»Wir haben einen Paradigmenwechsel« |
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Lichtblick für den Kino-Herbst: der Cannes-Gewinner Triangle of Sadness | ||
(Foto: Alamode) |
Das Wort »Kino«, »le cinéma«, hat eine vielfältige Bedeutung bekommen. Es wird nicht nur für den Kinoraum benutzt, es wird in einem viel weiteren und größeren Sinn verwendet.
»L’amour du cinéma m’a permis de trouver une place dans l’existence«, sagt Bertrand Tavernier 2019 im Gespräch mit Thierry Frémaux, Leiter der Filmfestspiele von Cannes. »Die Liebe zum Film hat mir geholfen, einen Platz im Leben zu finden.«
Den »Dialogen« zwischen der franzöischen Autorin und Filmemacherin Marguerite Duras und Jean-Luc Godard entnehme ich folgende Anekdote:
Marguerite Duras: »Kennst du die Geschichte von der alten Frau aus dem Umland von Rom? Eine alte Bäuerin aus einem Dorf. Sie sieht eine ganze Crew mit Projektoren, Kamerawagen, Leitern, Lastwagen, Kränen. Sie spricht einen Typen an und fragt ihn: 'Aber was macht ihr denn da?' Und der Typ sagt ihr: 'Wir machen Kino!' Da sagt sie zu ihnen: 'Oh, là, là! Ich kenn doch meine Pappenheimer: Um diese Zeit wird keiner kommen!' Nun, das ist in der Tat schon Kino. Ich liebe diese Geschichte. Kanntest du sie nicht?«
Meine Kinos waren während der Pandemie elfeinhalb Monate geschlossen. Als wir letzten Juli wieder mit dem Spielbetrieb angefangen haben, war ich zunächst sehr froh. Denn es gab geballt viele gute Filme, wie ich es in all den Jahren vorher nicht oft erlebt habe. Das ist auch dieses Jahr so. Aber: Die Leute kommen nur zögerlich zurück, dadurch laufen die Filme unter ihrem Wert. Ihrem künstlerischen, wie am Ende auch ihrem ökonomischen.
Das ist natürlich eine Folge der Pandemie und der Sehnsucht nach Geselligkeit im Freien. Hinzukommen Ereignisse wie der schreckliche Angriffskrieg auf die Ukraine und Sportereignisse, die die Leute vor den Fernseher bannen. Selbst im Bemerken des Klimawandels wird von dem Angebot, bei großer Hitze ins kühle Kino zu gehen, leider wenig Gebrauch gemacht. All diese Faktoren führen dazu, dass wir unter dem Zuschauerniveau von 2019 sind.
Was also kann helfen? Einmal der Staat mit dem »Zukunftsprogramm Kino«, das im Frühjahr noch einmal um 10 Millionen Euro aufgestockt wurde. Wir konnten mit staatlicher Unterstützung viel modernisieren, die Technik und die Lüftungsanlagen verbessern, aber das wird nicht reichen, da werden nochmal neue Programme notwendig sein. Davon abgesehen gibt es aber noch ein paar andere Aspekte, die für die Zukunft der Kinos wichtig sind.
Wir haben einen Paradigmenwechsel. Die Gewohnheiten haben sich während der Pandemie durch die Streamingdienste verändert. Der Wunsch nach Originalfassungen ist viel stärker als früher. Dem würden wir gerne mehr nachkommen, aber gerade die großen amerikanischen Verleiher verlangen, dass in einem Saal in allen Vorstellungen die deutsche Fassung und in einem weiteren die Originalfassung gezeigt wird, oder sie beliefern mit Originalfassungen nur einige Kinos. Richtig wäre, beide Fassungen in einem Saal spielen zu können. Dieses System reduziert das gesamte Filmangebot.
