28. Filmfest München 2011
Ein kleiner Wegweiser durch das Programm der zweiten Hälfte des Festivals |
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Charlotte, die Göttliche | ||
(Foto: Piffl Medien GmbH) |
Von Dunja Bialas
Frauenfußball. Wie schön ist es doch, dass fast immer, wenn Filmfest ist, auch der Sommer mitspielt. Zumindest war das in diesen ersten Filmfest-Tagen so, das schöne Wetter hatte pünktlich mit dem Anpfiff zur Fußball-WM begonnen. Frauenfußball-WM, richtiger gesagt. Deshalb hat Noch-Filmfest-Leiter Andreas Ströhl dieses Jahr auch keinerlei Angst vor einer Event-Konkurrenz. Aber, das hier als heißer Tipp, es gibt in dem einzigen bayerischen WM-Austragungsort, Augsburg, gerade einen kulturellen Hochsommer, der sich der Frauen-WM verdankt. Dort wurde ein »Kulturstadion« errichtet, wo Konzerte, Performances, Theater und Tanz stattfinden. Außerdem wird das sportliche Event von einem Blogger-Projekt begleitet, genannt »defined by«. Täglich gestalten Künstler aus den in Augsburg spielenden WM-Nationen ein »weißes Blatt« mit ihren Impressionen über die sogenannte »City of Peace«. Aus der Vielfältigkeit ihrer Arbeiten entsteht ein buntes und erfrischend junges Kaleidoskop der Stadt, in dem so wichtige Dinge verewigt werden wie das Bier (in japanischen Schriftzeichen), das Tramwartehäuschen (als Bilderrätsel) oder Ein-Euro-Shop-Trophäen (in einer punkigen Collage). Lust macht auch die Schatzkarte, die die Schwedin Sara Starkström gestaltet hat, eine Anleitung zur Schnitzeljagd durch die halbe Stadt: »Start at the white wall at the Rathausplatz!« (Im Internet unter www.definedby.com)
Eis. Ein Glücksmoment, wenn man aus dem Cinemaxx auftaucht und in das Tageslicht blinzelt, ist der Anblick eisessender erwachsener Menschen. Die Kugeln, die es in der kleinen italienischen Eisdiele am Eck zur Rumfordstraße gibt sind phänomenal groß, zu einem fairen Preis von 1 Euro. Hingehen, Geschmackssorte aussuchen, schlemmen!
Filme. Damit wären wir bei der Hauptsache des Festivals angekommen. Hier ein kleiner Wegweiser durch das Programm der zweiten Hälfte:
Der Blick. Eine erstaunliche Entdeckung war das Porträt über Charlotte Rampling The Look der Kölner Regisseurin Angelina Maccarone, die bislang überwiegend als »Tatort«-Macherin in Erscheinung getreten ist. Maccarone gelingt es, eine tiefgründige Charlotte Rampling auf die Leinwand zu zaubern, der man 94 Minuten lang mit Faszination zuhört, wenn sie sich mit Freunden zu Stichworten unterhält, die ihr die Regisseurin vorgegeben hat. »Exposure« und »Resonance« sind solche Reizwörter, es geht auch um »Tabu«, »Liebe«, »Tod« und, klar, um »Schönheit« und »Alter«, die sich so perfekt in Charlotte Rampling vereinen. Was so erfreut bei The Look ist die Tatsache, dass sich Maccarone wirklich Gedanken gemacht hat, wie sie sich der Grande Dame des anglo-französischen Kinos annähern kann, um das Wesen ihrer Person zu erfassen, und ohne eine plumpe Aussagen-Sammlung über sie zu erstellen. Der Film lebt in jeder Einstellung, animiert von einer großartigen Kamera und von dem unglaublichen Blick, den Charlotte auf den Zuschauer richtet. (Zu sehen am Samstag, 2.7., Rio2, 22:30 Uhr.)
