28. Filmfest München 2011
»Ich war wirklich ein kompletter Einsiedler« |
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Kim Ki-Duk während eines Photocalls anlässlich der Arirang-Premiere in Cannes |
Der absolute Nullpunkt eines Künstlerlebens: Heulend wie ein kleines Kind sitzt Kim Ki-Duk da – dick eingemummt, weil selbst das Zelt, das er in seiner kaum beheizten Einsiedlerhütte aufgebaut hat, die eisige Kälte nicht abhalten kann. Er schaut sich auf seinem Computer die Eröffnungssequenz aus Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling an, seinem wohl bekanntesten und meistgelobten Film. Es muss viel zusammenkommen, emotional, in diesem Moment: Die Erinnerung an die Zeit, als seine Kreativität voll im Saft stand, als er Ehrungen und internationale Anerkennung zuhauf erntete. Die Filmbilder des Mönchs, der unter sisyphosgleichen Mühen seine Buddah-Statue von seinem Seekloster auf einen Berg schleppt – eine Allegorie auch für die Plagerei der Existenz. Die Erkenntnis, wie weit er von seinem damaligen Selbst entfernt ist, traumatisiert von einem Set-Unfall, bei dem 2008 beinahe eine Schauspielerin lebensbedrohlichen Schaden genommen hätte, woraufhin Kim eine Sinn- und Schaffenskrise erlitt, die ihn zum Eremiten machte. Und dann »Arirang«, das Lied, das den Filmvorspann begleitet, und das schließlich dem cineastischen Dokument dieser Krise sein musikalisches Leitmotiv und seinen Titel liefern sollte: Eine alte koreanische Weise von Sehnsucht und dem wehmütigen Haschen nach Vergangenem.
Kim Ki-Duk hat sich in dieser Situation selbst mit der Kamera gefilmt. Was sein Weg aus dem tiefen Loch wurde: Arirang ist viel mehr als nur das selbstmitleidige Tagebuch einer Depression geworden. Es gibt die Momente ungefilterter Verzweiflung – aber der fertige Film ist schonungslos nicht nur in diesen Momenten, sondern auch diesen Momenten gegenüber. Er bricht
sie, zeigt, wie Kim selbst sie sich später beim Schnitt anschaut, hebt sie in einen größeren Kontext.
Arirang zeigt einerseits einen Künstler, dem die Schaffenskraft abhanden gekommen scheint – ist aber zugleich der Beweis, dass diese nie ganz verschwunden war. Denn es ist eindeutig der Film eines Regisseurs, der das Inszenieren nicht lassen kann, dem es tief im Blut
steckt. Arirang weiß genau, an welchem Punkt noch die persönlichste, intimste Szene dramaturgisch erschöpft ist und die formende Hand des Filmemachers eingreifen muss. Selbst gegenüber Kim Ki-Duk, dem zutiefst Verzweifelten, gewinnt Kim Ki-Duk, der Regisseur, letztlich die Oberhand. Arirang ist kein bloßes Dokument, er ist ein Werk.
Auf dem Filmfest München 2011 hatte artechock Gelegenheit, den Filmemacher zu treffen.
Das Gespräch führte Thomas Wilmann.
artechock: Wie fühlt es sich an, sich selbst in solch intimen, schutzlosen Momenten auf der Leinwand zu sehen? Und diese mit einem Publikum zu teilen?
Kim Ki-duk: Jedesmal, wenn ich mich da auf der Leinwand betrachte, fühle ich mich bloßgestellt. Deswegen werde ich bei der Vorführung des Films auf dem Festival lieber den Kinosaal verlassen – und mir vorstellen, wie das Publikum sich wohl fühlen wird.
Wobei ich mir keinen großen Kopf mache, wie das Publikum meinen Film wahrnimmt. Sobald ein Film im Kino läuft, hat er mich bereits verlassen. Deswegen muss ich die Wahrnehmung des Publikums einfach akzeptieren. Ob es ihn kritisieren möchte oder für gut hält, ist dann seine Sache. Wenn ein Film von mir im Kino läuft, denke ich bereits an den n ächsten Film. Ich habe da also eine gewisse Gelassenheit..
artechock: Als Sie begannen, sich in Ihrer Krise selbst zu filmen, war Ihnen da klar, dass daraus ein Kinofilm werden würde?
