36. Filmfest München 2019
Whatever happend to »mia san mia«, oder: So, not Berlin? |
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»Mei, des war halt so…« »Experimentell?« Zu zweit allein |
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(Foto: Elfenholz Film) |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Wir reden sonst echt gerne einfach nur über die Filme.
Und ein höheres Budget für mehr Filme, größere Filme, tollere Gäste und komfortablere Bedingungen für alle Beteiligten (plus Freibier) fänden wir ja auch knorke.
Was aber dieses Jahr von der Etaterhöhung für uns auf dem Filmfest zu spüren war, schien eher eine zersetzende Wirkung auf den Geist des Filmfests, auf das „mia san mia“ zu haben.
Plötzlich zerrten und drängten da diese äußerlichen
Begehrlichkeiten und Großmachtfantasien. Wie so etwas meist abläuft: merklich auf Kosten des menschlichen Umgangs.
Und die immer Raum stehende Frage „Ja, wo isses denn? (Das Geld)“ entwickelte sich zu einer Schatzsuche nach dem Ausschlußverfahren.
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Liste der uns aufgefallenen Einsparungen (vermutlich unvollständig):
Die Premiumkarten mit Fanpackage für das reguläre Publikum werden nicht mehr angeboten.
Kein kostenfreies Wlan in den Kinos
mehr.
Akkreditierungsgebühren durch die Bank wieder – und für’s Fachpublikum deutlich – erhöht, während der Leistungsumfang unangekündigt eingeschränkt wurde.
Kein Zugang mehr in Abendvorstellungen für als Gast akkreditierte.
Weniger filmfesteigene Mikros in Kinosälen.
Die Filmfestticketkassen in den Kinos werden nicht mehr vor Beginn des ersten Films geöffnet.
Das Atelier, mit seinem Innenhof die letzte inoffizielle
Begegnungsstätte, wurde sogar zwischen Presse- und erster regulärer Vorstellung ganz zugesperrt.
Der Festivalplaner der App hat vollends seinen Dienst verweigert.
Die Zahl der Rechner im Schreibraum des Pressezentrums wurde weiter reduziert, die vorhandenen Geräte dafür aber auch anscheinend seit letztem Jahr nicht gewartet.
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Der neue künstlerische Leiter war bei der Eröffnungsgala zur Begrüßung nicht auf der Bühne.
Ob das Chatrian in Berlin im Februar auch so
halten wird?
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Das bemerkt habend, und durchaus gestehend, dass wir auch der Meinung sind, es hätte berufenere Menschen gegeben für den Posten der Festivalleitung als Diana Iljine:
Wir möchten in der gegenwärtigen Konstellation nicht in ihrer Haut stecken.
Und es ist vollkommen legitim, dass sie sich nachdrücklich als das öffentliche Gesicht des Filmfests München etablieren möchte.
All die ach so originellen, rippenknuffenden Witzeleien über Iljines bewusst
repräsentativ-glamouröse Garderobe kann man also auch einfach mal im Altherrensakko stecken lassen.
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Eine Moderatorin wähnte sich schon ein paar Schritte weiter, als sie den Weg des von ihr angekündigten Films über die Festivals von Tribeca über Cannes bis „heute hier, in Berlin“ nachzeichnete.
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Selbstausbeutung ist eine Sache, wenn man sie im eingeschworenen, weitgehend gleichberechtigten Team betreibt, im Dienst eines Ideals. Für eine Veranstaltung, an die man glaubt, die aber heillos unterbudgetiert ist.
Es ist etwas ganz anderes, wenn die Mittel vorhanden sind, aber ihren Weg nicht finden zu den engagierten MitstreiterInnen.
Es ist in mehr oder minder kreativen Metiers ja leider inzwischen flächendeckend üblich, für „exposure bucks“ zu
arbeiten – für das Versprechen, immateriellen Lohn zu finden in der vermeintlichen „kostenlosen“ Eigenwerbung, das Versprechen der Aufmerksamkeit zukünftiger Kunden, die dann aber ganz bestimmt sicher fei voll wirklich für die Arbeit einmal zahlen werden.
