Playa con cine |
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Zarte Dekonstruktion eines Sommermärchens: Itsaso Aranas Las Chicas están bien | ||
(Foto: Bendita Films) |
Von Dunja Bialas
Valencia: das ist eine von jenen aufstrebenden Hipster-Städten in Südeuropa. Angeblich hat die Metropole mit knapp 800.000 Einwohnern (Tendenz: steigend) in der Beliebtheit bereits das doppelt so große Barcelona (1,6 Mio. Einwohner, Tendenz: stagnierend) abgelöst. Mitten im angesagten Viertel Ruzafa (»mulitikulturell, eklektisch, quirlig«) in einer kleinen Bar beim Vermouth sitzend (der in Valencia lokal hergestellt wird) kann man Gesprächen zwischen Deutschen und Amerikanern zuhören. Die so gehen: »Also, wenn du dir überlegst, in Valencia zu kaufen, dann ist jetzt gerade noch die richtige Zeit!« Der eine, der Deutsche, hat es schon geschafft. Wie ein Einheimischer fühlt er sich, herzt die Frau mit ihrem Rollator, die vor dem Haus auf Beobachtungsposten sitzt und den Barbetreibern ein Zeichen gibt, wenn neue Gäste kommen. Berlin, Prenzlauer Berg, irgendwie. Nur mediterraner, und auch (noch) einheimischer.
Playa con cine, Strand mit Kino, ist das Motto der Workation, zu der ich mich in die aufstrebende Stadt zurückgezogen habe. Ich bin auch nur so eine digitale Nomadin, merke ich. Bin dann doch nur wie der mir unangenehme Deutsche. Aber ist das nicht immer so, dass man nur dann etwas erkennt, wenn man es irgendwie auch kennt? Aber, Beruhigung: Ich kaufe nichts. Außer Gazpacho.
Arbeiten geht heutzutage wirklich von überall aus, auch wenn der Zeiger in meiner Work-Life-Balance jetzt zugegebenermaßen eher beunruhigend in Richtung »Life« ausschlägt. Vormittags E-Mails checken, beantworten und neue schreiben, dann an den Strand, solange die Sonne noch UV-50-tolerierbar ist. Am Nachmittag Siesta und Arbeitsstrecke. Dann Aperitif mit obiger oder vergleichbarer Szene. Dann cena, also was essen. Das geht ja meistens erst ab zehn Uhr abends, die
Spanier leben immer noch nachts. Zwar soll die Siesta in Spanien eigentlich wegen der sich ergebenden überlangen Arbeitstage abgeschafft werden, dieses Jahr aber hat sogar Karl Lauterbach laut darüber nachgedacht, angesichts des Klimawandels auch in Deutschland eine »Hitzesiesta« einzuführen.
Keine schlechte Idee. Sogar wenn es kalt ist.
Man kann bei Hitze (und Kälte) natürlich auch wunderbar ins Kino gehen. Die Filmoteca d’estiu der Cinemathek von Valencia hat in den Gärten des Palau de la Música eine riesige Leinwand aufgebaut – für gigantische Open-Air-Vorstellungen in den heißen Sommernächten. Beginn ist um 22:30, der Eintritt kostet 3,50 Euro. Gezeigt werden Hits und Klassiker, zum Beispiel Fernando León de Aranoas El buen patrón, der letztes Jahr drei Goyas bekam, oder Chema García Ibarras Crowdpleaser-Ufologen-Komödie Espíritu Sagrado. Es läuft auch Ruben Östlunds ätzende Welt-der-Reichen-Satire Triangle of Sadness und Wim Wenders Buena Vista Social Club, als Vorbereitung auf die Retrospektive, die Mitte September in den Kinoräumen der Filmoteca beginnt.
Klar ist: Die Filmoteca d’estiu ähnelt mit dem Filmangebot mehr der Piazza Grande von Locarno als dem Sommerkino im Filmmuseum München, das mit einem Programm aus restaurierten Stummfilmkopien mit Live-Musikbegleitung und frühen Tonfilmen Hollywoods für Hochkultur sorgte. Aber gehen die Valenzianer, gehen die Spanier eigentlich überhaupt noch ins Kino?
