10.10.2024

Mit allen Sinnen

Makamisa: Phantasm of Revenge
Khavns Abschlussfilm Makamisa: Phantasm of Revenge mit Lilith Stangenberg
(Foto: Rapid Eye Movies)

Irgendwie Yoga, irgendwie LSD, einmal Minimalismus, ein andermal Überbordendes – das Münchner Filmfestival UNDERDOX nähert sich seiner ganz eigenen Definition von Awareness

Von Nora Moschuering

Auch Worte kann man in Kisten stecken und so ist das mit dem Wort Awareness, ich stecke es eher in die Kiste: Ganz­heit­lich­keit, Waldbaden, Empfind­sam­keit, bei weiterem Nach­denken, aber noch in eine andere, die der Rock­kon­zerte und einer sicheren Wiesn, also dem rück­sichts­vollen Umgang mitein­ander und Aufein­ander-Achten. Aber das Münchner Film­fes­tival UNDERDOX und Awareness in eine Schublade zu stecken, darauf wäre ich bisher nicht gekommen.

Nun also: Filme mit Trigger-Warnung und ein Festival voll Vers­tändnis? Oder doch eher eine Kombi­na­tion von LSD und Yoga – im filmi­schen Sinn natürlich? Die beiden Festi­val­leiter Dunja Bialas und Bernd Brehmer schreiben zu Awareness, dem dies­jäh­rigen Festi­val­thema: »Alles was unsere Aufmerk­sam­keit braucht, alles, was unser Bewusst­sein schärft: Das ist die awareness, die wir meinen.« UNDERDOX ist also auf der Suche nach Awareness im cine­philen Sinn und damit im jewei­ligen Film selbst. Wie erzeugt der Film etwas, das unsere besondere Aufmerk­sam­keit braucht? In dem er »unüblich« agiert, sich unge­wöhn­lich verhält, indem er z.B. Dinge weglässt, reduziert, Formen nutzt, die wir nicht (mehr) gewohnt sind, oder indem er an seinem eigenen Material kratzt ... oft führt ja auch Verun­si­che­rung zu mehr Aufmerk­sam­keit. So steigert sich z.B. in Stanley Scht­in­ters Schnee­witt­chen die Bedeutung des Tons. Schnee­witt­chen ist eine Krimi­nal­ge­schichte und gleich­zeitig eine Hommage an den portu­gie­si­schen Meister João César Monteiro, der beim Dreh von Branca de neve aus Versehen seinen Mantel über die Kamera gehängt hatte.
Samstag 12 Okt., 18:00 Film­mu­seum | zu Gast: Stanley Schtinter (Regisseur), Hanns Zischler (der Jäger) und Joshua Bonnetta (Filmeditor)

Artist in Focus des Festivals ist dieses Jahr der Baske Oskar Alegria. In seinem Eröff­nungs­film Zinzin­dur­run­kar­ratz macht er sich, mit der Super-8-Kamera seines Vaters und in der Beglei­tung eines Esels, auf die Suche nach einem alten Hirten­pfad. Dabei entdeckt er Gesten und dörfliche Tradi­tionen, spürt mit seiner Kamera der Vergan­gen­heit nach. (Donnerstag 10 Okt 19:00 Film­mu­seum | zu Gast: Oskar Alegria). Auch Alegrias zweiter Film Emak Bakia baita, ein Essayfilm, forscht nach etwas. Wir begleiten diese Bewegung mit all ihren Abwegen, Umwegen und Entde­ckungen. Ausgangs­punkt ist dieses Mal Man Rays surrea­lis­ti­sches Cine-Poem Emak Bakia (1926) (baskisch für: »Lass mich in Ruhe!«). Alegria macht sich auf die Suche nach einem Haus mit gleichem Namen in Biarritz. Dabei führt er Inter­views und entdeckt Schrift­ta­feln, die einen eigenen Tonfall haben. Mit ihnen folgt Alegria dem Glück, dem Wind und den Clowns.
Freitag 11 Okt 21.30 Werk­statt­kino | zu Gast: Oskar Alegria

Surreal, aber auf eine andere Weise als Man Ray, sind die über­bor­denden Filme des phil­ip­pi­ni­schen Künstlers, Musikers und Filme­ma­chers KHAVN, der zweite Artist in Focus (der aber aufgrund seiner Beharr­lich­keit, alles mit »this is not« zu labeln, inklusive seiner eigenen Filme, zu einem »this is not«-Artist in Focus wird). Als Abschluss­film des Festivals läuft sein Film Makamisa: Phantasm of Revenge mit Lilith Stan­gen­berg. Er spielt auf den Phil­ip­pinen, Ende des 19. Jahr­hun­derts, im Übergang von der spani­schen zur ameri­ka­ni­schen Kolo­ni­al­macht, und ist inspi­riert von José Rizals unvoll­endetem dritten Roman. Die drei Haupt­fi­guren, der traurige phil­ip­pi­ni­sche Dichter Simoun Rizal, der böse spanische Priester Pater Agaton Damaso und die ameri­ka­ni­sche Verrückte Sisa Bracken bewegen sich dabei so wild und exaltiert, wie das hand­co­lo­rierte und selbst entwi­ckelte 35mmm-Stummfilm-Material. Closing Night, in Beglei­tung von Babel Gun ein Ciné-Concert auf dem Flügel des Film­mu­seums | Mittwoch 16 Okt 21.00 Film­mu­seum | zu Gast: Khavn, Lilith Stan­gen­berg

