16.01.2025

Werner Herzog in Mannheim!

Die sieben Leben des Werner Herzog
Josef Schnelle, Filmkritiker und Kinoexperte und »Eine Welt ist nicht genug – Reiseführer in das Werk von Werner Herzog«
(Foto: Schüren Verlag)

Die sieben Leben des Werner Herzog

Von Rüdiger Suchsland

Man wüsste schon sehr gerne, was wohl Sigmund Freud zu Werner Herzog und seinen Filmen zu sagen gehabt hätte. Denn es gibt wohl keinen zweiten Filme­ma­cher, nicht nur aus Deutsch­land, der sich ähnlich wie der 1942 geborene Herzog auf der Leinwand selber auf die Psycho­ana­ly­tiker-Couch legt. Das 22. Mann­heimer Film­se­minar »Psycho­ana­lyse und Film­theorie« veran­staltet jetzt an diesem Wochen­ende ein Symposium zu Werner Herzogs Gesamt­werk, mit Vorträgen und immerhin acht Filmen an knapp drei Tagen.
Die Veran­stalter, das Kommunale Kino »Cinema Quadrat« und die feste Gruppe film­theo­re­tisch inter­es­sierter Psycho­ana­ly­tiker, nennen das Ganze einfach »Werner Herzog« und verzichten darauf, dem Ganzen einen ausge­schmückten Titel zu geben, wie etwa die einzelnen Vorträge es tun: »Bilder ohne Wieder­kehr«; »Visionen und Refle­xionen«; »Welche Realität?«; »Mythen und Apoka­lypsen« und »Die Liebe zum Extremen«. Alles das hätte ein Titel sein können für die attrak­tive Veran­stal­tung, die auch deshalb lohnt, weil hier gleich drei Autoren in Vortrags-Aktion zu erleben sind, die man aus artechock-Texten und -podcasts kennt.
»Eine Welt ist nicht genug«, jeden­falls nicht für Herzog. So hat auch nicht ganz unpassend Josef Schnelle, Film­kri­tiker und Kino­ex­perte seinen »Reise­führer in das Werk von Werner Herzog« betitelt. Bezeich­nen­der­weise ist es ein Reise­führer »in« das Werk, nämlich mitten hinein.

Man erfährt viel aus dem Buch, das 2021 im Schüren Verlag erschienen ist, und aus dem wir hier ein Kapitel abdrucken dürfen.
Wir danken dem Autor sehr herzlich!

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Die sieben Leben des Werner Herzog

