unser Leben, unsere Gesellschaft, Vergangenheit und Gegenwart nicht nur darstellt, sondern im besten Fall auch unbewusste Strömungen anzapft und mehr über unsere Zukunft erzählt, als uns vielleicht lieb ist.
Fast alle der hier erwähnten Filme hätten deshalb zweifellos einen Preis verdient, man lese dafür nur die begeisterten Kurzkritiken, die wir im Verlauf des Festivals vor allem über die deutschen Filme verfasst haben. Und immerhin hat ja Trans – I Got Life den Publikumspreis gewonnen, wurde Martin Rohde für seine furiosen Dart-Leistungen (in einer auch sonst großartigen Futschi-Miljö-Studie) in Heikos Welt ausgezeichnet, erhielt Mareille Klein für ihren ironischen wie ernüchternden Blick auf deutsche Befindlichkeiten in Monday um zehn den FIPRESCI-Preis, gewann Franziska Stünkels düstere DDR-Abrechnung Nahschuss den Drehbuchpreis Neues Deutsches Kino und Miriam Düssels Mutter-Sohn-Road-Movie Mein Sohn den Preis für die beste Produktion.
Den mit 30.000 Euro höchstdotierten Förderpreis, den für die beste Regie, erhielt allerdings ein Film, der im artechock Kurzkritik-Spiegel nicht sonderlich hervorstach und für den interessierten Kinogeher eher ein Ärgernis war. Denn Nikias Chryssos, der mit seinem Langfilmdebüt, der Groteske Der Bunker (2015), zahlreiche Preise gewinnen konnte, nimmt sich – mit einer sehr ähnlichen Fixierung auf das Groteske – des an sich aufregenden und interessanten Themas »Sekte« an. Man denke nur an Zal Batmanglij psychologisch akkurate und spannende Sektenabrechnung Sound of My Voice! Aber Chryssos interessiert weder Psychologie noch Spannung. In seinem Gedankenspiel A Pure Place nimmt er sich einer Sekte an, die sich auf einer griechischen Insel einem Seifenkult verschrieben und die üblichen Hierarchien und Grausamkeiten etabliert hat, die man aus dem Sekten-ABC so kennt.
So banal wie uninteressant inszeniert, so weit entfernt von real-gesellschaftlichen Bezügen wie es nur geht, scheint die »Theater-Jury« um Sophie von Kessel (Schauspielerin), Komi M. Togbonou (Schauspieler und Münchner Kammerspiele-Ensemblemitglied) und Barbara Mundel (Intendantin der Münchner Kammerspiele) dann aber wohl gerade an den aufgesetzten, nur allzu offensichtlichen Anspielungen auf das antike Theater Gefallen und vielleicht ein bisschen berufliche Heimat gefunden zu haben. Und wohl auch an der sichtlich bemühten, an schlechte Theater-AGs erinnernden Schauspielerei. Doch all das und die abstrusen Leerstellen und noch abstruseren Verweise scheinen die Jury tatsächlich berührt und zu einer der verschwurbeltsten Jury-Begründungen (des an sich ja schon legendär-verquasten Formats »Jury-Begründung«) inspiriert zu haben, die es in letzter Zeit gab. Eine Begründung, die letztlich aber immerhin genau dem entspricht, was Chryssos uns in seinem Film zeigt:
»Nachdem wir alle so lange nicht mehr im Kino waren, ist uns als Jury in dieser Woche noch bewusster geworden, wozu Kino in der Lage ist. Durch eindrucksvolle Bilder, die vor Phantasie strotzen und Bilder, die mit filmischen Effekten aufgeladen sind, wurde uns wieder klar, was man vom Kino erwarten darf: Alles, was fehlt, vielleicht im Leben jedes einzelnen!
Das Ungewöhnliche, auch das mitunter Verstörende, gespickt mit Visionen des Unvorstellbaren.
Wir als Jury hatten die
Aufgabe, den Förderpreis Regie nach diesen Kriterien auszuwählen, und dazu gehörte in diesem Fall auch ein großartig geführtes Kinderensemble. Wir haben uns daher entschieden, den Förderpreis Neues Deutsches Kino in der Kategorie Regie an A Pure Place von Nikias Chryssos zu vergeben. Herzliche Gratulation!«