07.11.2024

Innen. Kino. Nacht.

Ext. Car. Night
Vom Thriller zum Making Of: Ext. Car. Night
(Foto: Adi Marineci)

Das Rumänische Filmfestival in München zeigt herausragende Werke des zeitgenössischen rumänischen Kinos, das sich allmählich aus seiner »Neuen Welle« heraussurft

Von Dunja Bialas

Auf der Mobra konnte man zu zweit fahren. Für die sozia­lis­ti­schen Zeiten Rumäniens war dies eine Schlag­zeile wert, versprach Verfüh­rung und hedo­nis­ti­sche Ausfahrten auf dem Motorrad. Auf einer roten Mobra soll nun der junge Horia Abenteuer und Liebe finden, so will es zumindest sein Vater, der seinem Sohn breit­beinig von seinen Drauf­gän­ger­fahrten erzählt – und es ihm zum Geburtstag schenkt. Horia aber hat andere Pläne. Die wahre Liebe zum Beispiel.

Ana Maria Comanescu hat ihr Lang­film­debüt nach der unschein­baren Haupt­figur benannt und bleibt der vor zwei Jahr­zehnten losge­tre­tenen Neuen Rumä­ni­schen Welle in ihrer Erzähl­weise noch ziemlich treu, portrai­tiert die verzwei­felt um ein gutes Leben ringende post­so­zia­lis­ti­sche Mittel­klasse. Ihr Film beginnt in der länd­li­chen Einöde, wo die Männer noch das Sagen haben – und wo es für den Vater eine Voll­ka­ta­strophe ist, dass sein Sohn eher eine Memme ist.

Horia ist ein groß­ar­tiger Auftakt für das dies­jäh­rige Rumä­ni­sche Film­fes­tival, setzt es doch gleich zu Beginn diese eigen­tüm­lich noncha­lante, faszi­nie­rende Tonlage des rumä­ni­schen Kinos, ein Suhl aus Hunde­ge­bell in der Nacht, knat­terndem Motor und wortlosen Prot­ago­nisten. (Do 07.11. 19:00 Film­mu­seum München, zu Gast: Ana-Maria Comanescu)

Mit einem in den wech­selnden Schärfen des Bildes chaotisch wirkenden Estab­li­shing Shot taucht Where Elephants Go tief in die Straßen von Bukarest ein. Unter der bewegten Hand­ka­mera (Adrian Paduretu) und vielen Zooms, die mal diese, mal jene Straßen­szene fokus­sieren, dauert es eine Weile, bis Orien­tie­rung da ist. Dann ein verbun­denes Hand­ge­lenk, Blut. Den Blouson des dazu­gehö­renden jungen Mannes haben wir vorher schon einmal kurz gesehen. Dann verschwindet er wieder zwischen den Passanten.

Gabi Virginia Sarga und Catalin Rotaru finden in ihrem zweiten gemein­samen Film ohne Umschweife zu einer modernen Erzähl­weise, die einen strau­chelnden Prot­ago­nisten rahmt. Es geht um Tod, Autopsie, ums Plei­te­sein, um die Mimikri des Lebens in einer kapi­ta­lis­ti­schen Stadt, die ihre Menschen abgehängt hat. (Fr 08.11. 18:00 Film­mu­seum München, zu Gast: Adrian Paduretu (Kamera))

Adrian Paduretu hat auch für Marian Crisans Warboy die Kamera geführt und schlägt hier eine völlig andere, ruhige und klas­si­sche Ästhetik an. Es geht zurück ins Jahr 1944. Nicu hütete die Pferde der Familie, der Vater ist im Krieg. Deutsche Soldaten sind da, die Rote Armee schon nah, die Fronten werden hier im einsamen Wald gezogen, mit den Baum­stämmen, die das Arbeits­pferd hinter sich herzieht. Wie aus einem Kind ein Kämpfer wird, auch davon erzählt Marian Crisan inmitten einer ins Sonnen­licht getauchten Natur. (Fr 08.11. 21:00 Film­mu­seum München, zu Gast: Adrian Paduretu (Kamera))

Kein Rumä­ni­sches Filmfest ohne Calin Peter Netzer. Sein Film Mutter & Sohn über eine selbst­süch­tige Frau der urbanen Ober­schicht bekam 2013 den Goldenen Bären der Berlinale, es war die Hochzeit des Neuen rumä­ni­schen Films. Sein neuer Film nun heißt ebenso generisch Familiar und seziert nach allen Raffi­nessen der Kunst ein brüchiges Fami­li­en­ge­füge, das sich auch noch in die Fänge der Secu­ri­tate begeben hat. Alter Ego von Netzer ist der Prot­ago­nist, ein Filme­ma­cher, der diesen Film über seine eigenen Eltern macht. Eine Matroschka-Erzählung, die im Vexier­spiel der Wahr­heits­suche immer neue narrative Böden durch­dringt. (Sa 09.11. 18:00 Film­mu­seum München)

»Am wich­tigsten«, so high­lightet der Kurator Klaus Volkmer vom Film­mu­seum München, sei ihm jedoch Andrei Cretu­lescu. Volkmer macht seit bald zwei Jahr­zehnten das Programm des Rumä­ni­schen Film­fes­ti­vals zusammen mit Film­kri­tiker Bert Rebhandl und Brigitte Drodtloff von der Gesell­schaft zur Förderung der Rumä­ni­schen Kultur und Tradition. Cretu­lescu begann als neue Stimme eines schon etwas müde gewor­denen Neuen rumä­ni­schen Kinos, lancierte zusammen mit Radu Jude und Adrian Sitaru Kurzfilme, die sie als eigen­s­tän­diges Format – nicht als Schrumpf­stufe der Langform – verstanden. Es ging auch um die Über­win­dung der rumä­ni­schen Welle, um das Umspielen der wieder­erkenn­baren Signa­turen – keine Musik, lange Einstel­lungen, Helden des Alltags. Lang erwartet wurde Ext. Car. Night, benannt nach den Regie­an­wei­sungen in einem Drehbuch: Außen. Auto. Nacht. Am besten überlässt man für die Vorstel­lung dieses komplex verschach­telten Films, der leicht­händig in die Metaebene findet, das Wort dem Urheber selbst: »Ein blutiger Thriller verwan­delt sich in sein eigenes 'Making Of' – ein Gespräch über Angst, über Film, über Fiktion. Der Film hat 12 Figuren, die von vier Schau­spie­lern gespielt werden, und er wurde in Sequenz-Einstel­lungen gedreht, die nicht in chro­no­lo­gi­scher Reihen­folge gezeigt werden. Ein besserer Titel wäre übrigens F For Fake gewesen, aber der war schon vergeben.«

Ein Film, den man mit eigenen Augen gesehen haben muss, um zu wissen, worum es geht. Dem vertrauen wir sogar blind. (Sa 09.11. 21:00 Film­mu­seum München)

Rumä­ni­sches Film­fes­tival
07.-20. November 2024

Eintritt: 4 €