Frankreich/Afghanistan/D 2012 · 103 min. · FSK: ab 12 Regie: Atiq Rahimi Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Atiq Rahimi Kamera: Thierry Arbogast Darsteller: Golshifteh Farahani, Hassina Burgan, Massi Mrowat, Djavdan Djavdan u.a. |
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Dunkles, zartes Schillern |
Er, noch immer steif und kalt, fasst die Frau an den Haaren und zerrt sie in die Mitte des Raumes. Er schlägt ihren Kopf auf den Boden, dann dreht er ihr mit einer heftige Bewegung den Hals um.
(Atiq Rahimi, Stein der Geduld)
Es geht nicht immer gut aus, wenn ein Autor selbst die Fäden der eigenen Werksverfilmung in den Händen hält. Eins der verstörendsten Beispiele der letzten Zeit war Salman Rushdies Drehbuch zu Mitternachtskinder das einen komplexen, schillernden Roman zu einer bunt bebilderten, aber letztlich faden Inhaltsangabe transformierte.
Aber es geht auch anders. Bestes Beispiel ist Atiq Rahimi, der mit »Stein der Geduld« 2008 den Prix Goncourt gewann. In verdichteter, lyrischer Sprache voller Leerstellen nahm sich Rahimi eines Themas an, das zumeist als spröde, anstrengend und übermäßig politisch korrekt eingestuft wird. Doch der Monolog einer afghanischen Frau, der es erst in dem Moment gelingt von sich, ihrem Leben und ihrer Beziehung zu erzählen, als ihr Mann durch einen Genickschuss zu einem temporären, im Koma liegenden Pflegefall geworden ist und sich damit auch emanzipiert, ist eine Geschichte, die weit über das eigentlich regionale Thema hinausgeht, also mehr als nur das Thema Afghanistan berührt.
Das Rahimi selbst den Zuschlag für sein eigenes Buch erhielt, konnte im ersten Moment auch ein wenig beunruhigen, denn die an sich schon radikalen Leerstellen und poetischen Freizügigkeiten des Romans von Rahimi noch verstärkt zu sehen, hätte der Geschichte den Garaus machen können. Dass Rahimi aber im Gegenteil die Leerstellen gefüllt hat, darf als ein wahrer Glücksfall gelten und sieht sich fast wie der Gegenbeweis zu Rushdies Versuch poetische Sprache in Filmsprache zu übersetzen.
Alles, was im Buch nicht auserzählt ist, was vage bleibt, wird in Rahimis Verfilmung in kräftigen Farben nachgetragen, bleibt sich jedoch der ursprünglichen poetischen Dichte treu. Immer wieder gibt es faszinierende Wechsel von konkreten Ereignissen wie dem Angriff von islamistischen Rebellen zu Bildern von großer Stille, Schönheit und Ohnmacht, die dann wieder vom basalen Ringen um die sexuelle Befreiung der Hauptprotagonistin abgelöst werden. Rahimi geht allerdings noch einen Schritt weiter. Anders als Rushdi, der die Handlung seines Romans bis zur Unerträglichkeit reduziert hat, erweitert Rahimi sein Personal und die Handlung signifikant. Eine Tante, die als Prostituierte arbeitet, wird genauso eingehend porträtiert wie die Nachbarn und die sexuelle Beziehung der Frau mit einem der Rebellen. Auch das Ende des Romans ist davon nicht ausgenommen und man muss es zwei, drei Mal und immer wieder von neuem lesen, um sich zu versichern, dass dort wirklich steht, was da steht und im Film so ganz anders erscheint.
Aber es ist in Stein der Geduld natürlich nicht nur die atemberaubend und beklemmende Geschichte, die trägt, sondern auch und vor allem eine wunderbare Golshifteh Farahani in der Hauptrolle. Die iranische, heute in Frankreich lebende Schauspielerin bringt nicht nur Rahimis spröde Dialoge zu einem dunklen, zarten Schillern, sondern ist das eigentliche Bindeglied zwischen Rahimis kurzem, poetischen, kammerspielartigen Roman und einem komplexen Filmgemälde, das nicht nur die gesellschaftlichen und privaten Dilemmata Afghanistans und islamischer Gesellschaften ergründet, sondern immer wieder auch pointiert politische Kommentare zu setzen versteht.
Einen Augenblick zur Ruhe kommen. Den Atem anhalten. Still sein. Sich gegen kühle Mauern lehnen die einem einen Moment den Eindruck von Stabilität geben, während man eigentlich darauf wartet, dass wieder etwas passiert, etwas erschüttert wird. Da ist es. Schüsse fallen, es bebt, Staub rieselt durch das zerbrochene Fenster, Staub liegt auf dem unbeweglichen Körper eines Mannes. Steine und Staub werden von einer jungen Frau weggewischt und dann beginnt sie zögernd und leise mit dem Sprechen.
