19.02.2009
59. Berlinale 2009

»Ich würde gern einen Tatort drehen!«

Christoph Schlingensief
Christoph Schlingensief als Juror auf dem Roten Teppich der Berlinale
(Foto: Siebbi · ipernity.com · CC3 BY 3.0 DEED · Ausschnitt)

Christoph Schlingensief über seine Arbeit in der Berlinale-Jury, Ärger übers deutsche Fernsehen und das Kino als Kirchenersatz

Die 59. Berlinale ging am Wochen­ende mit der Preis­ver­lei­hung zuende. Mit in der Jury saß auch Christoph Schlin­gen­sief, einst das enfant terrible des deutschen Films, später weltweit erfolg­rei­cher Theater- und Opern­re­gis­seur, der sogar mit einer „Parsifal“-Insze­nie­rung Bayreuth-Weihen erhielt.

Rüdiger Suchsland führte das Gespräch bereits während der Berlinale – über Preise und Jury­ar­beit hätte Christoph Schlin­gen­sief aber damals wie heute nicht sprechen dürfen. Und es gibt, wie man lesen kann, auch inter­es­san­tere Themen.

artechock: Christoph Schlin­gen­sief, diesmal sitzen Sie in der Jury. Was für Erin­ne­rungen haben Sie an frühere Berli­nalen?

Christoph Schlin­gen­sief: Jetzt hier in der Jury zu sein, ist für mich eine große Ehre, weil ich als Filme­ma­cher wie als Besucher schon immer mit der Berlinale zu tun hatte. Mein erstes großes Erlebnis war hier aller­dings ein Desaster. Es war die Premiere meines Films Menü Total 1986. Da waren am Anfang 1800 Zuschauer drin, nach dem Film noch 400, und darunter 200 voll gegen den Film. Es gab sogar noch eine Schlä­gerei. Ich saß oben auf dem Podium mit Alfred Edel. Wir haben danach 90 Minuten mit Zuschauern disku­tiert, bis mein Produk­ti­ons­leiter sagte, wir müssten jetzt leider aufhören wegen »Verlei­her­ge­sprächen« – es gab dann nicht ein einziges Verlei­her­ge­spräch. Danach hab ich dann mit meiner Freundin Schluss gemacht. Und ich habe auch Tilda Swinton kennen­ge­lernt, mit der ich jetzt hier in der Jury sitze. Wir waren einen paar Monate zusammen. In der Zeit haben wir meinen nächsten Film Egomania gedreht, der im Jahr darauf wieder auf der Berlinale lief. So war das eben: da wurde das großes Liebes­leid gleich ins nächste Projekt rein­ge­worfen. Das war eine gute Zeit.

artechock: Ich habe lange keinen Film mehr auf der Berlinale erlebt, noch nicht mal im Forum, nach dem man 90 Minuten disku­tiert. Ist das Kino seit damals schlechter geworden? Anders? Ist der Berlinale und dem Kino insgesamt etwas verloren gegangen?

Schlin­gen­sief: Ja. Kann man sagen.

artechock: Heute spielt Marketing eine große Rolle...

Schlin­gen­sief: Auf alle Fälle...

artechock: ...die Berlinale ist ein Betrieb. Aber viele Ihrer Projekte richten sich ja eigent­lich gegen all das, was hier statt­findet, und dekon­stru­ieren solche Betriebe. Haben wir da an den verblei­benden Tagen noch etwas aus der Jury zu erwarten?

Schlin­gen­sief: Das ist natürlich auch wieder so ein Problem: Das man mich gern nur auf so etwas reduziert. Es gibt diese Leute, die dann sagen: Oh da wird sicher noch Krach geben, da geht’s jetzt heiß her. Grup­pensex – noch mit Mankell dabei, der 'nen Roman darüber schreibt. Ist alles Quatsch!
Ich habe mir nur vorge­nommen, ich will gerne einen Film finden, der mich entweder politisch anmacht, der mir einen Blick zeigt, den ich noch nicht habe, auf ein Land, das ich noch nicht kenne. Dann, zweitens, suche ich auch einen Film, der auf produk­tive Weise filmisch unaus­ge­goren ist, der irgendwie etwas anderes probiert. Das würde mich auch inter­es­sieren: Eine doppelte Erzähl­weise – hier sieht man jetzt natürlich Filmchen, die alles sehr stark im Kausal­zu­sam­men­hang behandeln. Aber mein Freund, der Schau­spieler Alfred Edel hat mir beigebracht, wenn ich etwas geschrieben hatte, zu sagen: »Ist das kausal oder ist das akausal? Wenn es akausal ist, ist es gut!« Das ist etwas, was viel­leicht für die Zukunft auch bei der Berlinale-Programm­aus­wahl wieder mehr präsent sein müsste.

