16.02.2009
59. Berlinale 2009

Bitte lächeln!

Photo-Shooting
Photo-Shooting auf dem roten Teppich

Das unumgängliche Accessoire

Von Ingrid Weidner

Während der Berlinale verkaufen wir kein Popcorn! Das sind gute Nach­richten gleich zu Beginn des 59. Film­fes­ti­vals. Die Gefahr, dass hinter, vor oder neben einem jemand raschelt und schmatzt, minimiert sich. Trotzdem schaffen es Chip­stüten und über­rie­chende und mit viel Papier verpackte Sand­wi­ches in die Kinosäle. Ein echtes Sakrileg, denn die Berlinale ist schließ­lich etwas beson­deres; schon die riesige Auswahl an 383 Filmen in 1238 Vorfüh­rungen präsen­tiert, das alles in zehn intensive Kinotage gepackt, verspricht ein dichtes Programm. Dazwi­schen bieten die stündlich anbe­raumten Pres­se­kon­fe­renzen und die voraus­ge­henden Foto­shoo­tings ein weiteres Schau­spiel.

Hinter einer Stellwand im Pres­se­zen­trum sind tribü­nen­ar­tige Stufen für die Foto­grafen aufgebaut, davor einige Quadrat­meter Teppich und eine blaue Wand mit Berlinale-Logos. Diesen schmalen Pfad müssen Schau­spieler, Regis­seure, Produ­zenten und Dreh­buch­au­toren auf ihrem Weg zur Pres­se­kon­fe­renz durch­queren. Dort lauern dicht gedrängt die Bildjäger darauf, dass sich die Tür öffnet und die Stars für sie posieren. Sobald sich die Tür einen Spalt­breit öffnet, setzt ein ohren­be­täu­bendes Geschrei ein. Die Foto­grafen bellen ihre Befehle den zögerlich Eintre­tenden entgegen, versuchen, sich gegen­seitig zu übertönen. »Nach links«, »Juliane hier«, »Gael dreh dich zu mir um« und so weiter. Viele Stars werden ganz selbst­ver­s­tänd­lich geduzt. Die meisten Umwor­benen reagieren mit einem einge­fro­renen Lächeln oder stoischem Blick, der sich kaum wandelt in diesen Minuten. Wenn das Procedere zu lange dauert, kann schon mal ein sorg­fältig einstu­diertes Kame­ra­ge­sicht verrut­schen. Andere, die sich diesem Schau­spiel schon länger stellen, schneiden schon mal Grimassen und versetzen die Foto­grafen damit erst Recht in Entzücken, andere genießen den ganzen Zirkus.

Wenn der Spuk vorbei ist und alle Akteure durch die Tür in den Konfe­renz­raum entschwunden sind, dürfen dort nur kurz einige ausge­wählte Foto­künstler knipsen. Dann haben die Jour­na­listen das Wort, Fern­seh­ka­meras halten sich dezent im Hinter­grund. Für die Akteure wird der Auftritt deshalb keines­falls einfacher. Film­kri­tiker beginnen ihre Monologe gerne mit dem einlei­tenden Satz »Thank your for your wonderful movie«, um dann zum Schlag auszu­holen. Denn jetzt heißt es für die Podi­ums­teil­nehmer, den mitunter pointiert gesetzten Einschlägen geschickt auszu­wei­chen. Manche meistern diesen Part genauso routi­niert wie raffi­niert. Andere meinen, ein Gegen­schlag befreie sie aus der miss­li­chen Lage, in die sie der Fragende kata­pul­tiert hat. Meistens geht dieses Manöver gründlich schief, denn darauf wartet die Meute nur und rächt sich anschließend; direkt vor Ort, indem sie immer wieder nach einem Mikrofon verlangen, andere in ihren Texten.