So viel zum Anfang und zum Ende, jetzt ein paar Eindrücke zum Dazwi­schen. Kühl und eine ganz eigene Art von Science Fiction ist Katharina Hubers Ein schöner Ort. Irgend­etwas schwebt über allem, die nahende Apoka­lypse oder ein Rake­ten­start, man erfährt davon durch alte Radios und Fernseher. Eine Gruppe von Menschen lebt auf dem Land, die beiden Frauen Margarite und Güte warten, ein Countdown wird runter­ge­zählt. Alle Menschen befinden sich in einer Art Vergan­gen­heit, einer braun-beigen Land­ge­mein­schaft, es ist Herbst. Das Landleben scheint sich selber aufzu­lösen, es wird Feuer gelegt, Menschen werden vergiftet, sie werden krank oder gehen ins Wasser. Schön ist das, ein bisschen traurig und etwas surreal, aber Güte gibt nicht auf.
Sonntag 13 Okt 20:00 Werk­statt­kino | zu Gast: Katharina Huber
artechock-Bespre­chung

In Grand Tour erzählt der Regisseur Miguel Gomes von einer Reise quer über den asia­ti­schen Kontinent. Im 19. Jahr­hun­dert war der »Grand Tour« eine Reise des gehobenen Bürger­tums durch Europa. Hier, 1917, wird sie zu einer Reise im asia­ti­schen Raum, durch seine Legenden und Volks­er­zäh­lungen und durch die letzte Phase der briti­schen Kolonien.
Samstag 12 Okt 21:00 Film­mu­seum
artechock-Bespre­chung

Das Nilpferd Pepe berichtet in Pepe von Nelson Carlo de los Santos Arias von seiner eigenen Geschichte und das in den vier Sprachen der Orte, an denen es gelebt hat, von Namibia in Afrika bis nach Latein­ame­rika. Seinen Namen hat Pepe von »Pepe Pótamo«, einem Star einer in Latein­ame­rika in den 60er Jahren sehr populären Zeichen­trick-Serie. Pepe und andere Nilpferde fliehen 2009 aus dem Privatzoo des Drogen­ba­rons Pablo Escobar in die freie Wildbahn
Samstag, 11 Okt 21:00 Film­mu­seum
artechock-Bespre­chung

Das Programm von »Munich Vibra­tions« zeigt drei Posi­tionen von Tanz, die den Film als eigene künst­le­ri­sche Position nutzen. Gezeigt werden Arbeiten von drei in München ansäs­sigen Choreo­grafen. Micha Purucker wählt dazu das 3:4-Format, das Körper teilt, Ausschnitte zeigt, die durch Körper durch­rannt werden, die zu Linien werden, die als eine Art Nachbild in unserem Kopf bleiben. Judith Hummels Arbeiten beschäf­tigen sich mit den Körpern, z.B. was ist ein Akt, was ist der Körper an sich. Sie spielt dabei auch mit den Blicken, mit dem Anschauen und Angesehen-Werden. In einer weiteren Arbeit verknoten sich die Körper in einem Menschen­knäul, werden zu einem einzigen Wesen, ein wenig grotesk, ein wenig verzwei­felt, aber auch liebevoll. Stephan Herwigs Diptychon My body is my monument (2024) zeigt eine Tänzerin und ihre Bewegung, man hört ihren Atem und verfolgt ihrem Körper, der vom Raum und dem Ausschnitt, den die Kamera zeigt, beein­flusst wird (Kamera: Laura Kansy).
Sonntag 13 Okt 17.00 Werk­statt­kino | zu Gast: Micha Purucker, Judith Hummel, Stephan Herwig

Außerdem gibt es dieses Jahr zum zweiten Mal das inter­na­tio­nale Nachwuchs-Förder­pro­gramm »young people’s choice«, das junge Menschen dazu einlädt, selbst ein Programm mit Kurz­filmen zusam­men­zu­stellen. Dieses Jahr sind es Vid Radičević aus Belgrad und Paula Ruppert aus München. Sie zeigen Filme der »Belgrade Youth«.
Dienstag 15 okt 19.00 werk­statt­kino |zu gast: Vid Radičević, Paula Ruppert und die Filme­ma­cher:innen Teodora Arsic, Veljko Petrovic, Petar Tkalec, Mina Simendić

19. UNDERDOX – film­fes­tival für dokument und expe­ri­ment

10. – 16. Oktober, Film­mu­seum München, Theatiner, Werk­statt­kino

Eintritt: 7 € (Überlänge 8 €)
5er-Karte: 30 €

Programm-Flyer (PDF)