29.09.2022

Wenn der Blitz krachend in den Baum einschlägt

Nachtmahr
Der Nachtmahr – Wiedergänger aus dem Schattenreich
(Foto: Koch Media)

Der Frankfurter »artechock«-Filmkritiker Gregor Torinus ist überraschend an seinem Heimatort verstorben

Von Redaktion

Sein ausge­fal­lener Film­ge­schmack hat uns auf Anhieb gefallen. Gregor Torinus, ansässig in Frankfurt am Main, kam 2012 als freier Autor zu »artechock«, seine Arbeit als Architekt hatte er aufge­geben, um sich dem zu widmen, was ihn mit am meisten bewegte: dem Film. 189 Texte verzeichnet unsere Datenbank, das macht im Schnitt, lassen wir die Statistik sprechen, jährlich fast 20 Fime, die er für uns besprach. Einer seiner ersten Beiträge für »artechock« war die Bespre­chung des türki­schen Films Watch­tower, Regie führte Pelim Esmer, von Torinus über­ti­telt: »Wenn der Blitz krachend in den Baum einschlägt«. Natur­ge­walten inter­es­sierten Gregor Torinus ebenso wie dunkle Mächte, die im Verbor­genen wirken. Er blickte mit Faszi­na­tion in die Unter­welten von Horror und Giallo. 2015 besprach er Der Nachtmahr des seitdem in der Versen­kung verschwun­denen deutschen Regis­seurs Akiz. In seiner Kritik lesen wir eine genaue Analyse der Ikonik des Fabel­we­sens aus dem Schat­ten­reich – ein Ausdruck von Torinus' Faszi­na­tion an der »Arbeit am Genre«. Wenn die Filme weiter­gingen als der vorge­ge­bene Rahmen und Grenzen der Konven­tionen sprengten, inter­es­sierte ihn das.

»Mit Der Nachtmahr hat der deutsche Filme­ma­cher Akiz aka Achim Bornhak einen sehr tref­fenden Titel für seinen unge­wöhn­li­chen Genre­bei­trag gewählt. So kann ›Nachtmahr‹ je nach Deutung entweder für ›Albtraum‹ oder für ›Nachtalb‹ stehen. Ersteres ist bekannt­lich ein rein im Kopf bestehendes Konstrukt, während ein Nachtalb ein altes Fabel- und Sagen­wesen bezeichnet, das die Menschen nachts heimsucht, um ihnen Grauen einzu­flößen. Beide Bezeich­nungen verweisen zudem auf die Zeit der klas­si­schen ›Schwarzen Romantik‹ – und somit auf die dunkle Seite der deutschen Inner­lich­keit.«

Zum Horror­film und den Fanta­sie­welten eines entfes­selten Fantasy-Genres kamen zahl­reiche Bespre­chungen von Doku­men­tar­filmen. Auch hier lässt die Film­aus­wahl auf eine klare Vorliebe schließen. Jene Filme, die sich doku­men­ta­risch mit der über­sinn­li­chen Sphäre befassen, inter­es­sierten Torinus am meisten, hinzu kamen Filme über Künst­le­rinnen und Künstler, in den letzten Jahren auch über Behin­derte. Sabine Herpichs Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist (2020) vereint beides, er handelt von Künst­le­rinnen und Künstlern mit Behin­de­rung, über die Torinus einfühlsam schreibt:

»Wir sehen einen Mann von hinten, der tief gebeugt an einem Tisch sitzt. Langsam bewegt sich sein Kopf hin und her. Eine Nahauf­nahme zeigt, dass er an einer großen Zeichnung arbeitet. Sorg­fältig setzt der Künstler mit einem Buntstift einzelne zusätz­liche Elemente in ein komplexes Lini­en­ge­flecht hinein.«

Seine letzte »artechock«-Bespre­chung verfasste Gregor Torinus zu Mission: Joy, einem Doku­men­tar­film über die Freund­schaft des Dalai Lama zum südafri­ka­ni­schen Erzbi­schof Desmond Tutu, in dessen spiri­tu­ellem Zentrum die Zuver­sicht steht. Diese konnte Gregor Torinus zwar nicht mehr erreichen, wiewohl aber die Aussicht auf Seelen­wan­de­rung für den beken­nenden Buddhisten am Ende trost­spen­dend gewirkt haben mag.