Noch ein Beispiel: Ich habe gute Erfahrung damit gemacht, Filme von Streamingdiensten im Kino zu spielen, auch wenn sie schon nach kurzer Zeit online verfügbar waren. The Tragedy of Macbeth und On the Rocks gingen gut. Aber Netflix zum Beispiel macht keine Werbung für seine Filme im Kino. Woher soll das Publikum wissen, dass es Die Hand Gottes, The Power of the Dog und The Grey Man auf der großen Leinwand sehen kann? Da ist Disney schon weiter, die bewerben auch Filme fürs Kino, die kurz nach dem Kinostart schon bei Disney+ zu sehen sind. Das ist ein Geschäft, das sich für Streamingdienste und Kinos gleichermaßen lohnen kann, da bin ich mir sicher. Ein Beispiel dafür ist Nomadland.
Die nötige Werbung ist auch noch auf einem anderen Feld ein Problem, im Zusammenhang mit den Festivals und Filmpreisverleihungen. Das ist ein Beispiel, wo andere Länder viel besser aufgestellt sind als Deutschland. Wenn ein toller Film in Cannes läuft, kommt er in Frankreich fast zeitgleich auch regulär ins Kino. Wenn ein Film auf der Berlinale läuft, kommt er oft erst Monate oder sogar Jahre später, wenn sich keiner mehr an die Berichterstattung erinnert. Dann verpufft der ganze Werbe-Effekt des Festivals. Die Medien berichten weniger über Filme, die ihre Leser nicht sehen können, und so sinkt und sinkt die Aufmerksamkeit, die ein Film braucht, damit die Leute ins Kino kommen.
Für das obsolete, veraltete Filmförderungsgesetz von 1976, das den veränderten jetzigen Gegebenheiten überhaupt nicht mehr entspricht, müsste ein neues Filmförderprogramm geschaffen werden.
Die Liebe und Begeisterung der Franzosen für ihre Stars und Filmregisseur*innen kann man nur bewundern. Uns fehlen in Deutschland auch solche Institutionen wie La Cinémathèque Française in Paris, das Institut Lumière in Lyon, das BFI British Film Institut, und das Lincoln Center for the Performing Arts in New York. Unsere deutschen Filmmuseen haben viel zu wenig Mittel, um eine größere Wirkung zu erreichen.
Noch eine Sache, bei der uns andere Länder voraus sind: Wiederaufführungen. In Frankreich ist es seit Jahrzehnten üblich, dass Klassiker nochmal in restaurierter Fassung ins Kino kommen. Bei uns kommt das leider erst allmählich in Gang. Die Wiederaufführungen von Der Pate und Der große Diktator liefen sehr gut. »Man muss wieder bei Charlie Chaplin und Griffith anfangen«, wie Fritz Lang in Godards Die Verachtung sagt.
Für den Herbst haben die Medien-Analysten einen großen Kinoaufschwung prognostiziert. Es kommen großartige Filme ins Kino, wie White Noise mit Adam Driver, Ticket to Paradise mit George Clooney und Julia Roberts, der Cannes-Gewinner Triangle of Sadness von Ruben Östlund mit Iris Berben und Sunnyi Melles und schliesslich noch Avatar 2 – The Way of Water von James Cameron, der schon einmal eine Kino-Revolution entfachte.
Es sind große Entdeckungen im Kino zu machen!
Literatur:
Marguerite Duras, Jean-Luc Godard, Dialoge. Spector Books 2020
Thomas Kuchenreuther, Kinobetreiber in München. Die Kuchenreuther-Kinos gehen zurück bis in die Stummfilmzeit. Bereits Vater Kuchenreuther betrieb in Erlangen die Lamm-Lichtspiele. 1965 gründete Kuchenreuther mit seinem 2013 verstorbenen Bruder Steffen die Leopold Kinos, zwei Jahre später übernahmen sie das Kino ABC, das heute eines der ältesten Kinos Münchens ist. 1971 richteten die Kuchenreuthers das mittlerweile geschlossene Eldorado im Stil der Kinos von Cannes ein. 1972 kam das Cinema Olympiadorf dazu, 1978 die Kinos Odyssee und Fantasia, 1995 die Kinos Münchener Freiheit. Von seinen vielen Häusern bleiben Thomas Kuchenreuther heute noch die ersten seiner Münchner Kinos, das Leopold und das ABC, beide im Herzen Schwabings.