59. Berlinale 2009
Bitte lächeln! |
||
Photo-Shooting auf dem roten Teppich |
Von Ingrid Weidner
Während der Berlinale verkaufen wir kein Popcorn! Das sind gute Nachrichten gleich zu Beginn des 59. Filmfestivals. Die Gefahr, dass hinter, vor oder neben einem jemand raschelt und schmatzt, minimiert sich. Trotzdem schaffen es Chipstüten und überriechende und mit viel Papier verpackte Sandwiches in die Kinosäle. Ein echtes Sakrileg, denn die Berlinale ist schließlich etwas besonderes; schon die riesige Auswahl an 383 Filmen in 1238 Vorführungen präsentiert, das alles in zehn intensive Kinotage gepackt, verspricht ein dichtes Programm. Dazwischen bieten die stündlich anberaumten Pressekonferenzen und die vorausgehenden Fotoshootings ein weiteres Schauspiel.
Hinter einer Stellwand im Pressezentrum sind tribünenartige Stufen für die Fotografen aufgebaut, davor einige Quadratmeter Teppich und eine blaue Wand mit Berlinale-Logos. Diesen schmalen Pfad müssen Schauspieler, Regisseure, Produzenten und Drehbuchautoren auf ihrem Weg zur Pressekonferenz durchqueren. Dort lauern dicht gedrängt die Bildjäger darauf, dass sich die Tür öffnet und die Stars für sie posieren. Sobald sich die Tür einen Spaltbreit öffnet, setzt ein ohrenbetäubendes Geschrei ein. Die Fotografen bellen ihre Befehle den zögerlich Eintretenden entgegen, versuchen, sich gegenseitig zu übertönen. »Nach links«, »Juliane hier«, »Gael dreh dich zu mir um« und so weiter. Viele Stars werden ganz selbstverständlich geduzt. Die meisten Umworbenen reagieren mit einem eingefrorenen Lächeln oder stoischem Blick, der sich kaum wandelt in diesen Minuten. Wenn das Procedere zu lange dauert, kann schon mal ein sorgfältig einstudiertes Kameragesicht verrutschen. Andere, die sich diesem Schauspiel schon länger stellen, schneiden schon mal Grimassen und versetzen die Fotografen damit erst Recht in Entzücken, andere genießen den ganzen Zirkus.
Wenn der Spuk vorbei ist und alle Akteure durch die Tür in den Konferenzraum entschwunden sind, dürfen dort nur kurz einige ausgewählte Fotokünstler knipsen. Dann haben die Journalisten das Wort, Fernsehkameras halten sich dezent im Hintergrund. Für die Akteure wird der Auftritt deshalb keinesfalls einfacher. Filmkritiker beginnen ihre Monologe gerne mit dem einleitenden Satz »Thank your for your wonderful movie«, um dann zum Schlag auszuholen. Denn jetzt heißt es für die Podiumsteilnehmer, den mitunter pointiert gesetzten Einschlägen geschickt auszuweichen. Manche meistern diesen Part genauso routiniert wie raffiniert. Andere meinen, ein Gegenschlag befreie sie aus der misslichen Lage, in die sie der Fragende katapultiert hat. Meistens geht dieses Manöver gründlich schief, denn darauf wartet die Meute nur und rächt sich anschließend; direkt vor Ort, indem sie immer wieder nach einem Mikrofon verlangen, andere in ihren Texten.
Geschliffene Rhetorik, devotes Auftreten, ein bisschen Ignoranz wie von Sebastian Koch praktiziert: »Nein, ich habe Effi Briest nicht während meiner Schulzeit gelesen, erst zur Vorbereitung« helfen oft aus der Patsche. Ein smarter Schauspieler oder eine bezaubernde Aktrice auf dem Podium sind ebenfalls hilfreich. Dann kommen die Schwärmer im Publikum zu Wort. Wenn der Angehimmelte etwas irritiert guckt und nachfragt »What was the question?«, und nur ein hingehauchtes »It was just a comment« als Antwort erhält, scheint die Welt in Ordnung zu sein. Für den Augenblick zumindest.
Das Repertoire geschickter Regisseure und deren PR-Berater hat noch andere Kniffe parat. Etwa, indem pfiffige, aufgeweckte Kinder auf dem Podium Platz nehmen, deren Nasen manchmal kaum bis zum Mikro reichen. Wenn sie schon im Film mit ihrer Präsenz glänzten, wirken sie dort auf der Tribüne wahre Wunder. Wenn etwa die achtjährige Sophie Nyweide aus Mammoth erklärt, sie spiele zwar eine siebeneinhalb Jährige, sei aber selbst inzwischen schon achteinhalb und »nein, das ist nicht mein erster Film sondern mein fünfter« und mit ruhiger Stimme hinzufügt, es sei ganz großartig gewesen, mit »Lukas, Gael und all den anderen zusammenzuarbeiten«, sind die Kritiker erst einmal gerührt. Wenn ihr zwölfjähriger Filmkollege Jan Nicdao noch den perfekt memorierten Satz »children are our future« nachschiebt und zusammen mit Martin Delos Santos, der im Film seinen kleinen Bruder spielt, im Duett bezaubernd lächeln, verharrt die Meute erst einmal in stiller Andacht. Dieser Auftritt lenkte zumindest etwas von Regisseur Lukas Moodysson und seinem Film ab. Die Crew überstand die Pressekonferenz einigermaßen unbeschadet, doch sein Wettbewerbsbeitrag über Familien und ihre Auflösung in Zeiten der Globalisierung wird dadurch nicht besser.
Rot und schlicht kommt sie also in diesem Jahr daher, die Berlinale-Tasche. Notwendiges Accessoire für wichtige Menschen. Doch es gibt klare Hierarchien: Echt sind nur die Exemplare mit den Sponsorenlogos; daran erkennen sich die Privilegierten. In den Arkaden am Potsdamer Platz gibt es nämlich im Merchandising-Shop einen roten Umhängebeutel für ~19,90 zu kaufen, der täuschend echt wirkt, nur die Logos fehlen eben. Die Fans stört das wenig, sie kaufen den Artikel begeistert. Noch ein anderes Phänomen lässt sich während der Berlinale beobachten: Wer etwas auf sich hält, seine internationalen Filmfestreisen vorführen möchte, wirft sich beispielsweise einen Beutel mit dem Logo der Viennale um die Schulter oder schmückt sich mit der Tasche des Festivals in Rotterdam. Andere grenzen sich von den gewöhnlichen Kinogänger dadurch ab, indem sie Taschen von den vorausgegangenen Berlinale-Jahrgängen aus ihrem Fundus ausgraben. Damals, vor der Krise, etwa 2007 oder 2008, waren die Taschen noch schöne bunte Accessoires und nicht so langweilig wie in diesem Jahr. Falls die Krise weitere Kreise zieht, Sponsoren abspringen, gibt es zur 60. Berlinale möglicherweise überhaupt keine Umhängetaschen mehr sondern Jutesäckchen. Dann könnte selbst der schlichte rote Beutel aus diesem Jahr Nostalgikern einen Seufzer entlocken.
Die taz rief zu einem kleinen Wettbewerb nach der Berlinale auf: Wer auch immer eine dieser roten Taschen samt Besitzer irgendwo auf der Welt trifft, möge doch ein Foto an die Redaktion schicken. Die Jagd geht also weiter.
Ingrid Weidner