30.06.2011
28. Filmfest München 2011

Ein kleiner Wegweiser durch das Programm der zweiten Hälfte des Festivals

The Look
Charlotte, die Göttliche
(Foto: Piffl Medien GmbH)

Ablenkungsmanöver und Filmbesprechungen zur zweiten Hälfte des Münchner Filmfests

Von Dunja Bialas

Frau­en­f­uß­ball. Wie schön ist es doch, dass fast immer, wenn Filmfest ist, auch der Sommer mitspielt. Zumindest war das in diesen ersten Filmfest-Tagen so, das schöne Wetter hatte pünktlich mit dem Anpfiff zur Fußball-WM begonnen. Frau­en­f­uß­ball-WM, richtiger gesagt. Deshalb hat Noch-Filmfest-Leiter Andreas Ströhl dieses Jahr auch keinerlei Angst vor einer Event-Konkur­renz. Aber, das hier als heißer Tipp, es gibt in dem einzigen baye­ri­schen WM-Austra­gungsort, Augsburg, gerade einen kultu­rellen Hoch­sommer, der sich der Frauen-WM verdankt. Dort wurde ein »Kultur­sta­dion« errichtet, wo Konzerte, Perfor­mances, Theater und Tanz statt­finden. Außerdem wird das sport­liche Event von einem Blogger-Projekt begleitet, genannt »defined by«. Täglich gestalten Künstler aus den in Augsburg spie­lenden WM-Nationen ein »weißes Blatt« mit ihren Impres­sionen über die soge­nannte »City of Peace«. Aus der Viel­fäl­tig­keit ihrer Arbeiten entsteht ein buntes und erfri­schend junges Kalei­do­skop der Stadt, in dem so wichtige Dinge verewigt werden wie das Bier (in japa­ni­schen Schrift­zei­chen), das Tram­war­tehäu­schen (als Bilder­rätsel) oder Ein-Euro-Shop-Trophäen (in einer punkigen Collage). Lust macht auch die Schatz­karte, die die Schwedin Sara Stark­ström gestaltet hat, eine Anleitung zur Schnit­zel­jagd durch die halbe Stadt: »Start at the white wall at the Rathaus­platz!« (Im Internet unter www.definedby.com)

Eis. Ein Glücks­mo­ment, wenn man aus dem Cinemaxx auftaucht und in das Tages­licht blinzelt, ist der Anblick eisessender erwach­sener Menschen. Die Kugeln, die es in der kleinen italie­ni­schen Eisdiele am Eck zur Rumford­straße gibt sind phäno­menal groß, zu einem fairen Preis von 1 Euro. Hingehen, Geschmacks­sorte aussuchen, schlemmen!

Filme. Damit wären wir bei der Haupt­sache des Festivals ange­kommen. Hier ein kleiner Wegweiser durch das Programm der zweiten Hälfte:

Der Blick. Eine erstaun­liche Entde­ckung war das Porträt über Charlotte Rampling The Look der Kölner Regis­seurin Angelina Maccarone, die bislang über­wie­gend als »Tatort«-Macherin in Erschei­nung getreten ist. Maccarone gelingt es, eine tief­grün­dige Charlotte Rampling auf die Leinwand zu zaubern, der man 94 Minuten lang mit Faszi­na­tion zuhört, wenn sie sich mit Freunden zu Stich­worten unterhält, die ihr die Regis­seurin vorge­geben hat. »Exposure« und »Resonance« sind solche Reiz­wörter, es geht auch um »Tabu«, »Liebe«, »Tod« und, klar, um »Schönheit« und »Alter«, die sich so perfekt in Charlotte Rampling vereinen. Was so erfreut bei The Look ist die Tatsache, dass sich Maccarone wirklich Gedanken gemacht hat, wie sie sich der Grande Dame des anglo-fran­zö­si­schen Kinos annähern kann, um das Wesen ihrer Person zu erfassen, und ohne eine plumpe Aussagen-Sammlung über sie zu erstellen. Der Film lebt in jeder Einstel­lung, animiert von einer groß­ar­tigen Kamera und von dem unglaub­li­chen Blick, den Charlotte auf den Zuschauer richtet. (Zu sehen am Samstag, 2.7., Rio2, 22:30 Uhr.)

Godard ist witzig. Film Socia­lisme ist der beste Godard, den Jean-Luc Godard seit langem gemacht hat. In seiner Leich­tig­keit und der Absur­dität der Situa­tionen, die er bereit­hält, evoziert der Film den mili­tanten DaDa-Polit-Godard der 60er und 70er Jahre, den er locker mit dem philo­so­phi­schen Anspruch seiner Video-Refle­xionen der späten 90er Jahre verbindet. Es gibt zwei schönste Szenen: Ein Lama an der Tank­stelle, ein Mädchen steht daneben. Das Lama guckt, das Mädchen guckt, eine absurde Situation. Oder das einge­spielte Video, auf dem zwei Katzen abwech­selnd miauen, und sich ein Katzen-Dialog zu entspinnen scheint. Wenn dann Godard eine Kreuz­schiff-Disko mit dem Handy filmt, das Bild sich in Pixel auflöst, sich dazu der Sound bricht, und man denkt, die Tonspur sei kaputt, dann hat Godard sich selbst dekon­stru­iert. (Donnerstag, 30.6., Film­theater Send­linger Tor, 19:30 Uhr)

