China/HK 2002 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Zhang Yimou Drehbuch: Zhang Yimou, Feng Li, Bin Wang Kamera: Christopher Doyle Darsteller: Jet Li, Tony Leung Chiu Wai, Maggie Cheung, Zhang Ziyi u.a. |
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Roter Farbrausch |
»Sie aber sagen, China verwirre den Verstand. Doch gibt es Klarheit hier zu finden, suchen Sie danach.«
Pascal, Pensées
Namenlos ist der Held, von dem dieser Film schon im Titel handelt, und Schwarz, in China keineswegs die Farbe der Trauer, steht am Anfang und am Ende, rahmt ihn ein. Dazwischen erstrahlt die Leinwand in Rot, Blau, Weiß und Jadegrün, begegnen wir fünf Schwertkämpfern und einem Fürsten. Helden auf ihre Art sind sie alle – was kann man anderes erwarten, von einem Film, der Hero heißt? Doch in jeder anderen Hinsicht strotzt Zhang Yimous neuer Film nur so von Unerwartetem, entfesselt ein filmisches Feuerwerk an Überraschungen, eine Bilderorgie voller Einfälle, Witz und Stilisierungswillen. Es gibt Momente von ergreifender Schönheit. Wenn Film die Kunst der losgelösten, »reinen« Bewegung ist, dann kommt er seinem Ideal selten so nahe, wie hier: in einem märchenhaften Drama, das pathetisch und sinnlich ist, zugleich leidenschaftlich und geheimnisvoll.
Es beginnt mit einer alten Legende. Sie führt den Betrachter zurück ins dritte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, in die präimperiale Epoche der sieben kämpfenden Reiche (ca. 240-221 v.Chr.) kurz vor der Einigung Chinas unter König Chin Shi Huang Di, dem legendären Herrscher von Qin, der der erste chinesische Kaiser wurde, den Bau der großen chinesischen Mauer begann und dessen Bild zwischen Verklärung des Reichsgründers und verdüsternder Überlieferung durch seine konfuzianischen Gegner schwankt.
Aber auch wenn der Regisseur seine Geschichte also zu einem sehr exakten historischen Zeitpunkt ansiedelt, erzählt er doch keinen historisch verbürgten Stoff, sondern eben eine von vielen Legenden, die sich um diese außerordentlich wichtige Epoche ranken. Eine andere aus der gleichen Zeit schilderte 1998 Chen Kaige in Der Kaiser und sein Attentäter.
Wie damals geht es auch hier um den
Versuch mutiger Attentäter, den Tyrannen zu töten. Sie tragen, wenn sie nicht namenlos sind, so poetische Namen, wie »Zerbrochenes Schwert« und »Fliegender Schnee«, und sie sind zu allem bereit. Im Unterschied zu Kaige versucht Zhang Yimou allerdings nicht, das Verhalten dieser Attentäter politisch oder psychologisch – etwa durch den Auftrag eines anderen Herrscherhauses oder durch Rache – zu motivieren. Vielmehr befreit er seine Geschichte von allem historischen
Ballast, abstrahiert sie inhaltlich wie formal ins Zeichenhafte – Hero ist eine zeitlos gültige Parabel über den Einzelnen und die Macht, über Liebe und Verrat, darüber, was ein Mensch sich selbst, dem Geliebten, und dem Staat schuldig ist. Dabei werden die Figuren nie psychologisch, sondern symbolisch umrissen. Nach Motivationen darf man hier also nicht fragen. Es ist, was es ist – so wie die Kalligraphie, von der hier immer wieder die Rede ist,
verschiedene Schriftzeichen für das scheinbar Immergleiche entwickelt, deren jedes einen – auch emotionalen – Idealtyp darstellt, Archetypen des Verhaltens durchspielt, und hierin bei aller vorhandenen Ironie ganz ernst gemeint ist.
