59. Berlinale 2009
»Ich würde gern einen Tatort drehen!« |
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Christoph Schlingensief als Juror auf dem Roten Teppich der Berlinale | ||
(Foto: Siebbi · ipernity.com · CC3 BY 3.0 DEED · Ausschnitt) |
Die 59. Berlinale ging am Wochenende mit der Preisverleihung zuende. Mit in der Jury saß auch Christoph Schlingensief, einst das enfant terrible des deutschen Films, später weltweit erfolgreicher Theater- und Opernregisseur, der sogar mit einer „Parsifal“-Inszenierung Bayreuth-Weihen erhielt.
Rüdiger Suchsland führte das Gespräch bereits während der Berlinale – über Preise und Juryarbeit hätte Christoph Schlingensief aber damals wie heute nicht sprechen dürfen. Und es gibt, wie man lesen kann, auch interessantere Themen.
artechock: Christoph Schlingensief, diesmal sitzen Sie in der Jury. Was für Erinnerungen haben Sie an frühere Berlinalen?
Christoph Schlingensief: Jetzt hier in der Jury zu sein, ist für mich eine große Ehre, weil ich als Filmemacher wie als Besucher schon immer mit der Berlinale zu tun hatte. Mein erstes großes Erlebnis war hier allerdings ein Desaster. Es war die Premiere meines Films Menü Total 1986. Da waren am Anfang 1800 Zuschauer drin, nach dem Film noch 400, und darunter 200 voll gegen den Film. Es gab sogar noch eine Schlägerei. Ich saß oben auf dem Podium mit Alfred Edel. Wir haben danach 90 Minuten mit Zuschauern diskutiert, bis mein Produktionsleiter sagte, wir müssten jetzt leider aufhören wegen »Verleihergesprächen« – es gab dann nicht ein einziges Verleihergespräch. Danach hab ich dann mit meiner Freundin Schluss gemacht. Und ich habe auch Tilda Swinton kennengelernt, mit der ich jetzt hier in der Jury sitze. Wir waren einen paar Monate zusammen. In der Zeit haben wir meinen nächsten Film Egomania gedreht, der im Jahr darauf wieder auf der Berlinale lief. So war das eben: da wurde das großes Liebesleid gleich ins nächste Projekt reingeworfen. Das war eine gute Zeit.
artechock: Ich habe lange keinen Film mehr auf der Berlinale erlebt, noch nicht mal im Forum, nach dem man 90 Minuten diskutiert. Ist das Kino seit damals schlechter geworden? Anders? Ist der Berlinale und dem Kino insgesamt etwas verloren gegangen?
Schlingensief: Ja. Kann man sagen.
artechock: Heute spielt Marketing eine große Rolle...
Schlingensief: Auf alle Fälle...
artechock: ...die Berlinale ist ein Betrieb. Aber viele Ihrer Projekte richten sich ja eigentlich gegen all das, was hier stattfindet, und dekonstruieren solche Betriebe. Haben wir da an den verbleibenden Tagen noch etwas aus der Jury zu erwarten?
Schlingensief: Das ist natürlich auch wieder so ein Problem: Das man mich gern nur auf so etwas reduziert. Es gibt diese Leute, die dann sagen: Oh da wird sicher noch Krach geben, da geht’s jetzt heiß her. Gruppensex – noch mit Mankell dabei, der 'nen Roman darüber schreibt. Ist alles Quatsch!
Ich habe mir nur vorgenommen, ich will gerne einen Film finden, der mich entweder politisch anmacht, der mir einen Blick zeigt, den ich
noch nicht habe, auf ein Land, das ich noch nicht kenne. Dann, zweitens, suche ich auch einen Film, der auf produktive Weise filmisch unausgegoren ist, der irgendwie etwas anderes probiert. Das würde mich auch interessieren: Eine doppelte Erzählweise – hier sieht man jetzt natürlich Filmchen, die alles sehr stark im Kausalzusammenhang behandeln. Aber mein Freund, der Schauspieler Alfred Edel hat mir beigebracht, wenn ich etwas geschrieben hatte, zu sagen: »Ist das kausal oder
ist das akausal? Wenn es akausal ist, ist es gut!« Das ist etwas, was vielleicht für die Zukunft auch bei der Berlinale-Programmauswahl wieder mehr präsent sein müsste.
artechock: Sie selbst haben als Filmregisseur begonnen, aber jetzt relativ lang keine eigenen Filme mehr gemacht. Wie kommt das?
Schlingensief: Damals 1987, 1988 wurden diese Anhörungstermine bei den Fördergremien überall komisch. Als ob sich ein Virus eingenistet hätte: Jetzt schon wieder der mit seinen billigen Filmen. Das Filmbüro NRW hat Pläne aufgestellt, wie erfolgreich wir waren. Auch die Zuschauerzahlen waren nicht schlecht. Aber das wurde nicht akzeptiert: Es ging plötzlich darum, den Drehbüchern schon anzusehen, wo im Fernsehen die Werbung geschaltet
werden kann, das Ende musste feststehen, es blieb kein Raum für Spontanität. Dem wollte ich mich nicht mehr aussetzen – weil ich auch gar nicht so arbeiten kann. Ich suche zwar auf der Bühne auch immer einen Schlusspunkt, damit ich weiß, wo ich hinwill. Aber das ist nur ein Trick. Und dann kamen ja in den 90ern diese ganzen komischen Filme – ich nenne jetzt keine Titel –, da war die Komödie ganz hoch im Kurs, die Cinemaxxe wurden gebaut, die Programmkinos wurden
eingerissen.