artechock: Sie selbst haben als Film­re­gis­seur begonnen, aber jetzt relativ lang keine eigenen Filme mehr gemacht. Wie kommt das?

Schlin­gen­sief: Damals 1987, 1988 wurden diese Anhörungs­ter­mine bei den Förder­gre­mien überall komisch. Als ob sich ein Virus einge­nistet hätte: Jetzt schon wieder der mit seinen billigen Filmen. Das Filmbüro NRW hat Pläne aufge­stellt, wie erfolg­reich wir waren. Auch die Zuschau­er­zahlen waren nicht schlecht. Aber das wurde nicht akzep­tiert: Es ging plötzlich darum, den Dreh­büchern schon anzusehen, wo im Fernsehen die Werbung geschaltet werden kann, das Ende musste fest­stehen, es blieb kein Raum für Spon­ta­nität. Dem wollte ich mich nicht mehr aussetzen – weil ich auch gar nicht so arbeiten kann. Ich suche zwar auf der Bühne auch immer einen Schluss­punkt, damit ich weiß, wo ich hinwill. Aber das ist nur ein Trick. Und dann kamen ja in den 90ern diese ganzen komischen Filme – ich nenne jetzt keine Titel –, da war die Komödie ganz hoch im Kurs, die Cinemaxxe wurden gebaut, die Programm­kinos wurden einge­rissen.
Seitdem habe ich mit Alexander Kluge einige Sachen gemacht und auf dem Theater mit Video gear­beitet – da war ich der erste. Der Castorf ist dann hinter­her­ge­da­ckelt. Irgend­wann habe ich das aber wieder gelassen, weil ich den Eindruck hatte, das es ganz schlimm ist, wenn man ins Theater geht und hier wieder 'nen Film und da wieder 'nen Film sieht. Dann habe ich kleine geschlos­sene Einheiten gedreht: 5-Minuten-Filme, 10-Minuten-Filme, der Kluge dreht ja 1-Minuten-Filme… In der letzten Zeit wächst bei mir wieder das Bedürfnis doch einen – in Anfüh­rungs­zei­chen: »richtigen« – Film zu machen. Aber da habe ich jetzt schon wieder Ärger mit dem WDR, mit dem Redakteur Gebhard Henke.

artechock: Weshalb Ärger?

Schlin­gen­sief: Ich würde sehr gern einen Tatort drehen, viel­leicht als Teil des Programms für die europäi­sche Kultur­haupt­stadt – aber natürlich ganz anders. Der »Tatort«, der ja eine einge­fah­rene Insti­tu­tion ist, den mal zu nehmen und umzu­de­fi­nieren, wäre doch super. Und so simpel. Das wäre in allen Wohn­zim­mern gelandet, ganz Deutsch­land hätte es sonn­tag­abends sehen können, das wäre eine tolle Eröffnung für dieses Kultur­jahr gewesen. Jetzt machen sie aber wieder Licht­ar­chi­tektur an der Autobahn, da wird’s dann Gelb und Grün, wenn man langfährt.
So eine Idee wird dann vom WDR richtig ausge­sessen. Man bekommt keinen Rückruf, absolut keine Antwort vom Redakteur. Ich habe dem Gebhard Henke jetzt nochmal geschrieben, dass mir dieses Verhalten auch während meiner Krankheit im letzten Jahr weh getan hat. Denn er weiß, dass ich krank bin, er weiß, dass es bei mir einen gewissen Druck gibt. Denn ich weiß eben auch nicht genau, was bei mir als nächstes passiert. Ich weiß nicht, wie lange das mit mir noch geht. Deshalb brauche ich klare Antworten. Er kann mir auch sagen: 'Mach Dir keine Hoff­nungen, ich bekomm das nicht durch in dem Haus' – das ist mir viel lieber, als wenn mich einer hinhält über sechs Monate. Ich hab ihm geschrieben, und er hat mir zurück­ge­schrieben, ob ich ihn bedrohen wolle. Und dann: 'Willst Du viel­leicht etwas machen über den Slang im Ruhr­ge­biet' – ja hat der Mann eine Ahnung, was ich mache und bis jetzt gemacht habe? Nee!