Geschlif­fene Rhetorik, devotes Auftreten, ein bisschen Ignoranz wie von Sebastian Koch prak­ti­ziert: »Nein, ich habe Effi Briest nicht während meiner Schulzeit gelesen, erst zur Vorbe­rei­tung« helfen oft aus der Patsche. Ein smarter Schau­spieler oder eine bezau­bernde Aktrice auf dem Podium sind ebenfalls hilfreich. Dann kommen die Schwärmer im Publikum zu Wort. Wenn der Ange­him­melte etwas irritiert guckt und nachfragt »What was the question?«, und nur ein hinge­hauchtes »It was just a comment« als Antwort erhält, scheint die Welt in Ordnung zu sein. Für den Augen­blick zumindest.

Das Reper­toire geschickter Regis­seure und deren PR-Berater hat noch andere Kniffe parat. Etwa, indem pfiffige, aufge­weckte Kinder auf dem Podium Platz nehmen, deren Nasen manchmal kaum bis zum Mikro reichen. Wenn sie schon im Film mit ihrer Präsenz glänzten, wirken sie dort auf der Tribüne wahre Wunder. Wenn etwa die acht­jäh­rige Sophie Nyweide aus Mammoth erklärt, sie spiele zwar eine sieben­ein­halb Jährige, sei aber selbst inzwi­schen schon acht­ein­halb und »nein, das ist nicht mein erster Film sondern mein fünfter« und mit ruhiger Stimme hinzufügt, es sei ganz großartig gewesen, mit »Lukas, Gael und all den anderen zusam­men­zu­ar­beiten«, sind die Kritiker erst einmal gerührt. Wenn ihr zwölf­jäh­riger Film­kol­lege Jan Nicdao noch den perfekt memo­rierten Satz »children are our future« nach­schiebt und zusammen mit Martin Delos Santos, der im Film seinen kleinen Bruder spielt, im Duett bezau­bernd lächeln, verharrt die Meute erst einmal in stiller Andacht. Dieser Auftritt lenkte zumindest etwas von Regisseur Lukas Moodysson und seinem Film ab. Die Crew überstand die Pres­se­kon­fe­renz eini­ger­maßen unbe­schadet, doch sein Wett­be­werbs­bei­trag über Familien und ihre Auflösung in Zeiten der Globa­li­sie­rung wird dadurch nicht besser.

Rot und schlicht kommt sie also in diesem Jahr daher, die Berlinale-Tasche. Notwen­diges Acces­soire für wichtige Menschen. Doch es gibt klare Hier­ar­chien: Echt sind nur die Exemplare mit den Spon­so­ren­logos; daran erkennen sich die Privi­le­gierten. In den Arkaden am Potsdamer Platz gibt es nämlich im Merchan­di­sing-Shop einen roten Umhän­ge­beutel für ~19,90 zu kaufen, der täuschend echt wirkt, nur die Logos fehlen eben. Die Fans stört das wenig, sie kaufen den Artikel begeis­tert. Noch ein anderes Phänomen lässt sich während der Berlinale beob­achten: Wer etwas auf sich hält, seine inter­na­tio­nalen Film­fest­reisen vorführen möchte, wirft sich beispiels­weise einen Beutel mit dem Logo der Viennale um die Schulter oder schmückt sich mit der Tasche des Festivals in Rotterdam. Andere grenzen sich von den gewöhn­li­chen Kino­gänger dadurch ab, indem sie Taschen von den voraus­ge­gan­genen Berlinale-Jahr­gängen aus ihrem Fundus ausgraben. Damals, vor der Krise, etwa 2007 oder 2008, waren die Taschen noch schöne bunte Acces­soires und nicht so lang­weilig wie in diesem Jahr. Falls die Krise weitere Kreise zieht, Sponsoren abspringen, gibt es zur 60. Berlinale mögli­cher­weise überhaupt keine Umhän­ge­ta­schen mehr sondern Jutesäck­chen. Dann könnte selbst der schlichte rote Beutel aus diesem Jahr Nost­al­gi­kern einen Seufzer entlocken.

Die taz rief zu einem kleinen Wett­be­werb nach der Berlinale auf: Wer auch immer eine dieser roten Taschen samt Besitzer irgendwo auf der Welt trifft, möge doch ein Foto an die Redaktion schicken. Die Jagd geht also weiter.

Ingrid Weidner