Humanismus und Pessimismus |
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Das Bild im Bild impliziert immer auch Medienkritik: Caché | ||
(Foto: Prokino) |
»Zuchtmeister des Blicks« nennt ihn heute Philipp Stadelmaier in einem sehr schönen Text in der Süddeutschen Zeitung nicht untreffend. »Magier der Entzauberung« schreibt Andreas Kilb in der FAZ. Was beiden Definitionen aber fehlt, ist die Aussage, wozu und mit welchem Ziel Haneke uns Zuschauer denn züchtigt?
Am ehesten vielleicht, um uns klarzumachen, dass das Kino nicht das bessere Andere ist, dass es kein Schonraum ist, auch wenn wir es manchmal gern so denken würden.
Das Kino ist kein Schonraum, und der Zuschauer hat auch kein Recht darauf, von Filmen oder Bildern verschont zu werden oder von Regisseuren. Dies ist eine Lektion, die auch nach über 20 Haneke-Filmen immer noch sehr viele lernen müssen.
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Man könnte jetzt einiges zu Haneke schreiben. Man könnte erzählen, was wenige wissen: Dass er als Fernsehredakteur anfängt Ende der 60er, Anfang der 70er beim SWR. Und dass er dort der Redakteur einer jungen Drehbuchautorin war, die nur einen einzigen Film machte, bevor sie sich anderen Dingen zuwandte: Ulrike Meinhof mit Bambule, der kurz darauf für viele Jahre im Giftschrank der
Öffentlich-Rechtlichen verschwand.
Die Tatsache, dass Haneke offenbar eine Sensibilität für diese Frau hatte und dass er auch viele Jahre später immer noch mit einer gewissen Hochachtung von ihr spricht, ehrt ihn. Sie zeigt zugleich, dass das öffentliche Bild, auf das dieser Regisseur oft zurechtgestutzt wird – eines eiskalten Technikers und Manipulators, eines unsympathischen Typen, der sich nur für sich selber interessiert –, dass dieses Bild nicht stimmt und
noch nie wirklich gestimmt hat.
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Erinnern wir heute einfach mal an ein paar Leitmotive: Michael Haneke schildert in seinen Filmen immer wieder Gewalterfahrungen. Wir erleben eine oberflächlich heile Welt – und erfahren dann auf eine leise, verstörende Art, wie tief diese Welt von Gewalt geprägt ist. Wenn man überhaupt irgendetwas über Haneke gehört hat, dann dass er ein Regisseur ist, der untergründige Gewalt, die ja auch in unserer Gesellschaft, in jeder Gesellschaft und jeder Zivilisation präsent
ist, unter der schönen glatten Oberfläche herausarbeitet.
Haneke-Filme sind unbequem. Wenn man nur einen Haneke-Film gesehen hat, dann weiß man schon, dass eigentlich immer noch irgendetwas kommt, irgendein Moment des Schocks, der Gewalt, der »Überschreitung« (Georges Bataille).
Für Haneke ist diese Gewalt-Erfahrung eine universale.
Man muss sich vielleicht erinnern: Vor 80 Jahren, als Haneke in München geboren wurde, tobte in Europa ein Weltkrieg, der viel schlimmer war, als alles, was heute geschieht. Kurz darauf ereigneten sich dann Dinge, die ja, wenn man so will, positive Gewalt-Erfahrungen waren: Es kam zum D-Day, zur Invasion der Alliierten in der Normandie. Die US-Amerikaner befreiten Europa vom Faschismus – natürlich mit Gewalt.
Und Haneke selbst hat kurz darauf auch, wenn man so möchte, etwas wie
Gewalt erfahren – weil er als sehr junges Kind nach Schweden geschickt wurde, wo man kleine Kinder in Zeiten des Hungers besser und gesünder ernähren konnte und wohin die Kinder aus der europäischen Trümmerlandschaft nach dem Krieg herausgeholt wurden. Er hat später darüber gesprochen: Wie er in dieses fremde Land kam mit einer fremden Sprache.
In Das weiße Band von 2009, Hanekes vielleicht bestem und schönstem Film, geht es um Gewalterfahrungen unserer Eltern und Großeltern. Aber Das weiße Band ist einer der ganz wenigen Filme von Haneke, die in der Vergangenheit spielen. Fast alle seine Filme spielen in der Gegenwart – und
natürlich ist aus seiner Sicht die Gewalt in der Gegenwart ganz präsent.
Das weiße Band ist als Vorgeschichte angelegt – sowohl für den Ersten Weltkrieg ganz direkt, denn der Film spielt im Jahr 1913, aber auch etwas grundsätzlicher und, wenn man so will, philosophischer: Denn es ist auch die Vorgeschichte der großen Gewalterfahrung der deutschen Geschichte, der Welt, die in
Deutschland dann in den 1930er Jahren in den Nationalsozialismus mündete. Es geht darum, die Idyllisierungen dieser Zeit nicht zuzulassen.
Gleichzeitig ist dies eben eine universale Geschichte – insbesondere über die Kinder, die immer wieder bei Haneke eine zentrale Rolle spielen, deren Unschuld oder scheinbare Unschuld in seinen Filmen schnell gebrochen wird.
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Kinder sind das zweite der großen Lebensthemen von Michael Haneke. Die Unschuld der Kinder, und wie diese Unschuld verdorben wird. Grundsätzlich ist Haneke ein anthropologischer Pessimist – das heißt, er glaubt nicht daran, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Diese Unschuld ist eben eine Illusion. Der Mensch hat auch Anteile der Wildheit, des Tierischen im schlechten und primitiven Sinne. Es gibt einen anderen Film von ihm, Wolfzeit, der gibt nicht nur im Titel hierfür schon ein bisschen die Richtung vor.
