»In heaven there’s no beer, that’s why we drink it here« |
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Carolin Schmitz' Mutter sucht unter dem Sofa nach Flauschigkeit | ||
(Foto: FILMFEST MÜNCHEN / Carolin Schmitz) |
Von Dunja Bialas
Der Clou des diesjährigen Filmfests ist die Wiederholung der letztes Jahr gestarteten »Beergarden Convention« – und zwar als Biergarten im Hof des Amerikahauses. Eine bi- und bier-laterale Kulturvermittlung, die einerseits die für ausländische Gäste so fremde Münchner Biergartentradition bereithält, gleichzeitig aber auch Internationalität beweist, da der Biergarten-Nachbau (normalerweise gibt es dort keinen) der amerikanischen Vorliebe Tribut zollt, im ganzen Land Kopien von Biergärten zu errichten, die bayerisches Lebensgefühl vermitteln. Den Biergarten gibt’s diesmal also tatsächlich als »beer garden« und bayerische Gemütlichkeit auf amerikanische Art. Im Biergarten zu hocken ist, so weiß es das Filmfest, »the Munich way the industry works«.
Die Filmindustrie wird auf dem Festival in München sehr groß geschrieben. Eine Reihe von Fachveranstaltungen, oft in Zusammenarbeit mit der Münchner Constantin, geben sich als Think Tank für die Branche. Interessant sein könnte das laute Nachdenken über Nachhaltigkeit, das gleich zwei Mal stattfindet, einmal durch die junge Münchner Gruppe »Unified Filmmakers« mit eher aktivistisch gestimmten Gästen, darunter auch die »Fridays for Future«-Mitbegründerin Janine O’Keeffe, das andere Mal unter dem Stichwort »Green Motion«, das sich aus Constantin-Branchenperspektive ebenfalls dem Themenkomplex des Filmemachens unter dem Klimawandel widmet.
Es geht viel um Zukunft auf dem Filmfest. Unter anderem gibt es auch ein Gespräch zur »Zukunft der Filmgeschichte« mit dem neunzigjährigen Vordenker Alexander Kluge. Die Branche ist unter Corona in einen empfindlichen Zukunftsstau geraten. So wurde die Novellierung des Filmförderungsgesetzes ausgesetzt (bis auf minimale Änderungen zu den Auswirkungen von »höherer Gewalt«), die Kinos füllen sich nur spärlich. Auch das Filmfest, das dieses Jahr zum ersten Mal seit 2019 wieder in sechs Münchner Kinos stattfindet (zum Glück wurden die Pop-up-Spielstätten abgeschafft!), sieht einer seitdem veränderten Zukunft entgegen. Die sprichwörtlich gewordenen »Söder-Millionen«, mit denen der Freistaat das Filmfest für AR, VR, XR und andere technische Spielereien fitmachen wollte, wurden stillschweigend wieder kassiert, weil die Stadt nicht mitzog. So muss sich das Filmfest München wie zuvor mit einem 3,5-Millionen-Etat zufriedengeben, hat damit aber immer noch mehr als doppelt so viel Geld als seine beiden großen Konkurrenten, das Filmfest Hamburg (1,1 Mio. Euro) und das Filmfest Mannheim-Heidelberg (1,6 Mio. Euro).
120 Filme wurden zum Festival eingeladen, damit kehrt das Filmfest zu etwas schmalerer Größe zurück, setzt aber wie vor der Pandemie auf die frischen Werke aus Cannes. Wichtiges Aushängeschild ist die Reihe »Neues Deutsches Kino«, wo Weltpremieren gezeigt werden. Lohnenswert ist der Dokumentarfilm Liebe Angst von Sandra Prechtel (übrigens die Schwester von »Abendzeitung«-Filmkritiker Adrian Prechtel), der von der dramatischen Familiengeschichte der jüdischen Sängerin Kim Seligsohn erzählt und von unterschiedlichen Weisen, mit der Monströsität der Geschichte fertigzuwerden. Ungewohnt hochgeschlossen zeigt sich Anke Engelke in Mutter von Carolin Schmitz, die bekannt ist für ihren wunderbar formenstrengen Dokumentarfilm Portraits deutscher Alkoholiker (2010). Schmitz lässt dokumentarische Aussagen von verschiedenen Müttern in der von Engelke performten Kunstfigur in einer souveränen One-Woman-Show zusammenfließen. Claudia Müller wiederum übersetzt in Elfriede Jelinek die kompromisslose Sprache der Nobelpreisträgerin in die komplexe Montage aus Off-Texten und O-Tönen. Gemeinsam mit Timo Müller, Regisseur des etwas zu angestrengten Films Der Rote Berg, ist sie bei »Filmmakers Live« als »Formensprengerin« anzutreffen.
