24.06.2011
28. Filmfest München 2011

Damals war Schwer­kraft überall

Gravity Was Everywhere Back Then
Die wundervolle Welt des Brent Green
(Foto: EMPAC at Rensselaer)

Von Mäusekinos, Trittbrettfahrten und dem traurig-schönsten Film des Festivals

Von Dunja Bialas

Es macht immer wieder Freude, in München zu leben. Da gibt es die Isar, das Bier, den Blick auf die Berge. Es gibt die Oper, das Theater, ein paar Clubs. Und dann gibt es noch das Filmfest. Was allein schon toll ist, aber noch schöner ist, dass es immer wieder auch kleine Skandale um das Filmfest herum gibt. Denn eines sollte nicht vergessen sein: eine Stadt wie München braucht das Gerede, die kleinen Geschichten, um so richtig mit dem großen Event anbandeln zu können.

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Der erste Zeitungs-Schocker war die Tatsache, dass der neue Film von Wer-früher-stirbt-ist-länger-tot-Regisseur Marcus H. Rosen­müller Sommer in Orange abgelehnt wurde. Angeblich war der Film zu schlecht. Wenn man sich aber die Beschrei­bungen der deutschen Filme durch­liest, kann man dies kaum glauben, dass ein Rosen­müller hinter dem präsen­tierten Programm zurück­fallen könnte. Da Rosen­müller gemeinhin als Kassen­füller gilt und seine Filme in der Liga der »Publi­kums­lieb­linge« spielen, ließ die Münchener Abend­zei­tung auch Sommer-in-Orange-Verleih­chef Benjamin Herrmann vom Majestic-Film­ver­leih zu Wort kommen, der den »Hardcore-Arthouse«-Geschmack der Festi­val­ma­cher anpran­gern durfte. Ein kleiner Wermuts­tropfen fürs regionale Publikum, das den neuen Rosen­müller bestimmt gerne auf dem Filmfest gesehen hätte (der Film kommt am 18. August aber ohnehin in die Kinos), und verwun­der­lich fürs Filmfest, den Lokal­ma­ta­doren zu verprellen, ist doch das Filmfest mit den Reihen »Neues Deutsches Kino« und »Deutsche Fern­seh­filme« eine der wich­tigsten Platt­formen für die deutsche respek­tive die baye­ri­sche Film­wirt­schaft. Noch mehr verwun­dert es aber, dass die Tatsache, dass Rosen­müller nicht auf dem Filmfest laufen werde, an die Presse gegangen ist. Solche Festival-Interna gehören eigent­lich nicht an die Öffent­lich­keit. Die Münchner hat’s gefreut: Wurde doch so in den Wochen vor dem Filmfest am meisten über den Film geredet, der auf dem Filmfest nicht zu sehen sein wird.

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Noch ein Film, der nicht auf dem Filmfest laufen wird: Peter Kern, der schwer­ge­wich­tige Regisseur aus Öster­reich, hat kurz vor Festi­val­start seinen neuen Film Mörder­schwes­tern aus dem Programm zurück­ge­zogen, nachdem ihm mitge­teilt worden war, dass dieser Film zweimal in den Museum-Licht­spielen gezeigt werden würde. In einem »Mäusekino«, empörte sich Kern, mit 80 Sitz­plätzen. Und dies, so Kern, für eine Welt­pre­miere. Da die Filmkopie schon nach München geschickt worden war, ließ er sie kurzer­hand beschlag­nahmen. Dazu ist zu sagen: 1. Es ist richtig, dass die Museum-Licht­spiele Mäusekino sind, wenn auch ein sympa­thi­sches. 2. Es ist vermut­lich richtig, dass Peter Kern und sein Darsteller Helmut Berger allemal einen 200+x-Saal gefüllt hätten, man kann sich also über die Mäusekino-Program­mie­rung eigent­lich nur wundern. 3. Es stimmt nicht, dass Mörder­schwes­tern als »Welt­pre­miere« auf dem Filmfest gezeigt worden wäre, der Film lief schon auf der Diagonale in Graz. Kern hat geschwin­delt, und das Filmfest hat’s geglaubt. 4. Eines bleibt ein für allemal fest­zu­halten: München ist eine Provinz­stadt mit Ambi­tionen, und ein Öster­rei­cher hat hier schon lange nichts mehr zu sagen. Womit wir dann fast schon bei Cannes und Lars von Trier wären.