Godard ist witzig. Film Socialisme ist der beste Godard, den Jean-Luc Godard seit langem gemacht hat. In seiner Leichtigkeit und der Absurdität der Situationen, die er bereithält, evoziert der Film den militanten DaDa-Polit-Godard der 60er und 70er Jahre, den er locker mit dem philosophischen Anspruch seiner Video-Reflexionen der späten 90er Jahre verbindet. Es gibt zwei schönste Szenen: Ein Lama an der Tankstelle, ein Mädchen steht daneben. Das Lama guckt, das Mädchen guckt, eine absurde Situation. Oder das eingespielte Video, auf dem zwei Katzen abwechselnd miauen, und sich ein Katzen-Dialog zu entspinnen scheint. Wenn dann Godard eine Kreuzschiff-Disko mit dem Handy filmt, das Bild sich in Pixel auflöst, sich dazu der Sound bricht, und man denkt, die Tonspur sei kaputt, dann hat Godard sich selbst dekonstruiert. (Donnerstag, 30.6., Filmtheater Sendlinger Tor, 19:30 Uhr)
Das Seelenleben des Kim Ki-Duk. Kim Ki-Duk, Regisseur von Fimen wie Bin-Jip, Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling oder Samaria, hat seit 2008 keinen Film mehr gemacht. Er hatte eine starke Depression, befand sich in einem kreativen Off. Jetzt teilt er der Welt mit, was er durchgemacht hat. In Arirang tritt er seinem Ego gegenüber und stellt sich der Wahrheit: einst weltweit gefeierter Regisseur, jetzt Einsiedler in einer Hütte in den verschneiten Hügeln Südkoreas. In subtil-gefakten Selbstinszenierungen können wir den Regisseur erleben, wie er zusammenbricht, nur noch schluchzt, sich wieder fasst. Das Faszinierende an dem Film, der gerade gegen Ende hin fast unerträglich weinerlich und selbstbezogen wird, ist dieser Moment des Nicht-Wissens: Was gibt uns Kim Ki-Duk als seelische Realität vor? Was ist pure Inszenierung, in dem Willen, einen bestimmten Film zu machen? Wie steht es überhaupt mit dem Authentitäts- und Realitätsanspruch des uns als »wahr« Erzählten (»all is true« ist das Diktum der Realisten)? Wer sich auf dieses verwirrende Gedankenspiel einlassen kann, wird einen tollen, ganz und gar unnervigen Film sehen. (Samstag, 2.7., Filmmuseum, 20:00 Uhr)
Der Auftragskiller. Trotz der Vorbehalte diesem Film gegenüber, die ich anlässlich der Viennale hier geäußert habe, sei dennoch auf El sicario – Room 164 hingewiesen. El sicario ist ein spannender Film über einen mexikanischen Auftragskiller (»Sicario«), der aus der Mafia ausgestiegen ist und nun alle Interna enthüllt: Wie sich die Mafia als perfektes System organisiert, wie sie Nachwuchs rekrutiert, wie die Killer bei einem Auftrag vorgehen. Für die Kamera mit verhülltem Kopf als hochgefährliches Outing inszeniert (der abtrünnige Sicario steht unter Morddrohung), ist der Film ein abgekartetes Schelmenstück zwischen Gianfranco Rosi, dem Regisseur, Charles Bowden, dem »Harper’s Magazine«-Journalisten, der den Sicario entdeckt hat, und dem Sicario, der sich selbst re-enactet. Was wiederum sehr schön ist: Der Film führt uns vor, wie wichtig das Wort im Dokumentarfilm ist, und wie wenig wichtig die Vielzahl der Protagonisten. In fast einer einzigen Einstellung entfaltet sich unter dem Redeschwall des Sicarios die horrifizierende mafiöse Welt. (Donnerstag, 30.6., Filmmuseum, 17:30 Uhr und Freitag, 1.7., Gasteig, Vortragssaal der Bibliothek, 17:30 Uhr)
Exploitation. Das Gegenstück zu dieser reduzierten Art des Dokumentarfilms ist der überbordende Position Among the Stars. Der niederländische Film »porträtiert« die Familie Shamshuddin in Indonesien, die in den Slums von Jakarta lebt. Kakerlaken kriechen durchs Essen, der tägliche Weg zur Arbeit erfolgt in schwindelerregender Höhe über die freischwebenden Bohlen einer Eisenbahnbrücke, überall herrscht Armut und Gefahr. Mit schwerem Geschütz wird hier die Misere gefilmt, aufwendige Kranfahrten und makroskopische Close-Ups zeigen die Welt der Ausgebeuteten drastisch-dramatisch, und erst so, scheint der Film zu meinen, können wir überhaupt die Entsetzlichkeit ihres Lebens erkennen. Die Ausgebeuteten werden in Wahrheit jedoch von diesem Hochglanzfilm ausgebeutet, der sie schamlos dazu benutzt, eine vorgefasste These über Armut zu illustrieren. Hier gibt es keine Annäherung, kein Zurücktreten des Kunstwillens vor den Porträtierten, hier gibt es nur den großen Gestus, es immer schon gewusst zu haben. Hier werden Szenen arrangiert und Gefühle produziert, und gleichzeitig will uns der Film weißmachen, dass dies das Leben sei, das er nur abfilmt. Die Hochglanz-Exploitation-Doku hat übrigens unzählige Preise abgeräumt. (Freitag, 1.7., Museum Lichtspiele, 15:00 Uhr)