Die Frage kann vielleicht A. beantworten. A., ein Deutscher, der nach Valencia kam, lebt seit dreißig Jahren in der Stadt. Er mag es nicht, dass die Stadt jetzt von den Deutschen oder überhaupt von Touristen entdeckt wird. Früher war hier nichts los, sagt er, als wir zusammen durch die Gassen seines Barrio del Carmen, dem heute »bekanntesten aller Stadtviertel Valencias«, gehen. Wir selbst sind ihm womöglich auch ein wenig suspekt, denn in Begleitung Deutscher ist er plötzlich auch ein Deutscher und fühlt sich womöglich entsprechend zum Touristen degradiert. Früher hat er das Filmfestival »Cine Jove« in Valencia mitorganisiert, heute gehe er kaum noch ins Kino. Die Luft sei irgendwie raus, beim Kino.
In der Buchhandlung »Paris-Valencia« entdecke ich »El último sueño«, »Der letzte Traum«, von Pedro Almódovar. Erschienen im April dieses Jahres ist die »autobiografía fragmentada, incompleta y un poco críptica« (»fragmentarische, unvollständige und ein wenig kryptische Autobiografie«) des spanischen Star-Regisseurs wieder einmal der Beweis dafür, dass das Kino in Spanien immer noch auf den einen Namen hinausläuft.
Es gibt aber auch Neuigkeiten. Weil die Stürme kommen und der Regen einsetzt – an die Sommerfilmothek ist nicht mehr zu denken, auch nicht an den Strand – können jetzt die angestammten Kinos in Valencia besucht werden. Eines davon ist »Cines Babel«, ein Kino der Europa Cinemas, das alle Filme im Original mit Untertiteln zeigt. Der »Cine Club Babel« initiiert »charlas«, Gespräche mit Filmkritikern und -historikern, jeden Abend gibt es außerdem eine Spätvorstellung für nur vier Euro Eintritt. Natürlich ist aber auch hier Barbie und Oppenheimer zu sehen.
Eine Entdeckung mache ich dann in einem der fünf Säle des prosaischen Siebzigerjahrekinos. Las chicas están bien, deutsch etwa: »Den Mädels geht es gut«, ist das Regiedebüt der Schauspielerin Itsaso Arana, die einer Gruppe neuer spanischer Filmschaffender angehört. Zuletzt sah man sie in Jonás Truebas You Have to Come and See It, was sich als Filmtitel natürlich hervorragend eignet. Tenéis que venir a verla ist Thirtysomething-Coming-of-Age, zwei befreundete Paare verorten sich neu. Die einen ziehen aufs Land und bekommen ein Kind, die anderen lesen und diskutieren lieber Peter Sloterdijks Essay »Du musst dein Leben ändern«. Praxis oder Theorie, wem geben wir den Vorzug? Die Dialoge erinnern an Hong Sang-soo, mit vergifteten Komplimenten und ausgeteilten Spitzen.
Itsaso Arana, die bei Jonás Trueba mitgespielt hat, hat sich von seiner Idee, wie heute im Film erzählt werden könnte, anstecken lassen. Auch sie liebt das Vorläufige und Unfertige der Gedanken und Projekte, Perfektion interessiert sie nicht, weder für ihre Figuren noch für ihren Film. Die »chicas« sind eine Gruppe junger Mädchen, die im Sommer für eine Woche ein Landhaus in Beschlag nehmen, um dort ein Theaterstück einzustudieren. Von den Proben sieht man nur Fragmente, es ist ein Märchen, mit Prinzessinnen und Tüllkleidern, ein ironisch verstandener Mädchentraum, die zarte Dekonstruktion eines Sommermärchens. Arana zeigt das Beisammensein der Mädchen, ihre Entspanntheit, ihre Tagträumerei, bis sich ein Prinz zu ihnen gesellt. Am Ende wird nichts passiert sein, der Film gehorcht keiner Dramaturgie und sucht auch nicht nach einer Auflösung. Er ist ein Film ohne Ende, ohne Anfang, eine Momentaufnahme von einem möglichen Leben in der Liebe.
Dass die Valenzianer solche offen gesponnenen, zwischenmenschlichen Erzählungen mögen, sieht man auch daran, dass sich Hong Sang-soos Walk Up als »multiverso coreano« (Sergi Sánchez in »Fotogramas«) seit zwei Wochen (mit drei Vorstellungen täglich) im Kino hält, und überhaupt im regulären Programm zu sehen ist. Auf jeden Fall wirkt die narrative Nonchalance von Hong, Trueba und Arana ansteckend. Die Figuren fügen sich lose zusammen, ohne Notwendigkeit, ohne Zielstrebigkeit, ohne Plan.
Genau wie sich »playa con cine« dann einfach nur ergeben hat.