Das Seelen­leben des Kim Ki-Duk. Kim Ki-Duk, Regisseur von Fimen wie Bin-Jip, Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling oder Samaria, hat seit 2008 keinen Film mehr gemacht. Er hatte eine starke Depres­sion, befand sich in einem kreativen Off. Jetzt teilt er der Welt mit, was er durch­ge­macht hat. In Arirang tritt er seinem Ego gegenüber und stellt sich der Wahrheit: einst weltweit gefei­erter Regisseur, jetzt Einsiedler in einer Hütte in den verschneiten Hügeln Südkoreas. In subtil-gefakten Selbst­in­sze­nie­rungen können wir den Regisseur erleben, wie er zusam­men­bricht, nur noch schluchzt, sich wieder fasst. Das Faszi­nie­rende an dem Film, der gerade gegen Ende hin fast uner­träg­lich weiner­lich und selbst­be­zogen wird, ist dieser Moment des Nicht-Wissens: Was gibt uns Kim Ki-Duk als seelische Realität vor? Was ist pure Insze­nie­rung, in dem Willen, einen bestimmten Film zu machen? Wie steht es überhaupt mit dem Authen­ti­täts- und Reali­täts­an­spruch des uns als »wahr« Erzählten (»all is true« ist das Diktum der Realisten)? Wer sich auf dieses verwir­rende Gedan­ken­spiel einlassen kann, wird einen tollen, ganz und gar unner­vigen Film sehen. (Samstag, 2.7., Film­mu­seum, 20:00 Uhr)

Der Auftrags­killer. Trotz der Vorbe­halte diesem Film gegenüber, die ich anläss­lich der Viennale hier geäußert habe, sei dennoch auf El sicario – Room 164 hinge­wiesen. El sicario ist ein span­nender Film über einen mexi­ka­ni­schen Auftrags­killer (»Sicario«), der aus der Mafia ausge­stiegen ist und nun alle Interna enthüllt: Wie sich die Mafia als perfektes System orga­ni­siert, wie sie Nachwuchs rekru­tiert, wie die Killer bei einem Auftrag vorgehen. Für die Kamera mit verhülltem Kopf als hoch­ge­fähr­li­ches Outing insze­niert (der abtrün­nige Sicario steht unter Mord­dro­hung), ist der Film ein abge­kar­tetes Schel­men­s­tück zwischen Gian­franco Rosi, dem Regisseur, Charles Bowden, dem »Harper’s Magazine«-Jour­na­listen, der den Sicario entdeckt hat, und dem Sicario, der sich selbst re-enactet. Was wiederum sehr schön ist: Der Film führt uns vor, wie wichtig das Wort im Doku­men­tar­film ist, und wie wenig wichtig die Vielzahl der Prot­ago­nisten. In fast einer einzigen Einstel­lung entfaltet sich unter dem Rede­schwall des Sicarios die horri­fi­zie­rende mafiöse Welt. (Donnerstag, 30.6., Film­mu­seum, 17:30 Uhr und Freitag, 1.7., Gasteig, Vortrags­saal der Biblio­thek, 17:30 Uhr)

Exploita­tion. Das Gegen­s­tück zu dieser redu­zierten Art des Doku­men­tar­films ist der über­bor­dende Position Among the Stars. Der nieder­län­di­sche Film »porträ­tiert« die Familie Shams­huddin in Indo­ne­sien, die in den Slums von Jakarta lebt. Kaker­laken kriechen durchs Essen, der tägliche Weg zur Arbeit erfolgt in schwin­del­erre­gender Höhe über die frei­schwe­benden Bohlen einer Eisen­bahn­brücke, überall herrscht Armut und Gefahr. Mit schwerem Geschütz wird hier die Misere gefilmt, aufwen­dige Kran­fahrten und makro­sko­pi­sche Close-Ups zeigen die Welt der Ausge­beu­teten drastisch-drama­tisch, und erst so, scheint der Film zu meinen, können wir überhaupt die Entsetz­lich­keit ihres Lebens erkennen. Die Ausge­beu­teten werden in Wahrheit jedoch von diesem Hoch­glanz­film ausge­beutet, der sie schamlos dazu benutzt, eine vorge­fasste These über Armut zu illus­trieren. Hier gibt es keine Annähe­rung, kein Zurück­treten des Kunst­wil­lens vor den Porträ­tierten, hier gibt es nur den großen Gestus, es immer schon gewusst zu haben. Hier werden Szenen arran­giert und Gefühle produ­ziert, und gleich­zeitig will uns der Film weiß­ma­chen, dass dies das Leben sei, das er nur abfilmt. Die Hochglanz-Exploita­tion-Doku hat übrigens unzählige Preise abgeräumt. (Freitag, 1.7., Museum Licht­spiele, 15:00 Uhr)