Wenn schon sterben, dann in einem Ferrari |
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Bilder stilsicher wie der Wagen | ||
(Foto: Amazon Prime) |
Du bist ein Ferrari, ich kann dich nicht kaufen/
Aber ich kann dich leihen, ja/
Ich steig' ein/
Can you fühl what I feel für dich?/
Can I fühl what you feel für mich?/
I can make you fühl/
You can make me feel/
I can make you fühl/
You can make me feel. You can make me feel. You can make me feel. You can make me feelfuffifufzich (Vanessa Loibl): »Ferrari«
Die Sonne geht auf über der flachen Landschaft Norditaliens. Ein Mann erwacht neben seiner Frau. Er steht auf, ohne sie zu wecken, kleidet sich an und steigt in seinen Wagen. Er fährt, schnell, geübt, und dennoch spürt man, wie der Tod jedesmal mitfährt, wenn sich in jenen Zeiten der 50er Jahre ein Automobil in Bewegung setzt. Das Leben als Vorfahren zum Tode. Die Zuschauer wissen da schon – aus den allerersten Schwarzweiß-Bildern, die mit einem digital verjüngten
Hauptdarsteller Enzo Ferraris eigene Karriere als Rennfahrer der Zwanziger Jahre skizziert haben –, dass es sich bei dem Mann um Enzo Ferrari handelt.
Das Auto fährt weiter über die Ebene, wirbelt die letzten Morgennebelschwaden auf, erreicht die Stadt: Modena. Er fährt weiter – zu seiner Frau. Sofort sind Arbeit und Ehe und die Krisen von beidem miteinander verbunden: Ein Mann unter Stress, die Aufgaben drohen ihn zu überwältigen.
Die nächsten beiden Szenen runden diese erste gründliche Skizzierung der Titelfigur ab, noch al fresco: Ein paar Anrufe der Firmen-Spitzel am Bahnhof, ein paar schnelle Blicke des Chefs, um die Situation zu erfassen, ein paar Rückrufe und Aufträge an die Fahrer für die Arbeit an diesem Tag. Dann ein Besuch am Friedhof, mit einem Blumenstrauß. Er spricht zu seinem toten Sohn Dino Ferrari (1932-1956), er spricht zu ihm von seinem Alltag und von den Geistern der Vergangenheit.
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Kurz darauf erlebt man eine der ersten Glanzleistungen dieses Films: Parallel erzählt wird ein automobiler Rekordversuch – ein Sportwagen fährt Runde um Runde – mit einem Gottesdienst in der San Pietro Kathedrahle von Modena. Mozarts »Ave Verum« wird gespielt. Die Männer können in der Kirche den Startschuss von der nahegelegenen Strecke hören, sie stoppen die Zeiten des Autos mit ihren (übrigens sowjetischen) Uhren, der Priester feiert das Abendmahl und spricht
sein: »Hoc est enim corpus meum«, »dies ist mein Leib«. Vor allem aber predigt er: Wenn Jesus heute geboren würde, wäre er kein Tischler; er würde natürlich Metall schmelzen und Autos bauen.
Das Abendmahl, die Verschmelzung der Menschen mit dem Göttlichen und mit dem Leib Christi ist damit auf gleich zwei Ebenen auch eine Verschmelzung des Autos mit der Bewegung: Das Auto, aber nur das bewegte, ist ein sakraler Gegenstand; es ist auch der Leib Christi. Und der Tod wird aufgehoben durch
das ewige Leben.
Denn was sich bewegt, das lebt. Nur der Stillstand ist der Tod.
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Michael Manns Film erzählt eine einzige, vielleicht aber die entscheidende Episode aus dem Leben des legendären »Commendatore« Enzo Ferrari (1898-1988), des Gründers des gleichnamigen Rennstalls, der diesen bis kurz vor seinem Tod regierte. Der US-amerikanische Meisterregisseur, der mit der visuellen Intensität, Melodramatik und Schauspielführung von Werken wie Heat und Collateral weltberühmt wurde, hat allerdings den legendären Rennfahrer und schnelle rote Autos vor allem im Blick, um sie als Folie und Material für ein weiteres seiner universalen, epischen Dramen über existentielle Fragen einzusetzen.
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Alles spielt ausschließlich im Jahr 1957: Ferrari, der seinem Rennstall seit den 20er Jahren vorsteht und ihn sicher durch Faschismus, Weltkrieg und Nachkriegsbesatzung steuerte, ist in großen finanziellen Schwierigkeiten und braucht dringend einen neuen Rennerfolg im Wettstreit mit der Konkurrenz von Maserati.