Von Josef Schnelle

Das Sprich­wort von den sieben Leben »einer Katze kommt aus dem Mittel­alter, als man die Katze als Begleiter teuf­li­scher Hexen ansah und sogar von Kirch­türmen hinun­ter­warf, um ihre zaube­ri­sche Fähigkeit, Stürze zu überleben, maximal auszu­testen. Katzen können sich tatsäch­lich noch in der Luft drehen und landen immer wieder, auch aus großer Höhe noch auf ihren Pfoten. So ähnlich kann man auch das Leben von Werner Herzog beschreiben. Er ist ein Wieder­gänger und kann sich nach jedem Rück­schlag immer wieder neu erfinden. Noch in der Luft dreht er sich gewis­ser­maßen und landet auf seinen Füßen. Deswegen ist er auch so gerne zu Fuß unterwegs. Das begann, könnte man sagen, schon in der Kindheit. So überlebte er als Kind die Bomben­an­griffe auf München, weil seine Familie nach Sachrang, kurz vor der öster­rei­chi­schen Grenze über­ge­sie­delt war. Nach dem Anfangs­er­folg mit Lebens­zei­chen, der – durchaus weiteren Erfolg verspre­chend 1968 einen Silbernen Bär als bester Erst­lings­film bei der Berlinale gewonnen hatte, wurde es schnell wieder still um Herzog – durchaus üblich für Regie­an­fänger von denen man allen­falls einen zweiten Film sieht, aber dann nie wieder etwas hört. Doch der zweite Film Auch Zwerge haben klein ange­fangen löste 1970 mit seinen« unartigen Lili­pu­ta­nern», wie Wolf Donner seine Bespre­chung in« Die Zeit »betitelte, gleich einen veri­ta­blen Skandal als buchs­täb­liche Vernied­li­chung der damaligen Studen­ten­re­volte aus und fand nicht einmal einen Verleih. Seinen künst­le­risch so bedeut­samen nächsten Film Fata Morgana musste Herzog 1971 sogar im Eigen­ver­leih und zunächst sehr bescheiden selbst heraus­bringen. Aguirre, der Zorn Gottes war anschließend – von mehreren Dreh­ka­ta­stro­phen einschließ­lich Flug­zeug­ab­sturz gebeutelt und – glaubt man Herzog – lag das komplette Negativ des Film auf dem Flughafen von Lima in der Sonne und wurde nur durch die ausdau­ernde Suche von Werner Herzogs Bruder und Produzent Lucki Stipetic wieder­ge­funden. Auch die allge­meine Aner­ken­nung erreichte der Film erst mit der Zeit. Nach der Premiere monierte der Rezensent der Frank­furter Allge­meinen Zeitung noch Kinskis« Masken und Medu­sen­blick »und seinen« Hang zum Thea­ter­donner». Auch wenn Herzog mehr und mehr eine Fange­meinde um sich scharen konnte, die sogar eine Egoprä­sen­ta­tion wie 1980 Werner Herzog isst seinen Schuh goutierte, während Nosferatu – Phantom der Nacht und Woyzeck jeweils ein gemischtes Echo hervor­riefen, bevor Fitz­car­raldo 1982 mit dem Regie­preis der Film­fest­spiele von Cannes endgültig den inter­na­tio­nalen Rang Herzogs zu bestä­tigen schien. Doch er arbeitete weiter an seinen Höhen, die er erreichte und den Tiefen, in die er immer wieder stürzte. Als er 1999 in seinem Doku­men­tar­film Mein liebster Feind die Zusam­men­ar­beit mit Klaus Kinski in den Mittel­punkt stellte, vermutete mancher schon, dies sei der endgül­tige Abschied eines leidlich promi­nenten, immer aber unge­müt­li­chen Spezi­al­ge­wächses des deutschen Kinos. Doch in Wahrheit war Herzog nach Amerika umge­sie­delt und meldete sich mit einer Reihe ganz beson­derer Doku­men­tar­filme zurück: mit dem wider­sprüch­li­chen Traum von der Verschmel­zung von Mensch und Natur in Grizzly Man, Begeg­nungen am Ende der Welt mit sensa­tio­nellen Unter­was­ser­auf­nahmen in der Antarktis sowie und vor allem mit dem philo­so­phi­schen Filmessay in 3D über die Urzeit-Kathe­drale von Chauvet in Die Höhle der verges­senen Träume. Vielfach mit Preisen bedacht und umjubelt wurde dieser neue Herzog vor allem in den USA, wo er wie auch in Frank­reich und Italien überhaupt sehr viel mehr positive Aufmerk­sam­keit bekam, als in seiner Heimat Deutsch­land, wo die Filme des aufre­gendsten deutschen Film­re­gis­seur oft nicht mal mehr ins Kino kamen, wie seine Inter­view­filme mit Todes­kan­di­daten On Death Row (Im Todes­trakt, 2012). Königin der Wüste verlor sich trotz Star­be­set­zung mit Nicole Kidman buchs­täb­lich im Sand und Salt and Fire blieb fast übersehen in der Salzebene stecken. Mit seinem Europäi­schen Filmpreis für das Lebens­werk 2019 feierte Herzog eine trium­phale Rückkehr auf die große Bühne. Und zeigte am Rande der Veran­stal­tung einen kleinen Film über die Verant­wor­tung der Illu­si­ons­künste Family Romance, LLC, der – so aussa­ge­kräftig er sich dem Thema gefälschter Gefühle auch widmete – wieder keinen Filmstart in Deutsch­land bekam.«