Aber auch das sind nur Facetten des Gesamtwerks. Zu den bemerkenswerten Dingen bei Haneke gehört, dass er sich eigentlich nie wiederholt, sondern dass er vielleicht von den gleichen Motiven erzählt, aber immer aus einer etwas anderen Perspektive. Und er fügt mit jedem neuen Film seinem Werk etwas Neues hinzu.
Zugleich erzählt er bestimmte Leitmotive weiter, klar. Das eine ist die Gewalt. Das zweite sind die Kinder. Das dritte sind aber jene Erwachsenen, die das Kind, das sie
einmal waren, weiterhin in sich tragen, mit seinen Gewalterfahrungen, aber auch mit seiner Unschuld. Und diese Sehnsucht nach der verlorenen Unschuld und diese Angst, in den Kinderzustand zurückzufallen, brechen sich gegenseitig.
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Haneke will etwas Universales erzählen, aber auch etwas Deutsches und Österreichisches – er ist ja gewissermaßen eine Existenz aus diesen beiden Kulturen – und etwas Bürgerliches.
Sein Kino ist ein Kino, das Fragen stellt. Und Haneke will auch seine eigenen Fragen, wie die nach der Rolle der Gewalt, immer neu formulieren, aufs Neue und anders fragen, sich nicht wiederholen.
Man sollte diese unbequemen Filme gerade in Zeiten des Krieges wiedersehen: Sie verfremden das, was wir tagtäglich abends in den Fernsehnachrichten sehen. Haneke ist auch sehr kritisch gegenüber den modernen Medien. Das ist ein weiteres Leitmotiv seines Schaffens. Haneke zeigt uns, dass Bilder künstlich und gemacht sind. Man kann den Bildern nicht trauen. Man kann den Bildern nicht glauben. Das macht Michael Haneke in jedem seiner Filme unmissverständlich klar. Wir können es uns in
den Bildern und mit ihnen nie gemütlich einrichten.
Funny Games hat eine berühmte Szene, die manche sehr platt finden oder für sehr problematisch halten, man kann aber den, meiner Ansicht nach, dem Regisseur jederzeit bewussten Aplomb nicht vorwerfen. In ihr wird jemand vor dem Fernseher erschossen, das Blut fließt über den Bildschirm, und über die bewegten Bilder.
Haneke hält uns selber immer wieder den Spiegel vor. Er zeigt uns, dass wir – ich glaube, dass er das jetzt auch zum Krieg sagen würde – dass wir auf eine gewisse Weise wie Voyeure vor dem Fernseher sitzen und den Schrecken konsumierend genießen. Wir sind gebannt durch die Bilder, die da auf uns einprasseln. Und die natürlich auch erschrecken – aber Haneke zeigt uns, dass wir diesen Schrecken mit einem merkwürdigen Schauder auch im Erschrecken immer genießen. Das ist, wenn man so will, die Perversion der modernen Gesellschaften – oder vielleicht überhaupt des Menschlichen.
Es ist keine angenehme Erfahrung, wenn einem so der Spiegel vorgehalten wird und man sich entlarvt fühlen muss. Aber es ist eine lehrreiche Erfahrung, insofern sind Hanekes Filme immer auch Auseinandersetzung mit uns selbst, schon deswegen sollten wir sie uns anschauen. Weil sie uns in Frage stellen. Weil sie unbequem sind.
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Weltverbesserer – das Synonym-Lexikon des Duden gibt dafür die Synonyme: »Träumer, Idealist, Revolutionär, Aufrührer, Phantast«.
All das trifft auf Michael Haneke ganz bestimmt nicht zu. Er ist aber umgekehrt auch kein Weltverschlechterer. Er schaut einfach genau hin und zeigt, was er sieht. Ohne es vorher zu bewerten. Das können wir alle von ihm lernen.
Was man von allem, das bisher erwähnt wurde, nicht trennen kann, ist, dass Haneke auch einfach ein sehr guter Regisseur ist. Ein Macher schöner Bilder. Ich weiß nicht, ob er das jetzt gerne hören würde – aber auch das gehört zu seinem Werk und dessen Wirkung.
Er hat mal Poe verfilmt, Kafkas »Schloss«, und er hat einen seiner schönsten Filme, vielleicht als Antwort auf Fassbinders Die Ehe der Maria Braun, gemacht: Fräulein.
Er hat sich ja auch auf seine unvergleichbare Art, zu der ja auch ein selbstironischer Schalk gehört, mit der Filmgeschichte auseinandergesetzt, sogar mit der Geschichte seiner eigenen Filme. Er hat nämlich ein Remake seines eigenen Films Funny Games gemacht, Funny Games U.S., das nicht nur
durch die Schauspieler verschieden ist, sondern auch durch ein paar geänderte Einstellungen. Ich glaube, dass diese Veränderungen der Schauplätze und der Schauspieler und die Verlegung des Films in die USA gerade dadurch, dass der Film ansonsten dem Vorbild extrem ähnlich ist, uns etwas deutlich machen, etwas erzählen kann über die Bedeutung des scheinbar Marginalen im Kino.
Insofern sind seine Filme immer auch ein Nachdenken über sich selbst und über den Mensch an sich.
Heute wird der berühmte Regisseur 80 Jahre alt. Wir gratulieren!