artechock: Also nicht fehlende Kultur­för­de­rung, sondern die Allmacht der Fern­seh­fürsten ist das Haupt­pro­blem?

Schlin­gen­sief: Ja, das ist widerlich. Aller­dings habe ich dann danach immerhin eine andere Redak­teurin von einem anderen Sender gefunden, die hat mich nach einer Woche angerufen und gesagt, sie hat es durch. Jetzt habe ich viel Freiheit. Ich bin gerade mit Oskar Roehler im Gespräch, auch mit Helene Hegemann. Das Thema habe ich auch – aber ich hüte mich davor, zu früh zu sagen, worum es geht. Denn bei mir wird das dann gleich wieder auf einen Satz reduziert. Das ist dann der »Knaller«, der »provo­ka­tive Film« – das ist doch alles Quatsch

artechock: Wozu braucht einer wie Sie überhaupt das Geld der Sender? Sie haben doch schon gezeigt, wie man Filme ohne jede Förderung macht...

Schlin­gen­sief: Zwischen­durch ist sowieso das Aller­beste. Wenn man Oper macht, wird man einge­bunden in ellen­lange Vorbe­rei­tung – ich habe jetzt für 2016 ein Angebot, wo ich das Bühnen­bild machen will. Wie soll denn das gehen? Ich will ja auch arbeiten und was tun für mein Geld. Bei der Oper blockiert man sich permanent selbst.
Beim Film war es für mich so: Früher in Mülheim war es lang­weilig. Dann kam man nach Haus und dachte: Ok, schreib' mal wieder ein Drehbuch. Dann hat man es einge­reicht und auch gewartet und gewartet, dann der Bescheid: »Iss nicht.« Und dann bin ich zum Filmbüro gegangen, und da saßen Werner Schroeter und andere und haben mit mir mein Drehbuch disku­tiert. So habe ich Film gelernt. das war richtig gut. So eine Zeit muss es auch wieder geben.

artechock: Was fanden Sie in den letzten Jahren als Zuschauer im Kino gut und inter­es­sant? können Sie etwas nennen, das Sie richtig wegge­rissen hat?

Schlin­gen­sief: Nee, kann ich komi­scher­weise nicht. Außer ein Film wie Torpedo von Helene Hegemann. Das ist jetzt mal endlich eine Vision, eine junge Regis­seurin, die mit wenig Geld was macht, wie sie es will – und das ist zu erwarten von einer Film­för­de­rung, die eine kultu­relle sein will, wie wir sie wieder brauchen in Deutsch­land.
Klar, natürlich gibt es immer mal wieder anderes, was einen anmacht: Das eine war die TV-Serie »24«. Da fand ich die Cliff­hanger toll und diese Schnel­lig­keit, das Neben­ein­ander, hier Handlung und da wieder weiter­ma­chen. Meine Freundin und ich haben alle sechs Staffeln gesehen. Das wäre eine Methode. Dann gab es die Filme von Alexander Kluge. Und dann sind mir die Filme von David Lynch immer wieder lieb – weil ich da einfach in so ein Gestrüpp reinkomme und nicht mehr sagen kann: Das ist jetzt die richtige Inter­pre­ta­tion, und ich muss sie auch gar nicht bringen. Aber ich weiß: Der Film wird mich spiri­tuell erfassen. Und dann ist der Film viel­leicht auch ein besserer Kirchen­er­satz, als im Sonn­tags­got­tes­dienst wieder eine Stunde herum­zu­sitzen.