Stein der Geduld ist ein Film über die Sprache, darüber, was es bedeutet die Vergangenheit, die Gegenwart, die eigenen unterdrückten Gefühle in Worte zu packen und sie so der Außenwelt zugänglich zu machen und sich damit selbst zu befreien. Stein der Geduld ist die Verfilmung eines Romans, eines Mediums also, das per se aus Wörtern besteht. Diese Wörter nun sind im Film nicht allein reine Informationen, sie werden zu Gesten, Mimik, Ton, Farben und Rhythmus. Durch dieses Zusammenspiel kann in einem einzigen Bild mehr parallel gezeigt werden als in einem Satz. Ein Buch erzählt linear, es ist ein Nacheinander an Sätzen, so kann man einen gesprochenen Satz und die Farbe einer Wand nicht im gleichen Augenblick lesen, aber eben sehen – und sich, nach dem Lesen, auch vorstellen. Der in Kabul geborene und aufgewachsene Autor des Buchs, Atiq Rahimi ist auch der Regisseur des Filmes. Er hat es geschafft seinen klaren Schreibstil in einen Film zu übertragen und ihm außerdem weitere Ebenen hinzuzufügen. Rahimi ist eigentlich Autor von Dokumentarfilmen, er begann erst später Romane zu schreiben. Es ist sein zweiter, von ihm selbst verfilmter eigener Roman, nach Erde und Asche (2004). Rahimi lebt heute, ebenso wie seine iranische Hauptdarstellerin Golshifteh Farahani (Alles über Elly (2009), Huhn mit Pflaumen (2012)) in Frankreich.
Die junge Frau (Golshifteh Farahani) im Film lebt irgendwo in Afghanistan, explizit genannt wird das nicht, es könnte eigentlich auch in einem anderen Land sein das sich im Krieg befindet und in dem es die Männer sind, die das Sagen haben. Die Frau verlässt den Raum nur selten, da sie an ihren Mann gefesselt ist, der schon seit Tagen im Koma liegt. Sie hat die beiden Töchter zu ihrer Tante gebracht, einer Prostituierten, und nun sitzt sie mit ihm in der Kammer. Ab und zu geht sie los, holt Wasser oder Medikamente, läuft mit weichen Stoffschuhen durch zerbombte Straßen, überspringt Pfützen. Der regungslose Mann, zehn Jahre ein Held der Abwesenheit, unterkühlt und abstoßend, wird allmählich zu ihrem ruhenden Pol. Jetzt endlich hörst zu mir zu! Sie spricht und erzählt ihm nicht nur vom Leiden ihrer gemeinsamen aber trotzdem einsamen Ehe sondern auch von ihrer Kindheit, ihrem Vater, der Ehe ihrer Eltern. Er wird wichtig für sie, als Stein, als nimmermüder, geduldiger Stein, der alles in sich aufnimmt ohne zu urteilen. Nun kann ich alles tun. Über alles sprechen mit dir. Mein Stein der Geduld. Du lebst, um mich von Leid zu erlösen. Sie versteckt ihren Stein hinter Tüchern, schläft mit einem stotternden, jungen Soldaten – der Sprache auch kaum mächtig –, der seinerseits alles aufnimmt, was sie ihm lehrt. Der junge Soldat, der zuerst mit dem Männerstolz, dem Stolz der Frauenbesitzer, die Frau nimmt, verändert sich durch sie und ihr neues Selbstbewusstsein. Der Film entwickelt dabei eine ganz eigene poetische Kraft und, trotz des Schmerzes und des Leides, Hoffnung.
Das Bild des Steins stammt aus der persischen Mythologie, es ist dort ein magischer Stein, der alles in sich aufnimmt, alle Offenbarungen eines Menschen, bis er eines Tages nicht mehr an sich halten kann und zerspringt. Rahimi nimmt diesen alten Mythos und füllt ihn neu, interpretiert ihn, belebt ihn und hebt ihn in die Gegenwart. Für Rahimi, so sagt er, sind Veränderungen in einem Land weniger durch militärische Aktionen zu erreichen, sondern vielmehr durch Kultur und Bildung.
Der Mann, der die Frau unterdrückt, wird durch seine Bewegungsunfähigkeit zum Stein, mit Hilfe dessen und der Sprache findet die Frau eine Methode ihrer Unterdrückung Ausdruck zu verleihen und sich dadurch zu befreien. Das Sprechen wird zu einem Akt der Emanzipation. Sie ist nicht mehr länger die Frau eines Mannes, sie ist autonom.
Es ist ein Film der zeigt was Geschichten bewirken können, was sie innerhalb eines Landes, aber auch außerhalb, erreichen können, denn wenn man eintaucht in diese Frau, in ihre Realität, in ihr Leben, dann ist das eine Erfahrung, ein poetisches Erleben eines fremden Landes, wie man es sonst selten zu sehen bekommt. Ich werde nicht zulassen, dass sie dich holen, du und ich, wir sind nicht mehr die Selben!