Noch wichtiger: Vor nicht langer Zeit starb sein geliebter Sohn und einziger Erbe der Firma an einer unheilbaren Krankheit. Im Zuge dessen hat Enzo sich zunehmend seiner Frau Laura entfremdet. Schon seit zwölf Jahren hat er eine Geliebte und mir ihr einen unehelichen Sohn. Dieser Piero wäre der natürliche Erbe. Nur weiß Laura nichts von ihm und der Geliebten – Enzo will sie nicht kränken. Aber natürlich bekommt sie alles irgendwann mit.
Penelope Cruz spielt diese betrogene Laura, die eifersüchtig ist, auch ein wenig als Frustrierte, Unglückliche. Schailene Woodly spielt die langjährige Geliebte und Mutter des heutigen Firmenchefs Lina Lardi. Und Adam Drivers Auftritt als Enzo Ferrari ist der beste seiner Karriere.
Dies alles grundiert die Hauptfigur und ihre Herausforderungen, gibt ihr Tiefe und emotionales Gewicht.
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Selbstverständlich aber ist dieser Film vor allem ein großer Auto-Rennfilm in der Tradition von Genre-Klassikern wie John Frankenheimers »Grand Prix« (mit Yves Montand, James Garner, Toshiro Mifune) und »Le Mans« (mit Steve McQueen) von John Sturges, die einst beide unter Mitwirkung echter Formel-1-Stars entstanden waren. Die sechziger und frühen siebziger Jahre waren die Hochzeit dieses Rennsports, und die genannten entstandenen Filme spiegeln diesen Boom – zur gleichen Zeit entstanden auch große Renn-Dokumentarfime von Starregisseuren wie Roman Polanski (Weekend eines Champions, 1971) und Hiroshi Teshigahara (Indi Car Race – Roaring course»; 1967«)
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Es gibt im Kino keine Poesie ohne Bewegung. Keine Anmut ohne Atmen, ohne Zögern, ohne jenen Augenblick des Innehaltens für Sekundenbruchteile: entspannte Anspannung, Einatmen vor dem Loslegen, Stille vor dem Schuss.
Das Kino von Michael Mann ist seit jeher ein Kino der Bewegung, des Pulsierens, der geschmeidigen Eleganz, des movements der movies, der Geschwindigkeit. Manns Kino ist schon seit Thief und The Last of the Mohicans Adrenalin-Kino, das immer in Bewegung ist, nicht stehen bleiben kann und will. Und wenn es einmal keine Bewegung zu geben scheint, so ist sie doch da: In Form dieses anmutigen Innenhaltens.
Michael Mann nutzt auch hier all jene Mittel, die nicht nur seine Fans seit jeher begeistern: Tempiverlagerung, pulsierende Musik zu ständig bewegter Kamera, die ständig in die Subjektive wechselt, etwa die eines fahrenden Autos. Mann filmt die Autorennen im Zentrum des Films mit der gleichen Rasanz und Intensität wie einst die Banküberfälle in Heat.
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Das wird schon früh deutlich. Da kommt einer von Ferraris Fahrern bei einer Testfahrt zu Tode. Es ist ein spektakulärer Leinwand-Unfall, vorbereitet mit rhythmischen Beats, mit einer Kamera, die eng an einem rasenden Boliden zu kleben scheint, dabei in einer eleganten, sich beschleunigenden Parallelmontage aus den Blicken der Umstehenden am Rand der Rennpiste, der Fahrerperspektive auf die Strecke mit ihren steilen Kurven, engen »Schikanen« und holpriger Asphaltfläche und
einer Einstellung, die die Gangschaltung des Wagens zeigt, bei der ein Schaltfehler schließlich den Tod bringen wird. Als es passiert ist, kracht es laut, vor allem aber spürt man das Metall, hört das Krachen und Bersten der Bestandteile und sieht den Fahrer wie eine Flipperkugel durch die Luft schleudern.