Kim: Diesen Film wollte ich eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit tragen. Ich wollte einfach nur einmal dokumentieren, wie ich lebe, wie es mir geht. Eigentlich wollte ich diesen Film für mich behalten. Aber als ich bei der Arbeit sozusagen mit dem Schnitt angefangen habe, kam mir der Gedanke, dass ich ihn vielleicht einmal mir nahestehenden Menschen zeigen könnte.
Der Film hat sich dann langsam entwickelt. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass die Art der bloßen Dokumentation ein Publikum vielleicht langweilen könnte. Deswegen habe ich mir gedacht: Gut, es sollte vielleicht einmal ein zweiter Kim Ki-Duk auftreten, und ein dritter. Denn ein gewisser Dialog, ein bisschen Unterhaltung muss schon da sein.
Aber am Anfang hatte ich eigentlich gar keinen festen Plan. Und ich habe erst recht nicht damit gerechnet, dass mich Filmfestivals damit einladen würden – denn bisher habe ich ja Spielfilme gemacht, das ist mein erster Dokumentarfilm.
artechock: Wie Sie erwähnten, treten in dem Film mehrere Kim Ki-Duks auf. Welches davon ist der »echte« Kim Ki-Duk, oder dem am nächsten – falls es so einen überhaupt gibt?
Kim: Das kann ich auch nicht sagen. Alle Kim Ki-Duks wohnen in mir inne. Ich glaube, dass jeder Mensch drei verschiedene Ichs besitzt: Das Ich, das man selbst kennt, und ein Ich, das die anderen kennen, sowie ein Ich, dass das ursprüngliche Ich ist.
artechock: Im Film sind Sie, von den verschiedenen Ichs abgesehen, stets nur ganz allein zu sehen. Wieviel Kontakt zur Außenwelt hatten Sie in der Zeit wirklich?
Kim: In der Zeit des Einsiedlertums habe ich die Kontakte zu Leuten aus der Filmbranche vermieden. Ich hatte nur Kontakte zu meiner Familie. Oder zu den Leuten aus der Fabrik, die ich kontaktieren musste für die Espressomaschine und den Revolver, die ich in dem Film selbst baue. Aber sonst hatte ich wirklich keinen Kontakt zu Filmleuten oder ehemaligen Mitarbeitern. Ich habe mich nie bei ihnen gemeldet und habe auch den Kontakt vermieden.
artechock: Wie Sie erwähnen, sieht man Sie in Arirang oft Dinge basteln. Ist solch händische Arbeit mit greifbarem Resultat befriedigender als geistige Arbeit?
Kim: Ich sehe eigentlich keinen Unterschied dazwischen, einen Film zu drehen und solche Sachen zu basteln. Bevor ich Filmemacher wurde, habe ich ja auch in einer Fabrik gearbeitet. Und ich liebe es, Sachen zu basteln. Aber beim Bauen eines Geräts sehe ich die selbe Philosophie am Werk wie bei der Herstellung eines Films. Ich habe an beidem gleichviel Freude.
artechock: In einer Szene in Arirang sehen Sie sich den Anfang von Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling an. Haben Sie sonst während Ihrer Krise Filme angeschaut – eigene oder die anderer Leute?
Kim: Außer Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling habe ich keine Filme gesehen. Zu dieser Zeit bin ich nicht einmal ins Kino gegangen. Ich war wirklich ein kompletter Einsiedler. Und dass ich eigentlich nichts anderes zu tun hatte, war auch der Grund, warum ich die Espressomaschine,den Revolver usw. gebaut habe.
artechock: Welche Bedeutung haben die Orte, die Sie am Ende des Films mit dem Revolver aufsuchen?
Kim: Die drei Orte, die ich ausgesucht habe, symbolisieren die drei verschiedenen Fragen und Probleme, die mich so lange beschäftigt haben: Ein Problem mit mir selbst. Ein Problem mit der Gesellschaft. Und ein Problem mit meinen ehemaligen Mitarbeitern. Diese Aktion drückt meine Wehmut, Wehklage aus, ich wollte die Dinge, die mich depressiv machen, loswerden.
Es ist aber keine eindeutige Bedeutung. Ich möchte Arirang nicht nur auf meine persönliche Geschichte beschränken. Sondern auch die Geschichte des Publikums und vor allem anderer Filmregisseure. Sie haben sicher auch ähnliche Probleme wie ich.
artechock: In Ihren bisherigen Filmen spielt Religion eine wichtige Rolle. Welche Bedeutung hatte Sie im Kontext von Arirang?
