41. Filmfest München 2024
»Die Deutschen sind pünktlich wie die Eisenbahn« |
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Empfänger unbekannt: Existenzen der Achtzigerjahre | ||
(Foto: Filmfest München | Sohrab Shahid Saless) |
»Schreib mal wieder«: Dieser harmlose, fröhliche Imperativ prangte früher oft auf den gelben Briefkästen, als Post und Bahn hierzulande noch funktionierende Staatsbetriebe waren. In diese Anfangszeit der bleiernen Ära Kohl führt Sohrab Shahid Saless' Film Empfänger unbekannt aus dem Jahr 1983 zurück, ein Auftragswerk des ZDF. Er bildete den Auftakt einer von dem Journalisten Behrang Samsami und dem deutsch-iranischen Filmemacher Daniel Asadi Faezi kuratierten Hommage des Münchner Filmfests an einen nach wie vor großen Unbekannten des Neuen Deutschen Films, die noch bis zum morgigen Freitag, 05.07., läuft. Samsami veröffentlichte 2023 im Exil-Verlag mit »Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless« ein dreibändiges Standardwerk zu diesem lang verkannten Künstler, das auch zahlreiche Interviews enthält und Saless' Bedeutung nicht nur für den Neuen Deutschen Film späte Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Der Umstand, dass Saless mit dem Blick von außen und entsprechend kühn bis plakativ die Kontinuität von Antisemitismus und Rassismus in der Bundesrepublik thematisierte, veranlasste das NS-Dokumentationszentrum, sich erstmals als Austragungsort am Filmfest München zu beteiligen. Zwar ist die Projektion im Veranstaltungssaal suboptimal, doch lässt sich in der frisch restaurierten Fassung von Empfänger unbekannt nun endlich der Name »Jochen Eschbach« als Absender jenes Briefes entziffern, der Marianne Eschbach nicht mehr erreichen wird. Jochen Eschbach ist ein gutbürgerlicher Bürohengst und Autoliebhaber (Audi!) aus der Provinz, den seine Frau mit zwei Kindern sitzengelassen hat, um mit einem türkischen Architekten in West-Berlin zu leben – ein Skandalon sondergleichen. Verkörpert wird der gehörnte Ehemann von keinem Geringeren als Manfred Zapatka mit der ihm eigenen maliziösen Sanftheit. Zapatka hat mehrfach mit Saless gedreht, besonders eindringlich gelang ihm die Darstellung eines West-Berliner Zuhälters in dem beklemmenden und bedrückenden Film Utopia, der unmittelbar vor Empfänger unbekannt entstand.
Iris von Reppert-Bismarck spielt in Empfänger unbekannt eine empfindsame, reflektierte Frau zwischen zwei Männern: Während sie der zurückgelassene Ehemann mit vorwurfsvollen Briefen überhäuft, bedrängt sie ihr türkischer Freund (Umran Ertok) mit seinen Ängsten vor der Fremdenfeindlichkeit und Kälte der Deutschen: Die Gastarbeiter seien wie Maschinen bestellt worden, sie seien Gäste ohne Gastgeber, der für sie sorgt. Das ist noch einer der harmloseren Vorwürfe an die vom Nationalsozialismus entmenschlichten und »fremdenblinden« Deutschen, die sich bis zur Gleichsetzung der Verfolgung und Vernichtung der Juden in der NS-Zeit und dem Fremdenhass insbesondere Türken gegenüber in der BRD steigern. Manches an diesem Film wirkt hölzern und gestellt, wozu die für Saless typischen langen Kameraeinstellungen beitragen. Das erinnert nicht von ungefähr an Rainer Werner Fassbinders unerreichtes Liebes- und Rassismusdrama Angst essen Seele auf, das bereits 1974 entstand. Andererseits gelingt Saless eine umwerfende Situationskomik, etwa wenn »Ausländer raus!«-Parolen direkt neben einer »Heute ist Miracoli-Tag«-Werbung zu sehen ist.
Am 28. Juni wäre Sohrab Shahid Saless, dem unter anderem das Münchner Filmmuseum mehrere Retrospektiven widmete, achtzig Jahre alt geworden. Er starb jedoch bereits 1998 mit knapp 54 in den USA, wohin er sich nach Aufenthalten in Frankreich, Deutschland und der damaligen Tschechoslowakei zurückgezogen hatte. Saless begann seine ungewöhnlich multinationale Karriere mit rund zwanzig Dokumentarfilmen, die er für das iranische Kulturministerium drehte. 1974 verließ er aus politischen Gründen das Land und lebte anschließend in Westdeutschland, Frankreich und Österreich. Im selben Jahr wurde er für Stillleben mehrfach auf der Berlinale ausgezeichnet, sein Literaturfilm Grabbes letzter Sommer erhielt den Adolf-Grimme-Preis in Gold, gefolgt von vielen weiteren Preisen.
Doch Sohrab Shahid Saless persönlich, dessen Ruhelosigkeit sich immer wieder in Zug- und Straßenverkehrsszenen manifestierte, nützten diese Erfolge wenig: »Die Aufenthaltserlaubnis ersetzt nicht die Arbeitserlaubnis«, beschieden ihm die deutschen Behörden, obwohl er hierzulande bis 1991 dreizehn Spiel- und Dokumentarfilme realisierte. Er habe seine Filme jedoch nie selbst produzieren dürfen, erklärt der Biograf Beharang Samsami, der im Anschluss an die erste Vorführung von Empfänger unbekannt mit dem Schweizer Filmwissenschaftler Daniel Wiegand über »Stunde null? Sohrab Shahid Saless und der Blick von außen« diskutierte.
Saless verfügte über die Gabe, Gefühle wie Wut, Sehnsucht und Schmerz so intensiv miteinander zu vermengen, bis am Schluss ein kunstvolles trauriges Skandalon herauskommt. Das verband ihn mit dem 2021 verstorbenen Schriftsteller Ludwig Fels, von dem er mehrere Romane wie »Wechselbalg« oder »Rosen für Afrika« fürs Fernsehen adaptierte. Das waren sperrige Sternstunden, ausgedehnte, kaum erträgliche Blicke auf Außenseiter, wie sie die heutigen Fernsehverantwortlichen dem Publikum wohl nicht mehr zumuten wollen.
Und doch erreichte Sohrab Shahid Saless mit seiner Methode der ruhigen, genauen Menschenerkundung eine erschütternde Wahrhaftigkeit. 149 Minuten nimmt sich sein Schwarzweißfilm Hans – Ein Junge in Deutschland Zeit, um die zunehmende Diskriminierung und existenzielle Gefährdung eines Jugendlichen (Martin Prasko) in der NS-Zeit erlebbar zu machen, dessen alleinstehende Mutter (Imke Barnstedt) als »Judenhure« denunziert wird.
Das Filmmuseum zeigt als Premiere eine 4k-Restaurierung des 1985 entstandenen Werks, präsentiert von der Filmhistorikerin Vivien Buchhorn, die das Shahid Saless Archive initiiert hat. Und auch die im Foyer ausgestellten Szenenfotos von Saless’ Kostümbildnerin Monika Grube erinnern an einen Künstler, dessen Aktualität berührt und frappiert: »Die Deutschen sind pünktlich wie die Eisenbahn und nehmen nichts wahr«, heißt es in Empfänger unbekannt.
Empfänger unbekannt: Wiederholung am 05.07.24 um 17:00, Filmmuseum München