Das Talkformat des Filmfests, »Filmmakers Live«, auf dem man die Filmemacher bei konzentrierten Themen-Diskussionen (und nicht nur Filmgesprächen) antreffen kann, sollte man vielleicht besser »Meet the Filmmakers« nennen. Jüngst hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij mit seinem Auftritt als Hologramm bewiesen, dass »live« noch lange nicht heißt, dass man auch anwesend ist. Gerade um Anwesenheit aber geht es bei einem Festival, vor allem nach den pandemischen Einschränkungen, auch wenn die Ankündigung eines Panels zur Ukraine nicht nur thematisch noch im Vagen bleibt und keine Gäste nennt. Hinter den Kulissen jedoch bemüht man sich, u.a. um Maksym Nakonechnyi, Regisseur des im Wettbewerb »CineVision« laufenden Butterfly Visions. Und fix kommt der in Berlin lebende Produzent Thanassis Karathanos von Mariupolis 2 (»Spotlights«).
Der Dokumentarfilm Mariupolis 2 ist bislang der einzige Film, der über den russischen Angriffskrieg veröffentlicht wurde. Die Dreharbeiten hat der litauische Regisseur Mantas Kvedaravičius mit seinem Leben bezahlt: Ende März wurde er in Mariupol von den Russen gefangen genommen und ermordet, viele berichten von Folter. Seine Lebensgefährtin Hanna Bilobrova hat das gefilmte Material ins Ausland gebracht und der Filmeditorin Dounia Sichov übergeben, die bereits Kvedaravičius' ersten Mariupolis-Film montiert hatte und den Aufnahmen erneut einen bestürzenden Zusammenhalt gibt. Aus der Perspektive der Belagerten dokumentiert Mariupolis 2 die russischen Angriffe auf die Stadt. Der Film gibt Zeugnis ab von einem Leben unter Todesangst; der Regisseur befindet sich zusammen mit mehreren Dutzend Männern und Frauen in einem Sammellager, das eine evangelische Kirche eingerichtet hat. Mariupolis 2 kommt ganz ohne Kriegsrhetorik aus, er ist das Gegenteil der leeren Durchhalteparolen oder plakativen Propaganda, und er ist auch nicht »informativ«, keine Nachrichtenverlängerung. Kvedaravičius' Film ist anrührend, zartfühlend, ruhig, beobachtend. Und er ist auch kraftvoll, wenn in den kleinen Gesten von der großen Katastrophe unserer Zeit erzählt wird. Einmal sieht man den Schatten des Filmemachers, genauso real, zugleich an- und abwesend, wie ein Hologramm.
Der zweite Film aus der Ukraine, Butterfly Vision, wurde wie Mariupolis 2 in Cannes uraufgeführt. Die Produzentin des Films, Darya Bassel, ist vor allem für Dokumentarfilme bekannt. Seit Kriegsausbruch macht sie sich für die Sichtbarkeit des ukrainischen Filmschaffens stark und lehnt gleichzeitig den Auftritt russischer Filmemacher auf Festivals ab: »Do you want to stop Russian aggression? You should stop its culture from influencing your minds«, sagt sie auf Cineuropa.
Ob ihr gefallen würde, dass das Filmfest auch dann Cannes folgt, wenn es neben den ukrainischen Filmen auch den russischen Regisseur Kirill Serebrennikov einlädt? Er kommt tatsächlich nach München, so heißt es zumindest aus inoffiziellen Filmfest-Kreisen, denn gleich zwei seiner Werke finden sich im diesjährigen Programm. In der neu eingerichteten Reihe »CineRebels« läuft Petrov’s Flu, der schon letztes Jahr in Cannes uraufgeführt wurde, und in »Spotlight« Tschaikowsky’s Wife aus diesem Jahr. Finanziert hat die Filme der Oligarch Roman Abramovich, laut Serebrennikov einer, der sich für die unabhängige russische Kunst einsetzt. Mentor des Regisseurs ist aber auch der ehemalige Putin-Berater Vladislav Surkov, was die Kennerin der russischen Kultur Béatrice Picon-Vallin in ihrem aufschlussreichen Text »Asking the Right Questions« als »faustischen Pakt mit Mephistopheles« bezeichnet (erschienen auf »Desk Russie«).
Eine weitere Plattform für das russische Filmschaffen, wie das Panel 2016, das sich dem »Neuen russischen Kino« widmete, wird es aber auf dem Filmfest München diesmal nicht geben. Die unausgesprochenen Probleme und Ängste, die sich mit dem Ukraine-Krieg verbinden und nur schwer auszuhalten sind, lassen sich statt mit ins Leere laufenden Worten in der Beergarden Convention mit Bier verflüssigen, gemäß dem hedonistischen Motto: »In heaven there’s no beer, that’s why we drink it here.«