Werner Herzog in Mannheim! |
||
Josef Schnelle, Filmkritiker und Kinoexperte und »Eine Welt ist nicht genug – Reiseführer in das Werk von Werner Herzog« | ||
(Foto: Schüren Verlag) |
Man wüsste schon sehr gerne, was wohl Sigmund Freud zu Werner Herzog und seinen Filmen zu sagen gehabt hätte. Denn es gibt wohl keinen zweiten Filmemacher, nicht nur aus Deutschland, der sich ähnlich wie der 1942 geborene Herzog auf der Leinwand selber auf die Psychoanalytiker-Couch legt. Das 22. Mannheimer Filmseminar »Psychoanalyse und Filmtheorie« veranstaltet jetzt an diesem Wochenende ein Symposium zu Werner Herzogs Gesamtwerk, mit Vorträgen und immerhin acht Filmen an
knapp drei Tagen.
Die Veranstalter, das Kommunale Kino »Cinema Quadrat« und die feste Gruppe filmtheoretisch interessierter Psychoanalytiker, nennen das Ganze einfach »Werner Herzog« und verzichten darauf, dem Ganzen einen ausgeschmückten Titel zu geben, wie etwa die einzelnen Vorträge es tun: »Bilder ohne Wiederkehr«; »Visionen und Reflexionen«; »Welche Realität?«; »Mythen und Apokalypsen« und »Die Liebe zum Extremen«. Alles das hätte ein Titel sein können für die attraktive
Veranstaltung, die auch deshalb lohnt, weil hier gleich drei Autoren in Vortrags-Aktion zu erleben sind, die man aus artechock-Texten und -podcasts kennt.
»Eine Welt ist nicht genug«, jedenfalls nicht für Herzog. So hat auch nicht ganz unpassend Josef Schnelle, Filmkritiker und Kinoexperte seinen »Reiseführer in das Werk von Werner Herzog« betitelt. Bezeichnenderweise ist es ein Reiseführer »in« das Werk, nämlich mitten hinein.
Man erfährt viel aus dem Buch, das 2021 im Schüren Verlag erschienen ist, und aus dem wir hier ein Kapitel abdrucken dürfen.
Wir danken dem Autor sehr herzlich!
+ + +
Von Josef Schnelle
Das Sprichwort von den sieben Leben »einer Katze kommt aus dem Mittelalter, als man die Katze als Begleiter teuflischer Hexen ansah und sogar von Kirchtürmen hinunterwarf, um ihre zauberische Fähigkeit, Stürze zu überleben, maximal auszutesten. Katzen können sich tatsächlich noch in der Luft drehen und landen immer wieder, auch aus großer Höhe noch auf ihren Pfoten. So ähnlich kann man auch das Leben von Werner Herzog beschreiben. Er ist ein Wiedergänger und kann sich nach jedem Rückschlag immer wieder neu erfinden. Noch in der Luft dreht er sich gewissermaßen und landet auf seinen Füßen. Deswegen ist er auch so gerne zu Fuß unterwegs. Das begann, könnte man sagen, schon in der Kindheit. So überlebte er als Kind die Bombenangriffe auf München, weil seine Familie nach Sachrang, kurz vor der österreichischen Grenze übergesiedelt war. Nach dem Anfangserfolg mit Lebenszeichen, der – durchaus weiteren Erfolg versprechend 1968 einen Silbernen Bär als bester Erstlingsfilm bei der Berlinale gewonnen hatte, wurde es schnell wieder still um Herzog – durchaus üblich für Regieanfänger von denen man allenfalls einen zweiten Film sieht, aber dann nie wieder etwas hört. Doch der zweite Film Auch Zwerge haben klein angefangen löste 1970 mit seinen« unartigen Liliputanern», wie Wolf Donner seine Besprechung in« Die Zeit »betitelte, gleich einen veritablen Skandal als buchstäbliche Verniedlichung der damaligen Studentenrevolte aus und fand nicht einmal einen Verleih. Seinen künstlerisch so bedeutsamen nächsten Film Fata Morgana musste Herzog 1971 sogar im Eigenverleih und zunächst sehr bescheiden selbst herausbringen. Aguirre, der Zorn Gottes war anschließend – von mehreren Drehkatastrophen einschließlich Flugzeugabsturz gebeutelt und – glaubt man Herzog – lag das komplette Negativ des Film auf dem Flughafen von Lima in der Sonne und wurde nur durch die ausdauernde Suche von Werner Herzogs Bruder und Produzent Lucki Stipetic wiedergefunden. Auch die allgemeine Anerkennung erreichte der Film erst mit der Zeit. Nach der Premiere monierte der Rezensent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung noch Kinskis« Masken und Medusenblick »und seinen« Hang zum Theaterdonner». Auch wenn Herzog mehr und mehr eine Fangemeinde um sich scharen konnte, die sogar eine Egopräsentation wie 1980 Werner Herzog isst seinen Schuh goutierte, während Nosferatu – Phantom der Nacht und Woyzeck jeweils ein gemischtes Echo hervorriefen, bevor Fitzcarraldo 1982 mit dem Regiepreis der Filmfestspiele von Cannes endgültig den internationalen Rang Herzogs zu bestätigen schien. Doch er arbeitete weiter an seinen Höhen, die er erreichte und den Tiefen, in die er immer wieder stürzte. Als er 1999 in seinem Dokumentarfilm Mein liebster Feind die Zusammenarbeit mit Klaus Kinski in den Mittelpunkt stellte, vermutete mancher schon, dies sei der endgültige Abschied eines leidlich prominenten, immer aber ungemütlichen Spezialgewächses des deutschen