Kim: Religion ist einfach nur ein Teil dessen, wie man sein Leben führt. Ich bin kein Mensch, der sich durch Religion trösten kann. Ich möchte die Religion nicht unbedingt auf eine bestimmte Kirche oder einen Tempel beschränken. Ich sehe eigentlich die ganze Natur als Gott oder Religion. Das ist auch der Grund, warum ich etwa am Griff des Revolvers in Arirang eine kleine Buddha-Figur angebracht habe – eine ironische Gegenüberstellung der Gewalt und der Philosophie Buddhas.
artechock: Welche Reaktion erwarten Sie auf den Film in Korea? Speziell auf eine Szene, in der Sie sich sehr kritisch mit den nationalen Ehren auseinandersetzen, die Ihnen nach Ihren internationalen Festivalerfolgen zuteil wurden?
Kim: Ich habe noch keine Entscheidung getroffen, wann mein Film in Korea in die Kinos kommen soll. Eben wegen dieser Passage. Als mein Film in Cannes vorgestellt wurde, haben ihn natürlich auch ein paar Koreaner gesehen und ihr Gefühle darüber geäußert. Und seither sind dementsprechend die Leute in Korea auch sehr neugierig. Sie halten Arirang für eine Art Zeitbombe. Der Film sagt ja sehr viel über die Filmbranche in Korea, und noch dazu über die koreanische Gesellschaft – was ich sehr direkt anspreche. Aber egal, welche Reaktion das Publikum in Korea zeigt: Ich bin der Meinung, die Gesellschaft braucht – gleich in welcher Art und Weise – eine Reformation. Vielleicht durch mich, oder durch andere Filme. Wenn die Gesellschaft überhaupt in der Lage zur Veränderung ist, möchte ich gern meinen Teil dazu beitragen.
Die Kritik am koreanischen Publikum und der Regierung sind aber eigentlich nur drei Minuten von dem ganzen Film. In den anderen 97 Minuten stecken so viele andere Geschichten. Doch die koreanischen Journalisten, die den Film gesehen haben, reden nur über diesen kleinen Teil. Und ich finde es so schade, dass meine Gedanken über Humanität, Gesellschaft und Philosophie – z.B. über unseren Umgang mit Essen und wie es hergestellt wird – so wenig Beachtung finden. Das ist eigentlich der wichtigere Teil. Dass man nur Momente herauspickt, weil es gerade um die Regierung geht, finde ich sehr schade.
artechock: Leben Sie heute noch immer so einsiedlerisch? Werden Sie wieder Filme machen?
Kim: Seit ich in Cannes war, bin ich nicht mehr nach Korea geflogen. Ich bin also seit zwei Monaten in Europa. Ohne festen Sitz – ich ziehe von Ort zu Ort. Dabei denke ich natürlich sehr viel an die zukünftige Arbeit. Mag sein, dass ich in Europa etwas drehe... Vielleicht aber auch in Korea. Bei mir ist das noch alles offen.
artechock: Eine zentrale Frage von Arirang ist: Was für eine Bedeutung hat Kino, warum soll oder muss man überhaupt Filme machen?
Kim: Die Antwort habe ich auch nicht. Was bedeutet eigentlich Film? Das ist natürlich von Land zu Land sehr unterschiedlich. Europäer, US-Amerikaner, Asiaten betrachten das Medium Film ganz unterschiedlich. Früher war das Medium Film auch ein Mittel, damit man die eigene Gesellschaft und ihre Geschichte reflektieren konnte. In Korea haben z.B. Filme nach dem Koreakrieg eine Rolle als pädagogische Instrumente gespielt für die Bevölkerung. In den USA spielt das Medium Film eine ähnliche Rolle wie Kriegswaffen. Ich denke, dass die USA allein durch das Medium Film die ganze Welt quasi attackiert. Weil sie einen so starken Einfluss haben.
Ich bin der Meinung, dass der Film die Gesellschaft oder das Leben des Menschen genau im Kern betrachten, erfassen sollte. Und danach kann man vielleicht mal über die Zukunft reden. Wie überhaupt die Gesellschaft weiterläuft, und so. Ich bedauere, dass Film meist beschränkt auf Unterhaltung gesehen wird. Für mich ist er ein Spiegel, die Realität zu betrachten.