Man kann das Lebens­werk des Werner Herzog natürlich auch ganz anders sehen – als ein geschlos­senes Werk von weit über 60 Filmen, die zu stets span­nenden Reisen in immer neue Welten einladen, denen sich Herzog doku­men­ta­risch oder fiktiv mit stau­nendem Blick nähert. Das ehrliche Staunen »ist einer der Kern­be­griffe, den man in jedem Film Herzogs auf die eine oder andere Weise wieder­finden kann: Im Dschungel von Aguirre, der Zorn Gottes und Fitz­car­raldo, der in ganz anderer Weise in Julianes Sturz in den Dschungel und in The White Diamond wieder­kehrt oder von der Berg­spitze aus in Herz aus Glas oder tief aus der Urzeit­höhle in Die Höhle der verges­senen Träume. Staunen setzt Neugier und die Bereit­schaft voraus, das Leben immer wieder neu kennen­zu­lernen und unvor­ein­ge­nommen zu begreifen. Das schließt auch scho­ckie­rende Bilder und Ereig­nisse ein. Herzog sucht in seinen Arbeiten nie den schlichten Konsens. Genau damit hat er sich oft in die Nesseln gesetzt. Wobei Herzog vor allem, das unter­streicht er, wenn er mit seiner eigenen Stimme durch einen Film führt: So sehr er ehrli­cher­weise ein« offenes Buch »ist, bleibt er gleich­zeitig« ein unlös­bares Rätsel». Das Faszi­nosum seiner Filme liegt darin, dass ihnen das Geheimnis bleibt, sogar im Verlaufe eines Films stets neue uner­war­tete Dimen­sionen erreicht, auch wenn dessen Sujet noch so sehr dazu´verführen sollte, am Ende alles aufzu­klären. Ob Nosferatu in Nosferatu – Phantom der Nacht tatsäch­lich die Nacht beherrscht oder die grünen Ameisen träumen, Herzogs Filme mit ihren auftür­menden Wolken­ge­birgen und trös­tenden Sonnen­auf­gängen arbeiten stets daran, im Kino­sessel Erleb­nisse zu erschaffen, die einzig­artig sind. Wie wenn Extrem­klet­terer Berge über­winden in Schrei aus Stein oder in Gasher­brum – der leuch­tende Berg und dann auf dem Gipfel nur neue Horizonte in der Ferne leuchten sehen. So bewahrt sich Herzog in seinen Filmen in jedem Augen­blick eine gewisse Offenheit für ein neues Staunen über das Leben und die Welt. Dabei macht er auch vor Sinnes­täu­schungen, wie sie das Kino nun einmal zuhauf anbietet, keinen Halt. Aus Luft­spie­ge­lungen in der Wüste und Eisge­birgen unter der Antarktis werden die Land­schaften und Phan­tas­ma­go­rien fremder Planeten. Und die Welt verwan­delt sich in Musik und Musik wiederum hat die Kraft, den Dschungel umzu­ge­stalten in die Traum­uto­pien einer Heimat, die wir nur im Kino jemals finden können. Eine Welt ist nicht genug für Herzogs ruhe- und rastlose Suche nach der« eksta­ti­schen Wahrheit »unseres Lebens. Es braucht eine Vielzahl sehr unter­schied­li­cher (Erzähl-)Welten, die manchmal von einem Augen­blick zum anderen ihr Gesicht und ihre Bedeutung verändern. Dafür steht Werner Herzogs gesamtes filmi­sches Werk, dem man nur folgen kann, wenn man bereit ist, sämtliche gewun­denen gedank­li­chen und sinn­li­chen Wege mitzu­gehen, die er anbietet: ob Urwald oder Wüste, Stadt oder Land, heute oder gestern, ewiges Eis oder rätsel­hafte Tiefsee, Traumwelt oder wirkliche Welt oder alles montiert zu einer einzigen filmi­schen Metarea­lität. Werner Herzog ist immer so sehr selbst rätsel­haft geblieben, dass seine Zuschauer sich über keine noch so abwegige drama­tur­gi­sche Konstel­la­tion wundern würden, mit der er als nächstes Projekt um die Ecke biegen könnte. Das System Herzog ist ein am Ende offenes System. Und das gilt auch für die Filme, die er von jetzt an machen wird.«