Dass es beim Filmfest zu Ströhls Zeiten so war: Okay. Dass es mit dem bald fünffachen Budget noch immer so ist, dass man Tätigkeiten für das Filmfest eigentlich als Hobby betreibt, dass man einen Brotjob
benötigt, um sich die Arbeit für das Filmfest leisten zu können: Nicht okay.
Egal, mit wem an Mit- und ZuarbeiterInnen man da redet: Das klingt nicht nach A-Festival, sondern nach spontan im Partykeller organsiertem Band-Wochenende, weil die Eltern nicht da sind. Und jeder zahlt drauf, weil man einen Kasten Bier mitbringt.
Vertraulich zugeraunte Zahlen behandeln wir freilich auch als solche. Aber sagen wir mal so, liebe Leserschaft:
Stellen Sie sich – unter der Prämisse,
dass das Filmfest echt schlecht entlohnt – einen grenzwertig niedrigen Betrag vor für egal welche der diversen Tätigkeiten.
Halbieren Sie diesen Betrag.
Dann sind Sie wahrscheinlich eher noch am oberen Ende.
Dann stellen Sie sich vor, was man wenigstens selbstverständlich an Vergünstigungen und Spesen bekommt.
Und lassen sich gesagt sein, grosso modo: Nein.
Dann haben Sie nach unserem Kenntnisstand eine halbwegs realistische Vorstellung von der Misere.
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Budget des DOKfest München 2019:
Ca. €1 Mio.
Budget des Filmfest München 2019:
Ca. €5 Mio.
Besucherzahl des DOKfest München:
52.000
Besucherzahl des Filmfest München 2019:
70.000
(Ohne Berücksichtigung der Sponsorengelder.)
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Das DOKfest besinnt sich auf seine Kernkompetenz: Filme zeigen.
Just saying.
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Das Filmfest München sucht den Weg in die Breite: thematisch, wie im Ausdehnen über die ganze Stadt. Nach dem
durchschlagenden Erfolg damit dieses Jahr (Besucherzahl gut 12%, bzw. 10.000 Besucher unter dem zuletzt gehaltenen Niveau von ca. 80.000), hätten wir diese Vorschläge für Zusatzveranstaltungen: Kulinarisches Kino und NATIVe.
Die wären aus Berlin gerade frei geworden.
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Auf eine offizielle Stellungnahme bezüglich der eingebrochenen Besucherzahlen wartet man noch.
Aber das Filmfest brüstet sich sehr damit, dass das Angebot an Branchenveranstaltungen größer und
besser besucht gewesen sei denn je.
Filmfest München als Veranstaltung für deutsche Fernseh- und Filmnasen – das hatten wir unter Hauff schon mal, das war damals suboptimal, das brauchen wir nicht wieder.
+ + +
Das Filmfest betont die immer größere Bedeutung des politischen Aspekts.
Als die Berlinale das Gleiche getan hat, war das ein Zeichen ihrer Selbsterkenntnis, dass sie die großen Stars und die Filme von wirklich künstlerischer Relevanz nicht mehr anlocken kann.
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Ein (wir schwören: 100% authentisch so mitgehörter) Trambahndialog, am letzten Festivaltag,nahe Stachus:
Älterer Herr, sieht draußen ein Plakat des Filmfests:
»Des Filmfest is auch wieder spurlos an mir vorübergegangen.«
Seine erwachsene Tochter:
„Aber du hast da doch schon mal was gesehen, gell?“
„Ja, letztes Jahr. Weiß aber gar nicht mehr…“
„War des gut?“
„Mei, des war halt
so…“
„Experimentell?“
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Bei allem Gemosere:
Auch dieses Jahr hatten wir nach drei Tagen Filmfest München mehr gute Filme gesehen als im gesamten Berlinale-Jahrgang.
Können wir gerne mal bei einem Bier ausführen, wenn Sie wollen.
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Überhaupt, war die wahre Konkurrenz des Fimfests München nicht traditionell das Filmfestival Karlovy Vary?
Geographisch nah, zu überlappender Zeit im Kalender, ähnliche Zuschauerzahlen, vergleichbare internationale Bedeutung, früher oft verblüffend übereinstimmende Stargäste…
Und halt einst mit dem Ruf, ein persönliches, publikumsnahes, cineastisches Festival mit eigener Handschrift zu sein.