Seitdem habe ich mit Alexander Kluge einige Sachen gemacht und auf dem Theater mit Video gearbeitet – da war ich der erste. Der Castorf ist dann hinterhergedackelt. Irgendwann habe ich das aber wieder gelassen, weil ich den Eindruck hatte, das es ganz schlimm ist, wenn man ins Theater geht und hier wieder 'nen Film und da wieder 'nen Film sieht. Dann habe ich kleine geschlossene Einheiten gedreht: 5-Minuten-Filme, 10-Minuten-Filme, der Kluge dreht ja
1-Minuten-Filme… In der letzten Zeit wächst bei mir wieder das Bedürfnis doch einen – in Anführungszeichen: »richtigen« – Film zu machen. Aber da habe ich jetzt schon wieder Ärger mit dem WDR, mit dem Redakteur Gebhard Henke.
artechock: Weshalb Ärger?
Schlingensief: Ich würde sehr gern einen Tatort drehen, vielleicht als Teil des Programms für die europäische Kulturhauptstadt – aber natürlich ganz anders. Der »Tatort«, der ja eine eingefahrene Institution ist, den mal zu nehmen und umzudefinieren, wäre doch super. Und so simpel. Das wäre in allen Wohnzimmern gelandet, ganz Deutschland hätte es sonntagabends sehen können, das wäre eine tolle Eröffnung für dieses
Kulturjahr gewesen. Jetzt machen sie aber wieder Lichtarchitektur an der Autobahn, da wird’s dann Gelb und Grün, wenn man langfährt.
So eine Idee wird dann vom WDR richtig ausgesessen. Man bekommt keinen Rückruf, absolut keine Antwort vom Redakteur. Ich habe dem Gebhard Henke jetzt nochmal geschrieben, dass mir dieses Verhalten auch während meiner Krankheit im letzten Jahr weh getan hat. Denn er weiß, dass ich krank bin, er weiß, dass es bei mir einen gewissen Druck gibt. Denn ich
weiß eben auch nicht genau, was bei mir als nächstes passiert. Ich weiß nicht, wie lange das mit mir noch geht. Deshalb brauche ich klare Antworten. Er kann mir auch sagen: 'Mach Dir keine Hoffnungen, ich bekomm das nicht durch in dem Haus' – das ist mir viel lieber, als wenn mich einer hinhält über sechs Monate. Ich hab ihm geschrieben, und er hat mir zurückgeschrieben, ob ich ihn bedrohen wolle. Und dann: 'Willst Du vielleicht etwas machen über den Slang im Ruhrgebiet' – ja
hat der Mann eine Ahnung, was ich mache und bis jetzt gemacht habe? Nee!
artechock: Also nicht fehlende Kulturförderung, sondern die Allmacht der Fernsehfürsten ist das Hauptproblem?
Schlingensief: Ja, das ist widerlich. Allerdings habe ich dann danach immerhin eine andere Redakteurin von einem anderen Sender gefunden, die hat mich nach einer Woche angerufen und gesagt, sie hat es durch. Jetzt habe ich viel Freiheit. Ich bin gerade mit Oskar Roehler im Gespräch, auch mit Helene Hegemann. Das Thema habe ich auch – aber ich hüte mich davor, zu früh zu sagen, worum es geht. Denn bei mir wird das dann gleich wieder auf einen Satz reduziert. Das ist dann der »Knaller«, der »provokative Film« – das ist doch alles Quatsch
artechock: Wozu braucht einer wie Sie überhaupt das Geld der Sender? Sie haben doch schon gezeigt, wie man Filme ohne jede Förderung macht...
Schlingensief: Zwischendurch ist sowieso das Allerbeste. Wenn man Oper macht, wird man eingebunden in ellenlange Vorbereitung – ich habe jetzt für 2016 ein Angebot, wo ich das Bühnenbild machen will. Wie soll denn das gehen? Ich will ja auch arbeiten und was tun für mein Geld. Bei der Oper blockiert man sich permanent selbst.
Beim Film war es für mich so: Früher in Mülheim war es langweilig. Dann kam man nach Haus und dachte:
Ok, schreib' mal wieder ein Drehbuch. Dann hat man es eingereicht und auch gewartet und gewartet, dann der Bescheid: »Iss nicht.« Und dann bin ich zum Filmbüro gegangen, und da saßen Werner Schroeter und andere und haben mit mir mein Drehbuch diskutiert. So habe ich Film gelernt. das war richtig gut. So eine Zeit muss es auch wieder geben.
artechock: Was fanden Sie in den letzten Jahren als Zuschauer im Kino gut und interessant? können Sie etwas nennen, das Sie richtig weggerissen hat?
Schlingensief: Nee, kann ich komischerweise nicht. Außer ein Film wie Torpedo von Helene Hegemann. Das ist jetzt mal endlich eine Vision, eine junge Regisseurin, die mit wenig Geld was macht, wie sie es will – und das ist zu erwarten von einer Filmförderung, die eine kulturelle sein will, wie wir sie wieder brauchen in Deutschland.
Klar,
natürlich gibt es immer mal wieder anderes, was einen anmacht: Das eine war die TV-Serie »24«. Da fand ich die Cliffhanger toll und diese Schnelligkeit, das Nebeneinander, hier Handlung und da wieder weitermachen. Meine Freundin und ich haben alle sechs Staffeln gesehen. Das wäre eine Methode. Dann gab es die Filme von Alexander Kluge. Und dann sind mir die Filme von David Lynch immer wieder lieb – weil ich da einfach in so ein Gestrüpp reinkomme und nicht mehr sagen kann: Das ist
jetzt die richtige Interpretation, und ich muss sie auch gar nicht bringen. Aber ich weiß: Der Film wird mich spirituell erfassen. Und dann ist der Film vielleicht auch ein besserer Kirchenersatz, als im Sonntagsgottesdienst wieder eine Stunde herumzusitzen.