Die Schweiz und die Welt |
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Die letzte Chance entstand 1945 und erzählte von der Flucht jüdischer Menschen | ||
(Foto: SRF) |
Von Ulrich Mannes
Genau besehen brachte die Weimarer Republik nur einen Spielfilm hervor, den man als kommunistisch bezeichnen könnte: Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? von Slatan Dudow. Diese 1932 zum Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise unter Mitwirkung von Bertolt Brecht entstandene Mischung aus Propagandawerk, Lehrstück und Sozialstudie gilt als Meilenstein des proletarisch-agitatorischen Kinos. Doch das Produktionskollektiv musste damals nicht nur einen zähen Kampf mit der Zensur ausfechten, sondern am Ende auch noch die Pleite ihrer Produktionsfirma Prometheus-Film in Kauf nehmen. Ein Retter in der Not fand sich in der Schweiz: Der Produzent Lazar Wechsler, Inhaber der Praesens-Film, schoss in letzter Minute Geld zu und ermöglichte damit die Fertigstellung und den internationalen Vertrieb des Films. Wie es zu dieser Rettungsaktion kam und wie die Entstehungs- und Distributionsgeschichte von Kuhle Wampe zu einer kuriosen Fußnote der deutsch-schweizerischen Filmbeziehungen wurde, lässt sich in »Heidi, Hellebarden & Hollywood – Die Praesens-Film-Story« von Benedikt Eppenberger nachlesen.
Kurzweilig und kenntnisreich zeichnet Eppenberger in seinem zum 100-jährigen Jubiläum der Praesens-Film bei NZZ-Libro erschienenen Buch die windungsreiche Geschichte der wohl wichtigsten Schweizer Filmfirma nach, die vor allem in der Mitte des letzten Jahrhunderts die Außenwahrnehmung der Schweizer Kinematographie entscheidend prägte: mit Literaturadaptionen, Dialekt- und Heimatfilmen, Gesellschaftsdramen und nicht zuletzt mit einer Reihe von Aufklärungs- und Sittenfilmen.
Letztere sind eine Konstante der Praesens-Geschichte und bilden den Schwerpunkt einer Spezial-Reihe in der Theatiner-Filmkunst, die das 100-jährige Jubiläum bei den 72. Münchner Filmkunstwochen mit Benedikt Eppenberger als Gast begeht.
Höhepunkt des Specials ist die Filmlecture »Die Praesens-Aufklärungsrolle«. Mit vielen Beispielen aus den zahlreichen zwielichtigen Aufklärungsfilmen, die die Praesens in einem halben Jahrhundert produziert hat, zieht Eppenberger in seiner Lecture einen roten Faden durch die Firmengeschichte – darunter gibt es auch Ausschnitte des ersten Großerfolgs der Praesens: den 1929 von Sergej Eisenstein mitverantworteten Abtreibungsfilm Frauennot – Frauenglück.
Neben Kuhle Wampe, der als Schweizer Produktion nunmehr in einem ganz anderen Licht erscheint, kann die Reihe mit einer bemerkenswerten Entdeckung aufwarten: Die Schatten werden länger (1961), einem abgekochten Drama um eine verwahrloste Halbwüchsige, die in einem Mädchenpensionat wieder auf die Spur gebracht werden soll, coproduziert von Artur Brauners CCC und mit einem beachtlichen bundesrepublikanischen Cast (Barbara Rütting, Loni von Friedl, Luise Ullrich, Hansjörg Felmy). Inszeniert hat der europäische Regie-Vagabunde Ladislao Vajda, der zuvor den Praesens-Supererfolg Es geschah am hellichten Tag gedreht hat.
Aber es gibt noch ein anderes großes Zeitthema, das der Schweizer Film und besonders die Praesens nicht ignorieren wollte: Die eidgenössische Sonderstellung im Zweiten Weltkrieg, in dem die Schweiz ihre Neutralität offenbar nur um den Preis einer restriktiven Flüchtlingspolitik bewahren konnte. Zum Auftakt der Filmreihe im Münchner Theatiner (mit Empfang des Schweizerischen Konsulats) läuft einer der größten Prestige-Erfolge der Praesens, das heute immer noch eindringliche Flüchtlingsdrama Die letzte Chance von Leopold Lindtberg. Der kurz vor Kriegsende fertiggestellte Film handelt von einer Gruppe alliierter Offiziere, die in Oberitalien der Kriegsgefangenschaft entkommen ist und sich mit Flüchtlingen verschiedener Nationalität auf den Weg über die Alpen in die neutrale Schweiz macht. Regisseur Leopold Lindtberg, selbst Emigrant aus Österreich, der hier größtenteils Amateure als Darsteller gefunden hat, erzählt seine Geschichte nüchtern, realistisch und streng, und er färbt die Probleme der Schweizerischen Flüchtlingspolitik nicht schön.
9.-13.08.24, Theatiner Filmkunst
Benedikt Eppenberger am 9.8. und 10.8. zu Gast.
Ergänzen kann man die Filmreihe noch mit einem Longseller der Praesens: Es geschah am hellichten Tag läuft noch bis 20.08.2024 in der 3sat-Mediathek.