So dass wir mehrfach versucht waren, allem
Lokalpatriotismus zum Trotz das kühle Münchner Bier Ende Juni bei den tschechischen Nachbarn gegen 80°C heißes Thermalwasser zu tauschen.
Doch weh, doch ach! Irgendwann sich seines guten Rufs zu bewusst – und überheblich, großspurig geworden.
Vorbei scheint’s mit dem Charme. Jedenfalls hört man von den Kolleg*innen, dass man sich die Reise inzwischen sparen kann.
Nur so zur Mahnung.
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Albert Serras Video-Grußbotschaft zu Liberté (wo: wenn wir über Filme schreiben würden…) war mäandernd, repetitv, und ausgedehnt in einer Weise, dass man irgendwann fürchtete, sie könnte eventuell die Laufzeit des Films überbieten.
Aber so mittendrin, zwischen dem dritten und vierten Bedauern, dass er nicht persönlich anwesend sein konnte, und der vierten und fünften Beteuerung, wie verrückt sein Film sei – da gab es diesen Moment, wo er
auch München und dessen Filmfest lobte. Und wie gern er dort sei.
Viel, viel lieber als in Berlin.
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Ein Punkt, in dem man der Berlinale absolut gleichziehen könnte – und es würde noch nicht einmal etwas kosten:
Man könnte sowohl nicht verkaufte als auch anderweitig leer bleibende Sitze in Vorstellung mit Akkreditierten auffüllen.
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Das wäre speziell in diesem Jahr segensreich gewesen, wo durch die Umstellung auf ein neues Ticketsystem wir Akkreditierte vor – für das Festival absehbare, für unsereins immer auf’s Neue überraschende, mannigfaltige – Herausforderungen standen.
Die EDV von München Ticket war sichtlich für die Aufgabe nicht geeignet. Und die angeflanschte Behelfslösung war im besten Falle umständlich, sehr oft allerdings einfach komplett unnutzbar.
Zwei neue
Beschränkungen gab es für Presseakkreditierte, die im Vorfeld nicht kommuniziert wurden:
Eine Begrenzung des persönlichen Ticketkontingents auf 35.
Und viel gravierender, keine Möglichkeit mehr zum Umtausch oder Rückgabe einmal (meist zwei Tage im Voraus) gebuchter Pressekarten.
Was komplett den eigentlichen Geist eines Festivals aus Sicht berichterstattender Kritik zerstört.
Keine Chance mehr, sich treiben zu lassen, sich mit Anderen auszutauschen,
Filmempfehlungen und -warnungen spontan nachzugehen, umzuplanen, wenn mal ein Film einen regelrecht ausknockt, ein Publikumsgespräch länger dauert, oder der MVG sich querlegt und einen nicht rechtzeitig ins nächste Kino befördert.
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Auch unter dem regulären Publikum konnten wir keine Person finden, die für die Kooperation mit München Ticket Begeisterung aufbringen konnte.
Anders mag das bei der Teilhaberin, der Stadt München sein, die so wohl zumindest einen Teil ihres Budgets über die Servicegebühr wieder eintreiben konnte.
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Liebes Duodez-Fürstlein Söder,
der Du Dich berufsmäßig freilich dauernd reibst am Widersacher und Wunschbild Berlin(ale):
glaubst Du wirklich, dass ein einziger Mensch, der die letzten Jahre den Berlinale-Wettbewerb abgesessen hat, sich – heimgekehrt – sehnt: „Das will ich auch!“?
Und schaust Du wirklich gen Nordosten, wenn Du vom Medienfestival schwadronierst, richtet sich Dein Blick nicht eher Richtung SXSW?
Und glaubst Du
Torschießgeldscheißer, dass Du in der Liga mitspielen könntest?
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Lassen wir mal dahingestellt, wie viel Glamour die Berlinale überhaupt noch auszustrahlen vermag, wo doch auch dort die Hollywood-Größen bestenfalls auf Werbetour für eher glanzlose Projekte vorbeischauen.