Kinos. Doch in Wahrheit war Herzog nach Amerika umgesiedelt und meldete sich mit einer Reihe ganz besonderer Dokumentarfilme zurück: mit dem widersprüchlichen Traum von der Verschmelzung von Mensch und Natur in Grizzly Man, Begegnungen am Ende der Welt mit sensationellen Unterwasseraufnahmen in der Antarktis sowie und vor allem mit dem philosophischen Filmessay in 3D über die Urzeit-Kathedrale von Chauvet in Die Höhle der vergessenen Träume. Vielfach mit Preisen bedacht und umjubelt wurde dieser neue Herzog vor allem in den USA, wo er wie auch in Frankreich und Italien überhaupt sehr viel mehr positive Aufmerksamkeit bekam, als in seiner Heimat Deutschland, wo die Filme des aufregendsten deutschen Filmregisseur oft nicht mal mehr ins Kino kamen, wie seine Interviewfilme mit Todeskandidaten On Death Row (Im Todestrakt, 2012). Königin der Wüste verlor sich trotz Starbesetzung mit Nicole Kidman buchstäblich im Sand und Salt and Fire blieb fast übersehen in der Salzebene stecken. Mit seinem Europäischen Filmpreis für das Lebenswerk 2019 feierte Herzog eine triumphale Rückkehr auf die große Bühne. Und zeigte am Rande der Veranstaltung einen kleinen Film über die Verantwortung der Illusionskünste Family Romance, LLC, der – so aussagekräftig er sich dem Thema gefälschter Gefühle auch widmete – wieder keinen Filmstart in Deutschland bekam.«
Man kann das Lebenswerk des Werner Herzog natürlich auch ganz anders sehen – als ein geschlossenes Werk von weit über 60 Filmen, die zu stets spannenden Reisen in immer neue Welten einladen, denen sich Herzog dokumentarisch oder fiktiv mit staunendem Blick nähert. Das ehrliche Staunen »ist einer der Kernbegriffe, den man in jedem Film Herzogs auf die eine oder andere Weise wiederfinden kann: Im Dschungel von Aguirre, der Zorn Gottes und Fitzcarraldo, der in ganz anderer Weise in Julianes Sturz in den Dschungel und in The White Diamond wiederkehrt oder von der Bergspitze aus in Herz aus Glas oder tief aus der Urzeithöhle in Die Höhle der vergessenen Träume. Staunen setzt Neugier und die Bereitschaft voraus, das Leben immer wieder neu kennenzulernen und unvoreingenommen zu begreifen. Das schließt auch schockierende Bilder und Ereignisse ein. Herzog sucht in seinen Arbeiten nie den schlichten Konsens. Genau damit hat er sich oft in die Nesseln gesetzt. Wobei Herzog vor allem, das unterstreicht er, wenn er mit seiner eigenen Stimme durch einen Film führt: So sehr er ehrlicherweise ein« offenes Buch »ist, bleibt er gleichzeitig« ein unlösbares Rätsel». Das Faszinosum seiner Filme liegt darin, dass ihnen das Geheimnis bleibt, sogar im Verlaufe eines Films stets neue unerwartete Dimensionen erreicht, auch wenn dessen Sujet noch so sehr dazu´verführen sollte, am Ende alles aufzuklären. Ob Nosferatu in Nosferatu – Phantom der Nacht tatsächlich die Nacht beherrscht oder die grünen Ameisen träumen, Herzogs Filme mit ihren auftürmenden Wolkengebirgen und tröstenden Sonnenaufgängen arbeiten stets daran, im Kinosessel Erlebnisse zu erschaffen, die einzigartig sind. Wie wenn Extremkletterer Berge überwinden in Schrei aus Stein oder in Gasherbrum – der leuchtende Berg und dann auf dem Gipfel nur neue Horizonte in der Ferne leuchten sehen. So bewahrt sich Herzog in seinen Filmen in jedem Augenblick eine gewisse Offenheit für ein neues Staunen über das Leben und die Welt. Dabei macht er auch vor Sinnestäuschungen, wie sie das Kino nun einmal zuhauf anbietet, keinen Halt. Aus Luftspiegelungen in der Wüste und Eisgebirgen unter der Antarktis werden die Landschaften und Phantasmagorien fremder Planeten. Und die Welt verwandelt sich in Musik und Musik wiederum hat die Kraft, den Dschungel umzugestalten in die Traumutopien einer Heimat, die wir nur im Kino jemals finden können. Eine Welt ist nicht genug für Herzogs ruhe- und rastlose Suche nach der« ekstatischen Wahrheit »unseres Lebens. Es braucht eine Vielzahl sehr unterschiedlicher (Erzähl-)Welten, die manchmal von einem Augenblick zum anderen ihr Gesicht und ihre Bedeutung verändern. Dafür steht Werner Herzogs gesamtes filmisches Werk, dem man nur folgen kann, wenn man bereit ist, sämtliche gewundenen gedanklichen und sinnlichen Wege mitzugehen, die er anbietet: ob Urwald oder Wüste, Stadt oder Land, heute oder gestern, ewiges Eis oder rätselhafte Tiefsee, Traumwelt oder wirkliche Welt oder alles montiert zu einer einzigen filmischen Metarealität. Werner Herzog ist immer so sehr selbst rätselhaft geblieben, dass seine Zuschauer sich über keine noch so abwegige dramaturgische Konstellation wundern würden, mit der er als nächstes Projekt um die Ecke biegen könnte. Das System Herzog ist ein am Ende offenes System. Und das gilt auch für die Filme, die er von jetzt an machen wird.«