In dieser klassischen Epoche des Autosports und des Automobilismus überhaupt, der Zeit der 50er und 60er Jahre, waren die Rennboliden raketenschnell und zugleich
zerbrechlich wie rohe Eier, und fast die Hälfte aller Rennsportler überlebte ihre Karriere nicht. Die Gefahr ist auch hier immer präsent. Der Boulevard-Mob listet fürs Publikum die Namen der Gefallenen auf. Den »Commendatore« nennen sie den »Saturn der Industrie, der seine Kinder frisst.«
Enzo Ferrari selbst zuckt dabei kaum mit einer Miene seines Gesichts. Das einzige, was er sagt, ist, dass er sich zu dem Fahrer Alfonso de Portago umdreht, der ihn kurz zuvor noch vergeblich auf eine Position in seinem Rennstall angesprochen hatte: »Kommen Sie am Montag in mein Büro.«
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Der Regisseur zeigt Enzo Ferrari als sensibel und weich, tatsächlich für seine Angestellten eine väterlich sorgende Figur, und zugleich als autoritären Firmenchef. Dieser Mann ist wie ein Shogun der heroischen Epoche des Rennsports, in der die Fahrer wie seine glamourösen Samurai sind, die entsprechend für das Ganze zu sterben haben und sterben wie die Fliegen. Das belegt – eine weiterte Glanzleistung des Regisseurs – die Szene, in der Enzo nun, nach einem verlorenen Rennen, eine Rede zu seinen Fahrern hält.
Ihnen fehle es an Commitment, Hingabe. Die Konkurrenz habe Männer mit ungezügeltem Siegeswillen. Eiskalte Männer »mit einer grausamen Leere in ihren Mägen. Ihre Loyalität gilt nicht der Truppe, sondern nur ihrer Gier zu gewinnen.« Seine Fahrer seien dagegen zu zögerlich und feinsinnig. Gentlemensportler.
Und dann macht Ferrari klar: »Unsere Leidenschaft ist todbringend. Eine schreckliche Freude. Aber wenn Sie in einem meiner Autos starten – und niemand nötigt Sie, sich
da reinzusetzen –, dann, um zu gewinnen. Bremsen Sie später!«
Es geht auch dem Regisseur darum, zu zeigen, ob und wann man sein Leben riskieren sollte. Es geht, wie eigentlich immer in Manns Filmen, in denen oft Hauptfiguren das Ende nicht überleben, darum, das Sterben zu lernen.
Die besten Momente des Films, die am deutlichsten auf dieses Thema hinführen, sind aber die ruhigen, ernsten, wie der, in dem die Fahrer nachts im Hotel für den nächsten Renntag Ruhe tanken und vorm Insbettgehen noch ihre Abschiedsbriefe schreiben: »Im Falle meines Todes zu öffnen...« Michael Mann schneidet diese Szenen von fünf Fahrern parallel zueinander. Einen von ihnen wird es tatsächlich am nächsten Tag erwischen, und wer sich im Rennsport auskennt, weiß, dass vier der acht Fahrer, die man hier näher kennenlernt, ihre Karriere nicht überlebten.
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Trotzdem ist dies kein Macho-Schinken – wie immer bei Michael Mann sind die Frauen den Männern ebenbürtig, auch in Härte und Realismus. Laura will ihren Mann zwingen, eine Entscheidung zu treffen, die auch eine zwischen den beiden Söhnen wäre, zwischen dem toten und dem lebenden. Sie weiß zugleich, dass ihr Mann sich im Zweifel für die Firma entscheiden würde, also für den lebenden Sohn.
Dass aber Enzo Ferrari sich nicht zwischen den beiden Frauen entscheidet, sondern beiden
gegenüber loyal bleibt, macht diese Figur modern.
Daneben findet man auch hier eine großen Kino-Italienhymne voller Sinnlichkeit, mit der sich Mann als Italophiler outet: Höhepunkte sind ein großes Mittagessen mit Pasta, Rotwein und Musik, ein gemeinsamer Opernbesuch, bei dem jeder seine eigenen Gedanken zur Musik entwickelt und dann im letzten Drittel die »Mille Miglia«, das Zweitagerennen durch Nordostitalien, das die Pracht des Landes auf die Leinwand wirft.
Insgesamt ist Ferrari ein phänomenaler Film von geschmeidiger Eleganz, Kino von zwingender Intensität, flirrender Kinetik und existentieller Gravitas. Die Feier reiner Schönheit.
Eine italienische Nachkriegsgeschichte, die auch eine Aufstiegsgeschichte aus den Trümmern des Nachkriegs ist, zugleich eine der Erlösung: Am Ende nimmt Enzo die Hand seines Sohnes Piero und geht mit ihm auf dem Friedhof von Modena zum Mausoleum, in dem sein Sohn Dino begraben liegt, und wo er schon am Anfang des Films Blumen niederlegte. »Komm' Piero, ich stelle dir deinen Bruder vor.« Enzo verweigert auch die Entscheidung zwischen seinen beiden Söhnen. Ein Augenblick des Innehaltens. Vor der nächsten Bewegung.
Ferrari ist auf Amazon Prime zu sehen.