36. Filmfest München 2019
Mamma Mia Mi2 |
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Improvisierte Selbstermächtigung in Sabine Koders Zu Zweit Allein | ||
(Foto: Elfenholz Film) |
Von Axel Timo Purr
Es war ein Fest der Frauen, das ohne den durch die Weinstein-Affäre ausgelösten #MeToo-Tsunami nicht denkbar gewesen wäre und sich bereits im 2018er-Jahrgang des Münchner Filmfests angedeutet hatte. Filme wie YUNG, Kim hat einen Penis und vor allem der überragende Alles ist gut von Eva Trobisch boten im Kern das, was sich dann in diesem Jahr zu voller Blüte entfaltete. Frauen fast jeden Alters und fast jeder sozialer Schicht wollen einfach nur noch raus: aus ihren Verhältnissen, ihrer Beziehung, ihrem Status, ihren Abhängigkeiten und (eigenen) Erwartungshaltungen, raus aus ihrer Haut.
Und dazu ist so ziemlich jedes Mittel Recht.
Im Münchner Mumblecore-Drama Zu Zweit Allein von Sabine Koder, das in seiner zeitlosen Art so auch in den frühen 1970er hätte gedreht werden können, rebelliert die frustrierte Grundschullehrerin Nina (Eva Bay) nicht nur gegen ihren Beruf und ihren Freund Karl (Tom Lass), sondern irgendwann auch gegen sich selbst, um wenigstens in Ansätzen so etwas wie Freiheit zu spüren. Eine Freiheit, die sich die Heldinnen in Elisa Mishtos stilistisch und dialogisch brillanten Stillstehen fast so furios erkämpfen wie die männlichen Helden in Miloš Formans Einer flog über das Kuckucksnest. Aber Mishto integriert in ihre eiskalt und wunderschön inszenierte Geschichte über den Charakter der Krankenschwester Agnes (Luisa Céline Gaffron) auch eine substanzielle Kritik an dem seit dem Dritten Reich kaum angetasteten Bild der „guten deutschen Mutter“, das hier völlig befreiend dekonstruiert wird. In seiner subtilen Radikalität fordert dieser Grenzgang zwischen Komödie und Tragödie auch den Betrachter auf, zumal den männlichen, sich den eigenen, beschämenden Grenzen unserer so unheimlich eng gesteckten, herrschenden Moral bewusst zu werden.
Ganz ohne Humor und schon aus der Perspektive des Zurückblickens, dem Tag ihres 60. Geburtstages versucht sich Jan-Ole Gersters Lara ihres Lebens zu »versichern«, muss aber feststellen, dass sie ihr Leben eigentlich schon verloren hat, ohne es wirklich gelebt zu haben. Die von Corinna Harfouch ins Zentrum von Gersters Film gespielte Lara vibriert, atmet und flirrt allein durch die schauspielerische Kraft von Corinna Harfouch, die nicht nur durch die Rolle, die sie spielt, an Isabelle Huppert in Michael Hanekes Klavierspielerin erinnert, aber der es – anders als Huppert – sogar dann und wann gelingt, neben einer gewaltigen subkutanen Aggressivität auch einen Hauch von Ironie, ja, fast ein Lächeln in ihr Spiel mit einfließen zu lassen. Steht Lara am Ende ihrer Entwicklung und mit ihren gewonnenen Erkenntnissen zwischen selbstermächtigtem Neuanfang oder Suizid, so spielt die großartige Franziska Hartmann in Christian Ebelts Sterne über uns eine »Lara« in ihren jungen Jahren. Eine Frau, die gegen die Windmühlen der Wohnungsnot ebenso ankämpft wie die des Alleinerziehens und dabei ebenso bereit ist wie Lara, für ihr Kind ein ganzes Leben zu opfern.
Gerade im Vergleich zu Sterne über uns, der einen Kampf an der Front des härtesten Alltags skizziert und dementsprechend hart und souverän inszeniert ist, haben die jungen Frauen in Sophie Kluges Golden Twenties und Mariko Minoguchis Mein Ende. Dein Anfang. und erst Recht in Florian Gottschicks Rest In Greece etwas Traumwandlerisches, Transzendentales. Keine muss sich ums Geld kümmern, keine steht wirklich am Abgrund, auch wenn ihr Leben ungeahnte Abgründe aufweist. Doch die sind entweder theoretischer Natur oder hängen mit Selbstverwirklichung auf den Lebensinseln Liebe, Sex und Beruf zusammen. Dennoch wird selbst in diesem bildungsbürgerlichen Umfeld deutlich, dass hier niemand, wie der Soziologe und Philosoph Arno Plack einst schrieb, mit Lügen leben will, es nicht darum geht, sich als »Oh Girl« flanierend durchs Leben zu mogeln, sondern eher wie Karl Ove Knausgård zu sagen, was man denkt und meinetwegen auch zu gehen, wenn das keiner hören will.
Das »Gehen«, das explizite Weggehen, um zu sich selbst zu finden und dabei an Verluste, die es immer geben wird, erst einmal nicht zu denken, exerzieren auch zwei weitere, großartige Heldinnen des Neuen Deutschen Kinos auf dem diesjährigen Münchner Filmfest: Karin Hanczewski als Cowgirl Lilly in dem deutschen »Neo-Western« Bruder Schwester Herz von Tom Sommerlatte und Anne Ratte-Polle als Pilotin Marion in Ilker Çataks bissigem Es gilt das gesprochene wort, in denen sich die Frauen nicht nur von männlichen Erwartungshaltungen emanzipieren, sondern auch von berufspolitischen Ansprüchen radikal befreien.
Dass die Förderpreise am Ende nur an Leif In Concert (Produzentenpreis), Lara (beste Regie) und Es gilt das gesprochene wort (bestes Drehbuch, bestes Schauspiel) gingen, ist nur schwer zu ertragen, überzeugen doch fast alle Filme nicht nur durch ihre technische und inhaltliche Virtuosität, sonder vor allem durch ihre immer wieder auch provokant in den Raum gestellten Rollenmodelle, die am Puls unserer Gegenwart lauschend, auch dazu beitragen werden, dass nicht nur die kommenden Filme, sondern auch unser Leben ein anderes sein wird.