Die Handlungsstruktur ist von kristallklarer Einfachheit: »Namenlos« nennt sich ein Unbekannter, der an den Hof von Qin kommt und erklärt, er habe die drei gefährlichsten Feinde des Herrschers getötet. Zum Beweis bringt er deren eroberte Waffen. Nun möchte er die vom König ausgesetzte Belohnung in Empfang nehmen, zu der neben allerlei Reichtümern auch die besondere Gunst gehört, sich dem König bis auf zehn Schritte zu nähern. Zuvor verlangt dieser aber eine genaue Schilderung der Ereignisse, in denen der Namenlose zunächst den Kämpfer »Weiter Himmel«, dann »Zerbrochenes Schwert« und »Fliegender Schnee« besiegte. In drei großen, immer wieder durch kleine Dialogpassagen zwischen König und Namenlosem unterbrochenen Rückblenden, stellt diese Erzählung die eigentliche Handlung des Films dar. Hero ist auch ein geschichtsphilosophischer Versuch, in dem die Wiedergewinnung und Selbstvergewisserung der Gegenwart erst durch das stufenweise Durchschreiten der Vergangenheit möglich wird.
Indem die Geschichte so in vier, miteinander verschachtelten, zugleich einander fortführenden und ergänzenden, sich kaleidoskopartig brechenden, kritisierenden und somit sich aufhebenden Varianten ein und desselben Geschehens erzählt wird, erinnert Hero stark an Kurosawas Rashomon. Wie dort geht es auch in Hero um die Einsicht, dass das, was man gewohnt ist, für »Realität« zu halten und mit »Wahrheit« gleichzusetzen, äußerst relativ und perspektivenabhängig ist. Hero zeigt die Aporien aller Geschichtsschreibung, indem er immer neue Versionen eines Geschehens bietet, und die Wahrheit, die er erst gerade schuf, sogleich wieder zerstört. Der Einwand, im Gegensatz zu Rashomon stünden die Varianten der Geschichte nicht gleichberechtigt nebeneinander, trifft nicht zu. Denn keineswegs ist die letzte Erzählung auch die gültige. So wie es auch kein Schriftzeichen gibt, das »besser« ist, oder siegt, sondern nur möglicherweise eines, das sich durchsetzt. Vielmehr inszeniert Yimou die kontinuierliche Transformation der Wirklichkeit – ein Kerngedanke chinesischen Denkens. Die Figuren wandeln sich, und der Zuschauer lernt durch ihre Befragung, das Feld der Kräfte in ihrer Mehrdeutigkeit einzuschätzen. Wenn dies eine Erzählung von der Macht sein soll, dann handelt sie vor allem von der Macht der Erzählung.
Die Staatsanwälte des Ernstes auch im Kino, wollen nur eine Version für wahr halten, wollen genau wissen, wer der Mörder ist, und wer die Opfer, und wissen immer schon vorher, dass ein Imperator immer nur ein Mörder sein kann – und darin verfehlen sie einen Film wie diesen, der, wenn man schon unbedingt ganz ernst machen will, Mörder miteinander konfrontiert, und zugleich zeigt, dass sie Opfer sind.
Obwohl der Film doch gerade diese Unterscheidung ad absurdum führt. Mehrere
Perspektiven sind gleich gültig, und gerade Hero zeigt das aufs Perfekte, indem er einen (narrativen) Raum entwirft, den er dann von mehreren Seiten aus durchwandert. Die letzte, »wahre« Perspektive bleib aber immer – auch das führt Hero vor Augen – die des Zuschauers. Er wird sich seine Wahrheit selber machen müssen. So funktioniert diese Geschichte eben naturgemäß selbst sozusagen chinesisch – sie erzwingt ihre Wirkung
beim Zuschauer nicht, sondern lässt sie geschehen.
Auch stilistisch erinnert Hero in vielem an Kurosawa. Vielleicht liegt dies neben der formalisierten Erzählweise zu einem großen Teil am Set- und Kostüm-Design, für das Emi Wada verantwortlich zeichnet, die 1985 für Ran einen Oscar gewann. Und auch die bildgewaltig choreographierten Massenszenen des Films erinnern an
Kurosawas Spätwerk, an Ran und Kagemusha.
Das Faszinierendste an Hero ist aber das Offenkundigste: Yimous Inszenierung der Martial-Arts-Kämpfe und sein Einsatz der Farben. Der Regisseur betritt mit diesem Werk Neuland. Viele Inszenierungsformen und Gesten werden ausprobiert, angeteased, aber nie völlig ausgereizt. Technisch absolut auf der Höhe der Zeit sind alle Kämpfe hier geprägt von einer Aura der Leichtigkeit, so leicht, dass Menschen hier sogar durch die Luft fliegen. Der Film erfüllt auf
diese Weise das alte Versprechen des Kinos, abzuheben vom Boden in eigene, neue Höhen. Perfekt wird dies durch die Darsteller: Maggie Cheung und Tony Leung, Jet Li und Zhang Ziyi – schöner kann Kino kaum sein. Zärtlich kreist Christopher Doyles Kamera um ihre Gesichter, fängt ein Zucken der Mundwinkel ebenso ein, wie die einsame Träne, die eine Wange hinunterrinnt.
Jede Episode erhält durch eine dominante Farbe – die dann in diversen Schattierungen und Intensitätsgraden
auf der Leinwand auftaucht – auch ihren emotionalen Grundton. Sehr grob skizziert: Rot für die Leidenschaft der Liebe, Blau für romantische Entsagung, Weiß, in China Farbe des Todes, für Opfer. Nur Gelb fehlt bezeichnenderweise fast völlig. Sie steht in China für die Macht des Kaisers, und wenn man Zhangs Yimous Farbeinsatz auch inhaltlich ernst nimmt, und nicht auf bloßes Design reduziert, dann schränkt dies die nicht zuletzt in deutschen Medien grassierende These ein, der
Regisseur habe mit diesem Film einen Kotau vor den Pekinger Machthabern vollzogen.
Im Gegenteil kann man Hero auch als Fabel über Widerstand und Selbstbehauptung lesen, als Darstellung eines Machthabers, der das Gesetz über seine eigene Souveränität stellt, sich wissentlich in Gefahr begibt, überzeugen will, nicht überreden, gar einschüchtern. So bleibt die Haltung des Films, der schon jetzt der erfolgreichste der chinesischen Filmgeschichte ist, und zugleich in Zimous Heimat auch für politischen Streit sorgte, gewollt ambivalent: er kann fatalistisch wie optimistisch verstanden werden, als verstecktes Plädoyer für Widerstand, wie als Anbiederung. Vielleicht ist es immer schon falsch gewesen, Zhang Yimou als Regisseur der Opfer und als Regimekritiker zu begreifen, bloß weil ihn das Regime kritisiert hat, nicht verstehen wollte. Aber hier ist nicht der Ort, einmal seine anderen alten Filme zu durchforsten, zu zeigen, wie konservativ Zhang Yimou immer schon war, wo er sehr konforme Geschichten erzählt hat, und warum seine späten, die Wirklichkeit des Gegenwartschina angeblich in so deutlich milderem Licht zeigenden Filme, andererseits doch Kritik üben. Aber das Kino, daran muss man leider immer wieder erinnern, ist keine moralische Anstalt, sondern, wenn überhaupt, eine politische, historische.
»Auf chinesischer Seite läuft alles auf ein Lob der 'Leichtigkeit' hinaus.«
Francois Jullien, Traité de l’efficacité
Unübersehbar ist der Versuch, mit filmischen Mitteln einen ästhetischen Zivilisationsmythos zu schaffen, eine Poesie des höheren Zwecks zu formulieren, der auf Standhalten, Konzentration, und Schönheit der Geste beruht. Wenn Hero argumentiert, dass das Gute zu tun, auch schön sei, und auf die Attraktivität der Eindeutigkeit setzt, ist dies vielleicht eine konservative, aristotelische Botschaft – aber damit durchaus keine, die im
Widerspruch zu europäischen Kultur steht.
In den Bildern liegt das Subversive. Hero realisiert ein Kino der reinen Freiheit, das uns in der Entfesselung unsere eigenen Fesseln, in seiner Leichtigkeit unsere eigene Erdenschwere um so schmerzhafter vor Augen führt. Der Regisseur feiert dabei die Freiheit selbst, malt sie in 19 verschiedenen Zeichen auf die Leinwand. Das zwanzigste von ihnen ist die Unsterblichkeit im Tod, ist die Leerstelle, die der
bis zum Ende Namenlose dort hinterlässt, wo sein Lebenskreis sich schließt. Wer hier nur ein Loblied auf den Machthaber sehen kann, nur die faschistische Feier des Selbstopfers des Einzelnen für die Volksgemeinschaft fällt in selbstgeschaffene Fallen, so wie der eine oder andere deutschen Beobachter, dem bei »Masse« nur »Riefenstahl« einfiel.
Von der Story ganz abgesehen, und der Struktur der Story, sind es die Bilder, die solchen Lesarten widersprechen. Sie
überwältigen eben nicht – denn wer »Überwältigung« sagt, meint hier immer auch Vergewaltigung des Betrachters, Raub seiner Freiheit, in der Konsequenz: Faschistische Ästhetik – mögen sie auch noch so »überwältigend« sein, sondern sie verführen. Wer aber verführt, lässt etwas geschehen, schafft Bedingungen dafür, dass es geschieht, aber er »macht« nicht. Alles bleibt offen und leicht, bei aller technischen Perfektion ist nichts kalkuliert.
Die Leichtigkeit, die hier zelebriert wird, ist um so absoluter, als das sie nicht nur die Körper betrifft, die hier maßlos durch die Luft fliegen, sondern die Herzen der Menschen: »Keiner bewegte sich. Kampf fand in unseren Köpfen statt, auf höherer Ebene.« – alles hier ist Geste, ist das Streben nach Absolutheit im Moment, und nirgendwo sind »uns« diese Figuren fremder, als in der Beiläufigkeit, mit der sie ihr eigenes Leben zu opfern bereit sind. Dies können sie nur,
weil sie die Idee der Hoffnung durch die der Haltung ersetzt haben, die Geschichte durch das Jetzt und Hier.
»Heute werdet ihr lernen, worin die Essenz eurer Kalligraphie besteht.« heißt es im Augenblick des Angriffs auf die Schriftschule von Zhao. Und wenn der alte Lehrer, der das sagt, dann ungerührt im Pfeilgewitter seine Zeichen in den Sand malt, wird sichtbar, worin diese Essenz besteht: Sein wird durch Werden ersetzt, und nur im Moment der Handlung – der Schrift, des
Schwertkampfs, der Musik, das ist hier einerlei – wird der Kalligraph/Krieger/Künstler das, was er ist. Die Zeit zählt nichts, der Augenblick alles.
Vor allem anderen aber bleibt Hero eine handwerklich brillant erzählte elegische Heldensage aus mythisch-vorgeschichtlicher Zeit, ein essentiell romantisches Luftballett, bei aller Opulenz und Kunst der Inszenierung erzählt in archaischer Einfachheit. In seiner pathetischen, wohldosierten Übertreibung ist der Film jederzeit große Oper und zugleich einer der Höhepunkte des Martial-Arts-Genres. Mit viel Magie malt Yimou mit Menschen auf der Leinwand, nimmt auf Logik ebensowenig Rücksicht, wie auf Schwerkraft, lässt Traum, Gefühl und Bewegung zu einem einzigartigen, zeitlosen Zauber verschmelzen.