The Gambler

USA 2014 · 111 min. · FSK: ab 12
Regie: Rupert Wyatt
Drehbuch:
Kamera: Greig Fraser
Darsteller: Mark Wahlberg, John Goodman, Brie Larson, Michael K. Williams, Jessica Lange u.a.
Action-Mime mit Charakter

Entweder du bist ein Genie oder du bist nichts

Der Erste Weltkrieg. Geschosse zischen. Bomben explo­dieren. Die Sicht versperrt von Pulver­dampf. Feind­liche Soldaten rücken vor. Nur ein Mann befindet sich außerhalb des Schutz bietenden Schütz­en­gra­bens und schreibt. Es handelt sich um Ludwig Witt­gen­stein. Er arbeitet an seinem ersten Hauptwerk, dem »Tractatus logico-philo­so­phicus«. Der Denker musste einfach jeden ihm wichtigen Gedanken sofort nieder­schreiben.

Diese Anekdote aus dem Leben des philo­so­phi­schen Jahr­hun­dert-Genies erzählt Professor Arthur Seldom (John Hurt) zu Beginn von Álex de la Iglesias Mystery-Thriller THE OXFORD MURDERS (2008). Die Darstel­lung des von seiner Mission getrie­benen Witt­gen­stein dürfte ganz nach dem Geschmack des Lite­ra­tur­pro­fes­sors Jim Bennett sein, den Mark Wahlberg in The Gambler (2014) spielt.

Bennett verachtet jedes Mittelmaß. In seinen Augen ist man entweder ein echtes Genie oder man ist nichts. Trotz dieser elitären Attitüde ist Bennett zugleich auch Realist. Für eine Lite­ra­tur­pro­fessur mag es bei ihm zwar gereicht haben, aber als ein Genie betrachtet Bennett sich nicht. Deshalb schreibt er auch keinen eigenen Roman. Ein Werk, das nicht gleich in die Lite­ra­tur­ge­schichte eingeht, wäre für ihn reine Zeit­ver­schwen­dung.

Den großen Kick holt Jim Bennett sich lieber am Spiel­tisch. Black Jack. Roulette. Das ist seine Droge. Wo andere Spieler nach Methoden sinnen, um ihr Risiko zu mini­mieren, setzt Bennett seinen gesamten hart erkämpften Gewinn auf ein einziges Feld. In solchen Momenten beginnen die Augen des abge­klärten Nihi­listen aufgeregt zu funkeln. Da verwan­delt sich der zweit­klas­sige Literat in den Herrn über den Spiel­tisch und da mutiert der zweit­klas­sige Mime Mark Wahlberg zu einem charis­ma­ti­schen Charak­ter­dar­steller.

Rupert Wyatts (Planet der Affen: Prevo­lu­tion, 2011) Spieler-Drama The Gambler ist das Remake des im Original gleich­na­migen New-Hollywood-Klas­si­kers, der bei uns als Spieler ohne Skrupel (1974) ins Kino gekommen ist. Der Film von Karel Reisz basiert auf dem auto­bio­gra­fi­schen Drehbuch des Harvard-Absol­venten James Toback, der in dieser Geschichte seine eigene Spiel­sucht verar­beitet hat. Diesem persön­li­chen Hinter­grund Tobacks verdankt die Story um einen spiel­süch­tigen Professor wahr­schein­lich ihr hohes Maß an emotio­naler Wahr­haf­tig­keit.

Im Original war diese Figur inter­es­san­ter­weise mit James Caan besetzt. Der war zu seiner Zeit – ähnlich wie Wahlberg heute – auch eher als ein Action-Held bekannt, der seine beschei­denen darstel­le­ri­schen Fähig­keiten in Coolness umzu­wan­deln verstand. Aber auch Caan konnte in der richtigen Rolle über sich selbst hinaus­wachsen. So überz­eugte er als Meister-Safe­kna­cker in Michael Manns Der Einz­el­gänger (1981) oder eben auch als zockender Professor in Spieler ohne Skrupel.

Auch für Mark Wahlberg ist The Gambler genau der richtige Film. Hier ist er noch besser, als in David O. Russells Boxer­drama THE FIGHTER (2010). Dort spielte Wahlberg neben dem über­ra­genden Christian Bale noch die zweite Geige. In The Gambler tritt der ewige Haupt­dar­steller der zweiten Reihe jedoch endlich selbst ins Rampen­licht. Was sonst zu Wahlbergs Schwächen zählt, verwan­delt sich bei dieser Figur mit einem Minimum an mehr Konz­en­tra­tion mit einem Schlag in ein gewal­tiges Plus.

Man kennt Mark Wahlberg als den Mann mit dem ewig stoischen Gesichts­aus­druck, der nur wenige Emotionen sichtbar werden lässt. Das reicht für einen Action-Mimen, wirkt jedoch bereits in einem Thril­ler­drama wie James Grays The Yards (2000) oder Helden der Nacht (2007) nicht ganz überz­eu­gend. In The Gambler verwan­delt sich diese Gesichts­starre jedoch in das ulti­ma­tive Pokerface und in das überz­eu­gend lässig-arrogante Gesicht eines todes­ver­ach­tenden Nihi­listen.

Wenn Bennett im wahrsten Sinne des Wortes alles auf eine Karte setzt, erscheint sein Verhalten zu gleichen Teilen von Größen­wahn und von Selbst­hass bestimmt. Gewinnt er, fühlt er sich wie ein Gott. Verliert er, ist es ihm egal, denn Norma­lität und Losertum sind in seinen Augen gleich wenig wert. Deshalb heftet Bennett diese Augen an der Uni an Amy Phillips – nicht weil diese sehr hübsch, sondern weil sie seine smarteste Studentin ist. Amy ist nach Bennetts gnaden­losem Urteil nach die eine, die etwas von Bedeutung schaffen könnte.

Bennetts Größen­wahn und Todes­ver­ach­tung zeigt sich auch darin, dass er bereits eine Vier­tel­mil­lion Dollar Schulden bei einem sinis­teren Buch­ma­cher hat. Jetzt bleibt ihm noch genau eine Woche, um das Geld zurück­zu­zahlen. Ansonsten wäre endgültig Schluss mit lustig. – Es wirkt fast so, als hätte Bennett diese fatale Lage heimlich herbei­ge­sehnt. Aber selbst, als er bereits derart mit dem Rücken zur Wand steht, hat er noch nicht genug ...

Den Höhepunkt von Bennetts Hybris und Nieder­gang markiert seine Begegnung mit dem fetten grie­chi­schen Gauner Frank, den John Goodman (Barton Fink, 1991) in einer genial über­zo­genen Perfor­mance zu gold­kett­chen­behängter schwab­be­liger Herr­lich­keit erweckt. Dieser böse Buddha will sicher­stellen, dass Bennett spürt, wie sehr er gerade zu Kreuze kriecht. Jovial grinsend gewährt der dem erbärm­li­chen Bitt­steller sein Anliegen.

Bennett müsste nur noch einen kurzen Satz sagen: »Ich bin kein Mann!« ...