Selbst wenn Clooney und Co. sich die Ehre geben, hat das Publikum davon nicht mehr als die Erlaubnis sich drei Stunden in die Kälte zu stellen, um dann die Stars zwei Minuten durch die Sicherheitsabsperrungen auf dem Roten Teppich vorbeihuschen und für Bilder posieren zu
sehen, die es sich dann am nächsten Tag in der Presse genauer betrachten kann.
In München hingegen ist es Tradition, dass die prominenteren Gäste wie selbstverständlich zu einem für alles Publikum kostenlos zugänglichen und ausführlichen Gespräch in der Black Box erscheinen.
Was in unserer Erfahrung noch nie zur Dauerwerbesendung verkommen ist, sondern fast immer nicht nur durch die Räumlichkeiten bedingt intim und nah wirkt, und erstaunlich locker und ungezwungene
Momente hervorbringt.
Da pfeifen wir doch auf Berliner »Glamour«.
(Etwas unentspannt war dieses Jahr nur die wieder eingeführte „Wer zuerst steht, sitzt zuerst“-Platzvergabe, die dazu geführt hat, dass man sich rund zwei Stunden vor Beginn in die schnell wachsende Schlange einreihen musste, wenn man sicher einen Platz ergattern wollte.
Wir würden nicht so weit gehen wie der dezent aggressive Gast, der vor dem Gespräch mit Antonio Banderas etwas von einer „faschistischen Platzvergabe“ in den Saal brüllte.
Aber wenn es
stimmt, was uns zugetragen wurde, dass der Grund für die Abschaffung der in den letzten bewährten Gratistickets war, den Leuten die bei München Ticket anfallenden €1 Servicegebühr zu ersparen, dann müssen wir sagen: diesen Stundensatz wäre uns unsere Zeit und unsere Gemütsruhe wert.)
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Filmfest München,
das ist wenn der Stargast in einem unerwarteten „Mr. Fiennes, das ist Ihr Leben!“-Moment von der Bühne in der Black Box springt, um den Mann im Publikum zu umarmen, der ihn ganz zu Beginn seiner Karriere als unbekanntes Mitglied einer „Shakespeare in the park“-Truppe an den Münchner Gasteig geholt hat.
Das ist, wenn wir soooooooo neidisch sind, bei der legendären, alljährlichen Isar-Floßfahrt für Filmemacher*innen nicht an Bord
sein zu dürfen – aber noch so viel froher sind, dass sie ein geschützer Raum vor Presse und Öffentlichkeit bleibt.
Das ist, wenn die Filmgeschichte die Existenz von Guy Maddins Careful allein dem Umstand verdankt, dass der Regisseur – lang vor seinen Berlinale-Zeiten – als Gast immer staunend in den Alpen herumkraxelte, bevor er zurück zu den Q&As geeilt ist.
Das ist,
mit Mads Brügger nach der letzten Vorstellung noch in der „Hopfendolde“ auf den Geburtstag einer Filmfest-Mitarbeiterin anzustoßen.
Das ist, wenn man Quentin Tarantino stolz in der Liste ehemaliger Gäste führen kann, eben nicht, weil man ihn als Cannes-Gewinner abgegriffen hat – sondern weil er als Debutant in der American Independents-Reihe für die Freaks präsent war, während die deutsche Fernsehbranche sich auf den Galas gebusselt und auf die Schulter geklopft
hat.
Das ist, wenn Jahre später nicht nur überraschend Michael „Mr. Blonde“ Madsen vorbeischaut, weil ihm eine der gezeigten Dokus so am Herzen liegt, und dieses Prackl Mannsbild sich ein paar Tränen nicht verkneifen kann und will – sondern dann auch in der Autogrammschlange Menschen stehen, die tatsächlich zu den wenigen Dutzend Erdenbürgern gehören, die sein Werk als Lyriker zum Signieren besitzen.
Das ist, wenn – soweit man dem Facebook-Account des
Festivals glauben darf – Gäste wie Bryan Cranston oder Jesse Eisenberg unbeeinträchtigt von ihrem Ruhm im Biergarten des Hofbräuhauses hocken, nach dem Prinzip des „Hock di hera, samma mehra“.
Das ist, kruzifix noamal: Mia san fucking mia.