Und deshalb hat das Filmfest Kern auch auf immer und ewig »Haus­verbot« erteilt. Woraufhin dieser Randale ankün­digte. Freistaat Bayern, mach schon mal die Wasser­werfer startklar… (Mörder­schwes­tern, nicht am Samstag, 25.6., Museum Licht­spiele 1, 22:30 Uhr und auch nicht am Montag, 27.6., Muse­umlicht­spiele 1, 17:30 Uhr – Schade!)

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Für die Kenner des Filmfest-Programms ergibt sich mindes­tens noch ein weiterer, wenn auch weniger offen­sicht­lich skan­dalöser Punkte. Dabei könnte es doch eigent­lich so schön sein: Bei dem soeben zuen­de­ge­gan­genen Kurz­film­fes­tival wurde ein Workshop mit Roger Coman abge­halten, das Werk­statt­kino zeigte dazu eine umfas­sende Reihe mit Filmen des »King of B«. Und nun ist beim Filmfest ein Doku­men­tar­film über Roger Corman zu sehen, sozusagen als Theorie-Ergänzung zur Leinwand-Praxis zuvor. Schade nur, dass das Filmfest sich so gar nicht gefreut hat über die Programme, die im Werk­statt­kino respek­tive bei der Film­werk­statt abliefen. Zusammen und nicht gegen­ein­ander solle man arbeiten, hieß es da. Wie bloß, um alles in der Welt, kann das Kurz­film­fes­tival ahnen, was das Filmfest in petto hat? Anstatt sich zu freuen, jetzt auf dem Tritt­brett fahren zu dürfen, das das Werk­statt­kino und das Kurz­film­fes­tival bereitet haben, gab es einen Rüffler von den big playern der Film­fest­wo­chen GmbH. Ein seltsamer Einschüch­te­rungs­ver­such dies. Der in ameri­ka­ni­scher Doku-Art verfasste Film (viele Mitstreiter und Leute, denen Corman den Weg bereitet hat, wie Jack Nicholson, Peter Fonda oder Martin Scorsese, erinnern sich an die Aufbruch­stim­mung hin zum New Hollywood, die Inter­views werden mit Musik unterlegt, es gibt viele Film­aus­schnitte zu sehen, sprich: der Film ist infor­mativ, aber von der Stange) läuft nur einmal: Corman’s World: Exploits of a Hollywood Rebel, Samstag, 25.6., 24 Uhr, Rio 1. Der 85-jährige Altmeister wird zur Vorstel­lung erwartet.

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Noch ein Filmtipp für den Samstag, der, bei näherer Betrach­tung auch ein Skan­däl­chen in sich birgt, zeigt er doch auf, wie beim großen Filmfest die kleinen Filme regel­recht »verheizt« werden. Gravity was Ever­y­where Back Then heißt ein wahres Kleinod an Film in der Reihe »American Inde­pend­ents«. Regisseur Brent Green versteht sich eher als Film­künstler denn als Filme­ma­cher und hat in liebe­voller Bastel­ar­beit eine wahre Film­prä­ziose herge­stellt. In Stop-Motion-Technik und mit realen Schau­spie­lern erzählt er die verzwei­felte Geschichte von Leonard Wood, dessen Frau Mary an Krebs erkrankt ist. Er möchte für sie ein Haus bauen, in dem sie sich wohl fühlt und gesunden kann. Green errichtet in seinem Film ein ganz eigenes, verwun­schenes Universum, voller Bast­ler­gim­micks und traurig-schönen Stop-Motion-Momenten. Eine Filmtrick-Animation voller Erha­ben­heit. Schade nur, dass in dem Programm­heft, das allen zugäng­lich ist, nichts vom wesent­li­chen Merkmal des Films drinsteht, das hätte viel­leicht den einen oder anderen Trick-Fan dazu bewegen können, sich in den verhassten Vortrag­saal der Biblio­thek des Gasteig zu begeben. Ein Nicht-Kino für den Kunstfilm des Film­fest­pro­gramms auszu­wählen, auch dies ein kleiner Skandal. Da haben die Programmer wohl nicht auf den Film vertraut. Dass dieser dann vermut­lich nicht sein Ziel­pu­blikum erreichen wird, muss als selbst­er­fül­lende Prophe­zeiung gelten. Wir trauern um diesen schönen Film. (Gravity was Ever­y­where Back Then, Samstag, 25.6., 14:30 Uhr und Dienstag, 28.6., 20:00 Uhr, jeweils Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig)