USA 2004 · 129 min. · FSK: ab 12 Regie: Jonathan Demme Drehbuch: Daniel Pyne, Dean Georgaris, Richard Condon Kamera: Tak Fujimoto Darsteller: Denzel Washington, Meryl Streep, Liev Schreiber, Jon Voight, Kimberly Elise u.a. |
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An der Wand zum Wahnsinn: Ben Marco (Denzel Washington) |
Ganz beiläufig hat sich in den letzten Jahren im Kino ein Genre herausgebildet, das sich einerseits in bekannten Grenzen vom psychologischen Dramen über Science-Fiction bis zum Thriller bewegt, andererseits aber auch Filme hervorbringt, die in keine der üblichen Schubladen passen.
Es sind dies Filme, die man noch am ehesten mit dem Begriff Realitätsverlustfilme zusammenfassen kann und in denen es um das Schicksal eines oder mehrerer Menschen geht, deren alltägliches Leben aufgrund unerklärlicher Ereignisse aus den Fugen gerät, wenn nicht gar zusammenbricht. Beispiele hierfür waren in letzter Zeit Oldboy, In The Cut und ganz aktuell Die Vergessenen, Der Maschinist und Jonathan Demmes neuer Film Der Manchurian Kandidat.
Die Welt von Major Marco (Denzel Washington) scheint einen Knacks zu haben, seit er aus dem ersten Golfkrieg zurück ist. Auch wenn er vor Pfandfindern sachlich den heldenhaften Kriegseinsatzes für das Vaterland beschreibt, quälen ihn nachts doch fürchterliche Träume und Visionen, die sich auch nicht durch psychologische Behandlungen und Medikamente zur Linderung seines diagnostizierten Golfkriegssyndroms vertreiben lassen.
Darum ist Marco davon überzeugt, dass etwas
Anderes als der übliche Kriegswahn(sinn) hinter seinen Ängsten steckt. Eine zentrale Rolle in seiner Erinnerung spielt dabei ein Hinterhalt, in den Marco mit seiner Einheit damals geriet und den er und die Mehrzahl seiner Leute nur durch den heldenhaften Einsatz von Sergeant Raymond Shaw (Liev Schreiber) überlebten. Im Gegensatz zu seinen Kameraden, die an der Erinnerung an dieses Ereignis verzweifelten und nun verrückt oder tot sind, hat es Shaw zum aussichtsreichen Kandidaten für
das Amt des Vizepräsidenten gebracht.
Marcos Versuche, durch Gespräche mit Shaw Klarheit über die Vergangenheit und ihre Auswirkung auf die Gegenwart zu erlangen, wecken nur weitere Zweifel, die seine Umwelt als paranoiden Wahnsinn abtut. Doch Marco hat nichts mehr zu verlieren, weshalb er sich aufmachten, zwischen diversen Fronten gegen übermächtige Gegner anzutreten, um den Vorgängen in seinem Kopf einen Sinn zu geben. Wie nicht anders zu erwarten, steckt eine gigantische Verschwörung hinter allem.
Man sollte nicht den Fehler machen, Der Manchurian Kandidat leichtfertig in einen Topf mit all den (meist flachen) Filmen über die »geheimen Mächte«, die angeblich die Welt regiere (wollen), zu werfen. Um Verschwörungstheorien geht es Demme nur entfernt, weshalb auch relativ bald im Film klar ist, wie der Hase läuft und wer hinter all dem steckt (was eigentlich schon im Titel des Films verraten wird).
Die Hauptthemen von Der Manchurian
Kandidat sind eben kein weiteres 1984-Big-Brother-Horror-Szenario, sondern vielmehr der Identitätsverlust zweier Männer, die Abgründe des menschlichen Machtstrebens (von der Geschäfts- und Politikwelt bis hinein in die Familie) und die vielfältigen Möglichkeiten der Manipulation.
Natürlich kann man in diesem Film eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen politischen Verhältnissen in Amerika, vor allem im Umfeld der letzten US-Präsidentenwahl sehen, doch solche Kritik ergibt sich eher en passant. Das, was Der Manchurian Kandidat an politischem Ränkespiel (sehr gelungen und präzise wohlgemerkt) aufzeigt, hat man im Vorfeld der US-Wahlen ausführlich auch den Medien entnehmen können.
Die politische Brisanz, die der
originale Manchurian Kandidat von John Frankenheimer aus dem Jahr 1962 hatte (wobei man darüber streiten kann, wieviel dieser Brisanz ihm erst nach dem Attentat auf J. F. Kennedy zugeschrieben wurde), ist in der aktuellen Version »nur« noch ein kleiner Teilaspekt.
Ich würde sogar so weit gehen, Demmes Film als weitgehend unpolitisch zu bezeichnen, auch wenn das angesichts seiner Handlung als paradox erscheinen mag. Aber alle Verweise auf den Golfkrieg, auf die amerikanische Sicherheitslage, auf die Wahl usw. sind nur das Handlungsgerüst für die zentralen Konflikte von Marco und Shaw, die sich der Welt, in der sie leben, nicht mehr gewiss sein können.
Beispielhaft zu sehen ist dies etwa an den im Film allgegenwärtigen
Sicherheitskontrollen, die Marco durchläuft. Darin kann(!) man natürlich Kritik gegen die hysterische Heimsicherheitspolitik Amerikas sehen, aber wahrscheinlicher ist, dass sie Demme in erster Linie als willkommene Spannungselemente dienen.
Das gleiche gilt für die alles überspannende Verschwörung, deren gefährliches Ziel Demme nie wirklich herausstellt. Vorrangig ist die Verschwörung ein großer MacGuffin, der für die Schwierigkeiten der Hauptfiguren verantwortlich ist.
Entsprechend unwichtig ist es auch, wie »logisch« die Auflösung des Films ist, da es hier (wie in allen anderen Realitätsverlustfilmen) darum geht, den Verstörungsprozess eines Menschen zu zeigen und es dabei zweitrangig ist, diese
Verstörung zum Schluß auch noch zwingend sachlich zu begründen.
Üblicherweise braucht man am Ende eines solchen Films ein Deus ex Machina, um die vorhergehenden, unerklärlichen Ereignisse doch irgendwie zu erklären, wofür es vereinfacht gesagt drei Möglichkeiten gibt: Übersinnliches bzw. -irdisches, der eigene Kopf (Traum, Wahn, etc.) oder der große Plan im Hintergrund (Verschwörung, perfides Spiel, etc.), der auch im Manchurian Kandidaten bemüht
wird.
Bei der Auflösung solcher Filme geht es weniger um Wahrhaftigkeit, als vielmehr um Wahrscheinlichkeit.
Was die technische Umsetzung betrifft, kann man erfreut feststellen, dass Demme im Manchurian Kandidaten endlich wieder an die Intensität, die Das Schweigen der Lämmer zu einer solchen Kinoikone werden ließ und die seinen darauf folgenden Filmen weitgehend fehlte, herankommt.
Eine von Anfang bis zum Ende fesselnde Handlung (obwohl die Momente des klassischen
suspense sehr dünn gesät sind), hervorragende Schauspieler im perfekt abgestimmten, äußerst intensivem Zusammenspiel, Bilder zwischen berückender Schönheit und sachlicher Expressivität, Szenen die ergreifen, verstören, überraschen, schockieren und eine geschickt eingesetzte Filmmusik, die die schwer zu fassende Grundstimmung des Films zusätzlich unterstreicht.
Meisterlich gelingt es Demme, den Zuschauer an der schaurigen Mischung von absoluter Einsamkeit, Zusammenbruch jeder Gewissheit, kafkaesker Bedrohung und dramatischem Kontrollverlust, die Marco und (fast noch schlimmer) Shaw widerfährt, teilhaben zu lassen. Es sind dies keine angenehme Gefühle, doch wie bei einem Horrorfilm, kann man aus der Sicherheit des Kinosessels heraus ein ganz einzigartiges »Vergnügen« daran finden.
Wer mehr Lust auf diese Art der kontrollierten
Verstörung hat, dem sei an dieser Stelle auch Der Maschinist von Brad Anderson ans Herz gelegt.